Gestaltungs- und Finanzierungskonzepte der Pflegeversicherung Pressekonferenz der Hans Böckler Stiftung am 26. Juni 2007 in Berlin
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1 Gestaltungs- und Finanzierungskonzepte der Pflegeversicherung Pressekonferenz der Hans Böckler Stiftung am 26. Juni 2007 in Berlin Prof. Dr. Heinz Rothgang Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen
2 Übersicht 1. Ausgangslage 2. Zukünftige Finanzentwicklung 3. Bewertung des Koalitionskompromisses 4. Anforderungen für die nächste Finanzierungsreform in der Pflegeversicherung 5. Reformoptionen und deren Bewertung 6. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 2
3 1. Ausgangslage Finanzentwicklung Seit 2002 erhebliche Defizite 2005: trotz KiBG 365 Mio. Defizit, sonst 1 Mrd.! 2006: trotz 13 Beiträge für Beschäftigte nur 450 Mio. Überschuss, sonst Mio. Defizit => Keine Entwarnung! Die Finanzsituation bleibt prekär! Ursachen: Einnahmeschwäche, nicht Ausgabenexplosion: Jährliche Rate des Ausgabenwachstums ( ): 2,2% Jährliche Rate des Einnahmenwachstums ( ): 0,8% Zum Vergleich: Inflationsrate (im gleichen Zeitraum): 1,3%. Ursachen für strukturelle Einnahmeschwäche Sozialrechtliche Verschiebebahnhöfe Abbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse Lohnzurückhaltung und Nullsummen in Rentenversicherung Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 3
4 2. Zukünftige Finanzentwicklung Durchschnittliche jährliche Ausgabensteigerungen: Fallzahlerhöhung 1,2-1,5% Verschiebung der Pflegeformen 0,5% Leistungsdynamisierung ca. 2% Insgesamt 3,7-4,0% Ein (optimistisch geschätztes) Grundlohnsummenwachstum von 2% reicht aus, um entweder die demographisch bedingte Ausgabenerhöhung oder die Leistungsdynamisierung zu finanzieren, aber nicht für beides! => Ohne Finanzreform würde der Beitragssatz bei Leistungsdynamisierung bis 2040 auf 3-4 Beitragssatzpunkte steigen Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 4
5 3. Bewertung des Koalitionskompromisses (1/2) Koalitionsbeschluss Anhebung des Beitragssatzes um 0,25 Beitragssatzpunkte Leistungsausweitungen mit einem Finanzierungsvolumen von 0,09 Beitragssatzpunkte sofort 0,20 Beitragssatzpunkte bis ,28 Beitragssatzpunkt bis 2015 Beitragsatzanhebung reicht aus, um Mehrausgaben bis 2012/15 zu decken Aber: fiskalische Risiken bleiben unberücksichtigt und Die Leistungsdynamisierung ist unzureichend Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 5
6 3. Bewertung des Koalitionskompromisses (2/2) Unberücksichtigt bleiben im Koalitionskompromiss weitergehende Effekte einer Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs das aktuelle Defizit die Frage, ob die Grundlohnsummensteigerung ausreicht, um demographisch bedingte Mehrausgaben zu finanzieren Zudem ist die Leistungsdynamisierung unzureichend: Stationäre Leistungen in Stufe I und II (ca. 40% der Ausgaben) werden nicht dynamisiert Durchschnittliche jährliche Leistungsdynamisierung liegt bei 0,3% für den Zeitraum bzw. 0,7% für den Zeitraum Erst ab 2012 Dynamisierung entsprechend Inflation / Lohsteigerung => Koalitionskompromiss erkauft nur Zeit. In der nächsten Legislaturperiode steht die Finanzreform der Pflegeversicherung wieder auf der Agenda Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 6
7 4. Anforderungen an eine Finanzierungsreform Eine Finanzreform muss zwei Ziele erreichen: 1. Bemessungsgrundlage für Pflegeversicherung darf nicht länger von der Entwicklung des BIP abgekoppelt werden. Damit können Fallzahlwachstum und höhere Kosten durch Verschiebung der Pflegeform finanziert werden. und 2. Zusätzliche Finanzquellen müssen erschlossen werden, um Leistungsdynamisierung zu finanzieren. Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 7
8 5. Reformoptionen und deren Bewertung: Überblick Systemwechsel: Umstieg auf kapitalgedecktes System Systemerhalt und Ausbau durch breite Kombination verschiedener Elemente 1. Bürgerversicherungselemente Ausweitung des Versichertenkreises Abschaffung der privaten Pflegepflichtversicherung Einbeziehung der PKV in einen Finanzausgleich Einbezug weiterer Einkommensarten 2. Steuerfinanzierung für versicherungsfremde Leistungen 3. Ergänzende Kapitalfundierung 4. Steigender Beitragssatz Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 8
9 5. Systemwechsel: Umstieg auf ein kapitalgedecktes System Begründungen Mehr Wachstum durch höhere Ersparnis? Beruht auf mehreren kritischen Annahmen Intertemporale Umverteilung? Ist normativ nicht zwingend: Generationengerechtigkeit im Längsschnitt vernachlässigt Gerechtigkeit im Querschnitt. Kann durch Kapitalfundierung erreicht werden hat hohe Umstellungskosten (Doppelbelastung). Beispiele: SVR Wirtschaft: Ältere zahlen Pauschalbeitrag von 50, Jüngere zahlen eigene Vorsorge (40-60 ) plus einem Solidarbeitrag von rd. 0,7% des Einkommens für die nächsten 40 Jahre. Herzog-Kommission: Sofortige Anhebung des Beitrags (auf alle Einkommen) auf 3,2 Beitragssatzpunkte für die nächsten 30 Jahre => ist nicht notwendig und politisch nicht durchsetzbar Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 9
