STAATSRECHT III. Auswärtige Gewalt nach dem GG: Verbands- und Organkompetenz
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1 Prof. Dr. Alexander Proelß WS 2013/2014 STAATSRECHT III TEIL 2: VÖLKERRECHT UND AUßENVERFASSUNGSRECHT IV. Auswärtige Gewalt nach dem GG: Verbands- und Organkompetenz 1. Grundlagen Verhältnis Deutschland internationale Ebene = Bild einer Brücke mit Verkehr in beiden Richtungen o bisher stand im Vordergrund, wie das Völkerrecht von außen über die Brücke in die deutsche Rechtsordnung hineinkommt und wie es dort wirkt o Auswärtige Gewalt: Grundlagen des GG für den Verkehr in die andere Richtung, d.h. Begründung und Kompetenzen für Deutschlands Beteiligung am Völkerrechtsverkehr a) Begriff der auswärtigen Gewalt GG verwendet den Begriff nicht Definition: Summe aller staatlichen Kompetenzen [ ], die sich auf die Grundlage der internationalen Beziehungen auf der völkerrechtlichen Ebene beziehen, und zwar einschließlich der staatlichen Vorschriften über die Willensbildung, die dem Handeln in auswärtigen Angelegenheiten vorangeht (Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 195 f.) zum Bereich der auswärtigen Gewalt gehört auch die Verteidigungspolitik o das gilt sowohl für Akte der Landesverteidigung i.e.s. als auch für die Einbindung in Systeme kollektiver Sicherheit und die Beteiligung an Einsätzen unter VN oder NATO-Mandat 1
2 Auswärtige Gewalt ist keine vierte Gewalt neben Legislative, Exekutive und Judikative Zuständigkeiten sind verteilt und nicht allein (wenn auch primär) in der Hand der Exekutiven gebündelt o früheres Verständnis betrachtete die auswärtige Gewalt vom Ausnahmezustand her: Zusammenführung der auswärtigen Gewalt in der Hand der Exekutive notwendig, um eigene Interessen im Konflikt mit anderen Staaten, die ständig die eigene Souveränität bedrohen, zu behaupten o GG geht demgegenüber von Interdependenz und Kooperation der Staaten aus b) Handlungsformen mit Außenwirkung Formen: diplomatische Beziehungen zu anderen Staaten; Abschluss völkerrechtlicher Verträge; einseitige Akte (diese können einen anderen Staat zwar nicht binden, Deutschland aber verpflichten, vgl. z.b. Verzicht) nicht: andere außenwirksame Verhaltensweisen wie z.b. Städtepartnerschaften oder die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Gemeinden oder Ländern unterhalb der Vertragsebene (anders: Art. 24 Abs. 1a GG!) c) Materielle Schranken auswärtiger Gewalt ausdrückliche Schranke: Art. 26 GG (Verbot des Angriffskriegs [= völkerrechtwidrige Anwendung von Gewalt gegen einen anderen Staat]) weitere inhärente Schranken des GG: o kein Abschluss verfassungswidriger völkerrechtlicher Verträge; diese wären im Außenverhältnis gültig, weil das entgegenstehende nationale Recht aus Sicht des Völkerrechts kein Grund für eine Nichterfüllung darstellt; intern verdrängt das GG den Vertrag o Sonderfall: bei Übertragung von Hoheitsrechten auf eine supranationale Organisation muss ein im Wesentlichen vergleichbarer Grundrechteschutz gewährleistet werden 2
3 2. Verbandskompetenz Bundesstaaten: regelmäßig umfassende Bundeskompetenz in Deutschland ist die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten gemäß Art. 32 Abs. 1 GG Sache des Bundes (= umfassende Vertragsschlusskompetenz des Bundes) o Konsequenz mit Blick auf Gesetzgebung: ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung (Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 GG) Art. 32 Abs. 3 GG: in den Bereichen, in denen die Länder die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit innehaben und der Bund von einer Kompetenz nicht Gebrauch gemacht hat, können die Länder völkerrechtliche Verträge abschließen o (P) Ausnahme zu Art. 32 Abs. 1 GG? dann wären die Länder in den Bereichen, in denen sie die Gesetzgebungskompetenz haben, alleinzuständig für völkerrechtliche Verträge (föderalistische Ansicht) nach a.a. (wohl h.m.) können die Länder auch Verträge abschließen (zentralistische Ansicht) o Frage ist bis heute umstritten, verfügt aber über keine rechtspraktische Bedeutung mehr Kompromiss: Lindauer Abkommen 3. Organkompetenz a) Bundespräsident Art. 59 Abs. 1 GG umfassende völkerrechtliche Vertretungsbefugnis: Verträge, einseitige Rechtsgeschäfte, aktives und passives Gesandtschaftsrecht o aktives Gesandtschaftsrecht: Ausfertigung von Beglaubigungsschreiben, die im Ausland übergeben werden o passives Gesandtschaftsrecht: Akkreditierung fremder Botschafter (niedere Dienstränge durch den Außenminister) 3
