Buch Migrationspädagogik 2010 Beltz, Mecheril (siehe Programm, dort sind auch die jeweils behandelten Kapitel angegeben)
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- Kevin Wagner
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1 Zeit: Mo wtl. ab Uhr Ort: HG 2 OG Stiege 8 HS 50 Vortragender: Inci Dirim 1. Vorlesung Buch Migrationspädagogik 2010 Beltz, Mecheril (siehe Programm, dort sind auch die jeweils behandelten Kapitel angegeben) Multiple Choice Prüfung mit 10 Fragen - eine oder mehrere richtige Antworten, Frage aber nicht komplett falsch, wenn man nicht alle richtig hat. Es gibt Wissens- und vor allem auch Reflexionsfragen. Moodle-Registrierung!!!! Unterlagen DaF: zb Deutsch-Unterricht im Ausland DaZ: Deutsch-Erwerb in amtlich deutschsprachigen Gebieten. DaZ fragt nach den soziopolitischen Bedingungen für den Deutsch-Erwerb. NÄCHSTE VO FÄLLT AUS 1. Sprachl. u. kulturelle Vielfalt als dauerhafte Herausforderung europ. Bildungssysteme 2. Spannungsverhältnis zw. sprachlicher Vielfalt u. Chancengleichheit 3. Familiale Sprachkompetenzen vs. Bildungssprache Deutsch 4. Analyse zweier Fallbeispiele aus D und aus England 5. Konsequenzen aus den Fallanalysen 1. Vorlesung - Einführung 1. Sprachliche und kulturelle Vielfalt als dauerhafte Herausforderung europäische Bildungssysteme Auf Grund von Globalisierung, demographischen Veränderungen, Kriegen und wirtsch. Krisen ist und wird Migration und die damit einhergehende sprachlich-kulturelle Vielfalt ein dauerhafter Bestandteil der eur. Wirklichkeit bleiben. Bsp.: Nach einer Prognose für die Stadt Köln wird es dort im Jahr 2040 keine sprachl. Mehrheit geben, auch keine deutschsprachige (Multiminoritätengesellschaft). Muss Schulbildung unter diesem Umständen monolingual deutschsprachig sein? Trotz jahrzehntelanger Erfahrung mit migrationsbedingter sprachlicher Heterogenität ist es den meisten europäischen Staaten noch nicht gelungen, Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in angemessener Form an der schulischen Bildung zu beteiligen. Chancengleichheit unabhängig von ethnischer und staatlicher Herkunft? Seite 1 von 50
2 Pisa-Studie: Schüler mit Migrationshintergrund haben bei der Kompetenz Lesen schlechter abgeschnitten. Die Differenz beträgt durchschnittlich den Kompetenzzuwachs eines Schuljahres. Bei diesen Schülern handelt es sich oft Kinder aus sozial niedrigeren Einkommensschichten. Daher sagen manche Experten, dass es eher um das Phänomen Sozialschicht geht. Deswegen kann man die Mehrsprachigkeit aber nicht unberücksichtigt lassen. Empirische Untersuchungen zeigen auch Unterschiede zw. verschiedenen ethnischen Gruppen. Ethnische Herkunft Faktor im Hinblick auf den Bildungserfolg (zb ostasiatische Kinder erreichen bessere Bildungserfolge) (Kap. 6 des Buches - dort auch Netzlink für österreichische Untersuchung) 2. Spannungsverhältnis zwischen sprachlicher Vielfalt und Chancengleichheit Ø Das Ziel von Bildungssystemen in demokratischen Staaten ist die Ermöglichung von Chancengleichheit, unabhängig von Merkmalen wie Geschlecht, ethnischer Herkunft, relig. Überzeugung und Sprache. Ø Gleiche Bedingungen für alle führen (aufgr. der untersch. Voraussetzungen) allerdings nicht zur Chancengleichheit für alle -> Es muss daran gearbeitet werden, wie die Schule besser angepasst wird auf den Umgang mit migrationsbedingter Heterogenität und Mehrsprachigkeit. Ø Am Merkmal der Sprache, das als Medium der Bildung eine hervorragende Rolle spielt, wird deutlich, dass ein "dissonantes" Verhältnis zw. den familialen Ressourcen von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und den Erwartungen der Schule besteht. Migrationsforscher Müller 1974 und Bade 2007: Beide stellen fest, dass das Erziehungs- u. Bildungssystem scheitert bei der Integration, beide stellen diesbez. auch eine schwarze Prognose für die Zukunft auf (beide beziehen sich auf D, lässt sich aber auch auf Ö übertragen). Laut letzter Pisa-Studie ist die Schlechterstellung von Kindern mit M-Higru in Ö dzt. ein noch größeres Problem als in D. (Differenz in Ö größer als in D). In Österreich ist zwar in der Lesekompetenz der Abstand zwischen 1. und 2. Pisa-Studie zwischen Schüler mit und ohne Migrationshintergrund kleiner geworden, jedoch haben sich die Schüler ohne Migrationshintergrund in ihrer Lesekompetenz verschlechtert. 3. Familiale Sprachkompetenzen vs. Bildungssprache Deutsch familiär: informelle Kontexte familial: die in der Familie verwendeten Sprachformen; anwendungsbezogene Kontexte Sprachliche Aspekte der Ressourcen-Erwartungsdissonanz: Familiale sprachliche Ressourcen: Ø Bedarfsorientierte Kenntnis u. bedarfsorientierter Gebrach verschiedener Sprachen ((Aber türkische Kinder in Ö hatten oft gar keinen Türkisch- Unterricht. Außerdem unterliegt das Türkische hier einem Sprachwandel. Es darf nicht vorausgesetzt werden, dass die Türken in Österreich auch tatsächlich gut türkisch sprechen)) Ø Migrationsgesellschaftliche Formen der Sprachen (zb ethnolektale Register - Best. Formen des Deutschen werden verwendet, die sich unter Einfluss der Migrantensprachen verändern - "Wir gehen Kino". Es gibt hier also systematische Veränderungen) Seite 2 von 50
3 Ø Alternierender Sprachgebrauch (zb Code-Switching) ((Migranten sprechen selten monolingual. Code-Switching: Funktionaler Sprachwechsel)) Ø Falls bildungsfernes Elternhaus: Merkmale mündlicher Kommunikation ((zb An der Uni nähert sich die Sprache eher an der Schriftsprache an als im familiären Gebrauch.)) Ø Falls bildungsnahes Elternhaus: Merkmale schriftlichen Sprachgebrauchs (mit dem die Kinder bereits in die Schule kommen, mit denen man arbeiten kann), aber nicht unbedingt im Deutschen. Erwartungen der Schule: Bildungssprachliches Deutsch: ((Migrantensprachen als "Störfaktor")) Ø Kontextunabhängige Elemente (zb Abstrakta, kohärenzbildende syntaktische Mittel) Ø Komplexe Strukturen Ø Fachwortschatz Ø Konzeptionell schriftsprachliche Kommunikation Alle Lehrer (nicht nur Deutsch-Lehrer) müssten schon in der Ausbildung damit konfrontiert werden, dass sie Schüler unterrichten werden, die einen Migrationshintergrund haben. 