Oscar Freyer. Die Entwicklung der Regionalen Psychiatrie Budgets im deutschen Gesundheitssystem
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- Alfred Brauer
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1 Oscar Freyer Die Entwicklung der Regionalen Psychiatrie Budgets im deutschen Gesundheitssystem
2 Diese Arbeit entstand im Rahmen des Moduls 23 im Modellstudiengang Medizin an der Charité Universitätsmedizin Berlin. Betreuung: Priv.-Doz. Dr. med. Anne Berghöfer, Prov.-Doz. Dr. rer.medic. Gesundheitsökonom Thomas Reinhold Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Projektbereich Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Luisenstraße 57, Berlin Wintersemester 2017/18 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text nur die männliche Form verwendet.
3 Abstract Das Regionale Psychiatriebudget bietet als alternatives Finanzierungskonzept Leistungserbringern die Möglichkeit, regionale Verantwortung zu übernehmen. In diesem Capitation-Modell orientiert sich die Vergütung der Leistungserbringer an der Anzahl behandelter Personen in einem bestimmten Zeitraum und nicht an definierten erbrachten Leistungen oder der Behandlungsdauer. Die pauschale Vergütung ermöglicht es, das Budget frei einzusetzen und die Behandlung patientenzentrierter zu gestalten und alternative Behandlungen einzusetzen. Ziel ist es, ein sektorübergreifendes System zu schaffen, in dem das Motto So viel stationäre Behandlung wie nötig, so wenig wie möglich, gilt. Im Rahmen dieser Literaturrecherche wurde ein aktueller Überblick über die Ausgestaltung der bestehenden Projekte des Regionalen Psychiatriebudgets geschaffen. Alle dreizehn zurzeit bestehenden Projekte des Regionalen Psychiatriebudgets haben gemeinsam, dass sich das Budget pauschal an den behandelten Patienten pro Jahr orientiert. Als Richtgrößte dient dabei immer die Patientenzahl des Jahres vor Projektbeginn. Ziel aller Projekte ist die Überwindung von Sektorgrenzen, um eine patientenzentrierte Behandlung ambulant, teilstationär und stationär durchführen zu können, ohne aus ökonomischen Gründen auf ein bestimmtes Behandlungssetting fokussiert zu sein. Die Mehrzahl der Kliniken arbeitet dafür mit allen gesetzlichen Krankenkassen zusammen, an drei Projekten partizipieren nur ein Teil der Kassen. Ein Großteil der beteiligten Klinken befindet sich in ländlichen Bereichen, in denen die Klinik häufig der einzige psychiatrische Versorger ist. Inzwischen existieren jedoch auch einige Projekte in größeren Städten. Jedes Projekt ist an seinen regionalen Raum angepasst und setzt eigene Schwerpunkte, um die Probleme der Versorgung psychisch erkrankter Menschen der Region nachhaltig lösen zu können. Dabei profitieren alle Beteiligten: Für Kassen und Kliniken ergibt sich eine Budget- und Planungssicherheit, Kliniken können unabhängiger agieren und der Patient steht bei der Behandlung im Mittelpunkt. 1. Einleitung 1.1 Status quo Das Gesundheitswesen befindet sich stets im Spannungsfeld zwischen der ethischen Verantwortung für die höchstmögliche Versorgungsqualität und den zur Finanzierung des Systems notwendigen ökonomischen Zwängen. Seit der Abschaffung des Kostendeckungsprinzips 1992 und der Öffnung des Gesundheitssektors für Privatinvestoren haben sich diese Zwänge noch verschärft. Viele Entscheidungen werden aus ökonomischer Notwendigkeit heraus getroffen, der einzelne Patient verliert an Bedeutung [1]. Durch diese ökonomischen Zwänge haben festgelegte Vergütungssysteme stets einen Effekt auf die Versorgung und verändern diese nachhaltig. So sorgen beispielsweise Vergütungsformen, in denen die erbrachten Einzelleistungen aus einem Katalog abrechenbarer Leistungen als Berechnungsgrundlage 1
4 dienen, zu einer Maximierung der erbrachten Leistungen, ohne Qualität zu garantieren, während eine Orientierung an der Behandlungsdauer, d.h. Vergütung der Behandlungstage ohne Obergrenze, zu längeren Krankenhausaufenthalten und der Vollbelegung der Klinik führen [2]. In der somatischen Medizin besteht seit 2003 ein Abrechnungssystem auf Basis sogenannter Diagnosis Related Groups (DRG). In diesem werden Patienten anhand ihrer Hauptdiagnose, den erbrachten Behandlungsleistungen (Operationen, etc.), Nebendiagnosen, Ressourcenverbrauch und demografischen Daten einer diagnosebezogenen Fallgruppe zugeordnet [3]. Folgen dieses Systems war die Verkürzung der Liegedauer, jedoch kam es parallel auch zu einer Ausweitung der Fallzahlen [2]. Für die Psychiatrie ist eine solche fallbezogene Pauschalierung nicht geeignet, da die Kostenrelevanz einer psychiatrischen Erkrankung nicht nur aus der Diagnose, sondern vor allem auch aus Schweregrad und Kontext bestimmt wird. Festgelegte Verweildauern sind durch Unterschiede zwischen den Behandlungssettings und -verläufen nicht zielführend. Durch ein System der Vergütung auf Basis von Fallpauschalen werden diese de facto vorgegeben [4]. Dennoch entschied sich das Bundesministerium für Gesundheit im Jahre 2013, ein ähnliches, für die Psychiatrie angepasstes Modell einzuführen. Dieses