Vorstellung des WBA-Gutachtens: Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung
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- Elke Schreiber
- vor 6 Jahren
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1 Stand: Vorstellung des WBA-Gutachtens: Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung Rede Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes Es gilt das gesprochene Wort Anrede Politik ist die tätige Sorge um den Bestand einer sozialen Gruppe, so die Grunddefinition von Politik. Im Umkehrschluss bedeutet das auch: Wenn die Politik beschließt, sich nur noch auf freiwillige Vereinbarungen von Marktteilnehmern zu verlassen, dann gibt sie ihr Handeln auf. Und daher möchte ich zu Beginn meiner Bewertung des Gutachtens meiner Freude Ausdruck verleihen, dass der wissenschaftliche Beirat klarstellt, dass es ohne gesetzlichen Rahmen zur Verbesserung der Haltungsbedingungen, zum Schließen von gesetzlichen Schlupflöchern und auch zum besseren Vollzug der gesetzlichen Vorgaben nicht geht. Auch die Empfehlungen für eine deutliche Mittelaufstockung für Tierschutzmaßnahmen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU- Mitgliedsstaaten sind ein deutliches Signal für mehr Tierschutz. Die Leitlinien für eine zukunftsfähige Tierhaltung sind sehr zu begrüßen, da in ihnen unter anderem von uns bereits seit langem geforderte Punkte wie die Erhebung tierbezogener Kriterien, tiergerechtere Haltungsbedingungen sowie ein besserer Ausbildungsstand der Tierhalter gefordert werden. Dabei stehen im Besonderen die nicht-kurativen Eingriffe am Tier im Mittelpunkt, die millionenfachen Amputationen. Hier ist mit dem Gutachten der dringende - politische und gesetzgeberische - Handlungsbedarf nochmals angemahnt worden. Das Gutachten versucht die Debatte um eine Akzeptanz der Nutztierhaltung zu versachlichen. Sonst sagt man leicht, Versuchen kommt vor Versagen. Hier aber ist es gelungen, auch wenn kritische Anmerkungen bleiben. Auf diese will ich schlagwortartig eingehen. Grundtenor ist aus meiner Sicht, dass wir ein neues ethisches Bewusstsein in der Gesellschaft erreicht haben, dem wir uns alle zu stellen haben. Heute steht nicht mehr die Frage im Raum, OB etwas geändert werden muss, sondern WIE wir es ändern. Das bedingt auch neue politische Antworten, weil es mit schwarz-weiß nicht mehr getan ist.
2 Da geht es dann auch um Begrifflichkeiten, die zunehmend politisch-kommunikativ missbraucht werden. Insofern ist zu begrüßen, dass die Begriffe Tierschutz und Tierwohl klargestellt werden. Mein Eindruck aber ist, dass in dem Gutachten stärker hätte bewertet werden können, wie der Begriff Tierwohl bisher interessensgeleitet eingesetzt wird. Gerade wenn Teile der Branche diesen Begriff selbst genutzt haben, dann war damit kommunikativ eher gemeint: Im Tierschutz ist alles gut, man kann aber immer ein bisschen mehr machen, das ist dann eben Tierwohl. Und mir fehlt ein wenig die Reflexion des Begriffes Nutztier. Der Begriff wird kommentarlos genutzt, auch im Titel des Gutachtens, aber auch da wäre mit ethischen Maßstäben eine Debatte drüber wert. Zudem bleibt die Frage, ob der Titel des Gutachtens die eigentliche gesellschaftliche Problemstellung umfassend umreißt: Interessensgeleitet könnte jemand daraus folgern, dass dann offenbar alles nur um die Frage geht, wie die Tierhaltung den Bürgern wieder schmackhaft gemacht werden kann. Das aber würde dem Gutachten nicht gerecht werden. Falls noch Titeländerungen machbar sind, dann würden wir vorschlagen: Wege zu einer aus Tierschutzsicht akzeptablen Haltung und Ansprüche der Gesellschaft. Das Gutachten legt bei der Frage Bestandsgrößen auch wunderbar den Finger in die Wunde. Zwar steht die pauschale Aussage: Nach derzeitigem Kenntnisstand hat die Betriebsgröße ( ) einen vergleichsweise geringen Einfluss auf das Tierwohl voran. Aber es wird eben auch klargestellt, dass es nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema gibt. Für uns war immer klar, dass der Begriff