Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
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- Benjamin Arnold
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1 Tags: Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), Muskelabbau, Muskelkrankheit, Muskelschwund, muskelkrank Kategorien: Krankheitsbild & Diagnose, Publikationen Zielgruppen: Angehörige, Betroffene, Fachperson, Lehrperson, Medienschaffende Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) Eine Broschüre der Schweizerischen Muskelgesellschaft Copyright 5. Auflage (08/2014) Herzlichen Dank der Deutschen Gesellschaft für Muskelkrank e.v. für die Kooperation und Herr Prof. Dr. med. Markus Weber für die wissenschaftliche Überarbeitung. Was ist die Amyotrophe Lateralsklerose? Die Amyotrophe Lateralsklerose ist eine sehr schwer verlaufende Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems. Sie ist seit mehr als hundert Jahren bekannt und kommt weltweit vor. Ihre Ursache ist mit Ausnahme der erblichen Form (ca. 5%) bisher unbekannt. Die Abkürzung für Amyotrophe Lateralsklerose ist ALS. In der Schweiz erkranken pro Jahr schätzungsweise 100 bis 150 Personen neu an ALS. Die Anzahl von ALS-Betroffenen in der Schweiz wird auf etwa 500 bis 700 Personen geschätzt. Die Krankheit beginnt meistens zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr, nicht selten sind aber auch jüngere Erwachsene betroffen. Männer erkranken etwas öfter als Frauen (im Verhältnis 3:2). Aufgrund der bisherigen Forschungsergebnisse ist davon auszugehen, dass die Häufigkeit von ALS nicht zunimmt. Der Verlauf der Krankheit ist kontinuierlich progredient, aber bei den einzelnen Patienten sehr unterschiedlich. Die Lebenserwartung ist in der Regel stark verkürzt (durchschnittlich drei bis fünf Jahre). Sehr langsame Verläufe über zehn Jahre und mehr finden sich bei ca. 10% der Erkrankten. Die ALS betrifft vorwiegend das motorische Nervensystem. Die Empfindung für Berührung, Schmerz und Temperatur; das Sehen, Hören, Riechen und Schmecken; die Funktionen von Blase und Darm bleiben jedoch intakt. Bei einem Teil der Betroffenen kann die geistige Leistungsfähigkeit im Verlauf Beeinträchtigungen erfahren. Das motorische System, das unsere Muskeln kontrolliert und die Bewegungen steuert, erkrankt sowohl in seinen zentralen (Gehirn, Hirnstamm und Rückenmark) wie in seinen peripheren Anteilen (Vorderhornzellen bzw. Motoneurone). Die Erkrankung der Vorderhornzellen, die im Rückenmark liegen und deren Fortsätze zur Muskulatur verlaufen, führt zu Muskelschwund (Atrophien), zu Muskelschwäche (Parese) und zu unwillkürlichen Muskelzuckungen (Faszikulationen). Ausserdem führt die Erkrankung des zentralen motorischen Systems, das heisst der Nervenzellen in der Hirnrinde und ihrer Verbindungen zum Rückenmark, sowohl zu einer Schwäche wie zu einer Erhöhung des Muskeltonus (spastische Lähmung). Hierbei besteht eine Steigerung der Reflexe, die der Arzt mit einem Reflexhammer nachweisen kann. Schon in den Frühstadien der ALS wird häufig über unwillkürliche Muskelzuckungen (Faszikulationen) und schmerzhafte Muskelkrämpfe geklagt. Seite 1/5
2 Formen von ALS/Symptome Es werden drei unterschiedliche Formen, hauptsächlich anhand des Symptombeginns, unterschieden: 1. die bulbäre, 2. die spinale und 3. die respiratorische Verlaufsform. Wenn die im Hirnstamm liegenden motorischen Nervenzellen zuerst betroffen werden, wird die Sprach-, Kau- und Schluckmuskulatur geschwächt. Diese Form wird als bulbäre Verlaufsform bezeichnet. An dieser Form leiden ca % der ALS-Patienten. Zu Beginn der bulbären ALS können diskrete Sprechprobleme oder leichte Schluckstörungen stehen. Sind zuerst die im Rückenmark liegenden Vorderhornzellen erkrankt, entwickeln sich Muskelschwund und Schwäche an Armen und Beinen. Hier