Bußgeldpraxis des Bundeskartellamtes
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1 FIW-Ferienkurs, Wiesbaden 21. September 2011 Dr. Justus Herrlinger
2 A. Bestandsaufnahme 21. September 2011
3 Bußgelder 2011 Monat Branche Gesamtsumme ( ) Anzahl Unternehmen* Hauptvorwürfe (Absprache) August Betonrohre 12 Mio. 2 Preise, Quoten, Aufträge Juli Feuerwehrdrehleitern 17,5 Mio. 1 Preise, Aufträge Mai Interseroh 0,2 Mio. 1 Vollzugsverbot März Konsumgüter 38 Mio. 3 Informationsaustausch Februar Feuerwehrlöschfahrzeuge 20,5 Mio. 3 Preise, Quoten Januar HaGe ZG Raiffeisen 0,4 Mio. 1 Vollzugsverbot Januar Pappteller 1 Mio. 5 Preise, Kundenschutz * ohne nat. Pers. und Verbände 3
4 Bußgelder 2010 Monat Branche Gesamtsumme ( ) Anzahl Unternehmen* Hauptvorwürfe (Absprache) Dezember Chemiegroßhandel Preise, Quoten Oktober Druckchemikalien 0,7 Mio. 2 Preise September Fluglinien 1,2 Mio. 1 Preise August Dampfkessel 91 Mio. 1 Ausschreibungen Juni Kabelfüllmischungen 0,4 Mio. 1 Preise Juni Brillengläser 115 Mio. 5 Preisteile/Informationsaustausch Juni Kaffeeröster 30 Mio. 8 Preise März Baustoffhandel 13,4 Mio. 2 Preise * ohne nat. Pers. und Verbände 4
5 B. Theorie 21. September 2011
6 81 Abs. 4 GWB Die Ordnungswidrigkeit kann ( ) mit einer Geldbuße bis zu einer Million Euro geahndet werden. Gegen ein Unternehmen ( ) kann über Satz 1 hinaus eine höhere Geldbuße verhängt werden; die Geldbuße darf 10 vom Hundert des in der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes ( ) nicht übersteigen. Bei der Ermittlung des Gesamtumsatzes ist der weltweite Umsatz aller natürlichen und juristischen Personen zugrunde zu legen, die als wirtschaftliche Einheit operieren. ( ) 6
7 17 Abs. 3 OWiG Grundlage für die Zumessung der Geldbuße sind die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft. Auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters kommen in Betracht; bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten bleiben sie jedoch in der Regel unberücksichtigt. 7
8 Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamtes 1. Grundbetrag Der Grundbetrag berücksichtigt die Schwere und Dauer des Verstoßes. Er kann bis zu 30% des für die gesamte Dauer der Zuwiderhandlung zugrunde gelegten tatbezogenen Umsatzes betragen. 2. Anpassungsfaktoren Zur Abschreckung kann Grundbetrag um bis zu 100% erhöht werden. Erschwerende Umstände, insbesondere schwere Form von Vorsatz, Wiederholungstat, besonders aktive Rolle im Kartell, hoher Organisationsgrad, Androhung von Vergeltungsmaßnahmen Mildernde Umstände, insbesondere Nachtatverhalten, passive Rolle 8
9 Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamtes Tatbezogener Umsatz ist der von dem betroffenen Unternehmen mit den Produkten bzw. Dienstleistungen, die mit der Zuwiderhandlung in Zusammenhang stehen, erzielte inländische Umsatz. Hinsichtlich der Schwere der Zuwiderhandlung berücksichtigt das Bundeskartellamt tatbezogene Zumessungsfaktoren wie die Art der Zuwiderhandlung, die Auswirkungen auf den Markt, die Marktposition aller beteiligten Unternehmen, die Größe und Bedeutung des betroffenen Marktes. Bei Preis-, Quoten-, Gebietskartellen und Kundenabsprachen ( ) liegt der Grundbetrag in der Regel im oberen Bereich des höchst möglichen Grundbetrages. 9
10 Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamtes Kappungsgrenze : Liegt die [nach den Leitlinien] berechnete Geldbuße oberhalb von 10% ( ) des von dem an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen ( ) im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes, kappt das Bundeskartellamt gemäß 81 Abs. 4 Satz 2 GWB die Geldbuße. Bei der Berechnung des Gesamtumsatzes eines Unternehmens, welches mit einem anderen Unternehmen verbunden ist, berücksichtigt das Bundeskartellamt die Umsätze der miteinander verbundenen Unternehmen. ( ) 10
11 Lehrbuchbeispiele M M 50 Mio. 50 Mio. 250 Mio. T1 A T2 A 50 Mio. 100 Mio. 50 Mio. 25 Mio. = 10 % 100 Mio. 25 Mio. = 25 % 25 % = 25 Mio. 25 % = 25 Mio. Kappung des Bußgeldes bei 10 Mio. 11
12 C. Praxis 21. September 2011
13 Verfahrensbeendigung in der Praxis I Normalfall (inzwischen seltene Ausnahme) Ermittlungen Beschuldigungsschreiben Akteneinsicht und Stellungnahme (rechtl. Gehör) Bußgeldbescheid oder ggf. (Teil-)Einstellung 13
14 Verfahrensbeendigung in der Praxis II Settlement a. echtes Settlement Durchsuchung Settlementangebot inkl. ggf. sehr eingeschränkter Akteneinsicht Verhandlung unter Vorbehalt eines weitgehenden Geständnisses Abgekürzter Bußgeldbescheid mit 10%-Abschlag b. unechtes Settlement Wie Normalfall bis vor Bußgeldbescheid Verhandlung unter Vorbehalt eines weitgehenden Geständnisses Abgekürzter Bußgeldbescheid mit 10%-Abschlag 14
