Fortbildung. Jemand zu Hause? Koma und daraus folgende Bewusstseinsstörungen
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- Leonard Hartmann
- vor 7 Jahren
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1 Jemand zu Hause? Koma und daraus folgende Bewusstseinsstörungen Sonja Kleih a, Athena Demertzi b, Steven Laureys b und Andrea Kübler a,c Die Diagnosestellung im Bereich der Bewusstseinsstörungen allein aufgrund von behavioralen Massen und somit aufgrund von Auschlusskriterien ist unzureichend und fehleranfällig. Bisher konnte gezeigt werden, dass aktive EEG-Paradigmen erfolgreich bei bewusstseinsgestörten Patienten eingesetzt werden konnten. Theresa Schiavo war 15 Jahre lang im sogenannten vegetativen Zustand und wurde im Jahr 2005 Mittelpunkt einer politischen Grundsatzdiskussion über Leben und Sterben nach Hirnschädigungen. Nach einem erbitterten Rechtsstreit zwischen Theresa Schiavos Ehemann, der laut eigenen Angaben den Willen seiner Frau vertrat, indem er für die Entfernung ihrer Ernährungssonde und somit für das Sterben seiner Frau plädierte, und Theresa Schiavos Eltern, die im Glauben an eine Genesung ihrer Tochter für deren Weiterleben kämpften, entschied ein Richter, dass die Entfernung der Ernährungssonde rechtmässig sei, was nach 13 Tagen zu tödlicher Dehydrierung führte. Theresa Schiavos Obduktion a Institut für Medizinische Psychologie und Verhal tensneurobiologie, Universität Tübingen, Deutschland b Coma Science Group and Neurology Department, Cyclotron Research Center, CHU Sart Tilman, Universität Liège, Belgien; steven.laureys@ulg.ac.be c Lehrstuhl für Psychologie I, Biologische Psychologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Würzburg, Deutschland Inhalt der Bewusstheit (Bewusstsein) Koma Tiefschlaf Leichter Schlaf Grad der Bewusstheit (Wachheit) belegte, dass sie eine im Vergleich zu einem gesunden Gehirn wesentlich reduzierte Hirnmasse hatte, die ihr, laut Aussagen der Ärzte, eine Genesung und damit die Wiedererlangung ihres Bewusstseins keinesfalls ermöglicht hätte. Der geschilderte Fall zeigt auf, wie schwierig es für die Familien hirngeschädigter Patienten ist, Entscheidungen im Namen ihrer Angehörigen zu treffen, da ihnen jegliche Kommunikationsmöglichkeiten mit den Betroffenen verwehrt bleiben. Patienten im dauerhaft vegetativen Zustand (wie Theresa Schiavo) zeigen zwar keine Anzeichen, dass sie sich über sich selbst oder ihre Umwelt bewusst sind, können aber die Augen öffnen und wirken wach. Diese Tatsache veranschaulicht, dass sich Bewusstsein, wie wir es im Allgemeinen verstehen, also ein Wahrnehmen und Reflektieren Waches Bewusstsein Locked-in-Zustand Schläfrigkeit Minimaler Vegetativer Abbildung 1: Darstellung der beiden Kernkomponenten von Bewusstsein, zum einen der Grad der Bewusstheit (Wachheit), zum anderen der Inhalt der erlebten Bewusstheit. Der komatöse Zustand stellt den Extrempunkt dar, an dem beide Kernkomponenten von Bewusstsein die niedrigste Ausprägung aufweisen. Bewusstsein im wachen Zustand, bei dem beide Bewusstseins - komponenten die höchste Ausprägung aufweisen, bildet dazu den Gegenpol (adaptiert aus Laureys, 2005a). 1
2 2 von sich selbst und der Umwelt, in zwei Komponenten unterteilen lässt (Abbildung 1). Es handelt sich dabei um den Grad der Bewusstheit (Wachheit) und den Inhalt der Bewusstheit. Nur wenn beide Komponenten zusammen hoch ausgeprägt sind, kann von Bewusstsein gesprochen werden. Die verschiedenen Ausprägungen von Bewusstsein können am Beispiel des Schlafes veranschaulicht werden (Abbildung 1). Wenn wir vom Zustand des wachen Bewusstseins in die Schläfrigkeit abgleiten, so sinken sowohl der Grad an Bewusstheit, also die Wachheit, wie auch der Inhalt der Bewusstheit. Dieses graduelle Absinken der beiden Bewusstseinskomponenten