spricht man von der spinalen Form, sie betrifft ungefähr 70% der Erkrankungen. Die ersten Symptome können an unterschiedlichen Muskelpartien auftreten. So kann die Krankheit durch eine Ungeschicklichkeit beim Rasieren, Schreiben oder bei der Handarbeit etc. auffallen. Muskelschwund oder -schwäche können sich zunächst nur in der Hand- und Unterarmmuskulatur der einen Körperseite zeigen, bevor sie sich auf die andere Körperseite bzw. auf die Beine ausdehnen. Die ersten Symptome können auch in einer Schwäche der Oberarm oder Schultermuskulatur zum Ausdruck kommen. Bei anderen Betroffenen zeigt sich ein Beginn in der Unterschenkel- und Fussmuskulatur. Hier wird meistens eine Schwäche der Beine, bzw. eine Gangunsicherheit bemerkt. Typische Beschwerden beim Krankheitsbeginn sind auch Muskelkrämpfe in der Bein- und vor allem in der Wadenmuskulatur. Sehr selten äussern sich die ersten Symptome in Form einer zunehmenden Steife aufgrund einer spastischen Lähmung. Bei der respiratorischen Form ist als erstes die Atemmuskulatur betroffen. Als Erstsymptome werden etwa vermehrte Atemprobleme beim Treppensteigen, Wandern, Bergsteigen oder anderen sportlichen Betätigungen bemerkt. Diese Form ist eher selten. Wichtig ist, dass sowohl bei der spinalen, der bulbären als auch der respiratorischen Form so unterschiedlich die Beschwerden auch sind die gleiche Ursache zugrunde liegt. Im Verlauf der Erkrankung entwickeln sich oft Symptome aus allen drei verschiedenen Formen. Ursache/Vererbung Die ALS ist meist keine erbliche Erkrankung, sondern tritt sporadisch auf. Hier wird von der häufigen sporadischen Form gesprochen. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist damit die Befürchtung, dass Kinder der Patienten später ebenfalls betroffen sein werden, nicht berechtigt. Dies gilt vor allem dann, wenn bisher keine Krankheitsfälle in der Familie vorgekommen sind. ALS ist ausserdem nicht ansteckend. Die Ursache der sporadischen Form ist weitgehend unbekannt. Es existieren verschiedene Hypothesen für die Ursache der Schädigung der Nervenzellen. Diese reichen von einer Autoimmunerkrankung über die Überbeanspruchung durch sportliche Aktivitäten, bis hin zur Vergiftung durch Giftstoffe, die mit der Nahrung aufgenommen werden. Bisher liessen sich aber trotz intensiver Forschung keine dieser Thesen wissenschaftlich bestätigen. Die erbliche Form, auch familiäre Form genannt, ist selten und tritt bei etwa 5% Prozent der ALS-Patienten auf. In diesem Fall kommen in der Regel weitere Krankheitsfälle in der Familie vor. In jüngster Zeit konnte bei einem Teil der Familien mit der erblichen Form der ALS der genetische Defekt auf dem Chromosom 21 nachgewiesen und genauer charakterisiert werden. Es handelt sich hierbei um eine Mutation im Gen der Superoxiddismutase 1 Seite 2/5
3 (SOD1), einem Enzym, das für die Entgiftung bestimmter Stoffwechselprodukte verantwortlich ist. Auf welchem Weg dieser Enzymdefekt zum Krankheitsausbruch führt, ist noch nicht abschliessend geklärt; möglicherweise führt die Mutation zu einer Funktionsveränderung des Enzyms, die auf Motoneurone schädlich wirkt. Diese Mutation liegt weltweit nur bei etwa 10% der familiären ALS-Patienten vor. Auch in der Schweiz sind bisher SOD1 Mutationen beobachtet worden. Möglicherweise stellt diese Mutation einen wichtigen Zugang zum Verständnis der weit häufigeren sporadischen ALS dar. Weitere bislang identifizierte Gene, die zu ALS führen können, sind: Alsin (ALS 2), Syntaxin (ALS 4), VAPB und TDP 43, FUS und Optineurin. Sollten mehrere Familienmitglieder an ALS erkrankt sein, so stellt sich die Frage nach der genetischen Testung. Wegen der erheblichen Konsequenzen, die sich aus dem Resultat für Patienten und Angehörige ergeben, sollte erst nach eingehender Information und reiflicher Überlegung eine