Volker Braun DER STAUB VON BRANDENBURG

Transkript

1 Volker Braun DER STAUB VON BRANDENBURG 1

2 henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 1999 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2

3 PROLOG: DER FORTSCHROTT Da stand das Werk, Lauchhammer EINE WIEGE DER INDUSTRIE, ein Grab jetzt, abgebaggert Wand für Wand SAUBER NACH DER ZEICHNUNG In meinem Schädel nachgebaut beim Abriß Der Westen murmelt: Schutt, der Osten schippt Sich die Erinnerung, da steht der So Zialismus siegreich errichtet Die BESSRE WELT, wenn sie verschwunden ist Da am Boden das, der Fortschritt, Vorsicht 3

4 WANDERUNGEN DURCH DIE MARK Oderbruch 1 Ich ging so für mich hin: was sah mein Blick Da steht ein Liebespaar im Schlick. Ich frag: Wie heißt der Strich, auf dem wir stehn. Die Grenze, Schütze Arsch, soll ich rübergehn. Ich schoß das Magazin leer, breit daneben. Ich war befördert in ein andres Leben. 2 Was schwimmt dort unterm Schlick. Ein Toter. Zwei. Zwei Wasserleichen. Gelandet ohne Laut. Zwei Asylanten auf dem Wasserweg. Jetzt kommt das Ausland angeschwommen. Wohin mit ihnen. In die warme Erde. Da ist kein Platz: auf unserm deutschen Friedhof. Ein warmes Plätzchen, wer bezahlt die Miete. Da liegen schon sechs Tote nach dem Brand Im Asylantenheim, die wir begruben. Aus der Gemeindekasse. Warum, frag ich Landen die hier alle auf meinem Schreibtisch. Geht das mit rechten Dingen zu, ich glaubs nicht. Die machen keinen Finger krumm und kosten In alle Ewigkeit. Die teuren Toten. Halt fest, er glitscht mir weg. Umarmst du ihn. Du machst ihn nicht lebendig, Völkerfreund Mit deiner Umarmung. Ich laß ihn los, wie Dann hat der Fluß ihn wieder. Alles fließt. Das wär ein Fehler, und der Tote rächt sich 4

5 Wenn er nicht Ruhe findet. Er kommt wieder Mit seiner Verwandtschaft. Wasserpolacken. Oder im Frühjahr nach der Überschwemmung Düngt das unsre Äcker mit dem Aas. Die Brache, meinst du, düngt das. Unsre Äcker Sind wir los, die Knechte kommen. Zwei. Ich zähle vier. Der Türke in Berlin Als sich der Ossi aufregt, keine Arbeit Erwidert: Wir euch nicht gerufen. Richtig. Ich weiß nicht was ich machte, wenn die leben. Mit nacktem Nischel auf mein Ödland starrend Ich glaub, ich schlüg sie tot. Die leben ewig. Sicher ist sicher. So, der frißt kein Brot mehr. Die kennen uns nicht mehr, und wir nicht sie. Der Stille Don zahlt ihre Kahnpartie. Wie weit der Weg ist in das Dorf zurück. Das Land ein Dreck die Toten im Genick. 5

6 Der Staub von Brandenburg 1 ARBEITER Das Tor macht auf. Die Freiheit zieht herein. UNTERNEHMER Ihr bleibt draußen. Die Freiheit sagt MEIN. 2 Ich hab noch Arbeit. Das ist wie ein Traum: Wenn ich erwache, Bruder, darf ich aufstehn Die Zähne putzen, Frühstück fassen, gehn Durch eine Tür auf eine Straße und Die Straße lang. Wohin. Auf Arbeit, Bruder. Die Gegend menschenleer, ganz Brandenburg Liegt in den Betten arbeitslos Im Morgengrauen auf dem großen Bauplatz Wildfremde Leute, stumm und gelbgesichtig Die Arbeit haben noch und noch Früh Aufgestandene und Hergelaufne Und durch den Bauzaun, wozu dient ein Bauzaun Daß man uns nicht die Arbeit wegnimmt, wie Blickt der Neid auf unsre gelben Hände. Warum, fragt er, die und nicht ich. Darum Weil du viel fragst und ich mach was gesagt wird Nämlich mehr. Ich laß mich lumpen, Bruder Wie ein Asylant, und für den Lohn Wenn ich etwas riskiere, nicht die Lippe. Da mach etwas. Die Arbeit macht sich rar Die halte fest mit deinen beiden Händen Das Vaterland das teure schließt dich aus 6

