Psychische Belastungen und Beanspruchung betriebliche Handlungsstrategien Fachtagung Gewerkschaft Nahrung-Genuss- Gaststätten 12./13.9.

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1 Psychische Belastungen und Beanspruchung betriebliche Handlungsstrategien Fachtagung Gewerkschaft Nahrung-Genuss- Gaststätten 12./ Dr. Marlen Hupke

2 Was ist psychische Belastung? (DIN EN ISO ) Die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken. Was ist psychische Beanspruchung? Die unmittelbare (nicht die langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen überdauernden und augenblicklichen Voraussetzungen, einschließlich der individuellen Bewältigungsstrategien. Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 2

3 Konzept Belastung - Beanspruchung Die Beanspruchung kann bei gleicher Belastung, je nach körperlicher und psychischer Konstitution, unterschiedlich sein! Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 3

4 Folgen Belastungen Arbeitsaufgabe Arbeitsorganisation Arbeitsumgebung Soziales Klima Gesellschaftliche Faktoren gesellschaftliche Anforderungen (Rollen), Kulturelle Normen, Wirtschaftliche Lage Private Faktoren Beanspruchungen Positive Folgen - Herausforderung - Ansporn - Kompetenz - Wohlbefinden Negative Folgen a) kurzfristig Unterforderung: Monotonie, Sättigung Überforderung: Stress, Ermüdung b) langfristig Arbeitsunzufriedenheit Arbeitsausfälle psychische Erkrankungen Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 4

5 Psychosoziale Risiken Arbeitsinhalte Arbeitsüberlastung & Arbeitstempo Kontrollspielraum Arbeitszeiten Arbeitsumgebung & Ausstattung Rolle in der Organisation Unternehmenskultur & Funktion Zwischenmenschliche Beziehungen bei der Arbeit Karriereaussichten Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben Mangel an Variabilität und kurze Arbeitszyklen, unvollständige oder bedeutungslose Arbeitsaufgaben, Unterforderung, hohe Unsicherheit, kontinuierlicher Kontakt mit anderen Menschen (Kunden, Kollegen etc.) Über- oder Unterforderung, Arbeit bestimmt durch Maschinentakt, hoher Zeitdruck, ständig enge Fristen Wenig Mitsprache bei Entscheidungsprozessen, Mangel an Kontrolle über die Arbeitsbelastungen Schichtarbeit, Nachtschicht, unflexible Arbeitszeiten, unvorhersehbare Arbeitszeiten, lange Arbeitszeiten Mangel an adäquater Ausstattung, Brauchbarkeit und Instandhaltung; schlechte Umgebungsbedingungen zum Beispiel durch Platzmangel, schlechte Beleuchtung, Lärm Uneindeutige Rollenverteilung, Rollenkonflikte, Verantwortung für andere Menschen Mangelhafte Kommunikation, geringe Unterstützung bei der Problemlösung und der persönlichen Entwicklung, keine genauen Festlegungen, oder Vereinbarungen zu organisationalen Zielstellungen Soziale oder physische Isolation, schlechtes Verhältnis mit Vorgesetzten, Konflikte, Mangel an sozialer Unterstützung, Mobbing, Bedrohung/ Belästigung Keine oder unsichere Karriereaussichten, zu geringe oder zu starke berufliche Förderung, schlechte Bezahlung, Jobunsicherheit, geringer sozialer Wert der Tätigkeit Mangelnde Vereinbarkeit von Anforderungen im Beruf und im Privatleben, geringe Unterstützung aus dem privaten Umfeld nach Leka, Griffiths & Cox (2003) Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 5

6 Ansatzpunkte für die betriebliche Prävention Belastungen optimieren bzw. psychosoziale Risiken minimieren Ressourcen der Mitarbeiter stärken Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 6

7 Ansatzpunkt im Betrieb Die Basis für betriebliche Maßnahmen im Umgang mit psychischer Belastung und Beanspruchung bei der Arbeit ist die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 7