setzt sich fort bis hin zum Tiefschlaf. Kommt es jedoch zu einer Bewusstseinsstörung nach einer akuten Hirnverletzung, so können die Betroffenen, sofern sie nicht genesen, stabil in einem verbleiben, der keine Rückkehr in ein waches Bewusstsein mehr erlaubt. Akute Hirnschädigungen und daraus folgende Bewusstseinsstörungen Akute Hirnschädigungen, wie beispielsweise die Zerstörung grosser Kortexareale beider Hirnhemisphä - ren oder eine Läsion im Hirnstamm oder Thalamus, können dazu führen, dass der Patient weder wach noch bewusst ist. In diesem Zustand, der nach mindestens einstündigem Andauern als Koma bezeichnet wird, reagiert der Betroffene auch nicht auf intensive Stimulation und hält die Augen geschlossen. Nach dem Koma sind in Abhängigkeit des Ausmasses der Wiedererlangung des Bewusstseins mehrere Krankheitsverläufe (Abbildung 2) möglich (Faymonville et al., 2004). Vegetatives Stadium Minimaler Verwirrtheitszustand Fortschreitende Unabhängigkeit Chronisches Koma (sehr selten) Der vegetative Zustand Einige Tage bis Wochen nach der akuten Hirnschädigung besteht die Möglichkeit, dass Komapatienten die Augen öffnen, ohne technische Hilfsmittel atmen und reflexartige Bewegungen zeigen, ohne jedoch durch ihre Handlungen bewusste Intentionen verfolgen zu können. Den Kriterien der Multi-Society Task Force (1994) folgend, handelt es sich dabei um Patienten im vegetativen Zustand (vegetative state; VS), wenn keine Anzeichen von Bewusstsein, was sie selbst oder die Umwelt betrifft, gegeben sind und die Patienten unfähig sind, mit der Aussenwelt zu kommunizieren. Somit sind Sprachverständnis oder Sprachausdruck nicht möglich, Phasen von Wachheit und ein Schlaf-Wach-Rhythmus treten jedoch auf (vgl. Abbildung 1). Bei VS-Patienten sind die hypothalamischen Funktionen sowie die des Hirnstamms ausreichend vorhanden, um das Überleben mithilfe von medizinischer und pflegerischer Unterstützung zu ermöglichen. Der vegetative Zustand kann ein Schritt in Richtung einer voranschreitenden Genesung sein. Sollte sich jedoch nach bis zu 12 Monaten keine Verbesserung bezüglich der Bewusstheit ergeben Akute Hirnschädigung Koma Locked-in-Zustand Dauerhafter vegetativer Zustand (> 3 Monate wenn nicht traumatisch > 1 Jahr traumatisch) Tod Hirntod Abbildung 2: Stadien, die nach einer Hirnschädigung eintreten können. Erholt sich ein Patient von seiner Hirnschädigung, tritt er nach dem Koma in den vegetativen Zustand und dann in einen Zustand minimaler Bewusstheit ein, aus dem er schliesslich eine weitere Genesung bis zur Wiedererlangung der eigenen Unabhängigkeit durchlaufen kann. Tritt keine Genesung ein, kann es in seltenen Fällen zu chronischem Koma, Locked-in-Zustand oder Hirntod kommen. Ein Stillstand der Genesung ist generell auf jedem der angeführten Zustände möglich (adaptiert aus Laureys et al., 2004). haben (bei nicht traumatischen Hirnschädigungen schon nach 3 Monaten), wird der Zustand als chronisch beurteilt (dauerhafter vegetativer Zustand), und die Chancen eines positiven Verlaufs sinken erheblich. Patienten im vegetativen Zustand zeigen keinerlei reproduzierbare, bewusste oder willentliche Reaktion auf die Darbietung von Stimuli in verschiedenen Sinnesmodalitäten. Der Locked-in-Zustand Ein Zustand, bei dem aufgrund der äusserlichen Ähnlichkeit der Patienten die Gefahr einer Verwechslung mit dem VS-Zustand besteht, ist der Locked-in-Zustand (Pantke, 2007; Locked-in-Patienten sind zwar wach und bewusst (siehe Abbildung 1), sie können aber lediglich die Restmotorik eines Muskels oder Augenbewegungen zu Kommunikationszwecken nutzen (Laureys et al., 2005b). Somit haben Locked-in Patienten nur sehr begrenzte oder schlimmstenfalls gar keine Möglichkeiten, mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Da jedoch die Kommunika - tionsfähigkeit einen sehr wichtigen