7 Mein Arbeitsplatz ist mein Asyl, und du Der draußen zusieht, du bist in der Fremde. Was siehst du mich so an. Sag ich was Falsches. Oder die falschen Worte. Red ich Türkisch. Die einen s i n d drin und die andern draußen Mitten in Deutschland. Deutschland schönes Land. Der hält mich, glaub ich, jetzt für einen Türken Und Schwarzarbeiter, wie will ich beweisen Daß ich ein Deutscher bin als mit der Arbeit Die mich zum Fidschi macht in seinen Augen Den man aufklatscht. Wär der Bau ein Bunker. Wer wartet dort auf mich vom Staub verschleiert. Die Blonde, die mich abholt von der Arbeit Weil in den Uhren Sand ist hier in Syrien. Mein blondes Brandenburg. Das man mir neidet Und hundert Blicke lösen ihren Schleier. Kind, überleg dir was du tust, der Türke Der Arbeit hat, die er den Deutschen wegnimmt Darf er den Deutschen noch das Weib wegnehmen. Ich hör sie zischen: Pfoten weg, Kanake Wir treten unsre deutschen Hühner selber. Such deinen Harem, Hucker: sagen sie Sonst haun wir dir die Hucke voll! auf Deutsch. Und Deutsch versteh ich, das ist meine Sprache In der ich hauch: Ich liebe dich, verpiß dich Und laß dich hier mit mir nicht blicken, Blonde Wo mich die Arbeit zum Bengalen biegt Der Feuer schluckt wenn die Baracke brennt. Ich habe nur ein Leben, das mir lieb ist Wie meine Arbeit oder fast so lieb Was soll ich machen. In Tokio, hör ich Gibts einen Moderator auf dem Bildschirm Kein wirkliches, ein virtuelles Wesen Weiblich, es altert nicht, rund um die Uhr Ein Traum für jeden Chef: und für den Kunden Der mit der Fremden ohne Furcht sein Date hat 7

8 Mit der könnt ich verkehren ohne Horror Wär das nicht wirklich, man müßt es erfinden. Denn überall sind Fremde, die wir fürchten Im eignen Land, die Deutschen hier in Deutschland Deutsch sind sie, weil sie draußen sind, und drin Sind die Ausländer, Feinde in der Firma Und selber ich arbeitend bin ein Feind Für alle Deutschen draußen ohne Arbeit Besser du kennst mich nicht, denn ich bin drin Und du hast ihn auch lieber drin als draußen. Das sage ich am Bauzaun draußen zu ihr Und sie versteht kein Wort, denn es ist Türkisch Und jetzt passiert es. Alles was ich sagte. Ich hör es zischen PFOTEN WEG KANAKE. WIR TRETEN UNSRE HÜHNER SELBER. WIR HAUEN DIR DIE HUCKE VOLL. Auf Deutsch Und Deutsch verstehe ich. VERPISS DICH BLONDE UND LASS DICH HIER NICHT WIEDER BLICKEN WO MICH DIE ARBEIT ZUM BENGALEN MACHT Denn überall sind Fremde, die sich fürchten Im eignen Land, die Deutschen hier in Deutschland Wärn sie nicht wirklich, würden sich erfinden BESSER DU KENNST MICH NICHT. Bis ich erwache Zum zweitenmale heute, weil ich brenne In meinem Traum. BENGALISCHES FEUER. Was habe ich gesagt. Das meine Worte. Was ich soll machen, Bruder. Sie versteht sie Und lacht und lacht, und macht sich aus dem Staub. Die bin ich los. Die Arbeit hab ich noch Im Staub mit allen Feinden Brandenburgs. 8