Einleitung. 1 Nach einer empirischen Untersuchung aus dem Jahre 2007 enthalten allein 73 % der. 3 BT-Drs. 16/7918, 1.

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Transkript:

Einleitung Die Erbschaftsteuerreform 2009 hat die erbschaft- und schenkungsteuerliche Relevanz gesellschaftsvertraglicher Abfindungsklauseln 1 grundlegend verändert. Beschränken die Gesellschafter ihre Abfindungsansprüche auf einen Wert unterhalb des Verkehrswerts des Gesellschaftsanteils oder schließen sie die Abfindungsansprüche vollständig aus, erfahren die in der Gesellschaft verbleibenden Gesellschafter oder die Gesellschaft selbst beim Ausscheiden eines Gesellschafters einen Vermögenszuwachs. Die mit diesem Vermögenszuwachs verbundene Bereicherung unterliegt nach 3 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 2, 3 ErbStG und nach 7 Abs. 7 ErbStG der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Obwohl diese Vorschriften in leicht veränderter Form bereits mit der Erbschaftsteuerreform 1974 in das Erbschaftsteuergesetz aufgenommen wurden, führten sie bislang ein Schattendasein, da bis zur Erbschaftsteuerreform 2009 die erbschaft- und schenkungsteuerlichen Werte von Anteilen an Personen- und Kapitalgesellschaften regelmäßig weit unter deren Verkehrswerten lagen. Die erbschaft- und schenkungsteuerliche Bereicherung des Erwerbers des Gesellschaftsanteils entsprach nicht seiner wirtschaftlich tatsächlichen Bereicherung. Angesichts der deutlichen Diskrepanz zwischen Steuerwert und Verkehrswert sowie der zivilrechtlichen Grenzen, denen gesellschaftsvertragliche Abfindungsbeschränkungen unterliegen, vereinbarten die Gesellschafter in der Regel Abfindungen, die dem erbschaft- und schenkungsteuerlichen Wert entsprachen. Hierdurch konnten die widerstreitenden Interessen zwischen Gesellschaft und ausscheidendem Gesellschafter in Einklang gebracht werden, ohne dass dies erbschaft- und schenkungsteuerliche Folgen auslöste. Abfindungen unterhalb der Steuerwerte wurden nur in Ausnahmefällen vereinbart. 2 Mit der Erbschaftsteuerreform 2009 wurden die Bewertungsvorschriften neu gefasst. Die erbschaft- und schenkungsteuerliche Bewertung orientiert sich seitdem einheitlich an dem Verkehrswert der Vermögensgegenstände. 3 Danach sollte die erbschaft- und schenkungsteuerliche Bereicherung nunmehr der tatsächlichen Bereicherung entsprechen. Ob durch die Neuformulierung der 1 Nach einer empirischen Untersuchung aus dem Jahre 2007 enthalten allein 73 % der Gesellschaftsverträge von Gesellschaften bürgerlichen Rechts Regelungen über den Abfindungsanspruch (C. Wangler/R. Dierkes, DS 2007, 94 (98)). 2 M. Jülicher, ZErb 2008, 214 (215). 3 BT-Drs. 16/7918, 1.