4. Analyse zweier Fallbeispiele aus D und aus England Fallbeispiel aus D (Anissa) seit 2. Lj in D, Flüchtlingsunterkunft O-Deutschland, kommt aus dem Nahen Osten, Sprache hauptsächlich Aramäisch. Schulbesuch: zweite Grundschulklasse. Eltern werden "geduldet", Fam. kann jederzeit abgeschoben werden. Kein Bargeld, keine Arbeitserlaubnis. Analyse: Dissonanz zwischen familialen sprachl. Ressourcen und den Erwartungen der Schule. Die Lehrerin wirkt hilflos, bittet Frau Dirim, dass sie die Eltern motivieren soll, zu Hause Deutsch zu sprechen. Die Eltern können aber sprachl. zu wenig Unterstützung für das Kind geben, obwohl sie es versuchen. Fam. von deutschsprachiger Umgebung weitgehend abgeschlossen. Erfolgr. Schulbesuch ist gefährdet, Kind fühlt sich nicht integriert. Nicht alle Sprachen werden in der Schule akzeptiert. Sie lernt damit, was es heißt, Migrantin zu sein. Fallbeispiel aus England (Asmita): (-> Audio File VN wma ab 01:13) 5. Konsequenzen aus den Fallanalysen: Ø Gestaltung der zweitsprachlichen Förderung muss in der Schule stattfinden, und zwar gleichermaßen additiv und integrativ. Ø Die Familiensprachen sollten in die schulische Bildung als Medium des Lernens einbezogen werden. Ø Die Familiensprachen sollten wertgeschätzt und als Bildungsinhalt angeboten werden. Ø Die Lehrkräfte aller Fächer müssen im Hinblick auf den Umgang mit verschiedenen sprachlichen Zugängen professionalisiert werden (DaZ u. Mehrsprachigkeit als Querschnittsaufgaben) Ø Die Lehrkräfte müssen lernen, ihren Unterricht und ihre Interaktionen mit den Schülerinnen und Schülern so zu gestalten, dass sie nicht ausgrenzend wirken. Seite 3 von 50
4 2. Vorlesung Folien kommen noch auf Moodle Begriffliche Klärungen und Entwicklung des pädagogischen Diskurses im Rahmen der Interkulturellen Bildung 1. Das Sprechen über Migration 2. Auf die Gesellschaft bezogene Begriffe 3. Auf das Individuum bezogene Begriffe 4. Empirisches Beispiel: Vergleich der Sprechweisen in D und F 5. Zum Begriff "Kultur" 6. Fazit: Die Macht der Begriffe 1. Das Sprechen über Migration Ø Migration eine Tatsache, die die eur. Gesellschaften in allen Lebensbereichen prägt und verändert. Migration stellt die Gesellschaftssysteme daher vor eine Reihe von Herausforderungen, die bewältigt werden müssen (vor allem das Bildungssystem) Ø Die diskursive Bearbeitung (zb über die Presse) dieser Herausforderung geschieht mit einer Reihe von Begriffen, die Haltungen offenbaren und Sichtweisen prägen. Ø Auf Grund der hohen Wirksamkeit der Begriffe ist es notwendig, den Sprachgebrauch in diesen Diskursen kritisch zu reflektieren. 2. Auf die Gesellschaft bezogene Begriffe Migration prägt die eur. Ges. in entscheidendem Ausmaß. Welche Begriffe sind dazu geeignet, diese Gesellschaften zu kennzeichnen? Einwanderungsgesellschaft eher aufnahme- und änderungsbereit Zuwanderungsgesellschaft additiver Begriff - eine bestimmte Gesellschaft ist da, Migranten kommen hinzu (Hybridisierung, Entstehung von transkulturellen Phänomenen, Vermischen... von dem Begriff Zuwanderungsgesellschaft eher nicht abgedeckt). Migrationsgesellschaft weit gefasster Begriff, eine Gesellschaft die allg. von Migration gekennzeichnet ist. Ein Begriff, unter dem verschiedene Phänomene behandelt werden. Migration: Ø umfasst Ein- u. Auswanderung sowie Pendelmigration Ø Formen regulärer und irregulärer Migration (legal/illegal - aber Menschen können nicht illegal sein, deswegen die Verwendung anderer Begriffe) Ø Phänomene der Fremdheit Ø Phänomene des Alltagsrassismus Ø Entstehung neuer sprachlicher Ausdrucksweisen Ø Erschaffung neuer Formen von Ethnizität (Hybridisierungen kultureller Art) Ø Diskurse über Migration oder "die Fremden" Seite 4 von 50
5 3. Das Individuum bezeichnende Begriffe Ø Ausländer Ø Zuwanderer Ø Asylanten Ø Migranten Ø "neue Kanadier" Ø Österreicher Ausländer: Ø Konnotationen: Ausgangspunkt Inland - Nicht-Österreicher in Österreich-> Ausländer; womöglich eher vorübergehender Aufenthalt; jedenfalls ein eher negativ konnotierter Begriff. Tendenzielle von rechten Parteien benutzt; Migrant neutraler. Es gibt jedoch eine Wertungsskala der "Ausländer" aufgrund der Herkunft (zb hochbezahlter, angeworbener US-Amerikaner würde vermutlich nicht als Ausländer bezeichnet werden) Ø Bildungsinländer: Schüler ohne österreichischen Pass, die aber den österreichischen Bildungsweg durchlaufen haben. Ø Bildungsausländer: zb Studierende aus dem Ausland, ohne den österreichischen Schulweg durchlaufen zu haben. Migranten: häufig andere Definitionen verwendet in den unterschiedlichen Statistiken, daher schwer vergleichbar. Wenn wir daher zb in wissensch. Arbeiten derartige Begriffe verwenden, sollen wir konkretisieren, lt. welcher Definition wir diesen Begriff verwenden (zb lt. XY in Publikation Z, 20..) "neue Kanadier": neu eingeführter Begriff für Einwanderer. Der Begriff "neue Österreicher" wird wohl wenig verwendet (jedoch eher "Neo-Österreicher", zb für eingebürgerte Sportler) Anderer Ansatz: Ø "Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit": Dadurch wird auf diese Verschwommenheit, Unklarheit, Verschränkung der Themen (Nation, Ethnie, Kultur) aufmerksam gemacht. Ein Begriff, der in Folge einer Analyse entstanden ist, nicht unbedingt für den täglichen Sprachgebrauch geeignet. Ø "Migrationsandere" und "Nicht-Migrationsandere" (Mecheril 2004) Negativbeispiele aus der Praxis: Ø Beispiel: "die türkischen Kinder" ("Wir essen, wenn die türkischen Kinder weg sind..." am Martinstag in der Schule) Ø Othering: Es wird in Sprache und Handlung eine Gruppe hergestellt, die nicht dazu gehört. (Mecheril 2004) Hierarchisierung zwischen dem Wir und dem Nicht-Wir. Ø Ausländisch = türkisch (Krüber-Potraz 2005): Analyse, wie oft der Begriff "türkisch" verwendet wird. Ein Abbild der Problemsicht. Wenn derartige Probleme besprochen werden, werden meist Türken als Bsp. herangezogen - somit ist "türkisch" keine neutrale Bezeichnung mehr. Ø Othering erfolgt jedoch nicht nur durch die Majorität. Türkische Lehrerin zu türkischem Kind, sein Tisch war nicht aufgeräumt: "Was sollen denn die Deutschen von uns denken?" (auf Türkisch) Die Lehrerin ethnisiert selbst und stellt die Gruppe der Türken her, dazu eine Hierarchisierung, die Deutschen als Kontrollinstanz. Ø Schülerin beantwortet eine Frage. Kommentar des Lehrers: "Und sag das jetzt bitte auch auf österreichisch." Keine inhaltliche Rückmeldung, sondern ein Platzverweis, eine Hierarchisierung (wir Österreicher, du Türkin), ein Othering. Seite 5 von 50