8 Rechtlicher Hintergrund ArbSchG 4 (3) bei den Maßnahmen des Arbeitsschutzes sind der Stand der Arbeitsmedizin sowie sonstige arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. (4) Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen

9 Rechtlicher Hintergrund ArbSchG 5 (3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch 1. die Gestaltung und die Einrichtung der Arbeitsstätte und des Arbeitsplatzes, 2. physikalische, chemische und biologische Einwirkungen, 3. die Gestaltung, die Auswahl und den Einsatz von Arbeitsmitteln, insbesondere von Arbeitsstoffen, Maschinen, Geräten und Anlagen sowie den Umgang damit, 4. die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken, 5. unzureichende Qualifikation und Unterweisung der Beschäftigten.

10 Rechtlicher Hintergrund Betriebsverfassungsgesetz 90 (2): "Der Arbeitgeber hat mit dem Betriebsrat die vorgesehenen Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmer so rechtzeitig zu beraten. Arbeitgeber und Betriebsrat sollen dabei auch die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit berücksichtigen."

11 Rechtlicher Hintergrund Auszug 91: "Werden die Arbeitnehmer durch Änderung der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs oder der Arbeitsumgebung, die den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschenge-rechte Gestaltung der Arbeit offensichtlich widersprechen, in besonderer Weise belastet, so kann der Betriebsrat angemessene Maßnahmen zur Abwendung, Milderung oder zum Ausgleich der Belastung verlangen."

12 Beteiligte an der Gefährdungsbeurteilung alle betrieblichen Akteure, die im Arbeits- und Gesundheitsschutz engagiert sind: Führungskräfte Mitarbeitervertretung Fachkraft für Arbeitssicherheit Betriebsarzt BGM/ BEM z.b. ASA Externe Dienstleister Aufsichtsperson Psychologen/ Arbeitsmediziner etc. Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 12

13 Idealtypischer Ablauf einer Gefährdungsbeurteilung Vereinbarung zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung Gemeinsamer Workshop Bildung einer Steuerungsgruppe (paritätisch) Qualifizierung der Akteure Konzeptentwicklung Präsentation Ergebnisse Grobanalyse Maßnahmen festlegen und umsetzen Grobanalyse psychischer Belastungen Grobanalyse physischer Belastungen Auswahl von Pilotbereichen Information für die Mitarbeiter Evtl. Feinanalyse Weitere Maßnahmen erarbeiten und umsetzen Wirksamkeitskontrolle Dokumentation erstellen Kritische Prüfung des Vorgehens Fortsetzung in anderen Arbeitsbereichen Vorgehen in Betriebsvereinbarung festlegen (nach INQA, 2010) Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 13

14 Vorgehen - Analyse Fragebogen orientierende Verfahren Screening Expertenverfahren Diskussionsbasiertes Verfahren Arbeitssituationsanalyse Ideentreffen keine Grenzwerte Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 14

15 Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 15

16 1 0 ab 2. Treffen Was läuft was nicht? Was hat sich getan? 15 Min. 4 5 Min. 2 Hauptthema finden Ablauf der Ideen-Treffen Aufgabenblatt erstellen 5 Min. 3 Lösungen finden 5 Min. Routine hilft! 30 Min. Psychische Belastung und Beanspruchung Seite Seite 16

17 Belastungsoptimierende Maßnahmen im Handlungsfeld Arbeitsorganisation Wesentliche Informationen rechtzeitig zur Verfügung stellen MA in die Organisation der betrieblichen Abläufe einbinden Klare und widerspruchsfreie Aufträge Störungen und Unterbrechungen der Arbeitsabläufe analysieren und entgegen wirken Für vorhersehbare und planbare Arbeitszeiten sorgen, MA einbinden Termindruck entgegen wirken MA auf neue Aufgaben rechtzeitig vorbereiten und qualifizieren Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 17

