Beitrag: Hering in Gefahr Klimawandel in der Ostsee

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Hering in Gefahr Klimawandel in der Ostsee Sendung vom 16. Juni 2020 von Gunnar Hollweg, Reinhard Laska und Katharina Lorch Anmoderation: Urlaub an der Ostsee. Die Sonne lacht, die Wellen plätschern, die Kutter fahren in den Hafen - und ewig lockt das Fischbrötchen. Traumhaft. Aber Sie sind bei Frontal 21, bei uns wird nicht geträumt und Sie ahnen es wir zeigen Ihnen, dass der sonnige Ostseeurlaub Schattenseiten hat. Denn die Ostsee ist aus dem Gleichgewicht - und das Leben in ihr auch. Das Wasser ist zu warm und zu viel Dünger aus der Landwirtschaft fließt ein. Es fehlt an Sauerstoff, Blaualgen breiten sich aus, Heringe verschwinden. Der Fisch im Brötchen bleibt zumindest als Importware erhalten. Vorerst, und ein schwacher Trost. Reinhard Laska über die Ostsee in Not und Fischbestände in Gefahr. Text: Der Hafen von Sassnitz auf Rügen. Kapitän Kay Briesewitz sticht mit seinem Fischkutter in See, begleitet von einem Schwesterschiff. Es ist März. Er nimmt zum letzten Mal in diesem Frühjahr Kurs auf die Heringsfanggründe in der Ostsee. Das Geschäft ist schwierig geworden. Die Heringsbestände haben stark abgenommen, die Fischer dürfen nur noch selten rausfahren und sie fragen sich, was aus ihnen werden soll. O-Ton Kay Briesewitz, Fischer: Sicherlich mache ich mir Sorgen, wenn ich sehe, was passiert - ob ich meinen Job die nächsten zehn Jahre noch ausüben kann. Aber das wird die Zukunft zeigen. Also, ich bin der Letzte, der die Flinte ins Korn schmeißt. Nicht nur der Hering bereitet Probleme. Auch die Dorsche werden weniger. Im Juli 2019 zog die EU-Kommission die Notbremse und verhängte ein totales Fangverbot. Damit hatte Kay Briesewitz nicht gerechnet. O-Ton Kay Briesewitz, Fischer:

2 Wenn dann ein sofortiges Dorschfangverbot ausgesprochen wird, dann wird uns die Existenzgrundlage von einem Tag zum anderen entzogen. Heute Nacht aber hat der Fischer aus Sassnitz Glück. Rund 55 Tonnen Hering gehen ihm ins Netz. Die Nachfahrt hat sich gelohnt. Briesewitz würde am liebsten morgen wieder raus, doch das geht nicht. Er hat seine Fangquote fast ausgeschöpft. Und nun fordern Meeresbiologen sogar ein totales Fangverbot, auch für den Hering in der Ostsee. Warum werden die Bestände immer geringer? An der Überfischung liegt es nicht allein. Fest steht, die Ostsee wird durch den Klimawandel immer wärmer. Die Temperatur stieg in den letzten 30 Jahren um 1,5 Grad. Für die Heringe bedeutet die Erwärmung nichts Gutes. Ihr Fortpflanzungssystem gerät durcheinander, ihre Existenz ist bedroht. Warum das so ist, erforschen Biologe Patrick Polte und seine Crew. Sie haben festgestellt, dass die Heringe immer früher laichen. Sie werden von dem warmen Wasser angelockt - zu früh, denn für den Nachwuchs fehlt es noch an Futter. O-Ton Patrick Polte, Institut für Ostseefischerei: Eigentlich ist es so, dass diese kleinen Larven, wenn die aus dem Ei schlüpfen, dann brauchen die Planktonfutter - und zwar relativ spezielles Planktonfutter, weil die Mäuler so klein sind, dass da nicht alles durchpasst. Das heißt, es muss zur richtigen Zeit das richtige Futter verfügbar sein. Und vielleicht kommt es dann einfach zu spät, wenn die Larven schon im Februar, Anfang März schlüpfen, dann wachsen die noch nicht in diese Planktonblüte rein. Das ist im Moment die Hauptvermutung, dass die dann einfach verhungern. Unterwegs mit dem Forschungsschiff Clupea. Das Ziel: der Greifswalder Bodden, das Laichgebiet der Heringe. Nicht nur die Erwärmung, sondern auch der Dünger aus der Landwirtschaft setzt dem Hering zu. Das Wasser ist dadurch häufig trübe, den Wasserpflanzen fehlt das Sonnenlicht. Die Proben zeigen, die Anzahl der Larven geht zurück, die Kinderstube der Heringe wird immer kleiner. O-Ton Patrick Polte, Institut für Ostseefischerei: Früher wuchsen diese Wasserpflanzen noch bis in eine Tiefe von circa acht Metern. Der ganze Bodden war voll mit Wasserpflanzen. Das heißt, der Hering konnte überall seine Eier festkleben. Heutzutage sind diese Wasserpflanzen auf die Uferzone beschränkt, da wo noch das Licht tief genug eindringen kann. Dass das Licht nicht mehr so tief eindringt, liegt halt an dieser Nährstoffbelastung, und dadurch haben