2 Einleitung Bewertungsvorschriften ein stetiger Gleichklang von erbschaft- und schenkungsteuerlichen Werten und Verkehrswerten erreicht wurde, bedarf allerdings einer genaueren Untersuchung. Die Belastung der mit dem Ausscheiden gegen Minderabfindung verbundenen Bereicherung wird als systemfremd angesehen. 4 Der Erbschaft- und Schenkungsteuer unterliege der unentgeltliche Vermögenserwerb. Gesellschaftsvertragliche Abfindungsklauseln seien jedoch eine entgeltliche, gegenseitige Vereinbarung oder eine die Unentgeltlichkeit ausschließende gesellschaftsvertragliche Beitragsmodalität. Der Gesetzgeber geht indessen davon aus, dass es aus Gründen der Steuergerechtigkeit geboten erscheint, die objektive Bereicherung beim Ausscheiden gegen Minderabfindung erbschaft- und schenkungsteuerlich zu erfassen. 5 Nach einem Überblick über die gesellschaftsrechtliche Ausgangssituation und der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Behandlung von gesellschaftsvertraglichen Abfindungsklauseln in der Vergangenheit wird dieser Grundsatzkritik in einem eigenen Kapitel nachgegangen. Losgelöst von den Tatbeständen des 3 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 2, 3 ErbStG und des 7 Abs. 7 ErbStG wird untersucht, inwieweit sich die Besteuerung der mit dem Ausscheiden gegen Minderabfindung verbundenen Bereicherung in das System der Erbschaft- und Schenkungsteuer einfügen lässt. Dabei wird auf die Fragen eingegangen, inwieweit das Ausscheiden gegen Minderabfindung zu einem unentgeltlichen Vermögenserwerb bei den Gesellschaftern und der Gesellschaft führt, worin der Gegenstand des Vermögenserwerbs besteht und womit sich die Besteuerung rechtfertigen lässt. Kern der Untersuchung bildet das dritte Kapitel. Darin werden die gesetzlichen Regelungen des 3 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 2, 3 ErbStG und des 7 Abs. 7 ErbStG einer genaueren Betrachtung unterzogen. Diese Vorschriften werden im Schrifttum scharf kritisiert. Sie seien konfus und sprachlich missglückt. Insbesondere die Grundtatbestände offenbarten viele Ungereimtheiten. 6 Aufbauend auf den im zweiten Kapitel gefundenen Ergebnissen wird analysiert, ob dem Gesetzgeber mit den Tatbeständen des 3 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 2, 3 ErbStG und 7 Abs. 7 ErbStG eine systemgerechte und widerspruchsfreie 4 Siehe z. B. D. Gebel, DStR 1993, 325 (330); H. Hübner/M. Maurer, ZEV 2009, 361 (362); J. Neumayer/C. Imschweiler, DStR 2010, 201 (204). 5 BT-Drs. VI/3418, 62. 6 M. Fischer in: F/J/P/W, ErbStG, 3 Rz. 432; H. Hübner/M. Maurer, ZEV 2009, 361 (363); E. Wälzholz in: Viskorf/Knobel/Schuck, ErbStG, 3 Rz. 155.

Einleitung 3 Umsetzung seines gesetzgeberischen Willens gelungen ist. Ausgehend von der geübten Kritik werden bestehende dogmatische Schwächen herausgearbeitet und Lösungsansätze entwickelt. Exemplarisch wird die Untersuchung stellvertretend für das Ausscheiden gegen Minderabfindung aus einer Personengesellschaft auf die Rechtslage bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts beschränkt. Auf die Rechtslage bei der Offenen Handelsgesellschaft, der Kommanditgesellschaft sowie der Partnerschaftsgesellschaft wird eingegangen, wenn sie sich von der Rechtslage bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts unterscheidet und dies Auswirkung auf die erbschaft- und schenkungsteuerliche Behandlung hat/haben könnte. Stellvertretend für das Ausscheiden gegen Minderabfindung aus einer Kapitalgesellschaft beschränken sich die Ausführungen auf die Rechtslage bei der GmbH.

Kapitel I: Gesellschaftsrechtliche Grundlagen und Rechtsentwicklung A. Die zivilrechtliche Ausgangslage I. Das Ausscheiden aus der Gesellschaft und der Abfindungsanspruch Unter dem Oberbegriff Ausscheiden eines Gesellschafters lassen sich Vorgänge zusammenfassen, bei denen der Gesellschafter seine Gesellschafterstellung verliert. Unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Rechtsfolgen ein Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet, hängt von der jeweiligen Rechtsform der Gesellschaft ab. 1. Personengesellschaft Der Gesellschafter einer Personengesellschaft kann auf verschiedene Weise mit teils unterschiedlichen Rechtsfolgen seine Gesellschafterstellung verlieren. Ein Ausscheiden im engen Sinne liegt vor, wenn der Gesellschafter auf Grund einer Einigung mit den Mitgesellschaftern oder auf Grund des Eintritts bestimmter, in der Person des Gesellschafters begründeter Umstände (z. B. Tod oder Insolvenz des Gesellschafters, Kündigung) seine Gesellschafterstellung verliert und der Gesellschaftsanteil untergeht. 7 Als Ausscheiden im weiten Sinne ist der Verlust der Gesellschafterstellung zu bezeichnen, bei dem der Gesellschaftsanteil auf einen Rechtsnachfolger übergeht (z. B. Anteilsübertragung, Übergang auf Grund Nachfolgeklausel). Die Rechtsfolgen des Ausscheidens im engen Sinne ergeben sich einheitlich aus den 738 740 BGB (i. V. m. 105 Abs. 3, 161 Abs. 2 HGB, 1 Abs. 4 PartGG). Mit dem Ausscheiden geht der Gesellschaftsanteil unter und die an ihm bestehenden Rechte und Pflichten erlöschen. 8 Nach 738 Abs. 1 Satz 1 BGB wächst der Anteil des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern zu. Als Ausgleich erhält der ausscheidende Gesell- 7 Für die OHG und die KG folgt dies aus 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 4, 161 Abs. 2 HGB; für die PartG aus 9 PartGG. Nach dem gesetzlichen Leitbild der 723 728 BGB wird die GbR in diesen Fällen aufgelöst. Ist hier auch nur das Ausscheiden des Gesellschafters gewollt, ist hierfür eine gesellschaftsvertragliche Fortsetzungs- oder Nachfolgeklausel erforderlich. 8 H. Hübner/M. Maurer, ZEV 2009, 361 (364); K. Schmidt in: MünchKomm. HGB, 131 Rz. 98.