Pauschalierende Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychotherapie (kurz PEPP) stellt eine Mischung aus fallbezogener Pauschalierung und Tagessätzen dar. Patienten werden anhand von Diagnose, Behandlungssetting und demografischen Merkmalen einer PEPP- Kategorie zugeordnet, aus der sich eine Bewertungsrelation ergibt. Mit steigender Verweildauer sinkt diese sukzessive ab. Dieser Relativwert wird dann mit einem jährlich festgelegten, diagnoseunabhängigen Basisentgeltwert und der Behandlungsdauer multipliziert, woraus sich die Vergütung des Falls ergibt [5, 6]. Viele Fachverbände kritisieren dieses Abrechnungssystem, da sich negative Steuerungsanreize für die Versorgung ergeben können. So könnten Patienten, die im Rahmen des PEPP stärker vergütet werden, Patienten vorgezogen werden, die weniger stark vergütet werden. Durch die starke Staffelung der Entgelte könnte es auch zu verfrühten Entlassungen kommen. Auch zementiert das PEPP-System die Grenze zwischen ambulantem und stationären Bereich, da die Erlöse für stationäre Patienten höher ausfallen, als für Patienten in ambulanten Behandlungssettings. [7]. Ab 2018 werden jedoch auch stationsäquivalente Behandlungen beachtet [5]. Wie sich dies auf die Abrechnungspraxis auswirkt, muss noch evaluiert werden. 1.2 Modellprojekte Alternativ zu diesem Standartverfahren können Leistungsbringer seit 2012 im Rahmen des 64b SGB V Alternativmodelle in sogenannten Modellprojekten austesten, um die Versorgung psychiatrischer Patienten zu verbessern oder die obengenannten Sektorgrenzen zu überwinden. Inzwischen bestehen 19 Modellprojekte, von denen 13 dem Regionalen Psychiatriebudget zuzuordnen sind [8]. Es bestand jedoch auch schon vorher die Möglichkeit, durch individuelle Absprachen alternative Modelle zu verwirklichen. Initiiert durch das Klinikum Itzehoe und die Landeskrankenhausgesellschaft Schleswig- 2
5 Holstein startete im Jahre 2003 im Kreis Steinburg das Regionale Psychiatriebudget als Blaupause eines Modellprojektes schlechthin [2]. 1.3 Das Regionale Psychiatriebudget Beim Regionalen Psychiatriebudget handelt es sich um ein Capitation-Modell, in dem nicht das Erbringen einzelner Leistungen oder die Behandlung in definierten Strukturen als Berechnungsgrundlage der Vergütung dienen. Stattdessen orientiert sich die Vergütung pauschal an den behandelten Personen einer Region innerhalb eines definierten Zeitraumes, meist pro Jahr. Der Leistungserbringer übernimmt so ohne Vorgabe des Behandlungssettings oder der durchzuführenden Leistungen die Gestaltung der Versorgung, aber auch die Verantwortung für den Behandlungserfolg der Patienten in der definierten Region [9]. Dies bietet dem Leistungserbringer einen größeren Spielraum in der Gestaltung der Behandlung, es steht nicht mehr die vorher aus ökonomischen Zwängen nötige stationäre Behandlung im Vordergrund. Stattdessen können Patienten vermehrt in alternativen Behandlungssettings behandelt werden und auch der Wechsel zwischen diesen wird vereinfacht. Die Behandlung kann so effektiver am Patienten ausgerichtet werden, da die in der klassischen Vergütung nicht ausreichend abgebildeten Prozesse im Regionalen Psychiatriebudget ausreichend finanziert werden. Ziel ist eine mittel- bis langfristige Gesundheitsförderung der gesamten Region. Die Patienten sollten so kurz wie möglich, da lange Liegedauern nicht extra vergütet werden und für bestimmte Patienten nachteilig sein können, und so lange wie nötig, da eine baldige Wiederaufnahme die gesamte Behandlung verteuert und nicht extra vergütet wird, behandelt und das Behandlungssetting auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden [2]. Die positiven Erfahrungen in Steinburg führten zu einer schnellen Umsetzung in strukturähnlichen Gebieten in Schleswig-Holstein: Rendsburg (2006), Dithmarschen (2008), Herzogtum-Lauenburg (2008) und Nordfriesland (2009). Auch der Kreis Nordhausen in Thüringen führte 2009 ein Regionales Psychiatriebudget ein [2]. Mit Inkrafttreten des 64 SGB V im Jahre 2012 begannen auch Regionen, die sich strukturell von Steinburg teilweise stark unterscheiden, Modellprojekte des Regionalen Psychiatriebudgets zu erproben [8]. 1.4 Zielsetzung der Arbeit Im Rahmen dieser Literaturrecherche soll ein Überblick über die aktuellen Regionalen Psychiatriebudgets geschaffen und Details zu Vertragsumfang und -gestaltung, beteiligten Akteuren und Umfang der regionalen Versorgung herausgearbeitet werden. 3