3 wir diesen relativ schmalen Wasserpflanzenstreifen. Stattdessen blühen die Algen. Im Juli vergangenen Jahres bildeten sich riesige Algenteppiche. Einige von ihnen wirken toxisch auf die Heringslarven. Und der perfekte Dünger für die Algen kommt aus der Landwirtschaft. Ludwig Hirschberg ist Landwirt. 30 Kilometer von der Ostsee, bei Plön, erstrecken sich die Äcker der Hirschbergs. Angebaut werden Raps, Mais und Weizen. Die Felder düngt er im Frühjahr, damit die Pflanzen kräftig wachsen. Aber wenn es zu heiß wird und zu wenig Regen fällt, hat er ein Problem: O-Ton Ludwig Hirschberg, Landwirt: Wenn die Pflanzen jetzt eben nicht weiter wachsen, sondern durch die Trockenheit vertrocknen, dann nutzen wir auch den Stickstoff, den wir im Boden zur Verfügung stellen, leider nicht aus. Und der wird dann über Herbst und Winter aus den Böden ausgewaschen. Das ist die Gefährdung vom Grundwasser. Die will auch Hirschberg nicht. Doch durch den Klimawandel geschieht genau das. O-Ton Kerstin Hirschberg Landwirtin: Der Dünger, den wir aufs Feld streuen, der dann von den Pflanzen nicht aufgenommen wird, der wäscht dann eben mit der Zeit in den Unterboden ab und geht dann über die Grundwasserleiter in die Gewässer, wie zum Beispiel hier: den Belauer See. O-Ton Frontal 21: Der ja mit der Ostsee verbunden ist? O-Ton Kerstin Hirschberg Landwirtin: Ja, über die Alte Schwentine und verschiedene andere Seen ist tatsächlich dieser See am Ende mit der Ostsee verbunden. Hier im Labor des schleswig-holsteinischen Umweltamtes wird der Zustand von Seen, Bächen und Flüssen untersucht. Dabei greifen die Wissenschaftler auf ein ganzes Netz von Messpunkten zurück. O-Ton Claudia Rügner Landeslabor Schleswig-Holstein: Wir erhalten circa Gewässerproben im Jahr. Also, insofern hat man schon einen guten Überblick geschaffen, übers ganze Land. Die Proben zeigen: Die Belastung durch Nährstoffe hat nicht abgenommen, wie versprochen und erforderlich. Die Gewässer in Schleswig-Holstein sind durch Ackerbau und Viehzucht weiter

4 stark in Mitleidenschaft gezogen. In dem Nährstoffbericht heißt es schon für die Jahre bis 2017, dass, Zitat: die Fließgewässerbelastung mit Stickstoff nahezu flächendeckend die Orientierungswerte überschreitet ( ) Und weiter heißt es: Zitat: Die tatsächliche Überdüngung ( ) beträgt somit eine Größenordnung von etwa 50 Prozent ( ) Auf dem Weg nach Dänemark. Auch im Nachbarland spielen Ackerbau und Viehzucht eine große Rolle. Anders als in Deutschland haben die Dänen ihren Landwirten wegen der Wasserbelastung strenge Regeln auferlegt - wie etwa Johannes Kaasgaard. Jedes Jahr werden auf seinem Hof Schweine gemästet und eine entsprechende Menge Gülle produziert. Kaasgaard besitzt auch Äcker, auf denen er die Gülle ausbringt. Das aber wird streng überwacht. O-Ton Johannes Kaasgaard, Schweinezüchter: Ich glaube, die Regeln hier sind sehr strikt. Es wird uns genau vorgeschrieben, wie viel Stickstoff wir pro Hektar ausbringen dürfen. Es gibt Regeln, wie unsere Anlagen gebaut sein müssen. Ich glaube, da wir sind den deutschen Landwirten wohl voraus. Die Gülle wird chemisch aufbereitet. Das schädliche Ammoniakgas wird gebunden, der Gestank verschwindet, das Gas gelangt nicht mehr in die Luft. Die Gülle kann effektiver als Dünger eingesetzt werden, belastet das Wasser deutlich weniger. O-Ton Johannes Kaasgaard, Schweinezüchter: Das System funktioniert sehr gut. Ich bin glücklich damit. Und ich sehe es auch auf dem Acker, die aufbereitete Gülle wird von den Pflanzen gut aufgenommen, ich habe eine bessere Ernte. Sogar die EU-Kommission empfiehlt das Verfahren auch um die Ostsee zu schützen. Deutschland aber zieht nicht mit, will die Landwirte dazu nicht verpflichten. Zurück zu Kay Briesewitz. Erst im Herbst darf der Fischer wieder auf Heringsfang gehen. Er macht sich Sorgen um seine Zukunft: O-Ton Kay Briesewitz, Fischer: Ja, wenn das so weitergeht, muss man Angst haben. Wenn einem die Existenzgrundlage genommen wird, heißt das eigentlich das Aus für die Fischerei.

5 Und so könnten dies schon bald die letzten Bilder vom Hering in der Ostsee sein. Abmoderation: Wegen der Corona-Pandemie gibt es seit Monaten weltweit deutlich weniger Fangfahrten als sonst. Das ist schlecht für die Fischereiwirtschaft, aber gut für die überfischten Weltmeere. Vor allem Kabeljau und Co. in Nord- und Ostsee könnten sich erholen, allerdings nicht nachhaltig, denn der Klimawandel bleibt. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.