3 Faktor zur Aufrechterhaltung der Lebensqualität darstellt (Bach, 1993), müssen für diese Menschen zuverlässige Kommunikationshilfen gewährleistet werden. Gehirn-Computer- Schnittstellen (Brain-Computer Interfaces, BCI) bieten hier eine Lösung, da sie einen von der Motorik unabhängigen Kommunikationskanal zur Verfügung stellen, der anhand der Übersetzung von Hirnsignalen in Befehle für Anwendungsprogramme (z.b. die Auswahl von Buchstaben aus einem Buchstabenfeld eines Kom - munikationsprogrammes) eine Inter - aktion mit der Aussenwelt erlaubt (Birbaumer et al., 1999; Kübler et al., 2005; Nijboer et al., 2008). Der minimale Bewusstseins - zustand (MCS) Zeigen sich bei bewusstseinsgestörten Patienten Verhaltensweisen, die nicht reine Reflexe darstellen, sondern absichtsvolles Handeln oder affektives Verhalten, das situationsabhängig gezeigt wird, spricht man von einem minimalen (minimally conscious state; MCS). Diese Diagnose wurde 2002 von Giacino und Kollegen eingeführt, um den Patienten gerecht zu werden, die Fluktuationen von Wachheit und Bewusstsein zeigen (siehe Abbildung 1) und dadurch zwar nicht zuverlässig, aber immer wieder auf Stimulation (z.b. Ansprechen) reagieren (Giacino et al., 2002). Der MCS-Zustand kann chronisch sein, teilweise können Pa - tienten in diesem Zustand aber auch nach Jahren noch Funktionen zurückerlangen, die verloren geglaubt waren. So begann Terry Wallis, der 19 Jahre lang als MCS-Patient galt, im Jahr 2003 wieder zu sprechen. Der Locked-in-Patienten sind wach und bewusst, haben aber nur sehr begrenzte oder keine Möglichkeiten, mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. in Arkansas lebende US-Amerikaner benötigt zwar auch heute noch intensive Pflege, zeigte jedoch eine sachgemässe Benutzung verschiedener Objekte und kann kommunizieren, was eine Entwicklung in Richtung der Wiedererlangung des vollen Bewusstseins darstellen könnte. Leider lässt sich bei Bewusstseinsstörungen oftmals keine sichere Prognose stellen, und bereits die Diagnosestellung ist häufig problematisch. Diagnostik bei Bewusstseinsstörungen Eine richtige Diagnosestellung ist bei Bewusstseinsstörungen dadurch erschwert, dass die Patienten über eine eingeschränkte Aufmerksamkeitsspanne verfügen. Zudem können Patienten von Apraxie oder Aphasie betroffen sein, was die Interaktion zwischen Mediziner und Patient deutlich beeinträchtigt oder sogar unmöglich macht. Umso wichtiger ist der MCS-Patienten zeigen Fluktuationen von Wachheit und Bewusstsein und reagieren dadurch teilweise auf Stimulationen. Einbezug mehrerer Diagnoseinstrumente, wobei generell der behaviorale Diagnoseansatz und die Benutzung von bildgebenden Verfahren sowie die Neurophysiologie als objektive Diagnoseinstrumente unterschieden wer - den können. Behaviorale Instrumente zur Diagnose von Bewusstseinsstörungen Ein sehr häufig verwendetes Diagnoseinstrument ist die Glasgow Coma Scale (GCS; Teasdale & Jennett, 1974). Der wird hierbei über visuelle, verbale und motorische Reaktionsfähigkeit beurteilt. Auch die Coma-Recovery-Scale revised (CRS-R) stellt eine weit verbreitete Skala bei der Diagnose von Bewusstseinsstö - rungen dar (deutsche Version verfügbar unter: Sie misst neben den ebenfalls durch die GCS erfassten Bereichen zusätzlich auditorische Reaktionsfähigkeit sowie Bildgebende Verfahren und die Neurophysiologie können helfen, die Diagnose einer Bewusstseinsstörung durch ihre Objektivität zu präzisieren und somit die Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose zu minimieren. die Kommunikationsfähigkeit. Das grundsätzliche Problem bei der Verwendung von Verhaltensmassen für die Diagnosestellung liegt darin, dass der Patient aufgrund von Verhaltensweisen, die er nicht zeigt, beurteilt wird. Somit