Therapietreue. Prof. Dr. Volker Groß. Begriffsbestimmungen
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- Elisabeth Schmid
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1 Therapietreue Prof. Dr. Volker Groß Begriffsbestimmungen Die aus dem Englischen stammenden Begriffe Compliance und Adherence bedeuten das Einhalten/die Befolgung von Regeln. In der Medizin wird damit die Therapietreue des Patienten bezeichnet. Dies bedeutet, dass die verordneten Medikamente korrekt eingenommen werden und auch weitere Verhaltensmaßnahmen, wie z.b. Diätvorschriften eingehalten werden. Hält der Patient die Thera pie nicht ein, spricht man von Non- Compliance bzw. Non-Adherence. Die Begriffe Compliance und Adherence bezeichnen somit im Ergebnis dasselbe, sie stehen jedoch für unterschiedliche Konzepte der Arzt-Patienten-Beziehung (Abb. 1). Der Begriff Compliance stammt aus dem traditionellen, paternalistischen Modell der Arzt-Patientenbeziehung, das durch die Autorität und alleinige Entscheidungssouveränität des Arztes charakterisiert ist. Dies bedeutet, dass der Patient die Vorschriften des Arztes befolgt, ohne in den Entscheidungsprozess einbezogen zu werden. Der Begriff Adherence stammt aus dem informativen Modell, das durch eine partnerschaftliche Arzt-Patientenbeziehung charakterisiert ist. In der partner- 24 Medikamente
2 Abb. 1: Konzepte der Arzt-Patienten-Beziehung Paternalistisch Autorität des Arztes Entscheidungssouveränität des Arztes Compliance Informativ Partnerschaftliche Beziehung zwischen Arzt und Patient Partizipative Entscheidungsfindung Adherence schaftlichen Beziehung findet eine partizipative Entscheidungsfindung statt, an der Arzt und Patient gleichermaßen beteiligte Partner sind. Dies erfordert eine umfangreiche Information des Patienten als Basis für seine Zustimmung zur Therapie. Umfragen unter der Allgemeinbevölkerung und Ärzten zeigten, dass die Mehrzahl der Allgemeinbevölkerung und der Ärzte die partizipative Entscheidungsfindung bevorzugen (Abb. 2). Aus diesem Grund wird heutzutage der Begriff Compliance immer mehr durch den Begriff Adherence ersetzt. Im Folgenden werden beide Begriffe parallel verwendet. Wie groß ist das Problem der mangelnden Therapietreue? Ähnlich wie bei anderen chronischen Erkrankungen wurde auch bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen festgestellt, dass ein recht hoher Abb. 2: Wer soll die Behandlung bestimmen? Arzt Patient Gemeinsam Bevölkerungsbefragung* 26% 23% 51% Bevölkerungsbefragung** 28% 14% 58% Ärztebefragung** 21% 8% 67% * Telefoninterviews mit 8119 Befragten in acht europäischen Ländern (Coulter A, Magee M, The European Patient of the Future. Open University Press). ** Umfrage bei 9146 Personen, bzw. 500 Ärzten in Deutschland (Böcken J et al.: Der Gesundheitsmonitor 2004, Bertelsmann Stiftung). Medikamente 25
3 Prozentsatz die Therapie nicht befolgt (Non-Compliance/Adherence). So wurde bei Patienten mit Colitis ulcerosa eine Non-Compliance/Adherence-Rate von 20 bis 50 Prozent festgestellt. Welche Konsequenzen hat das für die Behandlung? Welche Ursachen bedingen die Non-Compliance/Adherence? Wie kann die Compliance/Adherence-Rate verbessert werden? Patienten, die eine Langzeittherapie nicht einhalten, haben ein erhöhtes Risiko für Erkrankungsrückfälle (Rezidive). Beispielhaft sollen die Ergebnisse von zwei Studien zitiert werden. In einer Studie zur Remissionserhaltung der Colitis ulcerosa mit Mesalazin betrug die Rezidivrate nach einem Jahr 22 Prozent. 