6 2. Methodik Diese Arbeit wurde gemäß der Satzung der Charité zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis verfasst. 2.1 Suchstrategie Zur Beantwortung der Leitfrage wurde im Dezember 2017 und Januar 2018 eine Literaturrecherche durchgeführt. Eine Recherche in der Literaturdatenbank Medline erwies sich als nicht zielführend, da spezifische gesundheitsökonomische Themen, die einzelne deutsche Kliniken betreffen, dort nicht gelistet sind. Stattdessen wurde für einen Überblick über die Thematik zunächst auf die Vorträge und Publikationen des Netzwerks Steuerungs- und Anreizsysteme für eine moderne psychiatrische Versorgung unter der Leitung von Prof. Arno Deister zurückgegriffen. Für spezifische Ergebnisse zu einzelnen Kliniken wurden mehrere Internetsuchen durchgeführt, in denen die Stichworte Modellprojekt oder Regionales Psychiatriebudget mit dem Kliniknamen oder dem Landkreis kombiniert wurden. Dies förderte neben wissenschaftlichen Begleitevaluationen einiger Kliniken, Qualitätsberichte, Pressemeldungen, Vorträge, Zeitungsartikel lokaler Verlage und Publikationen in Fachzeitschriften zutage. Für Hintergrundinformationen zum deutschen Gesundheitssystem und der Finanzierungssysteme wurde das Buch Regionale Verantwortung übernehmen von Prof. Arno Deister und Dr. Bettina Wilms verwendet und eine Suche im Online-Archiv des Deutschen Ärzteblatts durchgeführt. Diese Ergebnisse wurden durch die offiziellen Publikationen des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus GmbH zum DRG- und PEPP- System komplettiert. Für die Strukturdaten der Landkreise und die Bettenzahlen der beteiligten Kliniken wurde auf Daten des Statistischen Bundesamtes, auf die Krankenhauspläne der beteiligten Bundesländer und auf die Qualitätsberichte der Kliniken zurückgegriffen. 2.2 Ein- und Ausschlusskriterien Aus der großen Menge an Ergebnissen wurden solche entfernt, die Doppelungen enthielten oder deren Informationsgehalt unzureichend war. Auch veraltete Ergebnisse, die einen nicht mehr aktuellen Stand der Entwicklung darstellten und Vortragsfolien, die ohne den mündlichen Vortrag nicht nachzuvollziehen waren, wurden aussortiert. Neben den hauptsächlich deutschsprachigen Quellen wurden auch englischsprachige Quellen berücksichtigt. 4
7 3. Ergebnisse 3.1 Suchergebnisse Durch die Recherche konnten insgesamt 95 Veröffentlichungen gefunden werden. Diese Veröffentlichungen stammen aus verschiedenen Quellen und wurden gelesen, ausgewertet und anhand der oben genannten Kriterien sortiert. Von den 95 Informationen konnten so 49 aussortiert werden (Abbildung 1). Beachtet wurden hauptsächlich Vorträge, Publikationen, Pressemeldungen und Qualitätsberichte der Kliniken. Abbildung 1: Auswahl der Suchergebnisse 3.2 Hauptergebnisse Zurzeit bestehen in Deutschland 13 Projekte des Regionalen Psychiatriebudgets, von denen fünf in Schleswig- Holstein angesiedelt sind. Die restlichen acht Projekte sind über Deutschland verteilt, wobei meist eine Umsetzung in Regionen mit geringer Einwohnerzahl und dichte erfolgt. Beachtet man die historische Entwicklung, so wird erkennbar, dass Regionale Psychiatriebudgets zunächst in Schleswig- Holstein (Ausnahme Nordhausen in Thüringen) umgesetzt wurden. Erst mit Beschluss des 64 SGB V im Jahre 2012, der die Einführung von Modellprojekten in der Psychiatrie vereinheitlichte, entstanden sie auch in anderen, meist strukturähnlichen Bereichen. Daneben existieren bisher fünf gescheiterte Projekte, die eine dauerhafte Umsetzung nach Testphasen nicht realisieren konnten. Von den 13 Projekten arbeiten zehn mit allen gesetzlichen Krankenkassen als Vertragspartner zusammen, einige beziehen darüber hinaus auch private Krankenkassen mit ein. Die restlichen drei Projekte arbeiten jeweils mit einer Auswahl von Kassen (Abbildung 2). In allen Projekten einigten sich die Vertragspartner auf eine Patientenzahl, die der Leistungserbringer pro Jahr behandeln muss. Als Orientierungsgröße dienten 5
8 dabei stets die Patientenzahlen aus dem Jahr vor Start des Projektes. Die Kliniken erhalten dafür ein pauschales Budget, das unabhängig von spezifischen Leistungen eingesetzt werden kann. Von dieser Budgetfindung ist die Budgetrealisierung (die tatsächliche Abrechnung) abzugrenzen, die seit 2015 in allen Projekten anhand des PEPP-Katalogs vorgenommen wird [8]. Grün: Orange: Rot: Regionale Psychiatriebudgets mit allen Kassen als Vertragspartner Regionale Psychiatriebudgets mit einer Auswahl von Kassen als Vertragspartner gescheiterte Projekte Abbildung 2: Räumliche Zuordnung der Modellprojekte des Regionalen Psychiatrie Budgets Das pauschale Budget wird in allen Projekten dazu eingesetzt, Grenzen zwischen den unterschiedlichen Behandlungssettings abzubauen und den Wechsel zu vereinfachen. Ambulante, teilstationäre und stationäre Versorgung sollen zusammenwachsen, um dem Patienten eine auf ihn zugeschnittene Behandlung zu ermöglichen [9]. Da die Leistungserbringer mit dem Wechsel zu einem Regionalen Psychiatriebudget regionale Verantwortung für die Versorgung psychiatrisch erkrankter Menschen übernehmen, gibt es teilweise starke individuelle Unterschiede zwischen den Projekten. Die Ausgestaltung der Behandlung ist auf die Probleme der Region angepasst und bildet beispielsweise die räumliche Struktur und die Ausgangsbedingungen der Klinik, aber auch spezifische Patientenkollektive ab. Im Folgenden werden nun die einzelnen Projekte nach individuellen Besonderheiten untersucht und die Umsetzungen 6
9 der sektorübergreifenden Behandlung dargestellt. Zunächst werden solche Projekte, die mit allen gesetzlichen Kassen zusammenarbeiten, chronologisch besprochen. Darauf folgen ebenfalls chronologisch die Projekte, die nicht mit allen Kassen zusammenarbeiten. Die dazugehörigen Daten sind in Tabelle 1 aufgelistet. 7
