1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff, dargestellt am Beispiel einer Kundenkartei
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1 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff, dargestellt am Beispiel einer Kundenkartei Wirtschaftsprüfungsseminar Wintersemester 02/03 Professor Dr. Jens Wüstemann Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsprüfung Universität Mannheim Erstellt von: Janine Grohmann, Eckhard Koch, Dimitry Zavodnik 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 1 1
2 Gliederung I II III IV Problemstellung Sinn und Zweck der GoB Die Vermögensgegenstandskriterien 1. Das Vermögenswertprinzip 2. Das Greifbarkeitsprinzip 3. Das Prinzip selbständiger Bewertbarkeit Thesenförmige Zusammenfassung 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 2 2
3 I Problemstellung 242 Abs. 1 HGB: Der Kfm. hat einen Abschluss aufzustellen, der das Verhältnis seines Vermögens und seiner Schulden abbildet. Dieser Abschluss muss alle Vermögensgegenstände ( VG ), Schulden, RAP, Aufwendungen und Erträge enthalten. Untersuchungsgegenstand Vermögensgegenstandsbegriff unbestimmter Rechtsbegriff, der der Auslegung bedarf. Bei der Auslegung ist der Konflikt zwischen wirtschaftlicher Betrachtungsweise und Erfordernis der Rechtssicherheit zu beachten. Gefahr der Fehlinterpretation, insbesondere bei immateriellen Vermögenswerten 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 3 3
4 I Problemstellung Sachverhalt Ein Versandhandelsunternehmen erwirbt seinen Mitbewerber. Wirtschaftlicher Hintergrund ist der Erwerb der Kundendatenbank. Diese enthält Umsatz/ Gewinnmarge je Kunde, ist sorgfältig gepflegt und deshalb optimal für Marketingzwecke einsetzbar. Frage Wie ist die Kundenkartei beim Erwerber zu bilanzieren? Alternativen selbständiger VG Bestandteil des derivativen GFW 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 4 4
5 II Sinn und Zweck des GoB-System Der Begriff VG wird im HGB zwar verwendet und 266 HGB listet verschiedene VG auf, doch gibt es keine Legaldefinition. Mangels einer gesetzlichen Definition, ist die Auslegung des VG-Begriffs den GoB überlassen. Zweck des GoB-Systems ist zum einen die Informationsvermittlung und zum anderen die Ausschüttungsbemessung. Es sind jedoch nicht alle Vermögenswerte in einer Bilanz aktivierbar, da die Bilanz dem Schutzzweck genügen muss. Zwei Arten von Schutzzwecken: Schutz der Anteilseigner vor Gewinnverkürzungen (Als Folge einer zu hohen Aufwandsverrechnung der Periode) Schutz der Gläubiger vor dem Ausweis fiktiver Gewinn (Als Folge einer zu hohen Aktivierung und dadurch zu hoher Aufwandsneutralisierung) 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 5 5
6 1. Das Vermögenswertprinzip (VWP) 1.1 Das VWP als Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise Bilanz muss ein wirtschaftlich zu verstehendes Vermögen abbilden. Ein Gut ist als VG anzusehen, wenn es künftige Einnahmeüberschüsse / Nettoeinnahmepotenziale verkörpert Sachen und Rechte sind weder notwendig noch hinreichend, denn rein wirt. Güter können auch Vermögenswerte bilden entscheidend sind positive Ertragswertbeiträge Prüfung anhand konkretisierender Unterprinzipien 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 6 6
7 1.2. Konkretisierende Unterprinzipien des Vermögenswertprinzips Das Prinzip des unternehmensspezifischen Nutzwertes Aktivierung nur, wenn das Bilanzobjekt für den Kfm. einen wirtschaftlichen Nutzen entfaltet innerbetrieblicher Standpunkt ist maßgeblich. Sachverhalt Erwerb der KK bildet den wirt. Hintergrund der Übernahme. Der Käufer sieht in der KK ein Nutzungspotential. Auskunft über Umsatz/Gewinnmarge/Kaufgewohnheiten keine Präsenzverkaufsstellen => KK besonders wertvoll Rückschlüsse auf gezielte Marketingstrategien und Werbemaßnahmen Das Kriterium des wirtschaftlichen Nutzens ist erfüllt 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 7 7
8 Das Prinzip des längerfristigen Nutzens Aktivierungsfähigkeit nur, wenn Nutzen längerfristig und nachhaltig. Bei immateriellen Werten: Nutzen > als 1 Jahr. Sachverhalt jahrlicher Aufwand, Statistiken der vergangenen Jahre BFH Urteil vom Das Prinzip des längerfristigen Nutzens ist erfüllt 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 8 8