6 Möglichkeiten zur Verhinderung derartiger Praktiken: Ø Ethnisches Monitoring Ø Kollegiale Supervision 4. Schülerkategorisierung in Deutschland und Frankreich Frankreich Ø primo arrivant Ø enfant migrant Ø élèves issue de l'mmigration Ø 1ère génération Ø 2ième génération Ø les enfants francais isusus d'une immigration parentale Keinerlei ethnische Verweise in diesen Begriffen! Deutschland Ø türkische Mädchen Ø rein türkische Mädchen Ø arabische Kinder Ø arabische Zuwanderer Ø russische Jungen Ø Ausländerkinder Ø Zugewanderte Ø sprachlose Kinder 5. Kultur (nicht wirklich behandelt) Ø Unvereinbarkeit der Kulturen (Herder)? Ø Kultur als Konstrukt? Ø Von wem wird "Kultur" zu welchem Zweck verwendet? 6. Die Macht der Begriffe Ø Professionalisierung im Hinblick auf die Verwendung von Begriffen heißt nicht, immer zu wissen, welcher Begriff verwendet werden soll. Ø Es heißt, Begriffe im Hinblick auf ihre Wirksamkeit kritisch überprüfen zu können und auch nicht zu wissen, welcher Begriff der passende ist. Seite 6 von 50
7 3. Vorlesung Der Aufsatz "Ausländerdispositiv" auf Moodle ist nicht prüfungsrelevant. Entwicklung des pädagogischen Diskurses 1. Zum Begriff "Diskurs" 2. Zur Entwicklung des allgemeinen Diskurses über Migration 3. Pädagogischer Diskurs: Chronologische Modellierung des Diskurses zum Umgang mit ethnisch-kultureller Heterogenität an Schulen 4. Kritik an der "Ausländerpädagogik" 5. Kritik an der "Interkulturellen Pädagogik 6. Alternativvorschläge: "Transkulturelle Pädagogik" und "Migrationspädagogik" 1. Zum Begriff Diskurs: verschiedene Textsorten: nicht nur wissenschaftl. Veröffentlichungen zum Thema, sondern auch Zeitungstexte, schulisch relevante Texte wie Curricula,... Wir befassen uns hier aber mit dem pädagogischen Diskurs im engeren Sinne. Chronologische Modellierung des Diskurses zum Umgang mit ethnisch kultureller Heterogenität an Schulen Ø 1960er: Dekade diskursiver Stille: keinerlei Problembewusstsein nach Beginn der Arbeitsmigration, nicht thematisiert. Was heißt es überhaupt, dass plötzlich Kinder an der Schule sind, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Ø 1970er: Dekade des Defizitdiskurses: Defizite der Migranten - Sprachdefizite: Annahme, dass man von "Deutsch" spricht, wenn man von "Sprache" spricht. "Sprachförderung" = "Deutschförderung" Ø 1980er: Dekade des Differenzdiskurses: Hier geht es eher um Kultur als um Sprache. Man beschreibt die versch. Kulturen, auch Multikulturalität zu beschreiben, in Richtung gegenseitige Bereicherung gerichtet. Ø 1990er: Dekade des Dominanzdiskurses: Kritische Wende: Frage der Tauglichkeit des Bildungssystems in den amtlich deutschsprachigen Regionen angemessen für den Umgang mit Migration. Kritik des Bildungssystems Ø 2000er: Dekade der Disziplinierung: im akademischen Feld. Fachgebiete wie interkulturelle Bildung, Migrationspädagogik, DAZ,... etablieren sich. Der Defizitdiskurs ist im letzten Jahrzehnt wieder in den Vordergrund getreten zuungunsten der In-Frage-Stellung der Angemessenheit des bestehenden Bildungssystems. Kritik an der chronologischen Modellierung Ø Darstellung der Geschichte in homogenen Abschnitten (die Entwicklung ist natürlich nicht so linear zu beschreiben) Ø Entstehung des Begriffs "Ausländerpädagogik aus der Kritik an Sichtweisen und Handlungen. Kein explizites Programm, ist nachträglich in der Analyse herausgearbeitet worden. Ø Interkulturelle Pädagogik aus der Kritik als explizit entwickeltes Programm ( Ausländerpäd. bleibt im Gegensatz dazu eher implizit). Ein Programm, das sich an die gesamte Gesellschaft richtet, nicht nur an die Migranten. Auch die Majoritätsangehörigen verändern sich durch die Migration, sollten sich interkulturelle Kompetenzen erwerben sollten. Man hat sich hier eher auf die Kultur als die Sprache konzentriert. Seite 7 von 50
8 Ø Ausländerpädagogik und interkulturelle Pädagogik eher Paradigmen des Umgangs mit migrationsbedingter Heterogenität (keine abgeschlossenen Phasen) Kritik an der Ausländerpädagogik Ø Defizitorientierung (Sprachdefizite von Migranten) Ø Pathologisierung (der Defizite) Ø Einseitige Ausrichtung auf Migranten Kritik an der Interkulturellen Bildung Ø Oft versteckt ausländerpädagogisch (nur anderes Etikett, trotzdem defizit-orientiert) Ø Kulturalistische Reduktion (Kultur als Sprachversteck für Rasse) Ø Gegenvorschlag: Transkulturelle Bildung Ø Gegenvorschlag: Migrationspädagogik ad Sprachversteck für Rasse: In den Phasen des Kolonialismus wurde mit dem Begriff "Rasse" gearbeitet. Den als Rassen konstruierten Gruppen wurden untersch. Eigenschaften, untersch. Handlungsmöglichkeiten, die diesen Gruppen zugeschrieben und zur Verfügung gestellt worden sind, keinen Zugang zu bestimmten gesellschaftlichen Ressourcen. Heute wird oft mit dem Begriff "Kultur" gearbeitet. Derzeit entsteht an der UNI Wien eine Doktorarbeit zu dem Thema "Mama lernt Deutsch.- Kurse" Wird hier nicht ein Bild konstruiert von Müttern, die zu Hause sitzen und Deutsch lernen, um den Kindern bei den Hausaufgaben helfen zu können. Wird hier auch eine Gruppe des Nicht-Wir konstruiert, die nicht voll handlungsfähig ist, anders behandelt werden muss? Paternalismus: Eine Personengruppe beherrscht eine andere mit dem Argument, der anderen Gruppe etwas Gutes zu tun und zu wissen, was für die Gruppe gut ist. "Ich will euch emanzipieren." -> Wir sind emanzipiert, wir können euch emanzipieren. ad Transkulturelle Bildung: Hybridisierung von Kultur, es entsteht etwas Neues. Dennoch wird auch hier mit dem Begriff "Kultur" gearbeitet. Das heißt, es muss feste Kulturen geben, damit man sie vermischen kann. Migrationsspezifische Mehrsprachigkeit Vortragsstruktur Ø Spracherwerb in einer migrationssprachlichen Umgebung (theoretisches Modell in Anlehnung an Bronfenbrenner 1981) Ø Formen des Sprachgebrauchs in einer migrationssprachlichen Umgebung (Ergebnisse empirischer Untersuchungen) Ø Deutsch als Zweitsprache als migrationsspezifische Performanz Seite 8 von 50