Massentierhaltung die Herausforderungen nicht ausreichend beschreibt. Denn entscheidend sind die Rahmenbedingungen, d.h. die Haltungsvorgaben, die Qualifikation der Mitarbeiter/des Landwirts, das Management und weitere Faktoren. Natürlich kann ab einer gewissen Größe ein Tierbestand nicht mehr auf das Einzeltier bezogen kontrolliert werden. Deswegen gibt es eine tierschutzkritische Bestandsgröße. Und auch kleinere Bestände können unter Umständen den Tieren nicht gerecht werden, wenn die Haltungsbedingungen schlecht sind. Und deshalb beschreibt der Begriff Intensivhaltung oder industriell geprägte Tierhaltung es aus unserer Sicht besser. Ganz besonders erfreut hat mich, dass das Gutachten auch den Handel in die Pflicht nimmt. Eine Billigpreispolitik für Fleisch und tierische Produkte, zudem laut Gutachten in irreführender Form, muss beendet werden. Da braucht es eine Selbstverpflichtung, die im Gutachten zu Recht angemahnt wird. Der Handel als Brücke zum Verbraucher muss mehr als alle anderen die Frage beantworten: Ist erlaubt, was nicht verboten ist? Und wenn man dann derzeit erleben muss, dass einzelne Handelsunternehmen wieder den Mehrwert an Tierschutz oder Tierwohl nicht über Qualität, sondern über den Preis bewerben, dann bleiben nur Boykottaufrufe. 2
3 Da umwirbt ein Discounter die Branchenlösung mit Bildern, wie ein Landwirt ein Ferkel auf dem Arm trägt, mitten in einer hübschen Wiesenlandschaft. Oder da bewirbt ein Handelsunternehmen Eier von unkupierten Legehennen mit mehr Tierwohl und zugleich einem Aktionspreis pro 6er Karton für 1,15 Euro. Zu Recht weist das Gutachten darauf hin, dass freiwillige Vereinbarungen, so sie denn mit mehr Tierschutz verbunden sind, auch zusammengeführt werden sollten. Mit unserem zweistufigen Tierschutzlabel haben wir ein Angebot gemacht, daraufhin kamen weitere Angebote, bis hin zu der so genannten Branchenlösung. Da merke ich aber auch an, dass wir vor Legendenbildungen warnen. Im Gutachten wird angemerkt, dass das Tierschutzlabel noch keine ausreichende Marktdurchdringungen habe. Aber es wird eben auch klargestellt, dass Labels immer Zeit brauchen, um sich zu beweisen. Gut ist, dass das Gutachten die konzeptionellen Mängel der so genannten Branchenlösung aufzeigt. Wobei der Begriff Branche hier nicht passt, denn z.b.: Die Systemgastronomie ist noch nicht im Boot. Ob die Branchenlösung, wie das Gutachten formuliert, innovativ sein wird, wird dann auch davon abhängen, wie die Branche ihren Ansatz mit einem transparenten Label verbindet oder überhaupt verbinden will. Wir haben immer unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. Nur fehlten bisher die Rücksignale. Da mag das Gutachten nun dazu beitragen, dass sich alle bewegen. Wir haben Schritte getan. Wir wiederholen hier gerne unser Angebot: Ohne jede Rechnungsstellung sind wir gerne bereit, unseren Labelprozess abzutreten, damit daraus ein staatl. Label wird, vergleichbar dem Ökosiegel. Vielleicht erkennt das BMEL die Chance, einen fertigen, wissenschaftlich fundierten und am Markt etablierten Prozess zu übernehmen. Nur völlig unabhängig davon: Das Gutachten belegt unmissverständlich, dass ein Weiter wie bisher nicht mehr zukunftsorientiert ist. Insofern ist das Gutachten für uns alle vom Landwirt, der Fleischbranche, über den Handel, den Tierschutz bis zum Verbraucher - auch ein Pflichtenheft. Da gestatten Sie eine Anmerkung: Vielfach äußern Vertreter der Funktionärsebene des Deutschen Bauernverbandes oder der ISN immer: Die Tierschützer sollten endlich damit aufhören, den Landwirt immer als Tierquäler zu stigmatisieren. Das erlebe ich anders. Der seriöse Tierschutz hat den Landwirt immer als Partner gesehen, mit dem man gemeinsame und erste Schritte hin zu Lösungen umsetzt. Das Tierschutzlabel ist dafür ein besonderer Ausdruck. Anders gesagt, wer in Reden den Gegensatz Tierschutz und Landwirt immer wieder selbst äußert, als Bitte getarnt, hat offenbar Interesse daran, dass das Vorurteil lebt. Hierzu gehört auch, dass der Interessenskonflikt zwischen produktiver und hygienischer Tierhaltung auf der einen Seite und das Ermöglichen des Auslebens grundlegender Verhaltensweisen, beispielsweise durch Auslaufhaltung, nicht so groß ist, wie die Landwirtschaft ihn gerne darstellt. Diese Tatsache wird durch das Gutachten bestätigt. 3