10 Tabelle 1: Aktuell bestehende Modellprojekte des Regionalen Psychiatriebudgets mit Struktur- und Klinikdaten (modifiziert und verändert nach B. Wilms [8]) Landkreis Klinik Kostenträger RPB seit Laufzeit bis Einwohner Einwohnerdichte (Einwohner pro km 2 ) Behandlungskapazität Kreis Steinburg Klinikum Itzehoe alle Stationär: 60 Tagesklinik: 75 Behandlungskapazität in der KJP* ohne Kreis Rendsburg-Eckernförde imland Klinik Rendsburg alle Stationär: 110 Tagesklinik: 34 ohne Kreis Dithmarschen West-Küsten-Klinikum alle Stationär: 87 Tagesklinik: 30 ohne Kreis Herzogtum-Lauenburg Kreis Nordfriesland Johanniter Krankenhaus Geesthacht Fachkliniken Nordfriesland ggmbh alle Stationär: 51 Tagesklinik: 43 alle Stationär: 109 Tagesklinik: 72 ohne ohne Kreis Nordhausen Stadt Zwickau Südharz-Krankenhaus Nordhausen Heinrich-Braun- Klinikum alle Stationär: 65 Tagesklinik: 10 alle Stationär: 77 Tagesklinik: 21 Stationär: 46 Tagesklinik: 8 Stationär: 24 Tagesklinik: 15 Stadt Glauchau und Umgebung** Rudolf Virchow Klinikum Glauchau alle Stationär: 70 Tagesklinik: 40 ohne Kreisfreie Stadt Hamm St. Marien-Hospital alle Stationär: 96 Tagesklinik: 32 ohne Kreis Lüneburg, Kreis Harburg Psychiatrischen Klinik Lüneburg AOK Niedersachsen (30% der Versicherten) Stationär: 232 Tagesklinik: 71 ohne Berlin Vivantes-Kliniken DAK (8,5% der Versicherten) Kreisfreie Stadt Bonn, Kreis Rhein- Siegen, Stadt Wesseling, Stadt Euskirchen (nur KJP) LVR-Klink Bonn TK, Barmer, DAK (40% der Versicherten) *** Stationär: 1031 Tagesklinik: **** Stationär: 528 Tagesklinik: 109 Kreis Heidenheim Klinikum Heidenheim alle Stationär: 68 Tagesklinik: 14 Stationär: 72 Tagesklinik: 68 Stationär: 50 Tagesklinik: 30 ohne *Kinder- und Jugendpsychiatrie, ** ehemaliger Kreis Chemnitzer Land [10], *** Friedrichshain-Kreuzberg , Spandau 2.593, Reinickendorf 2.909, Tempelhof-Schöneberg 6.499, Neukölln 7.301, Marzan- Hellersdorf 4.243, **** Bonn 2260, Kreis Rhein-Siegen 517, Wesseling 1539, Die Strukturdaten basieren auf Daten des Statistischen Bundesamtes [11, 12] Die Klinikdaten entstammen den Krankenhausplänen der jeweiligen Bundesländer [13, 14, 15, 16, 17, 18] und Daten der Krankenhäuser [19, 20] 8
11 3.3 Ausgestaltung der Projekte Steinburg Die Idee des Regionalen Psychiatriebudgets stammt aus den 90er Jahren und wurde als Reaktion auf die Psychiatrie-Personalverordnung, die zwar eine wichtige Basis der Finanzierung psychiatrischer Versorgung bot, die Steigerung von Behandlungsaufwand und kosten jedoch nicht abbildete, postuliert. Die erste Umsetzung erfolge 2003 auf Bemühen des Klinikum Itzehoe durch Prof. Arno Deister und der Landeskrankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein im Kreis Steinburg. Im ländlich geprägten Landkreis mit geringer Einwohnerzahl und Dichte ist das Klinikum Itzehoe die einzige psychiatrische Klinik und vorgesehener Pflichtversorger der Region. Das Modellprojekt wurde 2003 auf Basis des 26 Abs. 2 der Bundespflegesatzverordnung mit allen Kassen begonnen. Das Klinikum übernimmt seitdem die Gewährleistung der Behandlung aller psychiatrischer Patienten, die Voraussetzungen zur Behandlung in einer Institutsambulanz erfüllen, die von Vertragsärzten überwiesen oder als Notfall aufgenommen werden. Als Zielgröße der zu behandelnden Patienten wurden, abgeleitet aus den Zahlen des Jahres 2002, Patienten, mit einer Schwankungsbreite von ± 6 %, vereinbart wurde das Regionale Psychiatriebudget wie alle vor 2013 gestarteten ähnlichen Projekte in ein Modellprojekt auf Basis des 64b SGB V überführt [2, 21]. Schwerpunkt der psychiatrischen Behandlung in Itzehoe ist die flexible Behandlung in unterschiedlichen Settings. Um dies zu gewährleisten, erfolgt die Aufnahme der Patienten durch einen Facharzt, der gemeinsam mit den Patienten das beste Setting auswählt. Dabei sind stationäre, teilstationäre oder ambulante Behandlungen sowie Mischformen, beispielsweise nachtklinische Angebote, möglich. Nach der Auswahl des Settings wird dem Patienten ein auf bestimmte Diagnosen spezialisiertes Behandlungsteam zugewiesen, welches den Patienten in allen Settings betreut. Dadurch wird eine Behandlungskontinuität erreicht, um eine engere Beziehung zum Patienten zu ermöglichen und Behandlungsabbrüche zu vermeiden. Bei stationären Aufenthalten sind auch Entlassungen auf Probe möglich. Durch die weiten Wege erwies sich die Möglichkeit von Home Treatment zunächst als schwierig, seit 2014 können Patienten endlich auch im häuslichen Umfeld behandelt werden. Das dafür zuständige Team besteht aus einer Ärztin, einer Sozialpädagogin und Pflegekräften. Zum stärkeren Einbeziehen des Patientenumfeldes sind auch Angebote wie Familientherapie möglich. Wie geplant ergab sich in den Jahren nach der Einführung des Regionalen Psychiatriebudgets eine starke Abnahme der Verweildauer von initial 21 Tagen auf 12 Tage (Stand 2014). In der Folge konnten die Bettenzahlen um 17,6% reduziert und die teilstationären Kapazitäten verdoppelt werden [2, 22, 23]. Nachdem sich durch die wissenschaftliche Begleitevaluation in Steinburg positive Effekte auf Kostenstabilität und Verbesserung des Funktionsniveaus der Patienten gezeigt haben [24] und Dank der in Schleswig-Holstein positiven Grundstimmung des Gesundheitsministeriums und der Kostenträger starteten