A. Die zivilrechtliche Ausgangslage 5 schafter einen Anspruch gegenüber der Gesellschaft auf Zahlung desjenigen, was er bei der Auseinandersetzung erhalten würde, wenn die Gesellschaft zum Zeitpunkt des Ausscheidens aufgelöst worden wäre ( 738 Abs. 1 Satz 2 Var. 3 BGB; sog. Abfindungsanspruch). Die Höhe des Anspruchs richtet sich jedoch entgegen dem Wortlaut des 738 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht nach dem Liquidationswert, sondern nach dem Fortführungswert. 9 Dies ist der Wert, den die Beteiligten bei Veräußerung des Unternehmens im Zeitpunkt des Ausscheidens erzielen könnten. 10 Der Gesellschafter erhält als Ausgleich somit den Anteil an dem Verkehrswert des fortgeführten Unternehmens der Gesellschaft. 11 Verliert der Gesellschafter seine Gesellschafterstellung, weil sein Gesellschaftsanteil als solcher auf einen Rechtsnachfolger übergeht (Ausscheiden im weiten Sinne), sind die Vorschriften der 738 740 BGB nicht anwendbar. 12 Unerheblich ist, ob der Anteilsübergang rechtsgeschäftlich oder im Fall einer Nachfolgeklausel von Todes wegen erfolgt. Allerdings kann im Wege der Anteilsübertragung ein mit dem Ausscheiden im engen Sinne vergleichbares Ergebnis erreicht werden. 13 So können die Gesellschafter gesellschaftsvertraglich vereinbaren, dass der Gesellschafter bei Eintritt bestimmter Umstände nicht automatisch aus der Gesellschaft ausscheidet, sondern verpflichtet ist, den Gesellschaftsanteil gegen ein vorher festgelegtes Entgelt auf einen oder mehrere Mitgesellschafter zu übertragen. Wird diese Verpflichtung vollzogen, geht der Gesellschaftsanteil unter, da Gesellschafter einer Personengesellschaft auf Grund des Einheitlichkeitsgrundsatzes grundsätzlich 14 nur einmal an dieser beteiligt sein können. 15 9 W. Hadding/E. Kießling in: Soergel, BGB, 738 Rz. 30; D. Heckelmann, Abfindungsklauseln, 28 f.; C. Schäfer in: Staub, HGB, 131 Rz. 155; T. Schöne in: Bamberger/Roth, BGB, 738 Rz. 22. 10 BGH, Urt. v. 21.4.1955, II ZR 227/53, BGHZ 17, 130 (136); BGH, Urt. v. 24.9.1984, II ZR 256/83, NJW 1985, 192 (193); C. Schäfer in: MünchKomm. BGB, 738 Rz. 32. 11 H. v. Ditfurth in: P/W/W, BGB, 738 Rz. 11; W. Hadding/E. Kießling in: Soergel, BGB, 738 Rz. 31; T. Schöne in: Bamberger/Roth, BGB, 738 Rz. 22. 12 BGH, Urt. v. 18.11.1974, II ZR 70/73, NJW 1975, 166 (167); BGH, Urt. v. 20.10.1980, II ZR 257/79, NJW 1981, 1095 (1096); W. Hadding/E. Kießling in: Soergel, BGB, 738 Rz. 2; T. Schöne in: Bamberger/Roth, BGB, 738 Rz. 2. 13 BGH (Urt. v. 10.5.1978, VIII ZR 32/77, BGHZ 71, 296 (299 f.)): Die Abtretung aller Anteile an einer Personengesellschaft auf einen einzigen Erwerber hat Anwachsungseffekte. 14 Der Einheitlichkeitsgrundsatz gilt nicht, wenn an einer der in der Hand eines Gesellschafters zusammenfallenden Beteiligungen Rechte Dritter bestehen, z. B. Nießbrauch