86 Prozent der Patienten mit Rezidiv hatten die Therapie nicht ausreichend befolgt. Die Non-Compliance/ Adherence erhöhte somit das Rezidivrisiko 5,5-fach. In einer Studie zur Remissionserhaltung mit Azathioprin zeigte sich, dass nach zwei Jahren die Patienten, die in Remission verblieben, höhere Medikamentenspiegel im Blut aufwiesen als die Patienten, die einen Schub entwickelten. Bei 13 Prozent der Patienten fanden sich keine messbaren Medikamentenspiegel, d.h. es musste davon ausgegangen werden, dass diese Patienten das Medikament gar nicht mehr eingenommen hatten. Ursachen der mangelnden Therapietreue bei Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung Die Befragung von 326 kanadischen Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung nach Faktoren, welche die Einnahme der Medikamente negativ beeinflussen, ergab folgende Antworten: Medikamente zu teuer (25 Prozent), Einnahme vergessen oder zu beschäftigt, um die Medikamente einzunehmen (15 Prozent), Medikamente nicht dabei (sechs Prozent), Medikamente verursachen unangenehme Nebenwirkungen (13 Prozent), Medikamente erinnern mich an meine Erkrankung (12 Prozent), bin von 26 Medikamente
4 der Wirkung der Medikamente nicht überzeugt (12 Prozent), zu viele oder zu häufige Tabletten-Einnahme (14 Prozent). Auch wenn die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen zu Ursachen der Non-Compliance/Adherence nicht einheitlich sind, lassen sich doch einige allgemeingültige Feststellungen treffen: Krankheitsbezogene Faktoren Die bereits oben zitierte kanadische Studie zeigte, dass die Compliance/Adherence von Patienten mit Morbus Crohn besser ist (85 Prozent) als von Patienten mit Colitis ulcerosa (59 Prozent). Eine mögliche Erklärung könnte die größere krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Crohn- Patienten sein. Offensichtlich hat die Schwere und die Ausdehnung der Erkrankung einen Einfluss auf die Compliance/Adherence. Im akuten Schub ist die Compliance/Adherence besser als in der Remissionserhaltung. Für die Mesalazin-Behandlung fand sich in der akuten Phase eine Non-Compliance/Adherence-Rate von 20 Prozent, in der Remissionserhaltung von 50 Prozent. Bei Patienten mit Colitis ulcerosa zeigte sich ferner, dass eine langfristige Mesalazin-Therapie umso besser befolgt wird, je ausgedehnter die Colitis ist. Therapiebezogene Faktoren Zu den therapiebezogenen Faktoren zählt die Art der Medikation. Die vorliegenden Daten sind nicht einheitlich. Die Befragung von 214 Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung in einer Universitätsambulanz in Spanien ergab für die Mesalazin-Therapie eine Compliance/Adherence-Rate von nur 55 Prozent, für die Azathioprin-Therapie jedoch eine bessere Compliance/Adherence- Rate von 75 Prozent. Die oben erwähnte kanadische Studie fand allerdings eine vergleichbare Compliance/Adherence- Rate für Mesalazin und für Azathioprin (73 bzw. 75 Prozent). Die langfristige Mesalazin-Einnahme wird durch eine einmal tägliche Gabe im Vergleich zur zwei- oder dreimal täglichen Gabe verbessert. Eine kontrollierte Studie zur Remissionsinduktion der aktiven Colitis ulcerosa mit Mesalazin-Pellets 1 x 3g täglich vergleichen mit 3 x 1g täglich zeigte, dass Patienten eindeutig die einmal tägliche Medikamenteneinnahme bevorzugten. Bezüglich der Wirksamkeit waren die einmal tägliche Mesalazin-Gabe und die dreimal tägliche Gabe identisch. In der Dauertherapie zur Remissionserhaltung scheint Mesalazin 1 x 2g/Tag sogar etwas wirksamer zu sein als in der geteilten Dosierung von 2 x 1g/Tag. Ein besonderes Compliance/Adherence-Problem stellt bei Patienten mit Colitis ulcerosa die rektale Therapie dar. Der Medikamente 27