genetische Testung vorgenommen werden. Diagnosestellung Zuständig für die Diagnosestellung sind Neurologen (Nervenfachärzte). Am Anfang steht eine klinische Untersuchung, bei der insbesondere die Muskulatur im Hinblick auf Muskelschwund und Kraft sowie Faszikulationen beurteilt werden muss. Ebenso ist eine Beurteilung des Sprechens, des Schluckaktes und der Atemfunktion wichtig. Die Reflexe müssen geprüft werden. Darüber hinaus müssen andere Funktionen des Nervensystems, die von der ALS üblicherweise nicht betroffen sind, untersucht werden, um ähnliche aber ursächlich unterschiedliche Erkrankungen zu erkennen und Fehldiagnosen zu vermeiden. Eine wichtige Zusatzuntersuchung ist die Elektromyographie (EMG), die den Befall des peripheren Nervensystems beweisen kann. Ausführliche Untersuchungen der Nervenleitgeschwindigkeit geben weitere Aufschlüsse. Untersuchungen des Blutes, des Urins und auch des Nervenwassers (Liquor) sowie verschiedene bildgebende Untersuchungen (Kernspintomographie oder Röntgenaufnahmen) dienen dem Ausschluss anderer Krankheiten, die der ALS zwar ähnlich, aber unter Umständen besser behandelbar sind. Therapeutische Massnahmen Da die Ursache der ALS noch nicht bekannt ist, gibt es bislang auch keine ursächliche Behandlung, die die Krankheit zum Stillstand bringen oder heilen kann. Prinzipiell gibt es zwei therapeutische Ansätze: die Krankheitsverzögerung sowie symptomatische Therapien. Ein erstes Medikament (Rilutek ) bewirkt eine moderate Verlängerung der Lebenserwartung und ist inzwischen als Therapie der ALS zugelassen. Dieses Medikament vermindert eine zellschädigende Wirkung des Nervenbotenstoffes Glutamat. Andere Medikamente befinden sich in unterschiedlichen Phasen der klinischen Prüfung. Daneben stehen Behandlungsmassnahmen zur Verfügung, die den progredienten Verlauf unter Umständen günstig beeinflussen und die Symptome lindern. Seite 3/5
4 Medikamente können helfen, den spastischen Muskeltonus zu vermindern und Muskelkrämpfe zu lindern, die Speichelsekretion zu verringern und Phänomene wie Zwangslachen und Zwangsweinen zu verbessern. Ein wesentlicher Teil der Behandlung von ALS-Betroffenen bilden therapeutische Interventionen der Physiotherapie, der Ergotherapie und der Logopädie. Bei allen therapeutischen Interventionen ist es wichtig, einen Therapeuten mit Kenntnis und Erfahrung mit dieser Krankheit zu wählen. Mit Vorteil melden Sie sich bei einem der Muskelzentren in der Schweiz, die von der Muskelgesellschaft initiiert und aufgebaut wurden. Die Schweizerische Muskelgesellschaft führt auch ein Register von Therapeuten mit entsprechenden Erfahrungen in der Behandlung von ALS-Patienten. Ziele der physiotherapeutischen Behandlung: Atemtherapie, Atemwegsmanagement, Hustentechniken, Sekretmanagement Information über Gleichgewicht und Kontrakturprophylaxe Schulung von Bewegungsübergängen Erhalt der Beweglichkeit Instruktion der Angehörigen: Transfers, Atemtherapie, Cough-assist (apparative Unterstützung des Hustens) Abklärung von Hilfsmitteln wie Unterschenkelschienen, Rollatoren und Halskragen. Ziele der ergotherapeutischen Behandlung: Evaluation von Hilfsmitteln zur Erleichterung oder Ermöglichung von alltäglichen Aktivitäten wie Körperpflege, Schreiben, Kommunikation, Nahrungsaufnahme, Umweltkontrolle oder Mobilität (z.b. Rollstuhlanpassung) Kontrakturprophylaxe der Fingergelenke Sitzkissenabklärung Instruktion der Angehörigen im Bereich der Transfers Unterstützung bei Anpassungen der Wohnung bei fortschreitendem Krankheitsverlauf. Ziele der logopädischen Behandlung: Übungen zur Erhaltung der Sprech- und Schluckmuskulatur Erhaltung der Kommunikationsfähigkeit, allenfalls auch mit Kommunikationshilfsmitteln Erleichterung des Schluckens durch Anpassung der Körper und Kopfhaltung, mittels spezieller Schlucktechniken und Hilfsmittel Erhöhung der Schlucksicherheit mittels Anpassung der Nahrungsauswahl und deren Konsistenzen Beratung bei der Entscheidungsfindung über allenfalls notwendige künstliche Ernährungsmöglichkeiten. Ernährung Besonders bei der bulbären Verlaufsform, bei der als erstes auch Kau- und Schluckschwierigkeiten auftreten können, ist es wichtig, eine ausreichende und ausgewogene Ernährung sicherstellen zu können. Dies kann wie oben erwähnt durch eine Anpassung der Nahrungsmittelauswahl und -konsistenzen geschehen. Weiter stehen Seite 4/5