9 Das Prinzip des fiktiven Erwerbs VWP, allg. formuliert, ist nicht scharf genug für eine zweifelsfreie Beurteilung der wirt. Werthaltigkeit. Entscheidungshilfe der Rechtsprechung: Fiktion der Betriebsveräußerung Sachverhalt Wirtschaftlicher Hintergrund der Übernahme ist der Kauf der KK. Die KK ist ein wertvolles Element, das ein fiktiver Erwerber bei der Gesamtkaufpreisbemessung besonders vergüten würde. Das Erwerberfiktionsprinzip ist erfüllt Die KK genügt dem VWP, da sie für Marketingzwecke des Erwerbers vom erheblichen Nutzen ist. Ein fiktiver Erwerber würde die KK als einen Träger von künftigen Einnahmeüberschüssen vergüten. 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 9 9
10 2. Das Greifbarkeitsprinzip Ziel des Greifbarkeitsprinzips ist das Erreichen einer weitergehenden Objektivierung durch die Konkretisierung des vermögenswerten Vorteils. Der zu aktivierende VG muss werthaltig sein und darf sich nicht zu sehr ins Allgemeine verflüchtigen. 2.1 Typisierungsvermutung Es wird typisierend davon ausgegangen, dass Sachen und Rechte werthaltig sind, während rein wirtschaftliche Güter nicht werthaltig sind. Diese Vermutungen können jedoch in beide Richtungen entkräftet werden. Bei der Kundenkartei handelt es sich um ein rein wirtschaftliches Gut. 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 10 10
11 2.2 Entkräftung der Typisierung Zur Entkräftung der Typisierungsvermutung muss der Nachweis geführt werden, dass die KK von dritter Seite erworben und für den Erwerb abgrenzbare Aufwendungen getätigt wurden. (RG 1914) Sachverhalt Die KK ist von einem Dritten gekauft worden. Fraglich sind die abgrenzbar getätigten Aufwendungen Zum einen könnte man davon ausgehen, dass spezielle Aufwendungen für den Erwerb der KK getätigt wurden, da ja das Unternehmen in der Absicht des Erwerbs der KK gekauft wurde. Zum anderen könnte man davon ausgehen, dass zwar Aufwendungen für das Unternehmen im Gesamten getätigt wurden, jedoch unklar ist, welcher Betrag der KK beigemessen werden muss. Folglich wäre der Entkräftung der Typisierungsvermutung im ersten Fall zuzustimmen und im zweiten Fall von ihr abzusehen. 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 11 11
12 2.3 Übertragbarkeitsprinzip Das Übertragbarkeitsprinzip verlangt von einem VG, dass er einzeln oder zumindest, nach der neueren Rechtsprechung, mit dem ganzen Unternehmen übertragen werden kann. Falls dies nicht gegeben ist, kann davon ausgegangen werden, dass der VG zu sehr am Kaufmann haftet, als sicher zu sein. In der Fallstudie kann gesagt werden, dass die KK übertragbar ist, da sie im Rahmen des Gesamtunternehmenskaufs auf das kaufende Unternehmen übergeht. Die KK ist somit auf alle Fälle mitsamt dem Unternehmen übertragbar und führt so im Rahmen der neueren Rechtsprechung zur Bestätigung der Greifbarkeit. 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 12 12
13 3. Das Prinzip der selbständigen Bewertbarkeit 3.1 Grundsatz der Einzelbewertung Nach 252 Abs.1 Nr. 3 und 240 Abs1 HGB sind Vermögensgegenstände und Schulden zum Abschlussstichtag einzeln zu bewerten. Das Saldierungsverbot ( 246 Abs. 2 HGB) verbietet die Verrechnung von Posten der Aktivseite mit Positionen der Passivseite, Aufwendungen dürfen nicht mit Erträgen verrechnet werden. Ein Gut kann nur einzeln bewertet werden, wenn ein abgrenzbarer Zugangswert vorliegt. Sinn dieser Vorschriften Objektivierter Ausweis der Vermögens- und Ertragslage im Jahresabschluss im Sinne der Informationspflichten. Einhaltung des Vorsichtsprinzips durch Einzelbewertungspflicht und Saldierungsverbot. 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 13 13