9 Folie Spracherwerb in einer migrationssprachlichen Umgebung (Grafik) unterscheidet sich sehr stark vom Aufwachsen in einer bilingualen Familie. Mikrosystem Familie: In Migrantenfamilien bleiben die Herkunftssprache über Generationen hinweg im Einsatz, es wird aber nicht nur die Herkunftssprachen gesprochen. Auch das Deutsche spielt eine Rolle. Mikrosystem Kindergarten: nicht so stark auf die Monolingualität fokussiert. Freunde: Interaktionen auch mehrsprachlich. Mesosystem: beinhaltet die Beziehungen zwischen den verschiedenen Systemen. Die Forderungen von Erziehern beeinflussen das Sprachverhalten von Eltern, auch umgekehrt (geringeres Ausmaß) Exosystem eingebettet, zb Medien: wirken sich auch auf die Sprachkompetenz der Kinder aus. Allerdings haben die Kinder kaum Möglichkeit, die Medien mitzubeeinflussen. Medien auch mehrsprachig genutzt. Makrosystem eingebettet, zb Gesellschaft: Reglementierungen. Forderung, dass Kinder auch auf dem Pausenhof Deutsch sprechen sollen. Eltern Sprachdominanzen Ø Verschiedene Sprachstände in den einzelnen Sprachen Ø Auswirkung der sozialräumlichen Umgebung auf die Entwicklung der Sprachkompetenzen Die Sprachstände in den einzelnen Sprachen entwickeln sich nicht parallel. Kinder, deren Eltern aus der Türkei kommen, haben zb häufig keine schriftsprachliche Kompetenz im Türkischen. Es kommt sehr selten vor, dass Kinder, die zweisprachig aufwachsen, in beiden Sprachen die selben Sprachkompetenzen entwickeln. Die sozialräumliche Umgebung spielt eine Rolle bei der Entwicklung dieser Sprachkompetenzen. Überlegung, ob es vielleicht besser wäre, die türkischen Kinder zuerst im Türkischen zu alphabetisieren und dann erst ins Deutsche einzuführen. Diese Idee ist aber niemals umgesetzt worden. Modell der bilingualen Alphabetisierung nach dem Reißverschlussprinzip: Den Kindern werden bestimmte Laute und Buchstaben, die einander oberflächlich ähneln, aber doch unterschiedlich sind, systematisch in beiden Sprachen (Deutsch und Türkisch) zu vermitteln. Sprache und Herkunft Erwerb und Gebrauch von Sprache nicht immer an eine bestimmte Herkunft gebunden (Dirim & Auer 2004) Beispiel (Auszug aus dem Datenbestand Dirim & Auer 2004): Hans: Ay Kaiserstraße de biri oturuyo, o da Ahmet'in arkadaşı galiba, Ercan bana bugün dedi. (Oh, in der Kaiserstraße wohnt jemand, es ist wohl ein Freund von Galip, Ercan hat es mir heute erzählt) Fikri: He. (Ja.) Hans: Yepyeni ford mondeo duruyo abi, yepyeni! (Ein ganz neuer Ford-Mondeo stand da mein Freund, ganz neu!) Seite 9 von 50
10 Hans in Hamburg-Altona aufgewachsen, aus monolingual deutschsprachiger Familie, lernte durch die Umgebung Türkisch und spricht tatsächlich ein unauffälliges Türkisch, ohne es in der Schule gelernt zu haben. Er lernte die Sprache so, wie er sie brauchte, natürlich nicht bis zur Perfektion. Formen des Sprachgebrauchs 1. Die Kenntnis und der unmarkierte Gebrauch verschiedener Sprachen und Sprachregister 2. Veränderter, manchmal auch markierter Gebrauch der einzelnen Sprachen (z.b. ethnolektal) 3. Lernervarietäten 4. Neuschöpfungen 5. Sprachalternation (Code-Switching, Code- Mixing, Transfer, Übersetzung) Migrationsspezifisch veränderter Gebrauch der einzelnen Sprachen Türkendeutsch : Ø Syntaktische Veränderungen des umgangssprachlichen Standarddeutsch Ø kurze und dicht aufeinanderfolgende (einander nachgestellte) Äußerungen Ø der Einsatz einer bestimmten Satzmelodie Ø Sprachalternation Ø der Transfer türkischer Wörter und Äußerungsteile ins Deutsche Beispiele: Ø Hast du ateş? (Dirim & Auer 2004) Hast du Feuer? Ø Dann bin ich Gesamtschule ŕübergegangen (Dirim & Auer 2004) Ø Gib mir Lineal! (Beobachtung einer Bremer Referendarin) 1. wurde unabhängig von der Herkunft verwendet, und nicht, weil sie das Wort "Feuer" nicht kannten. ("Wir sind die Multikulturellen.") 3. Antwort: Das heißt: "Gib mir bitte Lineal." Kontextgebundener Sprachgebrauch. Man kann daraus nicht automatisch darauf schließen, dass sie den richtigen Gebrauch nicht kennen. Ethnolektales Türkisch? Ø Syntaktische Veränderungen Ø Gebrauch deutscher Versatzstücke Beispiele: Ø Ben Türkçe öğreniyorum. (Ich lerne Türkisch; Tafelanschrieb aus dem Türkischunterricht in Hamburg) Ø Führerscheinınızı bizde yapınız! (Machen Sie Ihren Führerschein bei uns; Zeitungsanzeige in Gülender & Dirim 2002) Personalpronomen Ich (Ben) würde im Türkischen als Subjekt normalerweise nicht verwendet, weil durch die um-endung das Ich bereits angezeigt wird. Seite 10 von 50
11 Weitere Ethnolekte? Japanisch in Wien Wakako: AAAAA!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Saki: Dou shita Waka? Saki: Was ist los Waka?!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Wakako: Nanka... atsui. Wakako: Etwas... heiß. Dieser Gesprächsausschnitt einer Unterhaltung unter zwei Studentinnen (aufgezeichnet von Bernhard Kopf) zeigt, dass in Japan unter Studierenden verschiedenen Alters übliche Höflichkeitsformeln nicht verwendet werden. Nach Auskunft der Studierenden werden sie in Wien - inspiriert von dem ungezwungenen Kontakt unter österr. Studierenden weggelassen. Weitere Ethnolekte? Persisch in Wien (Gespräch zwischen zwei Männern, aufgezeichnet von Masoumeh Lotfi und Sara Younesinia, Wintersemnester 2010/11) ککججاا ببووددیی چچهه ححاالل چچهه ااححوواالل... خخييللیی ووققتتهه ننددييددممتت : ممهھھھرردداادد گگششففتت ممششففتت خخووببهه Xeyli wağte nadidamet.. koʤā budi? ʧe hāl ʧe ahwāl? Geschäft meʃeft xube? Ich habe dich schon lange nicht mehr gesehen. Wo warst du? Wie laufen die Geschäfte? Gut? Es wird das Wort "Geschäft" benutzt und durch das "Mescheft" wie in der persichen Sprache verallgemeinert (ca. die Geschäfte und so...) Warum verwendet er das Wort überhaupt so - um den Kontext (österreichisches Geschäft) anzuzeigen. Lernervarietäten Zwischenstufen, Hypothesen auf dem Weg des Erwerbs der Zielsprache. Diese werden sehr individuell gebildet, lassen sich nicht verallgemeinern. Beispiel: Ø Das Katze will die Vogel fressen. (HAVAS- Erhebungen, Hamburg) Ø Der Vogel macht so. (HAVAS-Erhebungen, Hamburg) 1. ist eine Lernervarietät, da ein deutscher Satz gebildet worden ist, Artikelgebrauch vorhanden, Verbklammer ok, jedoch Genus-Zuordnung nicht korrekt. Daran arbeitet das Kind gerade. Wie könnte man den Satz ethnolektual umformen: "Katze will Vogel fressen." Neuschöpfungen Beispiel: Ø Haltelippen statt Zange (Hamburger Sprachstandserhebung Bumerang) Die Schülerin war immerhin in der Lage, aus dem Deutschen heraus sich eine kreative Seite 11 von 50
12 Lösung für ein unbekanntes Wort (Zange) zu überlegen. Sprachalternation Ø wallah jeg siger min storebror han skylder mig 700 kroner jeg skal have 350 i dag og 350 om to uger # I got paras # skal du til den der fest øh på fredag (Quist 2005, 150). Ø Also ich sag dir, mein großer Bruder schuldet mir 700 Kronen, heute habe ich 350 bekommen und 350 bekomme ich in zwei Wochen. Ich habe Geld! Gehst du am - ähm - Freitag zu dieser Party? "Mischmasch". Beispiel aus Dänemark. Die unterstrichenen Teile sind nicht Dänisch, "wallah" ist Arabisch. In Kopenhagen kombinieren Jugendlichen mehr als zwei Sprachen. Ein Diskursmarker, man macht auf sich und verschiedene Redeabschnitte durch die verschiedenen Sprachen. "I got" Englisch, "paras" Türkisch. Die Gründe für Derartiges sind sehr unterschiedlich. Der alternierende Gebrauch des Deutschen und des Türkischen (Dirim 1997) 1. Beispiel Bist du Türkin? Beteiligte: Cevdet und Murtaza, türkisch-deutsch zweisprachige Kinder im Vorschulalter; Beobachterin: türkisch-deutsch zweisprachig, erwachsen Die Kinder halten sich in einer Hamburger Freizeiteinrichtung auf: Cevdet hat mitbekommen, dass die Erwachsene, die am Rande die Interaktionen unter den Kindern beobachtet und protokolliert, Türkisch kann und wendet sich im Folgenden mit einer Frage an sie. Cevdet: Beobachterin: Cevdet: Beobachterin: [zur Beobachterin] Türk müsün? (Bist du Türkin?) [abweisend] hm [zu Murtaza]: Ist sie Türkin? [zu Cevdet]: Mein Vater ist Türke hab ich doch eben gesagt 2. Beispiel: Lass mich auch mal spielen! Beteiligte: mehrere Kinder, u.a. Nurtaç und Cansu Nurtaç: im Grundschulalter, türkisch-deutscher Familienhintergrund; Cansu: im Grundschulalter, türkisch- deutsch-portugiesischer Familienhintergrund Mehrere Kinder spielen auf einem großen Spielplatz Tischtennis und unterhalten sich dabei. Nurtaç wendet sich an Cansu. Nurtaç: [zu Cansu] Aha, Güler, Güler takıyor şimdi! (Aha! Güler bindet sie gemeint ist eine Gürteltasche mit einem Aufnahmegerät sich jetzt um) (Nurtaç kreischt und wendet sich an Hakkı) Oh, lass mich auch mal spielen Hakkı! Der alternierende Sprachgebrauch - Einige Funktionen des Code-Switching Adressatenwechsel Betonung eines Adressatenwechsels Betonung eines Themen- und AdressatenwechselsAdressateneingrenzung durch die Wahl einer Sprache, die Gesprächsteilnehmer verstehen Adressatenerweiterung durch die Wahl einer Sprache, die Gesprächsteilnehmer verstehen nicht alle alle Der gemischte Sprachgebrauch - Einige Funktionen des Code-Switching Stilistische Gestaltung eines Redebeitrags Formulierung von Zitaten in der anderen Sprache Wiederholungen in der anderen Sprache Das Code-Switching wird unter Kindern und Jugendlichen, die mehrsprachig aufwachsen, sehr häufig benutzt und hat über die sprechstrategischen Aufgaben hinaus eine identitätsstiftende Funktion. Sprachalternation in der Schule (Dirim 1998) Empirische Studie aus einer Hamburger Grundschulklasse 22 Schülerinnen und Schüler, die Hälfte mit türkischem Migrationshintergrund Bilinguale Alphabetisierung der türkisch- deutschsprachigen Kinder, bilinguale Kooperationsstunden mit dem Lehrer für den herkunftssprachlichen Unterricht Beispiel für die bilinguale Kommunikation unter den Kindern (Dirim 1998: 84f): Gruppenarbeit im Sachunterricht, Thema: gesundes Frühstück, Kinder füllen ein AB aus.!!sabri: Joghurt.!Murat: Sen ne yapıyorsun? Joghurt mu?!sabri: Evet.!Murat: Joghurt ona mı geliyor?!sabri: Tabii. O Joghurt. Ordaki gibi yapacaksın ha burda.!!murat: He. (Es vergeht etwas Zeit.)!Murat:! Sabri:!Murat:!Sabri:!Murat: Bitti mi?... Bitti. Bitti. Wurst. Wurst mu? Wurst. Hani Wurst? Wurst nerede? Aha buldum! Zu Fett. Sabri: Hani lan? Murat:... Sabri: Zu Fett ne? Murat: He, he. Sabri: Bitti. Murat: Wurst nerede yazıyor? Burada ya! Sabri: Haa, Wurst! Sabri: Bitti... Müsli. Murat: Bittim. Müsli. Die Kinder verwenden ihre Herkunftssprache Türkisch unter sich im Sinne der Unterrichtsziele. Die Kinder befolgen bestimmte Kommunikationsregeln, ohne dass diese expliziert werden müssen. Türkisch ist dabei die Matrixsprache, in die deutsche Elemente integriert wird. Die Kinder erwerben nicht nur sprachliche Mittel im engeren Sinne, sondern auch ein Gespür für die Anwendung der sprachlichen Kompetenz in einer bestimmten Situation (vgl. Bordieu 1990). Das Türkische bekommt in der Klasse eine inselhafte Legitimation. Der Gebrauch des Türkischen bedroht damit nicht - wie manchmal befürchtet - die Stellung des Deutschen. Seite 12 von 50
13 Deutsch als Zweitsprache als migrationspezifische Performanz? Deutsch als Zweitsprache ist nicht nur eine Ansammlung von Übergangsphänomenen, Deutsch als Zweitsprache ist fester Bestandteil migrationsspezifischen sprachlichen Wandels Deutsch als Zweitsprache enthält kreatives Potential Deutsch als Zweitsprache ist eine Ressource Deutsch als Zweitsprache generiert Varietäten (z.b. Gastarbeiterdeutsch, Türkendeutsch, Wiener Persisch etc. 4. Vorlesung Univ.-Prof. Mag. Dr. İnci Dirim Entwicklung des Türkischen in Europa Allgemeines (vgl. berlin.de/pdf/tuerkisch.pdf) Ø Türkisch ist die / eine der Familiensprache(n) (wird zu Hause gesprochen) von mehreren Millionen Menschen in Europa, davon ca Personen in Berlin Ø Außerdem gibt es Türkischsprechende in Bulgarien ( Menschen) über Ex- Jugoslawien ( ) bis hin nach Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan, und Tadschikistan (Sprache von autochthonen Minderheiten) Ø Türkisch geht auf die Sprache der östlichen Turk- Stämme zurück, die einst in Zentralasien siedelten und ab dem 8./10. Jahrhundert in den Westen gezogen sind bzw. vertrieben wurden. Daher zählt auch die Sprache der späteren Osmanen zum Westtürkischen. Türkisch ist in Österreich keine Fremdsprache, sondern eine Familiensprache (schwammiger Begriff), weil sie eben auch im alltäglichen Gebrauch zum Einsatz kommt, eine Sozialisationssprache. Die Gruppe der Turksprachen Ø Ural-Altaische Sprachen (Turksprachen, Mongolisch) Ø Turksprachen: 40 Sprachen mit etwa Millinen Sprechern (u.a. Tatarisch, Kirgisisch, Aserbaidschanisch, usbekisch, uigurisch, Turkmenisch) Ø Ähnlichkeiten mit den Finn-Ugrischen; Sprachen sowie mit dem Japanischen und Koreanischen (Sprach-)Geschichtliches 1/2 Ø Im Osmanischen Reich ( ) viele Übernahmen aus der arabischen (eher Sprache der Religion) und der persischen Sprache (v.a. in die Sprache der Literatur und der Administration); Verwendung des arabischen Alphabets Ø Zentrale Rolle der türkischen Sprache in der Konstruktion des türkischen Nationalstaates Ø Ab 1928 Sprachreform (Einführung des lateinischen Alphabets, arabisches abgeschafft, Beginn einer sprachpuristischen Bewegung) (Sprach-)Geschichtliches 2/2 Ø Heute: Weiterhin Elemente des Arabischen und Persischen vorhanden; starker Einfluss des Englischen im Wortschatz Ø Heute: große Produktivität in der Weiterentwicklung der Sprache, die Seite 13 von 50