10 5.1 Systemerhalt: Bürgerversicherung Bürgerversicherungselemente Einbeziehung der Privatversicherten durch Abschaffung der privaten Pflegepflichtversicherung Einbeziehung der PKV in einen Finanzausgleich Einbeziehung weiterer Einkommensarten Bürgerversicherung steigert die soziale Gerechtigkeit (horizontal und vertikal) ist fiskalisch ergiebig beruht aber auf fiskalischem Einmaleffekt und ist allein nicht ausreichend zur Lösung der Finanzprobleme Als Teil einer Gesamtkonzeption unverzichtbar, als alleinige Strategie nicht ausreichend Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 10
11 5.2 Systemerhalt: Steuerfinanzierung Rechtfertigung für Steuerfinanzierung: versicherungsfremde Leistungen Begründung: Beitragsfreie Kindermitversicherung ist allgemeine Staatsaufgabe und muss steuerfinanziert werden Ausgestaltung: Bundeszuschuss bzw. steuerfinanzierte Beitragszahlung Fiskalische Ergiebigkeit begrenzt (< 1 Mrd. ) => Kann ein Teil eines Gesamtkonzeptes sein Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 11
12 5.3 Systemerhalt: Ergänzende Kapitalfundierung (1/5) in der sozialen Pflegeversicherung Problem 1: Kann Rücklage vor Zugriff der Politik gesichert werden? Problem 2: Nur temporäre Kapitalbildung als private Pflegezusatzpflichtversicherung Problem 1: Administrativ aufwändiges weiteres System und Reibungsverluste an der Systemgrenze Problem 2: nur temporäre Kapitalbildung, wenn die Zusatzversicherung wie im Stewens-Modell zugleich die Leistungsdynamisierung finanzieren soll Problem 3: Umverteilung von unten nach oben bei Kopfprämien (beispielhaft Stewens-Modell) Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 12
13 5.3 Ergänzende Kapitalfundierung (2/5) Verwendung der Mittel der privaten Pflegezusatzpflichtversicherung in Mrd Jahr Leistungsdynamisierung bei 1,5% p.a. Kapitalbildung Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 13
14 5.5 Ergänzende Kapitalfundierung (3/5) 60 Mittelverwendung in der privaten Pflegezusatzpflichtversicherung in Mrd. p.a Jahr Leistungsdynamisierung bei 2% p.a. Kapitalbildung Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 14
15 5.5 Ergänzende Kapitalfundierung (4/5): Verteilungswirkungen Zusatzbeitrag zur Finanzierung von Leistungsdynamisierung und Kapitalstockbildung im Jahr 2020 in Euro pro Jahr Haushaltseinkommen (beitragspflichtige Bruttoeinkommen) PZPV Single ZPV: Ehepaare SPV: Grundlohnwachstum 1% SPV: Grundlohnwachstum 2% Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 15
16 5.5 Ergänzende Kapitalfundierung (5/5) Alternative 1: Zusatzbeitrag für Rentner und obligatorische Kapitalbildung für Jüngere (Pflege-Riester) Vorteil: gut begründbar und fiskalisch ergiebig Nachteil: geht nur bei Betrachtung anderer Belastungen der Rentner Alternative 2: Zusatzbeitrag nach Kinderzahl Der Zusatzbeitrag wird in einer öffentlichen Kasse angespart, dort 30 Jahre angelegt und fließt dann an die Pflegeversicherung. Die Ansparfrist simuliert den Effekt der späteren Beitragszahlung der Kinder Effekte: Dauerhafte Kapitalbildung Intertemporale Umverteilung Intergenerative Umverteilung und Intragenerative Umverteilung Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 16
17 6. Fazit Eine Finanzierungsreform bleibt auf der Agenda der aktuelle Koalitionskompromiss erkauft nur Zeit Ein Systemwechsel ist abzulehnen, vorzuziehen ist eine Reform innerhalb des Systems, gekennzeichnet durch regelgebundene Leistungsdynamisierung Erschließung neuer Finanzierungsquellen Neue Finanzierungsquellen als Mix aus Bürgerversicherungselementen Ergänzende Kapitalfundierung (Rentnerbeitrag u./o. nach Kinderzahl) Steuerzuschuss für beitragsfreie Kindermitversicherung, wenn dies als versicherungsfremd angesehen wird Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 17
18 Schluss Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 18
19 Anhang: Finanzentwicklung in der GPV (1/2) Bilanz der gesetzlichen Pflegeversicherung in million Überschuss Liquidität Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 19
20 Anhang: Finanzentwicklung in der GPV (2/2) 5,0 Einnahmen und Ausgabenwachstum 4,0 in % des Vorjahreswertes. 3,0 2,0 1,0 0,0-1, Jahr Ausgabenwachstum Beitragseinnahmewachstums 2005 ohne KiBG: Beitragseinnahmenwachstum: 0,2%, Einnahmenwachstum: -0,5% Defizit: > 1 Mrd. Prof. Dr. Heinz Rothgang Folien Nr. 20
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