stellt die Diagnose «(dauerhafter) vegetativer Zustand» eine Ausschlussdiagnose dar. Patienten, die bei Bewusstsein sind, denen aber aufgrund ihrer Schädigung die bei der Diagnose angesprochenen «Kommunikationskanäle» (Sprache, Bewegung) nicht zur Verfügung stehen, werden zwangsläufig falsch diagnostiziert. Daher wird die Fehlerdiagnoserate bei Bewusstseinsstörungen auch auf bis zu 40 Prozent eingeschätzt (Schnakers et al., 2009). Bildgebende Verfahren und Neurophysiologie zur Diagnose von Bewusstseinsstörungen Bildgebende Verfahren, wie funk tio - nelle Magnetresonanztomografie (fmri) oder Positronenemissionstomografie (PET), sind Diagnosemethoden, die 3
4 Abbildung 3: Der Gehirnstoffwechsel bei gesunden Probanden, hirntoten Patienten und Patienten im vegetativen Zustand. Bei gesunden Probanden ist im Vergleich zu VS-Patienten ein deutlich erhöhter zerebraler Stoffwechsel zu erkennen. Nach eingetretenem Hirntod ist überhaupt keine Stoffwechsel - aktivität im Gehirn ersichtlich (aus Laureys, 2005c). 4 zunehmend an Bedeutung gewinnen. So können beispielsweise über die Erfassung des Hirnstoffwechsels Rückschlüsse über den Zustand eines Patienten gezogen werden (Abbildung 3). Ein VS-Patient weist dauerhaft einen 40 bis 50 Prozent reduzierten Hirnstoffwechsel auf, was zwar im Vergleich zu nicht beeinträchtigten Personen einen wesentlichen Ausfall kennzeichnet, jedoch in deutlichem Unterschied zum Hirntod steht, bei dem jegliche Hirnaktivität völlig ausfällt. Weiterhin kann anhand von bildgebenden Verfahren beurteilt werden, inwiefern bestimmte Gehirnareale, die mit Bewusstsein zusammenhängen, noch miteinander vernetzt sind. So kann bei VS-Patienten eine verringerte Aktivität vor allem in den bilateralen frontalen Regionen, den pariotemporalen und posterior parietalen Regionen wie auch im mesiofrontalen und posterioren Cingulum und den preacunealen Kortizes festgestellt werden. Bei MCS-Patienten veranschaulichen bildgebende Verfahren beispielsweise die im Vergleich zu VS-Patienten stärkere, jedoch mit gesunden Probanden durchaus vergleichbare Aktivierung des Gehirns als Antwort auf Schmerz (Boly et al., 2008), was folglich die Gabe von Analgetika bei MCS-Patienten unterstützt. Weiterhin aktivieren MCS-Patienten nach auditorisch dargebotenen Stimuli grössere Kortex - areale als VS-Patienten, besonders nachdem sie für sie persönlich emotional relevante Stimuli dargeboten bekommen (z.b. den eigenen Namen). Es werden Kortexareale aktiviert, die mit der Sprachverarbeitung zusammenhängen, während unbedeutende Stimuli diese Aktivierung nicht hervorrufen können (Laureys et al., 2009). Diese Paradigmen sind jedoch alle passiv, das heisst, es werden Stimuli dargeboten, der Patient bekommt die Aufforderung zuzuhören, und die Reaktion des Gehirns wird aufgezeichnet. Letztendlich erlaubt auch diese Herangehensweise keine Aussage über das Vorhandensein wacher Bewusstheit (rechts oben in Abbildung 1). Dazu müssen aktive Paradigmen eingesetzt werden, in denen die Reaktion des Gehirns davon abhängt, ob die Patienten die Aufgabe verstanden haben und sie dann den Anweisungen entsprechend ausfüh - ren (Kübler und Kotchoubey, 2007; Kübler, 2008). Unter Anwendung eines solchen aktiven Paradigmas konnten Owen und Kollegen (2006) bei einer Patientin, die mit vegetativem Zustand diagnostiziert war, der per de - finitionem die Abwesenheit von In - halten des Bewusstsein impliziert, zweifelsfrei nachweisen, dass sie bei Bewusstsein war. Sie wurde angewiesen, sich je nach akustischer Instruktion vorzustellen, Tennis zu spielen oder durch ihre Wohnung zu gehen. Bei gesunden Probanden löst diese Aufgabe eine Gehirnaktivierung in klar unterscheidbaren Arealen auf (präzentrale motorische Areale vs. hippokampale und parietale, für die räumliche