5 Vergleich zwischen Mesalazin-Tabletten und Mesalazin-Klysmen (Einläufen) ergab, dass die Compliance/Adherence für die Klysmen um zirka 1 /3 schlechter war. Die Akzeptanz der rektalen Therapie kann möglicherweise durch Schaumpräparate verbessert werden, die gleichermaßen wirksam sind wie Klysmen, aber in der Regel zu weniger Beschwerden bei der Anwendung (Probleme mit dem Halten) führen. Patientenbezogene Faktoren Patientenbezogene Faktoren haben einen starken Einfluss auf die Compliance/Adherence. Die publizierten Daten bezüglich der patientenbezogenen Faktoren sind jedoch besonders uneinheitlich. Die meisten Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass Personen, die in einem Test zur Persönlichkeitsstruktur den Charakterzug der Verträglichkeit haben, in höherem Maße zu guter Compliance/Adherence neigen. Auf der anderen Seite sind psychiatrische Erkrankungen, wie z.b. Depressionen, Compliance/Adherence hemmend. Darüber hinaus wird die Compliance/Adherence durch die Einsicht in die Erkrankung gefördert, aber durch die Krankheitsverdrängung behindert. Für Frauen sind jüngeres Alter, für Männer Single-Status sowie Vollzeitbeschäftigung Compliance/ Adherence hemmende Faktoren. Arzt-Patienten-Beziehung Ein wesentlicher Faktor der Compliance/Adherence ist die Arzt-Patienten- Beziehung. Eine schlechte Arzt-Patienten-Beziehung reduziert bei Patienten ohne Leidensdruck die Compliance/ Adherence-Rate deutlich. Dies konnte im Rahmen einer prospektiven Studie mit 153 Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung gezeigt werden (Abb. 3). Abb. 3: Arzt-Patienten-Beziehung und Compliance/Adherence Rate der Non-Adherence Patienten ohne Leidensdruck Patienten mit Leidensdruck Diskordanz 28 Medikamente
6 Optimierung der Therapietreue Compliance/Adherence ist ein wichtiger Faktor für den Therapieerfolg bei der Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen. Die Non-Compliance/Non-Adherence ist kein Problem des Patienten, sondern ein Problem der Arzt-Patienten-Beziehung. Eine partnerschaftliche Arzt-Patienten-Beziehung ist eine wichtige Voraussetzung für die Therapietreue. Das offene, ausführliche Gespräch zwischen Arzt und Patient ist der Schlüssel zum Erfolg. Der Arzt muss den Bildungs- und Kenntnisstand des Patienten berücksichtigen, diagnostische und therapeutische Maßnahmen ausführlich erläutern und die Therapie so einfach wie möglich gestalten. Er hat auf die individuellen Bedürfnisse und insbesondere die Ängste des Patienten Rücksicht zu nehmen. Bei Wiederholungsbesuchen sollte der Patient bezüglich der Therapietreue Prof. Dr. med. Volker Groß ist Chefarzt der Medizinischen Klinik II am Klinikum St. Marien Amberg. befragt werden; im Falle der Non-Compliance/Adherence sollten die Gründe dafür vorwurfsfrei erfragt werden. Dadurch kann das gemeinsame Ziel von Arzt und Patient, nämlich die Linderung der Erkrankung und die Besserung der Lebensqualität des Patienten zuverlässiger erreicht werden.?! Compliance/Adherence (Therapietreue) ist ein wichtiger Faktor für den Therapieerfolg bei der Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen. Nicht eingenommene Medikamente können auch nicht wirken. Dennoch ist die Rate der nicht therapietreuen Patienten hoch. Gründe für die mangelnde Therapietreue können in der Krankheit (z.b. weniger Compliance in der Remission), in der Therapie (z.b. Dosierungsform) oder in der Person des Patienten begründet sein (z.b. weniger Compliance bei jungen Singles), es gilt aber auch: Die mangelnde Therapietreue ist kein Problem des Patienten, sondern ein Problem der Arzt-Patienten-Beziehung. Eine partnerschaftliche Arzt- Patienten-Beziehung ist eine wichtige Voraussetzung für die Therapietreue. Medikamente 29
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