14 gesellschaftspolitische Positionierungen widerspiegelt Ø ((Beispiel: die Wörter Türk und Türkiyeli und eigene Erinnerung aus dem Studium in der Türkei. Türk: der/die Türkin - kein Genus, auch keine Artikel. Türkiyeli: jemand, der in der Türkei lebt - warum nicht Türk benutzt? Letzteres von linken Gruppierungen vorgeschlagen, weil nicht alles ethnische Türken sind, die hier leben)) Alphabet (muss man nicht auswendig lernen) Ø 29 (lateinische) Buchstaben! Ø Weitgehende Eins-zu-Eins-Entsprechung zwischen Lauten und Buchstaben Andere Buchstaben als im Deutschen:!! Ø Işık(Licht)! Ø İçmek (trinken)! Ø joker (Joker) Ø Cam (Glas)! Ø Çam (Tanne)! Ø Fırsat (Gelegenheit)! Ø Mağaza (Geschäft) Laute wie "sch" gibt es im Türkischen nicht, daher können die Kinder in dieser Sprache schneller alphabetisiert werden. Türkisch und Deutsch eignen sich gute für eine bilinguale Alphabetisierung. Einige strukturelle Merkmale der türkischen Sprache Grammatik Ø Das Türkische ist eine agglutinierende Sprache (eine Wortwurzel, an die die Endungen angehängt werden, mit denen man syntaktische Beziehungen herstellen kann) und unterscheidet sich somit wesentlich von allen europäischen (indogermanischen) Sprachen (Finnisch, Estnisch und Ungarisch ausgenommen) Ø Grammatische Formen werden durch eine Endung angezeigt. Dabei können mehrere Endungen aufeinanderfolgen, z.b. wie im folgenden Aussagesatz: Gelenekselleştiriveremeyeceklerimizdenmiş- siniz. Frage: Wie viele Endungen enthält dieser Satz? Antwort: 12 Endungen:! Ø Gelenek-sel-leş-tir-iver-eme-y-ecek-ler-imiz-den-miş-siniz. Ø Übersetzung ins Deutsche: Sie gehören wohl nicht zu denjenigen, die wir ohne weiteres traditionalisieren können. Lautstruktur: Ø Doppelkonsonanz ist nur am Ende einer Silbe möglich, z.b. halk Ø Silbenbildung: Vok. iki Kons.-Vok.: sekiz Vok.-Kons.: üç Seite 14 von 50
15 Kons.-Vok.-Kons.: beş Kons.-Vok.-Kons.-Kons.: kırk Ø Ausnahmen: Fremdwörter wie spor oder psikoloji Konsonantenanhäufungen wie im Deutschen gibt es im Deutschen nicht (schimpfst) Lautstruktur: Ø Vokalharmonie: der tragende Vokal einer Endung wird an den Vokal der vorhergehenden Silbe angepasst (dunkle Vokale folgen dunklen und helle hellen Vokalen), Bsp.: Ø el (die Hand), eller (die Hände)! Ø at (das Pferd), atlar (die Pferde) Fremdwörter sind teilweise an der fehlenden Vokalharmonie erkennbar, z.b. taksi Lautstruktur: Ø Auch Konsonanten werden den vorherigen Silben angepasst, sodass viele lautliche Varianten von einzelnen Endungen zu Stande kommen, Bsp. Die Endung -dik- (..., dass) Syntax Ø Flexible Wortfolge (bedeutungsunterscheidend), Beispiele: Ø Dün işten gelirken bankaya uğradım. (Gestern bin ich auf dem Nachhauseweg zur Bank gegangen.)! Ø Bankaya dün işten gelirken uğradım. (Zur Bank bin ich gestern gegangen) Ø Domates aldın mı? (Hast du Tomaten gekauft? - die Handung des Kaufens betont)! Ø Domates mi aldın? (Hast du Tomaten gekauft? - das Gekaufte betont) Intonation Der Akzent liegt in der Regel auf der letzten Silbe, Beispiele: Ø bavul (der Koffer)! Ø bavullar (die Koffer)! Ø bavullarımız (unsere Koffer)! Ø bavullarımızda (in unseren Koffern) Türkisch in Westeuropa Ø Typisches Merkmal: gemischter Gebrauch des Türkischen und der Umgebungssprachen, z.b.: Ø Yaa n`apıyorlar biliyor musun? Aşağıda Pato diye birşey var ya - hm orda Hirnleri falan - Präperatlar herausschneiden yapıyorlar kendilerine und das ist dann ihre ihre Studie, ihre Arbeit dann, ona göre profesörlük Titelini falan alıyorsun (Dissertation Gümüşoğlu, Wien) Seite 15 von 50
16 Weißt du, was die das so machen, da unten ist ja die Pato. Da schneiden sie einen Teil aus dem Gehir heraus oder so und machen sich ein Präparat... Beispiel aus Kopenhagen Ø wallah jeg siger min storebror han skylder mig 700 kroner jeg skal have 350 i dag og 350 om to uger # I got paras # skal du til den der fest øh på fredag (Quist 2005, 150). Ø Also ich sag dir, mein großer Bruder schuldet mir 700 Kronen, heute habe ich 350 bekommen und 350 bekomme ich in zwei Wochen. Ich habe Geld! Gehst du am - ähm - Freitag zu dieser Party? Der alternierende Gebrauch des Deutschen und des Türkischen (Dirim 1997) 1. Beispiel Bist du Türkin? Beteiligte: Cevdet und Murtaza, türkisch-deutsch zweisprachige Kinder im Vorschulalter; Beobachterin: türkisch-deutsch zweisprachig, erwachsen Die Kinder halten sich in einer Hamburger Freizeiteinrichtung auf: Cevdet hat mitbekommen, dass die Erwachsene, die am Rande die Interaktionen unter den Kindern beobachtet und protokolliert, Türkisch kann und wendet sich im Folgenden mit einer Frage an sie. Cevdet: [zur Beobachterin] Türk müsün? (Bist du Türkin?) Beobachterin: [abweisend] hm Cevdet: [zu Murtaza]: Ist sie Türkin? Beobachterin: [zu Cevdet]: Mein Vater ist Türke hab ich doch eben gesagt Adressatenwechsel: versch. Sprachen für versch. Adressaten. Funktionaler Wechsel zwischen den Sprachen 2. Beispiel: Lass mich auch mal spielen! Beteiligte: mehrere Kinder, u.a. Nurtaç und Cansu Nurtaç: im Grundschulalter, türkisch-deutscher Familienhintergrund; Cansu: im Grundschulalter, türkisch- deutsch-portugiesischer Familienhintergrund Mehrere Kinder spielen auf einem großen Spielplatz Tischtennis und unterhalten sich dabei. Nurtaç wendet sich an Cansu. Nurtaç: [zu Cansu] Aha, Güler, Güler takıyor şimdi! (Aha! Güler bindet sie gemeint ist eine Gürteltasche mit einem Aufnahmegerät sich jetzt um) (Nurtaç kreischt und wendet sich an Hakkı) Oh, lass mich auch mal spielen Hakkı! Funktionen des alternierenden Gebrauchs des Türkischen und des Deutschen Adressatenwechsel Betonung eines Adressatenwechsels Betonung eines Themen- und Adressatenwechsels Adressateneingrenzung durch die Wahl einer Sprache, die nicht alle Gesprächsteilnehmer verstehen Adressatenerweiterung durch die Wahl einer Sprache, die alle Gesprächsteilnehmer verstehen Stilistische Gestaltung eines Redebeitrags Formulierung von Zitaten in der anderen Sprache Wiederholungen in der anderen Sprache Das Code-Switching wird unter Kindern und Jugendlichen, die mehrsprachig aufwachsen, sehr häufig benutzt und hat über die sprechstrategischen Aufgaben hinaus eine identitätsstiftende Funktion. Alternierender Gebrauch des Türkischen und des Deutschen in der Schule (Dirim 1998) Ø Empirische Studie aus einer Hamburger Grundschulklasse Ø 22 Schülerinnen und Schüler, die Hälfte mit türkischem Migrationshintergrund Ø Bilinguale Alphabetisierung der türkisch- deutschsprachigen Kinder, bilinguale Kooperationsstunden mit dem Lehrer für den herkunftssprachlichen Unterricht Seite 16 von 50