Orientierung zuständige Areale). Die Aktivierung der Patientin war von derjenigen der gesunden Probanden nicht zu unterscheiden, woraus zweifelsfrei auf das Vorhandensein von Bewusstsein geschlossen werden konnte, und dies obwohl sie auf Verhaltensebene nicht von vegetativen Patienten zu unterscheiden war. Der Zustand dieser Frau verbesserte sich langsam nach der beschriebenen Untersuchung. Dies belegt eindrücklich und dramatisch, (1) dass die bisherige Praxis der Ausschlussdiagnose unzureichend ist und (2) wie psychophysiologische Methoden zur Verbesserung der Diagnose zum Wohle der Patienten beitragen können. Ein wesentlicher Nachteil bildgebender Verfahren liegt jedoch in der teilweise schwierigen Anwendbarkeit. Der Patient muss vor Ort sein oder zu einem Scanner transportiert werden, was mit viel Aufwand verbunden sein kann. Die Elektroenzephalografie (EEG) ist ein anwenderfreundlicheres Verfahren, das leicht zum Patienten gebracht werden kann und ebenfalls Rückschlüsse über den Zustand eines
5 Patienten erlaubt. So stellt eine bei VS-Patienten erfasste mismatch negativity im EEG (ein negativer Ausschlag eines Hirnsignals als Antwort auf den Unterschied zwischen zwei dargebotenen Stimuli, beispielsweise was deren Frequenz, Länge oder Intensität betrifft) einen Prädiktor für ein mögliches Erwachen aus dem Koma dar (Daltrozzo et al., 2007). Weiterhin konnte von Schnakers und ihren Kollegen (2008) gezeigt werden, dass mithilfe des EEGs bei VS- und MCS-Patienten unterschiedliche Reaktionen festzustellen waren, wenn man ein passives (Zuhören) mit einem aktiven Paradigma verglich. VS- und MCS-Patienten wurde ihr eigener Name unter anderen unbekannten Namen auditorisch dargeboten, jedoch nur MCS-Patienten zeigten eine erhöhte P300-Amplitude (= positiver Ausschlag 300 ms nach der Darbietung eines unerwarteten Stimulus oder eines Stimulus, der einen emotionalen Wert hat) in in der aktiven Bedingung (aktiv = Mitzählen des eigenen Namens). Somit eröffnen EEG-Paradigmen einen vielversprechenden Weg für die Diagnose von Bewusstseinsstörungen, der in Zukunft genauer erforscht werden sollte. Neben den diagnostischen Vorteilen könnten sich auch Möglichkeiten ergeben, bewusstseinsgestörten Patienten über die Auswertung ihrer Hirnsignale Kommunikation mithilfe von BCIs zu ermöglichen. Fazit Die Diagnosestellung im Bereich der Bewusstseinsstörungen allein aufgrund von behavioralen Massen und somit aufgrund von Auschlusskriterien ist unzureichend und fehleranfällig. Zwar ermöglicht die Verwendung passiver Paradigmen innerhalb objektiver Verfahren (bildgebende Verfahren und Neurophysiologie) bereits eine klarere Diagnose, letztlich können jedoch nur aktive Paradigmen die eindeutige Entdeckung von Bewusstsein gewährleisten. Bisher konnte gezeigt werden, dass aktive EEG-Paradigmen erfolgreich bei bewusstseinsgestörten Patienten eingesetzt werden konnten. Zukünftige, multizentrische Forschung sollte diese Entwicklung weiter vorantreiben und EEG-Paradigmen genauer untersuchen, einerseits um sie für die Erkennung von Bewusstsein zu optimieren, andererseits um sie mittels BCI-Technologie zu Kommunikationszwecken zu nutzen. Für die Autoren: Dipl.-Psych. Sonja Kleih Universität Tübingen Gartenstrasse 29 D Tübingen Danksagung: Diese Arbeit wurde unterstützt durch: Fonds de la Recherche Scientifique (Belgien), European Commission (TOBI, DECO- DER, DISCOS, Mindbridge, COST), McDonnell Foundation, Universität von Liège, Universität Tübingen, Universität Würzburg. Literatur: 1. Bach, J: Communication status and survival with ventilatory support. Am J Phys Med Rehabil 1993; 72(6): Birbaumer N, Kübler A, Ghanayim N, Hinterberger T, Perelmouter J, Taub E, Flor H: A spelling device for the paralyzed. 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