12 weitere Kliniken in strukturähnlichen Gebieten Projekte des Regionalen Psychiatriebudgets. Diese waren dem Vorbild Steinburg recht ähnlich, jedoch auf die jeweilige Ausgangslage angepasst. Rendsburg Das erste Nachfolgeprojekt startete 2006 im Kreis Rendsburg-Eckernförde. Die dort ansässige imland Klinik Rendsburg ist für die psychiatrische Versorgung des gesamten Kreises zuständig und arbeitet mit allen gesetzlichen Kassen als Vertragspartner zusammen. Auch in Rendsburg erfolgt die Aufnahme durch Fachärzte, die die Patienten einem Behandlungssetting zuordnen. Statt durch Behandlungsteams wird die Behandlungskontinuität durch teilstationäre Behandlung schon auf der Station sichergestellt. Auch Home Treatment unter Einbeziehung des Patientenumfeldes ist möglich. Durch die initial schon sehr niedrige Bettenmessziffer kam es nach Einführung des Regionalen Psychiatriebudgets nicht zu einer Verringerung der Bettenzahl. Dennoch wurde die Kapazität der Tagesklinik um 25% erhöht und zwei zusätzliche psychiatrische Institutsambulanzen geschaffen [25, 26]. Dithmarschen Wurde Dithmarschen wegen der strukturellen Ähnlichkeit zu Steinburg in wissenschaftlichen Evaluationen zunächst als Vergleichsregion verwendet, wurde auch dort 2008 ein Modellprojekt des Regionalen Psychiatriebudgets gestartet. Dabei wurde mit allen gesetzlichen Krankenkassen als Vertragspartner eine Zielgröße von 2000 Patienten definiert, für die eine pauschale Vergütung von 8 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung steht. Davon fließen Euro in die Zusammenarbeit mit Brücke e.v., einer sozialpsychiatrischen Beratungsstelle. Schwerpunkt des Projektes in Dithmarschen ist die Einführung von alternativen Behandlungskonzepten, die im herkömmlichen System nicht vergütet werden. Bisher wurden unter anderem Angebote wie die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, eine Backgruppe, eine Gärtnerei und ein Streichelzoo etabliert. Zur Normalisierung des Umfeldes werden darüber hinaus tagesklinische und vollstationäre Patienten vermischt. Zur Vermeidung von Hospitalisierung ist auch Home Treatment im Umfeld des Patienten möglich. Nach Einführung kam es zu einer Reduktion der Bettenkapazität und der stationären Liegedauer von 20,6 Tagen (2007) auf 14,6 Tage (2012) [27]. Herzogtum-Lauenburg Auch für das 2008 im Landkreis Herzogtum-Lauenburg initiierte Projekt des Regionalen Psychiatriebudgets wurden alle gesetzlichen Kassen als Vertragspartner gewonnen. Die Zielgröße der zu behandelnden Patienten pro Jahr sind 2200 Patienten, für diese stehen pauschal 7 Millionen Euro zur freien Verfügung. Schwerpunk ist Home Treatment durch mobile Krisen-Interventions-Teams, die den Patienten in seinem Umfeld aufsuchen und bereits vor der stationären Aufnahme und nach geplanten Frühentlassungen die 10
13 weitere Behandlung sicherstellen. Jedes Team besteht aus Ärzten, Ergotherapeuten, Sozialarbeitern, Psychologen, Pflegekräften und Genesungshelfern und ist für einen Bereich mit Bürgern zuständig. Die initial schon geringe Bettenzahl von 51 Betten soll auf 20 gesenkt werden, während die Kapazitäten der Tagesklinik von 43 auf 82 gesteigert werden soll [28, 29]. Nordfriesland Der Landkreis Nordfriesland hebt sich durch eine deutlich niedrigere Einwohnerdichte von 79 Einwohnern/km 2 von allen anderen Regionen mit Regionalen Psychiatriebudgets ab. Dennoch wurde 2009 in Zusammenarbeit zwischen den Fachkliniken Nordfriesland ggmbh (inzwischen DIAKO Nordfriesland) und allen gesetzlichen Krankenkassen ein Modellprojekt des Regionalen Psychiatriebudgets gestartet. Zielgröße war eine Patientenzahl von 2558 ± 6 % pro Jahr. Die beteiligte Klinik war die erste Fachklinik, in der ein Regionales Psychiatriebudget verwirklich wurde. Ziel des Projekts ist es, die zentrierte stationäre Versorgung aufzulösen und stattdessen eine große Menge von Angeboten über den gesamten Landkreis zu streuen, um so möglichst nah am Patienten arbeiten zu können, ohne ihn aus seinen bekannten Strukturen herauszunehmen. Dazu wurde zunächst die stationäre Bettenzahl reduziert und in der Folge die Kapazitäten der Tageskliniken an vier Standorten auf insgesamt 72 Plätze erhöht. Darüber hinaus ist die Behandlung in drei Psychiatrischen Institutsambulanzen möglich [30, 31]. Nordhausen 2009 startete in Nordhausen das erste Regionale Psychiatriebudget außerhalb von Schleswig-Holstein. Die Ausgangslage der Klinik entsprach ungefähr der Klinik Itzehoe. Auch die Struktur ist ähnlich ländlich geprägt. In Nordhausen wurde mit allen gesetzlichen Krankenkassen als Vertragspartner die Behandlung von 1319 ± 6 % Patienten als Zielgröße vereinbart. Auch die Kinder- und Jugendpsychiatrie wurde hier das erste Mal in das Regionale Psychiatriebudget miteinbezogen. Schwerpunkt