17 Was würde passieren, wenn man den Kindern den Sprachgebrauch überlassen würde, wenn aber die Instruktionssprache Deutsch bliebe? In dieser Schule war nicht-deutscher Sprachgebrauch nicht erwünscht. Eine Lehrerin hatte jedoch etwas Türkisch gelernt. Versuch eines bilingualen Alphabetisierungskonzept, weiters wurde türkischer Sprachgebrauch nicht unterbunden: Gruppenarbeit im Sachunterricht, Thema: gesundes Frühstück, Kinder füllen ein Arbeitsblatt aus. Sabri: Joghurt.! Murat: Sen ne yapıyorsun? Joghurt mu? (Was machst du gerade? Joghurt?)! Sabri: Evet. (Ja.)! Murat: Joghurt ona mı geliyor? (Kommt Joghurt da hin?) Sabri: Tabii. O Joghurt. Ordaki gibi yapacaksın ha burda. (Das ist doch Joghurt. Das musst du genauso machen wie hier) Murat: He. (Es vergeht etwas Zeit.) Murat: Bitti mi? (Fertig?)! Sabri: Bitti (Fertig.) Murat: Wurst. Wurst mu? (Wurst?) Sabri: Hani Wurst? (Wo ist denn Wurst) Murat: Wurst nerede? Aha buldum! (Aha, gefunden. Zu Fett.) Sabri:! Hani lan? Murat:... Sabri Zu Fett ne? Murat: He, he. Sabri: Bitti.! Murat: Wurst nerede yazıyor? Burada ya!! Sabri: Haa, Wurst!! Sabri: Bitti! Müsli.! Murat: Bittim. Müsli. Die Kinder benutzen Türkisch, weil es nicht verboten worden ist. Die deutschen Wörter der Vorlage werden in den Redefluss integriert. Als sie dann ganz fertig waren, sagten sie nicht mehr "Bitti" sondern "Fertig." Das war dann nicht nur für die eigene Gruppe interessant, sondern für alle. Ohne Regeln von außen haben sie selbst Regeln entwickelt, wie sie zwischen den Sprachen switchen. Auch der Lehrerin gegenüber haben sie Deutsch verwendet. Sie haben sogar eine Vorstellung davon entwickelt, welches Türkisch sie der Lehrerin, die etwas Türkisch konnte, zumuten konnten, wenn diese Türkisch einsetzen wollte. Interpretation der Erhebungen: Ø Die Kinder verwenden ihre Herkunftssprache Türkisch unter sich im Sinne der Unterrichtsziele. Ø Die Kinder befolgen bestimmte Kommunikationsregeln, ohne dass diese expliziert werden müssen. Ø Türkisch ist dabei die Matrixsprache, in die deutsche Elemente integriert wird. Ø Die Kinder erwerben nicht nur sprachliche Mittel im engeren Sinne, sondern auch ein Gespür für die Anwendung der sprachlichen Kompetenz in einer bestimmten Situation (vgl. Bordieu 1990). Ø Das Türkische bekommt in der Klasse eine inselhafte Legitimation. Der Gebrauch des Türkischen bedroht damit nicht - wie manchmal befürchtet - die Stellung des Deutschen. Seite 17 von 50
18 5. Vorlesung Univ.-Prof. Mag. Dr. İnci Dirim SPRACHSTANDSDIAGNOSTIK Marion Döll Wien Verfahren entwickeln, um die sprachl. Fähigkeiten von Kindern, die mehrsprachig aufwachsen, festzustellen, um an Schulen angemessen mit diesen Kindern umzugehen. In Wien ca. 50 % der Kinder in Volksschulen mehrsprachig. Dies erfordert Konsequenzen. Ein Werkzeug, mit dem Lehrkräfte arbeiten, um die Ausgangssituation der in ihre Obhut übergebenen Kinder zu prüfen; aber auch zb Kriterien für Ehegattennachzug festlegen Themen Ø Geschichte der individuellen Sprachstandsdiagnostik! Migration, Sprache(-n), Bildung! Aktuelle Entwicklungen Ø Verfahrenstypen Ø Anforderungen und Kontroversen Disziplinäre Rahmung! Gütekriterien! Modellierung von Sprachkompetenz! Selektions- vs. Förderdiagnostik! Soziale Bezugsnorm Ø Abschließende Bemerkungen GESCHICHTE DER INDIVIDUELLEN SPRACHSTANDSDIAGNOSTIK Ø im Zuge der Arbeitsmigration zunehmende Zahl Kinder nicht- deutscher Erstsprache an deutschsprachigen Schulen Ø Wunsch der Lehrkräfte, Sprachstand dieser Kinder einschätzen zu können (Selektionswunsch der pädagogischen Praxis - kann man ein Kind in einer regulären Klasse unterrichten?) Ø Entwicklung sprachstandsdiagnostischer Verfahren erreicht ab Mitte der 1970er Jahren ersten Höhepunkt (z.b. PI-Test, FLIEGNER & GOGOLIN 1980) SSD wurde auf universitärer Ebene eher in Deutschland als in Österreich erforscht, jedoch Parallelen der Erfahrungen zw. D und Österreich (Gespräche mit Lehrkräften, die diesbez. selbst aktiv geworden sind) GESCHICHTE DER INDIVIDUELLEN SPRACHSTANDSDIAGNOSTIK Ø Abflauen der Entwicklungsbemühungen ab Mitte der 1980er Jahre Annahme, dass sich Kinder von alleine an ihre sprachliche Umgebung anpassen Ablehnung der Entwicklung von Verfahren zum Zwecke der Selektion und Zuweisung (Wissensch. Boykott, Verfahren zu entwickeln, um Kinder in Sonderschulen abzuschieben) Mängel im Bereich Testgüte (valid, unabhängig, zuverlässig...) Ø Renaissance durch/nach Pisa-Schock Annahme, dass die Kinder sich von allein an die sprachliche Entwicklung anpassen - diese Seite 18 von 50
19 Annahme ist falsch gewesen. Mängel...: schlechte Verfahren, die nicht das gemessen haben, was sie messen sollten (Intelligenz, Charisma,...) und dennoch die Rechtfertigung dafür waren, Kinder zb in Sonderschulen,... abzuschieben. GESCHICHTE DER INDIVIDUELLEN SPRACHSTANDSDIAGNOSTIK MIGRATION, BILDUNG, SPRACHE(-N) Ø Schulleistungenvon SuS mit Migrationshintergrund bleiben hinter denen Autochthoner zurück (s. z. B. PISA, SCHREINER 2007) Ø sozioökonomischer Hintergrund klärt nur ein Drittel der Unterschiede auf (Kinder mit prekärem Hintergrund in Migrationsfamilien schneiden immer noch schlechter ab als Kinder mit prekärem Hintergrund in Nicht-Migrationsfamilien) Ø andere mögliche Faktoren: schulinstitutionelle Diskriminierung, Disponiertheit- Kontext-Dissonanzen (DIRIM & MECHERIL 2010) Marion Döll Disponiertheit-Kontext-Dissonanz: das, was Schüler als Ressource mitbringen, passt nicht zu dem, was die Schulen von ihnen erwarten, zb sprachliche Fähigkeiten, Verhaltensmuster. Wer muss sich also bewegen? Die Schüler (Deutsch lernen,...) Oder die andere Seite: Die Schule muss sich besser auf die Schüler einstellen (Der Begriff ist also wertungsfrei). Marion Döll GESCHICHTE DER INDIVIDUELLEN SPRACHSTANDSDIAGNOSTIK AKTUELLE ENTWICKLUNGEN Disponiertheit-Kontext-Dissonanz: SprachlicheRessourcen (DIRIM/DÖLL 2011) Ø sprachliche Fähigkeiten, die SuS mitbringen, entsprechen nicht den Erwartungen der monolingual geprägten Institution Schule Ø Gleichbehandlung (unterschiedslose sprachliche Angebote) schreibt Benachteiligungen angesichts ungleicher Startbedingungen fort Problematisch ist zb die Alphabetisierung eines Kindes in einer Sprache, die es nicht gut versteht, dies bringt Probleme, diese potenzieren sich über die Bildungslaufbahn für große Gruppen -> schlechte PISA-Ergebnisse im Lesen trotz ähnlicher Intelligenz. GESCHICHTE DER INDIVIDUELLEN SPRACHSTANDSDIAGNOSTIK AKTUELLE ENTWICKLUNGEN Durchgängige Sprachbildung (GOGOLIN/LANGE 2011) Ø bildungslaufbahnbegleitende Sprachförderung, sprachsensibler (Fach-) Unterricht Ø idealerweise diagnosegestützt (explizit - Konzepte zum Aufbau der bildungssprachlichen Fähigkeiten) Ø Zone der nächsten Entwicklung (VYGOTSKIJ 1934), Teachability-Hypothese (PIENEMANN 1984) Was heißt eigentlich Bildungssprache - vgl. wissenschaftliche Arbeit: Derartige Bildung erfolgt meist implizit, nicht explizit. Allein durch das Lesen entsprechender Texte soll man im Lauf der Zeit das Gefühl entwickeln, wie die Produktion eines solchen Textes mit der entsprechenden wissenschaftlichen Sprache aussieht. Zone der nächsten Entwicklung: Kinder fordern und fördern, indem man in der Forderung an die Kinder immer leicht vorausgreift, aber nicht zu stark, sonst gibt es keine Seite 19 von 50