18 Belastungsoptimierende Maßnahmen im Handlungsfeld Arbeitsinhalt/Arbeitsaufgabe Ausgleich für Tätigkeiten mit extrem hohen Anforderungen (körperlich, geistig, emotional) Technische Hilfen Pausen Job Rotation Konzept des Handlungsspielraumes Qualifizierung/Weiterbildung Zeitpuffer einbauen Verantwortungsbereich der MA klar definieren und Raum für Eigeninitiative lassen Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 18

19 Belastungsoptimierende Maßnahmen im Handlungsfeld Arbeitsumgebung Pausenräume zum Ausgleich bereitstellen und entsprechend gestalten Ausreichend Atemluft Schalldruckpegel so niedrig wie möglich halten, PSA bereitstellen Ausreichend Tageslicht oder angemessene Beleuchtung Möglichkeit den Arbeitsplatz individuell zu gestalten Wichtige rechtliche Grundlagen Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV, ArbStättR) Technische Regeln Arbeitsstätten (TRAS) Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 19

20 Beispiel: Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen in einem Stahlwerk (Satzer, 2004) Einstieg Einigung im Arbeitsschutzausschuss Bildung eines innerbetrieblichen Analyseteams (BR, 2 Sicherheitsingenieure, externer Wissenschaftler) Abstimmung mit der Geschäftsführung Entscheidende Argumente: Begriffliche Klärung, rechtliche Vorgaben ArbSchG, praxisorientiertes Vorgehen, einfach konstruierter Fragebogen, Fortführung mit primär innerbetrieblichen Ressourcen kostengünstig Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 20

21 Durchführung dreiseitiger Fragebogen, auch Platz für freie Anmerkungen Rücklaufquote 50% Auswertung Erst Gesamtauswertung, dann Feinanalyse für einzelne Werksteile und Abteilungen Zeitdruck und mangelhafter innerbetrieblicher Informationsfluss am häufigsten Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 21

22 Feinanalyse Vor-Ort-Begehungen des Analyseteams über mehrere Tage Gespräche mit Mitarbeitern und Vorgesetzten daraus Ableitung von Maßnahmen Maßnahmen ( folgten aus Ist-Soll-Vergleich) kurze Informationsgespräche zu Schichtbeginn, Schulung der Führungskräfte zum Thema Stressfrei führen, Unfallanalyse unter Berücksichtigung psych. Fehlbelastungen Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 22

23 Maßnahmen Vorgesetztenschulung zur Organisation des innerbetrieblichen Informationsflusses Unterweisung der Beschäftigten zum Thema psych. Belastungen Stärkere Einbeziehung der Belegschaft in GB Neue Schichtplangestaltung Festlegung einer Integration dieser Maßnahmen in einen ganzheitlichen betrieblichen Gesundheitsschutz in einer Betriebsvereinbarung Fazit: insgesamt positiv, aber auch Widerstände und Probleme Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 23

24 Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen in Deutschland Bisher führen nur 20% aller Betriebe eine solche Beurteilung durch (BAUA, 2012). Gründe (Nennung von Führungskräften n=1510): Brisanz des Themas (59%) fehlendes Wissen/Qualifikation (55%) fehlende Zeit- und Personalressourcen (54%) mangelndes Problembewusstsein (51%) Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 24

25 Individuelle Maßnahmen Qualifizierung Beratung (z.b. EAP) Coaching Kompetenztraining Unterstützung bei Work-Life Balance Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 25

26 Beispielprojekte BGn/UKn Handlungshilfe für die Gefährdungsanalyse psychischer Belastungen in Kindergärten (UK Baden-Württemberg) psyrisk (BG ETEM) Screening-Verfahren zur Erhebung psychischer Belastungen Handlungshilfe zur Prävention von Burnout bei Mitarbeitern (VBG) 9-tägiges Stressinterventionstraining für Gesundheitsspezialisten aus Unternehmen/ Einrichtungen (UK NRW) Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 26

27 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Psychische Belastung und Beanspruchung Seite 27