sind ähnlich wie in Steinburg settingübergreifende Behandlungsteams, die den Patienten auch im Home Treatment versorgen. Diese bestehen aus Psychiatern, Pflegefachkräften, Psychologen und Sozialarbeitern und bieten eine langfristige Behandlungskontinuität. Nach Einführung des Regionalen Psychiatriebudgets wurde die stationäre Kapazität um 25% auf 51 Betten reduziert. Gleichzeitig wurde die tagesklinische Behandlungskapazität um das 2,7-Fache gesteigert [2, 32]. Zwickau Nach der Neureglung zur Einführung von Modellvorhaben durch den 64b SGB V begann eine zweite Welle der Verbreitung, zunächst 2014 in Zwickau und Glauchau. Das Heinrich-Braun-Klinikum in Zwickau übernimmt jedoch nur die regionale Verantwortung für die Stadt Zwickau selbst, nicht für den gesamten 11
14 dazugehörigen Landkreis. Die Zusammenarbeit erfolgte zunächst mit allen gesetzlichen Krankenkassen, seit September 2014 sind auch Privatversicherte miteingeschlossen. Das Regionale Psychiatriebudget gilt auch für die Kinder- und Jugendpsychiatrie, hierfür erstreckt sich die Verantwortung jedoch auf die Gesamtpopulation des Landkreises Zwickau. Schwerpunkt der Behandlung sind Case-Manager, die die Behandlung der Patienten über alle Settings hinweg als Bezugsperson begleitet. Um auch das Umfeld des Patienten mit einzubeziehen, sind Home Treatment und vor allem in der Kinder- und Jugendpsychiatrie neue Therapieformen wie zum Beispiel die Multifamilientherapie möglich [33, 34]. Glauchau Die Einführung des Regionalen Psychiatriebudgets im Rudolf Virchow Klinikum Glauchau begann ebenfalls Auch hier konnten alle gesetzlichen Krankenkassen als Vertragspartner gewonnen werden, die Zielgröße sind ca Patienten im Jahr. Die Klinik übernimmt die Verantwortung für den gesamten nördlichen Bereich des Landkreises Zwickau (ehemals Landkreis Chemnitzer Land), der vor allem ländlich geprägt ist. Ziel der Behandlung ist die engere Verzahnung von stationärer Behandlung mit tagesklinischen und ambulanten Angeboten. Dazu wurde zunächst auf jeder Station ein tagesklinischer Bereich geschaffen, ein aktiveres Entlassungsmanagement eingeführt und wöchentliche Konferenzen für Behandelnde aller Behandlungssettings eingeführt. Die Behandlung ist durch Home Treatment Teams, bestehend aus Ergotherapeuten, Pflegekräften, Mitarbeitern des Sozialdienstes, Ärzten und Psychologen auch im Umfeld des Patienten möglich. Durch die Umstrukturierungsmaßnahmen konnte die durchschnittliche Verweildauer von 17,8 Tage (2012) auf 14,5 Tage (2016) gesenkt werden, während die Fallzahlen stabil blieben. Die Zahl der Hausbesuche nahm im gleichen Zeitraum von 318 (2012) auf 1457 (2016) stark zu [10]. Hamm Ebenfalls seit 2014 wird im St. Marien-Hospital Hamm unter dem Namen Integrative Psychiatrie Hamm ein Modellprojekt des Regionalen Psychiatriebudgets erprobt. Vertragspartner sind neben allen gesetzlichen auch die privaten Krankenkassen, mit denen Versorgung von ca Patienten als Zielgröße vereinbart wurde. Schwerpunkt der Integrativen Psychiatrie ist die Garantie einer Behandlungskontinuität durch settingübergreifende Case-Manager, entweder ein Arzt oder Psychotherapeut, die das multiprofessionelle Behandlungsteam aus Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern, Spezialtherapeuten und Pflegekräften koordinieren. Diese übernehmen auch die stationsersetzende Behandlung des Home Treatment. Ziel ist die Vermeidung von Behandlungsabbrüchen. Nach frühen Entlassungen können die Patienten weiterhin 12
15 ambulante Therapieangebote nutzen oder Home Treatment in Anspruch nehmen. Nach Beginn des Projektes kam es zu einer leichten Reduktion der Behandlungstage. Eine Studie der Universität Witten/Herdecke soll die Effektivität des neuen Systems wissenschaftlich überprüfen [35, 36]. Heidenheim Das jüngste Projekt startete zu Beginn des Jahres 2017 als erstes Projekt in Baden-Württemberg im Kreis Heidenheim. Trotz des anfänglichen Wiederstands der AOK Ostwürttemberg konnten alle Kassen als Vertragspartner gewonnen werden. Das Klinikum Heidenheim übernimmt die Verantwortung für den gesamten, ländlich geprägten Landkreis. Schwerpunkte des Projektes sind Home Treatment als stationsersetzende Behandlung und eine Stärkung der Institutsambulanzen. Auch Peer-Support durch ehemaligen Patienten und Kontakt zu Betreuern über soziale Medien wird angeboten. Die Effektivität der Institutsambulanzen wird durch gezielte Einzelleistungsabrechnung evaluiert [37, 38]. Die drei folgenden Projekte des Regionalen Psychiatriebudgets arbeiten nicht mit allen gesetzlichen Krankenkassen zusammen. Daher ist in diesen Kliniken ein zweigleisiges Vorgehen notwendig, in dem der Großteil der Patienten im normalen System verbleibt, während eine Minderheit des Patientenkollektivs in den durch das Regionale Psychiatriebudget möglichen Strukturen behandelt wird. Dabei kommt es zwangsläufig zu Parallelstrukturen, die sich unter anderem am fehlenden Abbau stationärer Kapazitäten erkennen lassen. Lüneburg/Harburg Das erste Projekt dieser Art wurde 2014 in den Kreisen Lüneburg und Harburg in