20 Anschlussmöglichkeiten (zb man lehrt die Verbendstellung im Nebensatz, die grundsätzlichere Verbzweitstellung im Hauptsatz wurde aber nicht explizit erklärt, obwohl die Kinder die Verbzweitstellung noch nicht verinnerlicht haben) GESCHICHTE DER INDIVIDUELLEN SPRACHSTANDSDIAGNOSTIK AKTUELLE ENTWICKLUNGEN Aktuelle Trends (1) Entwicklungen v.a. für Kinder im Vorschulalter; je älter die ProbandInnen, desto weniger Verfahren sind verfügbar (2) Dominanz von Tests und testähnlichen Verfahren (EHLICH 2005, DEMIRKAYA/GÜLTEKIN-KRAKOÇ/SETTINIERI 2009) (3) Hauptinteresse gilt dem Deutschen Marion Döll ad 1: Man weiß aber, dass das nicht ausreicht, man würde 6-8 Jahre Sprachförderung brauchen, um Defizite aufzuheben ad 2: ungeeignet für die Ableitung von Förderungsmaßnahmen - es wird nur verglichen mit den Mitschülern, erfährt aber nicht konkret, was der Schüler kann oder nicht. ad 3: Sprachstandsfeststellung = Deutschstandsfestellung. "Die Kinder können ja gar nicht sprechen". Das können sie natürlich schon, aber die Erstsprache wird unterschlagen. Die Verfahren überprüfen problematischerweise die Kenntnisse immer bei Schnittstellen (Kindergarten -> Primärbereich,...) Idealerweise müssten diese Überprüfungen laufend stattfinden, sonst ist es jeweils schon "zu spät". VERFAHRENSTYPEN 1. TESTS (im engeren Sinne) Erhebung spezifischer Informationen über den erreichten Erwerbsstand einer Person in einem oder mehreren sprachlichen Teilbereich(-en) anhand von Testaufgaben; Umrechnung in Punktwerte; i.d.r. allgemeines Urteil Bestimmte Aufgaben werden aufgelegt, auf die sie zu reagieren haben, zb Wortschatztests. Dann wird eingeschätzt, es kommt ein Punktwert heraus, der sich in einer Kompetenzskala verorten lässt zb anhand der Ergebnisse anderer Gleichaltriger. Ursachen für die Unterschiede werden damit nicht untersucht. Beispiele: Ø C-Tests (GROTJAHN 1992-lfd.) Ø CITO-Test CITO-Test (phonologische Bewusstheit, passiver Wortschatz, kognitive Begriffe, Textverständnis; KONAK/ DUINDAM/KAMPHUIS 2005) Ø Österreichisches Sprachdiplom VERFAHRENSTYPEN BEISPIEL: C-TEST (AUSZUG, siehe PP) Quelle: ARRAS, ECKES & GROTJAHN 2002 Maon Döll Lückentexte zu unterschiedlichen Themen. Seite 20 von 50
21 VERFAHRENSTYPEN 2. BEOBACHTUNGSVERFAHREN Erhebung von Informationen über den erreichten Spracherwerbsstand einer Person durch kriteriengeleitete, systematische Beobachtungen in der (alltäglichen) Interaktion Formen: reduktiv deskriptiv, reduktiv einschätzend, Mischformen Beispiele: Ø BESK/BESK-DaZ (BREIT/SCHNEIDER 2008) Ø Niveaubeschreibungen DaZ (IQSH/SBI 2009, 2010) Ø SISMiK (ULICH/MAYR 2003) Keine freie Beobachtung, es werden Beobachtungsbereiche vorgegeben, die, wenn sie abgearbeitet sind, dann ein Kompetenzprofil ergeben. Vorteil: relativ gut in Alltag einer Institution integrierbar, nachdem die Lehrkräfte diesbez. geschult worden sind. Erweiterung des Beobachtungsspektrums. reduktiv deskriptiv: beschreiben, was jemand kann. reduktiv einschätzend: geht Richtung Schätzverfahren VERFAHRENSTYPEN BEISPIEL: NIVEAUBESCHREIBUNGEN DAZ SEK. I(AUSZUG, siehe PP) Marion Döll VERFAHRENSTYPEN BEISPIEL: BESK-DAZ (AUSZUG, siehe PP) Bsp für schätzende Skala. VERFAHRENSTYPEN 3. PROFILANALYSEN Analyse von Sprech- oder Schreibproben zur Gewinnung spezifischer Informationen über den erreichten Spracherwerbsstand in verschiedenen sprachlichen Qualifikationsbereichen Beispiele: Ø HAVAS 5 (REICH/ROTH 2004) (5-7 Jahre) Ø FÖRMIG Tulpenbeet (REICH/ROTH/GANTEFORT 2008) (10-12 Jahre) Ø FÖRMIG Bumerang (REICH/ROTH/DÖLL 2009, DIRIM/DÖLL 2009) (15 Jahre) vergleichsweise aufwendig, aber detaillierte Ergebnisse. Man arbeitet mit Schreib- /Sprechproben der zu Testenden. Man gibt einen Impuls und bittet die Jugendlichen, dazu etwas zu sagen oder zu schreiben. Das entstehende Produkt wird dann im Hinblick auf versch. sprachl. Qualifikationsbereiche überprüft. Marion Döll VERFAHRENSTYPEN BEISPIEL: FÖRMIG-TULPENBEET (REICH/ROTH/GANTEFORT 2008) Zielgruppe: Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 10 und 12 Jahren Zweck: Erfassung des individuellen Sprachstands mit Schwerpunkt auf Text- und Erzählkompetenz Sprachen: Deutsch, Russisch, Türkisch (Grafik) Seite 21 von 50
22 Was ist hier passiert? Sieh dir die Bildfolge genau an und schreibe die Geschichte auf. Dabei soll zu jedem Bild etwas geschrieben werden. Bei dem Fragezeichen ist ein Bild verloren gegangen. Schreibe hierzu auf, was nach deiner Meinung passiert ist. Die Erzählung ist zu diesem Zeitpunkt der schulischen Ausbildung die Textsorte, die von den Kindern am häufigsten gefordert wird. Übergang von der Mündlichkeit in die Schriftlichkeit Man kann auch prüfen, ob es hier Unterschiede zwischen der Erstsprache und Deutsch (Parallelversionen für Migrantensprachen). Falls in der Erstsprache sehr gut, in Deutsch schlecht -> evt. auf Ressourcen aus der Erstsprache zurückgreifen. Falls auch in der Erstsprache schwach -> vermutlich kognitive Schwächen. VERFAHRENSTYPEN (siehe PP) BEISPIEL: FÖRMIG-TULPENBEET (REICH/ROTH/GANTEFORT 2008) AUS: GANTEFORT/ROTH 2008) zb gute Aufgabenbewältigung, guter Wortschatz, aber monotone Satzverbindungen,... Es gibt also ein sehr individuelles Ergebnis, um einen Förderbedarf festzustellen. ANFORDERUNGEN & KONTROVERSEN DISZIPLINÄRE RAHMUNG (siehe PP) Themengebiete (Beispiele) Ø Psycholinguistik: Sprachaneignungs- forschung,... Ø pädagogische Diagnostik: Testgütekriterien, Legitimität der Verwendung,... Ø erziehungswissenschaftl. Linguistik: Modellierung von prachkompetenz,..nebengütekriterien educational linguistics Linguistik Sprachstandsdiagnostik Psycho- linguistik päd. Diagnostik Psychologie In der SSD treffen viele Disziplinen aufeinander. Die pädagogische Diagnostik beschäftigt sich zb mit Verfahrenskategorien und Testgütekriterien. Die Psycholinguistik erforscht, wie es zur Aneignung von Sprache kommt. Educational Linguistics: Was ist eigentlich Sprachkompetenz? Die Disziplinen haben untersch. Perspektiven, die es auszubalancieren gilt. ZB Pädog. Diagnostik vs. Linguistik: Erstere fordert einfache Verfahren, damit man die Lehrkräfte nicht eigens ausbilden muss/ Die Linguistik steht extrem am anderen Ende des Spannungsfeldes, zeigt, wie komplex diagnostiziert werden könnte. ANFORDERUNGEN & KONTROVERSEN GÜTEKRITERIEN Allgemeine Gütekriterien Ø Objektivität Ø Reliabilität Ø Validität Seite 22 von 50
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