14 3.2 Abgrenzung Selbständige Bewertbarkeit und Greifbarkeit Greifbare Sachen oder Rechte müssen nicht zwangsläufig selbständig bewertbar sein. Selbständige Bewertbarkeit durch abgrenzbaren Zugangswert ist Voraussetzung für Greifbarkeit eines rein wirtschaftlichen Vorteils. Selbständige Bewertbarkeit ist notwendig für die Greifbarkeit rein wirtschaftlicher Vorteile, aber nicht hinreichend. Bsp. Reklamefeldzug: Zugangswert bestimmt, Greifbarkeit vom BFH verneint (Moxter) Alle wertbildenden Bestandteile, die die Kriterien für den VG nicht erfüllen, gehen im GFW auf. Sie dürfen nicht aktiviert werden, können aber große Bedeutung fürs Unternehmen haben. Bsp. Mitarbeiterqualität BFH (1981): Ein derivativer GFW ist immer dann anzunehmen, wenn der Kaufpreis nicht nachweislich für bestimmte einzelne Wirtschaftsgüter gezahlt wurde. 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 14 14
15 3.3 Griffweise Schätzung Die strenge selbständige Bewertbarkeit wird durch die griffweise Schätzung relativiert. Statt eines objektivierten Zugangswertes wird eine geschätzte Wertzurechnung vorgenommen. Kriterium Ein Vermögensbestandteil muss nach allgemeiner Verkehrsanschauung an und für sich einer besonderen Bewertung zugänglich sein. (RFH 1928 und BFH 1990) 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 15 15
16 3.4 Prüfung der selbständigen Bewertbarkeit A: Einzelne Aktivierung der Kundenkartei Kein eindeutiger Zugangswert der KK im Sachverhalt. Als Zugangswert der Kundenkartei kommt die Differenz von Kaufpreis und Substanzwert in Betracht. Annahme, dass die KK der einzige wertbildende Faktor eines erworbenen GFW ist. Für eine Schätzung des Zugangswerts spricht, dass der Kauf des Unternehmens ausdrücklich zum Erwerb der Kartei gedient hat. Ist die KK der einzig wertbildende Faktor des GFW, ist eine weitere Abgrenzung nicht nötig (Beck'scher Bilanz Kommentar) Bei Erfüllung der übrigen VG-Kriterien: Aktivierung der Kundenkartei als immaterieller Vermögensgegenstand. Aber Kriterien für den imm. VG wären noch zu prüfen (entgeltlicher Erwerb) 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 16 16
17 B: Aktivieren im Rahmen des derivativen GFW Das Unternehmen ist als ganzes übernommen und kein Preis explizit für die KK bezahlt worden. Strenge Auslegung der selbständigen Bewertbarkeit Ablehnung, weil keine Trennung von sonstigen imm. Vermögenswerten möglich. Problematisch Ausgabe getätigt Vermögensminderung oder Schuldenerhöhung Erfolg der Periode um Höhe der AK vermindert, falls die Differenz von Kaufpreis und Substanzwert nicht aktiviert wird. Weil kein separat vereinbarter Preis für die KK vorliegt Die KK geht in einem derivativen GFW auf Welche der Varianten zum Tragen kommen, ist aus dem SV nicht eindeutig ermittelbar. Ist die KK selbständig bewertbar, muss geprüft werden, ob sie auch den Kriterien der immateriellen VG entspricht. Falls nicht, kann sie nur als Bestandteil des derivativen GFW bilanziert werden. 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 17 17
18 IV Thesenförmige Zusammenfassung 1. In einer dem Gläubiger- und dem Anteilseignerschutz dienenden Bilanz sind nicht alle Gegenstände aktivierbar. 2. Das VWP, das Greifbarkeitsprinzip und das Prinzip selbständiger Bewertbarkeit stellen die Kriterien für einen VG dar. 3. Eine eindeutige Aussage über die Aktivierungsfähigkeit der KK scheitert am Kriterium der Greifbarkeit bzw. der selbständigen Bewertbarkeit und ist aufgrund des ungenauen Sachverhaltes nicht zu treffen. 4. Der KK eines Versandhändlers muss eine besondere Werthaltigkeit zugesprochen werden. 5. Nach der neueren Rechtsprechung genügt für die Erfüllung des Greifbarkeitsprinzips die Übertragbarkeit. Nach dem RG bedarf es eines Erwerbs von einem Dritten und abgrenzbarer Aufwendungen. 6. Die Verneinung der selbständigen Bewertbarkeit führt zu einer Verneinung der Greifbarkeit. 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 18 18
19 IV Thesenförmige Zusammenfassung 7. Der Sachverhalt kann auf verschiedene Art und Weise gesehen werden. 8. Zum einen kann kein konkreter Zugangswert entnommen werden. Die selbständige Bewertbarkeit und somit auch die Greifbarkeit ist in dieser Auslegung zu verneinen. 9. Die KK kann den gesamten immateriellen Wert des Unternehmens ausmachen. Dann ist das Prinzip selbständiger Bewertbarkeit als erfüllt zu betrachten. Eine Aktivierung als immaterieller VG bedarf noch der Prüfung des entgeltlichen Erwerbs. 1 Fallstudie zum Vermögensgegenstandsbegriff 19 19
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