Zusammenarbeit der Psychiatrische Klinik Lüneburg mit der AOK, die ca. 1/3 der Patienten versichert, gestartet. Auch diese beiden Kreise sind ländlich geprägt, es besteht jedoch eine enge Nachbarschaft zu Hamburg. Die beteiligte Klinik ist nicht der einzige Versorger vor Ort. Das Krankenhaus Ginsterhof besitzt ebenfalls eine kleine psychiatrische Abteilung und ist nicht Teil des Regionalen Psychiatriebudgets. Neben dem Abbau von Sektorgrenzen und der Flexibilisierung der Behandlung stehen sogenannte Drehtürpatienten im Mittelpunkt. Diese Patienten kommen im Abstand von wenigen Jahren für eine stationäre Behandlung in die Klinik, verlieren nach jeder Behandlungsepisode allerdings den Kontakt, bis der zunehmende Leidensdruck zu einem neuen Aufenthalt führt. Durch Home Treatment soll der Kontakt zu dieser Patientengruppe gehalten werden und der Behandlungserfolg dauerhaft gesichert sein. Um eine Entwurzelung zu vermeiden, werden Patienten recht schnell aus der stationären Behandlung entlassen und dann unter Einbeziehung des Umfeldes zuhause weiterversorgt [39, 40, 41]. 13
16 Berlin Durch das Vivantes Netzwerk für Gesundheit GmbH in Berlin wird das Regionale Psychiatriebudget das erste Mal in einer Großstadt erprobt. Diese bietet einerseits die Möglichkeit, durch kürzere Wege Home Treatment vereinfacht durchzuführen, jedoch besteht durch das zahlreiche Angebot psychiatrischer Kliniken auch ein hoher Konkurrenzdruck, da Patienten die Klinik einfach wechseln können, was zu Kostenverlagerungen und -anstieg führen würde. Als Pflichtversorger für sechs Bezirke besitzen die Vivantes-Kliniken eine große Behandlungskapazität, das Projekt wird zunächst nur an zwei Standorten, Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg, erprobt. Die Entscheidung über die Umsetzung in den anderen Kliniken erfolgt Vertragspartner ist die DAK, die aber nur 8,5% der stationär behandelten Patienten versichert. Auch die Kinder-und Jugendpsychiatrie ist Teil des Regionalen Psychiatriebudgets. Der Schwerpunkt der innovativen Versorgung liegt auf Home Treatment, um Patienten auch außerhalb der Klinik im häuslichen Umfeld durch sogenannte FlexiTeams, bestehend aus einem Facharzt, einem Psychologen, einem Ergotherapeuten und einem Genesungsbegleiter, betreuen zu können. Die Teams gelten im Krisenfall auch als Ansprechpartner. Daneben wird durch den Abbau von Sektorgrenzen die Möglichkeit geschaffen, flexibler mit stationären Aufenthalten umgehen zu können. Patienten können auch nach der Entlassung weiter an ambulanten Angeboten teilnehmen. Bisher konnte ca. 1/6 der bei der DAK Versicherten mit Home Treatment behandelt werden [19, 42]. Bonn In Bonn startete im Oktober 2016 ein Regionales Psychiatriebudget unter dem Namen DynaLIVE (Dynamische lebensnahe integrative Versorgung). Als Vertragspartner konnten die TK, die Barmer Ersatzkasse, die DAK und die KKH gewonnen werden, die ca. 40% der Patienten versichern. Als Budgetbasis wurde die Behandlung von 5600 Patienten mit einem Gesamtbudget von 28 Millionen Euro vereinbart. Auch die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist im Projekt mit einbezogen. Die Budgetrealisierung erfolgt dabei teilweise durch PEPP, stationsersetzende Leistungen werden gesondert abgerechnet. Ziel des Projektes ist die Verbesserung der Behandlungsqualität. Dafür sollen Patienten sektorübergreifend von einem Behandlungsteam behandelt werden. Außerdem wurden Case-Manager eingeführt, die als Behandlungsverantwortliche direkter Ansprechpartner des Patienten sind und gemeinsam mit dem Patienten über das richtige Setting entscheiden. Während des Aufenthalts sind auch stationsersetzende Behandlung durch ambulante Angebote oder Home Treatment möglich [43, 44]. 14
17 4. Diskussion 4.1. Zusammenfassung der Hauptergebnisse Das Regionale Psychiatriebudget bietet als Finanzierungskonzept die Möglichkeit, psychiatrische Behandlung unabhängig von Leistungskatalogen und zementierten Sektorgrenzen zu gestalten. Die beteiligten Leistungserbringer schließen dazu einen Vertrag mit einzelnen oder mehreren Krankenkassen, in dem die Behandlung einer definierten Patientenzahl in einem bestimmten Zeitraum als Grundlage für das Budget dient. Jede Klinik kann das Budget dabei frei einsetzen und durch alternative Behandlungskonzepte und das Zusammenwachsen von Ambulanz, Tagesklinik und Station die Sektorgrenzen der Versorgung überwinden und Verantwortung für die Gesundheit der Region übernehmen Stärken und Limitationen Die größte Limitation dieser Arbeit liegt sicherlich an der sehr hohen Variabilität der Quellenqualität der einzelnen Projekte. Bisweilen war die Quellenlage unzureichend. Durch fehlenden Einblick in Vertragsdetails konnten nur begrenzt belastbare Budgetzahlen gefunden werden. Diese wurden in der Arbeit benannt, die Aktualität ist allerdings nicht immer gegeben. Durch gezielte Interviews mit Verantwortlichen auf Klinikseite oder dem Auswerten von nicht öffentlichen Verträgen könnte dort noch mehr herausgefunden werden. Auch das häufige Zurückgreifen auf Vortragsfolien, ohne die