4 o Abschluss völkerrechtlicher Verträge: im Regelfall keine Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten, sondern stillschweigende Delegation und Vertretung durch Mitglieder der Bundesregierung o Ausübung der Kompetenzen: nicht frei; intern bedarf es der Mitwirkung, damit Rechtswirksamkeit eintritt (z.b. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG; Art. 58 Abs. 1 GG) o inhaltlich: keine selbständige Entscheidungsbefugnis über die Außenpolitik; Beschränkung auf die formelle Repräsentation des Staates b) Bundestag oder Bundesregierung? traditionelle Auffassung: auswärtige Angelegenheiten sind Domäne der Bundesregierung, weil diese schnell und informiert reagieren kann; parlamentarische Zustimmung ist danach eine Ausnahme dem widerspricht die spezifische Zuweisung von Kompetenzen an die Bundesregierung z.b. in Art. 24 Abs. 1a GG, Art. 32 Abs. 3 GG, Art. 87 GG, Art. 115a Abs. 1 Satz 2 GG; diese Vorschriften wären überflüssig, wenn die Bundesregierung ohnehin automatisch zuständig wäre innere und äußere Sphäre heute nur schwer abgrenzbar; wenn für alle Akte mit Außenbezug allein die Bundesregierung zuständig wäre = bedenkliche Entparlamentarisierung BVerfG: Regierung und Gesetzgebung wirken im Bereich der auswärtigen Gewalt zusammen; es besteht ein Entscheidungsverbund dieser Organe (BVerfGE 121, 135, 162) klar geregelt ist die Organkompetenz im Rahmen von Art. 59 Abs. 2 GG o beachte: in welchem Maße ein Zustimmungsgesetz der Mitwirkung des Bundesrats bedarf (Art. 77 GG), richtet sich allein nach dem Inhalt des Vertrags c) Sonderproblem: Fortbildung völkerrechtlicher Verträge formelle Vertragsänderungen bedürfen der Ratifikation, d.h. intern gemäß Art. 59 Abs. 2 GG normalerweise der Zustimmung des Bundestags aber: schleichende Prozesse einer dynamischen Fortentwicklung, z.b. durch politische Entscheidungen, durch bindendes Sekundärrecht, durch Auslegung o Bsp. Fortentwicklung des NATO-Vertrags: Staat- und Regierungschefs ließen im Rahmen eines neuen Strategiekonzepts geographisch unbeschränkt einsetzbare 4
5 Krisenreaktionseinsätze zu; der NATO-Vertrag kennt als Begründung für militärische Einsätze hingegen nur den Bündnisfall NATO-Vertrag ist ein politischer Vertrag, dessen formelle Änderung eines erneuten Zustimmungsgesetzes durch den Bundestags bedurft hätte BVerfG: für schleichenden Vertragsänderung ohne Änderungsvertrag sei die Zustimmung des Bundestags erforderlich, wenn die Grenzen des ursprünglichen Integrationsprogramms überschritten würden (Auslegungsfrage: Was war bereits im ursprünglichen Vertrag angelegt?); i.e. sei das erweiterte Einsatzprogramm der NATO nicht zustimmungsbedürftig Kritik: Verlust an parlamentarischer Kontrolle, im konkreten Fall fraglich, ob die Ausweitung militärischer Einsätze das ursprüngliche Integrationsprogramm des NATO-Vertrags nicht doch verlässt d) Beschränkungen auswärtiger Gewalt Beschränkung der auswärtigen Gewalt: möglich, wenn Hoheitsrechte gemäß Art. 23 oder 24 GG auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden o was eigentlich die Ausübung deutscher auswärtiger Gewalt wäre, wird nun von der zwischenstaatlichen Einrichtung wahrgenommen Bsp. Art. 3 AEUV: ausschließliche Zuständigkeiten der EU zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge in den Bereichen der Zollunion, der Wettbewerbsregeln, der Währungspolitik für Euro-Länder, der Fischereipolitik und der gemeinsamen Handelspolitik o Mitgliedstaaten sind nicht mehr frei, selbst Verträge abzuschließen oder ihre Rechte aus bereits bestehenden Verträgen geltend zu machen o AEUV genießt als EU-Recht Vorrang, d.h. die Kompetenzzuweisung an die EU ist wirksam und geht der Zuständigkeit für die Wahrnehmung der auswärtigen Gewalt nach dem GG vor o würde Deutschland trotzdem einen Vertrag abschließen, der in die ausschließliche EU-Kompetenz fällt, wäre dies ein Verstoß gegen EU-Recht (Vertragsverletzungsverfahren!), aber im Verhältnis zum Drittstaat wäre der Vertrag wirksam; sein Bruch würde die völkerrechtliche Verantwortlichkeit Deutschlands begründen 5
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