5 verschiedene Ernährungszusätze und Ergänzungsdrinks zur Verfügung, die mit einer kleinen Menge viel Energie (Kalorien) und die notwendigen Vitamine, Mineralstoffe etc. zuführen. Eine ausreichende Ernährung ist wichtig, damit nicht durch eine Mangelernährung ein zusätzlicher Kraftverlust provoziert wird. Die Ernährungsberatung kann hier wertvolle Unterstützung leisten. Ist die Ernährung auch mit all diesen Zusatzmassnahmen nicht mehr gewährleistet, kann die Nahrung via Perkutane Endoskopische Gastrostomie (PEG-Sonde) direkt in den Magen zugeführt werden. Wichtig dabei ist, dass trotz der Sonde weiterhin gegessen und getrunken werden kann, wenn es vom Schlucken her noch möglich ist. Studien haben gezeigt, dass der Einsatz einer PEG-Sonde die Lebensqualität deutlich verbessert. Atmung Bei fortschreitenden Atemschwierigkeiten kann eine Atemunterstützung, die zeitweise gezielt zum Einsatz kommt, schon massgeblich zur Erhaltung der Lebensqualität beitragen. Eine nächtliche Atemunterstützung führt zu wesentlich besserem Schlaf und kann damit zu mehr Ausgeruhtheit am Tag beitragen. Sie hilft auch, die Belüftung der Lungen zu verbessern und unterstützt damit die Sekretmobilisation sowie die Prophylaxe von Lungeninfektionen. Die Auswahl und Anpassung von entsprechenden Atemhilfsgeräten und der notwendigen Atemmasken werden von Pneumologen übernommen. Hilfsmittel Diverse Hilfsmittel können den Alltag der Betroffenen in der Regel erheblich erleichtern. Fachärzte sowie Orthopädietechniker, aber auch Fachkräfte der Pflege, Logopädie, Physiotherapie, Ergotherapie und der Rehabilitation geben wichtige Hinweise zu den Hilfsmitteln, wie unter anderem: dicke Besteckgriffe, spezielle Schlüsselgriffe, sowie Schreibhilfen, elektronische Kommunikationshilfen (Sprechcomputer), Absauggeräte. Stand der Forschung Die Forschung ist sehr divers und kaum zu überblicken. Prinzipiell kann man unterscheiden zwischen der Ursachenforschung, die sich meist auf Krankheitsmodelle wie einzelne motorische Zellen, Mäuse und Ratten abstützt und dann die klinische Forschung, bei welcher neue Medikamente und Therapieansätze untersucht werden. Letztere beinhaltet aber auch Themen wie z.b. Lebensqualität, Suizidalität und Spiritualität. Weltweit wird sehr intensiv an der Erforschung der Ursachen von ALS gearbeitet. Neueste therapeutische Überlegungen beschäftigen sich neben der oben genannten Beeinflussung des Glutamatstoffwechsels unter anderem mit dem Einsatz von so genannten Nervenwachstumsfaktoren, die für das Überleben von Nervenzellen notwendig sind. Die Hoffnung, dass in absehbarer Zeit weitere und wirksamere Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die entweder direkt an der Ursache der Erkrankung oder in die Entwicklung der Symptomatik eingreifen, ist durchaus berechtigt. Hierfür sind jedoch gross angelegte Therapiestudien notwendig, für welche die Kooperation der Betroffenen unbedingt erforderlich ist. Die Erkrankten selbst können auf diese Weise den Forschenden und Ärzten helfen, den Ursachen von ALS auf die Spur zu kommen und wirkungsvolle Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Selbsthilfegruppe ALS Verein ALS-Schweiz Seite 5/5
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