Vorträge selbst gehört zu haben, stellt eine Limitation dar. Die Informationen auf den Folien waren nicht immer ausreichend, wurden jedoch, wenn möglich, durch andere Quellen nachvollzogen. Es konnte auch wenig auf wissenschaftliche Evaluationen zurückgegriffen werden, da nur fünf der dreizehn Projekte teilweise extern, teilweise intern durch eine wissenschaftliche Evaluation begleitet wurden. Bei den bereits seit recht langer Zeit bestehenden Projekten war die Datenlage darüber hinaus recht alt und womöglich schon überholt. Die durch 65 SGB V vorgeschriebene Evaluation aller Modellprojekte nach 64b SGB V, die durch das Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) Dresden, durch die Universität Magdeburg und durch das Wissenschaftliche Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG2) umgesetzt wird, könnte sich als nicht ausreichend herausstellen, da hauptsächlich Routinedaten der Krankenkassen ausgewertet werden [45]. Einige Projekte sind deshalb im Begriff, weiterführende Evaluationen durchzuführen, in denen auch weiche Parameter wie Krankheitsverlauf der Patienten berücksichtigt werden. Zunächst wurde nur auf Publikationen zurückgegriffen, die im Kielwasser des Netzwerkes Steuerungs- und Anreizsysteme für eine moderne psychiatrische Versorgung erschienen sind. Dieses Netzwerk ist ein 15
18 Zusammenschluss von Ärzten, die für die Änderung der Finanzierung der Psychiatrie hin zu einem Capitation-Modell plädieren. An diesem Punkt liegt jedoch auch die größte Stärke der Arbeit. Da weder das Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, die Betreuerin Frau Berghöfer, noch der Autor der Arbeit Teil des Netzwerkes sind, bietet diese Arbeit eine Außenperspektive auf die Thematik. Um diese Neutralität abzubilden, wurden die Quellen, wenn möglich durch externe Beobachtungen und Standpunkte der Kostenträger komplettiert Barrieren Trotz positiver Effekte auf Kostenstabilität, Verbesserung des Funktionsniveaus der Patienten und einer geringeren Belastung der Angestellten verläuft die Verbreitung der Regionalen Psychiatriebudgets schleppend [27, 24]. Mögliche Ursache ist die starke Polarisierung des Gesundheitswesens mit vielen Akteuren, die jeweils unterschiedliche, teils diametrale Interessen verfolgen (Abb. 3). Auch hängt die Initiierung eines Modellprojektes vom Bemühen einzelner Protagonisten ab, die zu Etablierung viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Abbildung 3: Akteure im Gesundheitswesen 16
19 Mögliche Hürden sind die Krankenhauspläne der Länder, die eine bestimmte stationäre Kapazität verlangen, jedoch häufig stationsäquivalente Behandlungen gar nicht abbilden. Eine Ausnahme bildet hier insbesondere Schleswig-Holstein [13]. Auf der Kostenträgerseite sind mögliche Probleme das Fehlen von Evaluationen oder das fehlende Vertrauen in die bisher erfolgten. Durch die Übernahme des Home Treatment in das Regelfinanzierungsmodell fällt auch die Notwendigkeit von Modellprojekten zur Erprobung solcher innovativer ambulanter Versorgungangebote weg [46]. Außerdem führt die Konkurrenz der gesetzlichen Krankenkassen untereinander bei einigen Kassen zur Sorge, Konkurrenten wegen einer geringeren Krankheitsschwere der eigenen Versicherten durch pauschale Kopfbeträge mitzufinanzieren. Auch die internen Strukturen der Kliniken müssen sich an das neue Konzept anpassen. Es kommt zu einer deutlichen Flexibilisierung der Mitarbeiter, die Abläufe und vor allem die Abrechnung müssen angepasst werden. Insbesondere bei Fachkliniken besteht die Angst, durch fehlende Einnahmen aus der Somatik die Liquidität zu gefährden [31]. Nicht zuletzt könnte es durch mangelnde Qualität auch zu Kostenverlagerungen in den komplementären Bereich kommen, indem niedergelassene Ärzte und alternative Angebote häufiger konsultiert werden Schlussfolgerungen Durch die regionale Verankerung der Projekte besteht zwischen den Projektausgestaltungen eine hohe Heterogenität. Die grundlegende Philosophie des Abbaus von Sektorgrenzen wird deswegen auf unterschiedliche Art und Weise umgesetzt. Im ländlichen Raum konnten wissenschaftliche Evaluationen ein Vorteil der Regionalen Psychiatriebudgets gegenüber der Standartversorgung zeigen. Von Vorteil für die Umsetzung sind eine geringe Einwohnerzahl, die Zusammenarbeit mit allen Krankenkassen und die Monopolstellung der Klinik. Der Erfolg eines solchen Projektes im großstädtischen Bereich ist noch nicht wirklich abschätzbar, die Erfahrungen der Vivantes-Kliniken könnten dort Aufklärung verschaffen. Für die Zukunft ist eine vor allem auf Qualitätsmerkmale bezogene Evaluation obligat. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich jedoch sagen, dass für alle an einem Regionalen Psychiatriebudget Beteiligten Vorteile bestehen. Die Kliniken und die Krankenkasse profitieren von der Budgetsicherheit, die dauerhaft steigende Kosten in der Behandlung verhindert und eine flexiblere Gestaltung der Behandlung ermöglicht. Von dieser profitiert neben den Patienten auch das Klinikpersonal. 17
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