4 Der Veredelungspräsident des Deutschen Bauernverbandes hat mir einmal gesagt: Herr Schröder, Sie müssen erst einmal das Vertrauen des Landwirts gewinnen. Da antworte ich heute, auch mit Blick auf das Gutachten: Herr Röring, wenn Sie das uns auferlegen, dann gilt das für Sie andersherum auch: Schüren Sie keine Vorurteile, beteiligen Sie sich am Brückenbau: Der Landwirt, der Tierschützer: Deine Partner. Landwirt ist ein auch von uns anerkanntes Berufsbild. Jeder Landwirt muss das Recht haben, seine Familie ernähren zu dürfen und dafür hat er auch gesellschaftlichen Respekt und Anerkennung verdient. Aber es darf keine Debatte darüber geben, dass dafür ein Rahmen nötig ist, mit dem das Tier ebenso gewürdigt wird, und der gesellschaftlich dann auch akzeptiert ist. Da helfen keine Idyllbilder, das merkt das Gutachten auch zu recht an. Und ich bin nicht bange davor, einfach realistisch die heutige Tätigkeit eines Landwirts darzustellen. Dabei darf es nicht nur um die belastende Bürokratie gehen, die häufig seitens der Landwirte beklagt wird, sondern dann bitte auch um die Echtbilder aus den Ställen. Was besonders zu betonen ist, ist dass das Gutachten auch all` denen eine Absage erteilt, die immer noch daran glauben, mit mehr Fleischkonsum sei die Lage beherrschbar. Wir dürfen nicht vor einer Verzichtsdebatte ausweichen. Veggie Day hin oder her: Der ist doch schon Realität, den Veggie Day leben viele schon aus der Verantwortung heraus. Und die Alternative kann nicht sein, zunehmend über Export Märkte zu sichern. Da zerstören wir weltweit, nicht nur national Märkte Importware billiger als heimische Ware sondern auch Lebensräume. Und wir dürfen, wenn die Politik wirklich die Sorge um den Bestand umtreibt, wie ich zu Beginn sagte, nicht vor einer Subventionsdebatte ausweichen. Mindestens im Übergang ist der Staat gefordert, auch weil er jahrzehntelang nahezu untätig einer Entwicklung Platz gelassen hat, die das Gutachten erst nötig machte. In diesem Zusammenhang zu loben sind die Empfehlungen des Gutachtens: Zum einen sollen die Mittel aus der 2. Säule (Entwicklung des ländlichen Raums) vermehrt für Tierschutzmaßnahmen verwendet werden. Zum anderen sollen mehr Mittel als bisher aus der 1. Säule in die 2. Säule transferiert werden und drittens soll die GAP grundlegend umstrukturiert werden, um mehr Tierschutzförderung zu ermöglichen. Im letzten Sommer war auf der Focus-Sachbuchbestsellerliste auf Platz 1: Webers Grillbibel. Auf Platz 2 dann aber auch: Vegan for fit. Auch das kennzeichnet die veränderte gesellschaftliche Debatte. Wir diskutieren viel über die Geschlechtererkennung am Ei, um das millionenfache Töten männlicher Küken zu beenden. Wir diskutieren oft darüber, hornlose Rinder zu züchten, um sie in das System hinein zu passen. Wir müssen aber viel mehr darüber diskutieren, wie wir mit einem Zweinutzungshuhn männlichen Küken das Leben geben können und wie wir Rinder mit Hörnen so halten, dass weder Landwirt noch Tier gefährdet sind. 4
5 Und wenn wir heute eine Gesetz haben, wonach Ferkel bei der Kastration betäubt werden, weil der Eingriff schmerzvoll ist, stellt sich zwangläufig die Frage: Warum lassen wir die Enthornung bei Rindern immer noch ohne Betäubung zu? Um auf den Anfang meiner Bewertung zurückzukommen: Heute ist endgültig der Startpunkt der Debatte Wie ändern wir und der Endpunkt der Debatte Ob. Das Gutachten ist dafür Ausdruck und wir sind dabei gerne Partner aller Beteiligten. Klar muss aber auch sein: Egal welche Regeln und welche Gesetze sich nun ändern, jedem werden wir am Ende die Frage stellen: Darf denn überhaupt erlaubt sein, was nicht verboten ist? Danke. 5
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