15 Unbekannte in der Gleichung Tatbezogener Umsatz Betroffene Produkte und Dienstleistungen Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen Zeitraum Prozentsatz für Grundbetrag Z.B. Qualität der Verstöße Anpassungsfaktoren Z.B. Rolle im Kartell Individuelle Faktoren / Verschulden?! Kein mathematisches Ergebnis der Bußgeldbemessung! 15
16 Problemfälle für die Bußgeldleitlinien Ein-Produkt-Unternehmen 30% des tatbezogenen Umsatzes = 30% des Gesamtumsatzes Bei mehrjährigem Verstoß oder Erhöhungsfaktoren (z.b. Wiederholungstäter): Bußgeld u.u. > Jahresumsatz Kappungsgrenze; aber Berücksichtigung von z.b. mitkontrollierenden Holdinggesellschaften? Finanzinvestoren? Große Konsumgüter- oder Handelsunternehmen mit sehr hohen Umsätzen in einzelnen Produktbereichen Es errechnen sich Bußgelder in aberwitzigen Höhen Eindämmung der Berechungsgrundlage erforderlich Umso unbestimmter Absprachen, desto höher Bußgeld Typisches Problem bei Vorwurf des Informationsaustauschs GF eines diversifizierten Unternehmens mit Produkten: Wir wollen 2012 die Preise um ca. 5-7% anheben. 16
17 Zwischen Mathematik und Bazar I Objektiv bestehende Schwächen der Leitlinien können zu erkennbar unangemessenen rechnerischen Ergebnissen führen Reduzierungen zwischen erster Äußerung des Amtes zur Bußgeldhöhe und endgültigem Bußgeld um > 50% nicht selten Pseudoverhandlungen führen zu Rechtsunsicherheit und vermeidbaren Differenzen Erhebliche Schwierigkeiten bei der bilanziellen Bildung von Rückstellungen Rolle von Bonusanträgen als Reduzierungsinstrumente 17
18 Zwischen Mathematik und Bazar II Individuelle Gesichtspunkte drohen, nicht angemessen berücksichtigt zu werden Individuelle Rolle des Unternehmens im Kartell Interessenlage des Unternehmens an Absprachen Tatsächliches Verhalten des Unternehmens Auswirkungen am Markt Aber: Prozentsatz wird einheitlich für alle betroffenen Unternehmen angewendet Tatbezogener Umsatz berücksichtigt nur generelle wirtschaftliche Bedeutung des Unternehmens Mildernde Umstände werden außerhalb der Bonusregelung und des Settlements praktisch nicht angewendet Vereinbarkeit mit Schuldprinzip? 18
19 D. Zukunft? Verfassungsrechtliche Fragen 21. September 2011
20 Inkrafttreten Im Rahmen der 7. GWB-Novelle: 81 Abs. 4 GWB in erster Fassung wurde am 12. Juli 2005 verkündet Sollte unbeabsichtigt bereits am 1. Juli 2005 in Kraft treten Verstoß gegen Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) Neuverkündung am 22. Dezember 2007 aus Gründen der Rechtssicherheit 20
21 Inkrafttreten Umstrittene Rechtsfolge: Inkrafttreten am 13. Juli 2005? (Auslegung nach gesetzgeberischem Willen, keine Schutzbedürftigkeit des Normadressaten) 27. Juli 2005 (Art. 82 Abs. 2 GG)? 22. Dezember 2007? (neues Gesetz hebt altes stets auf?) Ggf. Geltung bis dahin: a) Fortgeltung des alten Rechts inkl. Mehrerlösbuße b) nur Regelbuße (bis ) c) Keine Bußgeldvorschrift, weil alte Vorschrift aufgehoben, aber keine neue wirksam 21
22 10%-Grenze als Kappungs- oder Obergrenze? Kappungsgrenze (BKartA) Bußgelder in unbegrenzter Höhe denkbar, die aber bei 10% gekappt werden 30% des tatbezogenen Umsatzes kann im Ausgangspunkt zu z.b. 100% des Gruppenumsatzes führen ABER: Fehlen der absoluten Obergrenze verfassungswidrig? Obergrenze (OLG Düsseldorf) Bußgelder wären im Rahmen von 0-10% des Gruppenumsatzes zu verhängen Konsequenz: mittelschwere Fälle wären mit 5% des Gruppenumsatzes zu ahnden, besonders schwere Fälle mit z.b. 9% Kann zu höheren durchschnittlichen Bußgeldern führen 22
23 Wirtschaftliche Einheit als Bezugsgröße der 10%-Grenze Kein Begriff des deutschen Rechts Keine Haftungszurechnung nach oben außerhalb geltenden Rechts (AktG, OWiG) Deutliche Übersanktionierung der betroffenen Tochtergesellschaft möglich Keine rechtliche Einstandspflicht der Muttergesellschaft Konsequenz der Zahlungsunfähigkeit, 17 InsO? Verstoß gegen Grundsatz der schuldangemessenen Strafe? 23
24 Fazit Rechtsgrundlagen und Verwaltungspraxis im Kartellbußgeldrecht sind stark an EU-Recht angepasst worden Verschiedene gesetzliche Maßnahmen sollen den wirtschaftlichen Realitäten gerecht werden und zu angemessenen Bußgeldern führen Bemerkenswert viele gesetzgeberische Unfälle und Ungereimtheiten Rechtssichere Umsetzung in der Praxis schwierig Viele offene Fragen für die (Verfassungs-)Gerichte 24
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