6 Kapitel I: Gesellschaftsrechtliche Grundlagen und Rechtsentwicklung 2. Kapitalgesellschaft Auch bei einer GmbH führt die Veräußerung des Anteils, der Tod des Gesellschafters, der freiwillige Austritt und der Ausschluss des Gesellschafters zu seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft. Zwar sind Austritt und Ausschluss gesetzlich nicht geregelt. Sie sind jedoch im Grundsatz und unabhängig davon, ob die Satzung der Gesellschaft dies im Einzelfall vorsieht allgemein anerkannt, sofern ein wichtiger Grund vorliegt. 16 Im Bürgerlichen Recht und im Handelsrecht gilt der Grundsatz, dass ein in die Lebensbetätigung der Beteiligten eingreifendes Rechtsverhältnis vorzeitig gelöst werden kann, sofern ein wichtiger Grund vorliegt. 17 Ein allgemeines ordentliches Austrittsrecht besteht hingegen nicht. 18 Des Weiteren scheidet ein Gesellschafter bei Kaduzierung nach 21 GmbHG sowie bei Einziehung seines Gesellschaftsanteils nach 34 GmbHG aus der Gesellschaft aus. Ein Anspruch auf Abfindung beim Ausscheiden aus einer GmbH ist gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen. Dennoch ist ein solcher Anspruch für Fälle des freiwilligen Austritts, des Ausschlusses und der Einziehung des Geschäftsanteils anerkannt. 19 Ist im Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt, ist der volle wirtschaftliche Wert des Geschäftsanteils abzufinden. 20 Wird der Gesellschaftsoder Pfandrechte (K. Schmidt in: MünchKomm. HGB, 105 Rz. 78; P. Ulmer/C. Schäfer in: MünchKomm. BGB, 705 Rz. 182). 15 BGH, Urt. v. 11.4.1957, II ZR 182/55, BGHZ 24, 196 (108); BGH, Urt. v. 20.4.1972, II ZR 143/69, BGHZ 58, 316 (318 f.); BGH, Urt. v. 22.5.1989, II ZR 211/88, BB 1989, 1361 (1363); K. Piehler/N. Schulte in: MünchHdb. GesR I, 10 Rz. 137; K. Schmidt in: MünchKomm. HGB, 105 Rz. 75 ff.; ders., Gesellschaftsrecht, 1312; ders., FS Ulrich Huber, 969 (989); P. Ulmer/C. Schäfer in: MünchKomm. BGB, 705 Rz. 181 ff.; a. A. B. Grunewald in: MünchKomm. HGB, 161 Rz. 4 f.; P. Lamprecht, Zulässigkeit der mehrfachen Beteiligung an einer Personengesellschaft; H.-J. Priester, DB 1998, 55; differenzierend OLG München, Urt. v. 24.9.2003, 7 U 2469/03, NZG 2004, 37 (38). 16 BGH, Urt. v. 1.4.1953, II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (159 ff.); BGH, Urt. v. 17.2.1955, II ZR 316/53, BGHZ 16, 317 (322 f.); M. Kort in: MünchHdb. GesR III, 29 Rz. 1; C. H. Seibt in: Scholz, GmbHG, Anhang zu 34 Rz. 6. 17 BGH, Urt. v. 1.4.1953, II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (161 f.). 18 M. Kort in: MünchHdb. GesR III, 29 Rz. 1, 3. 19 BGH, Urt. v. 1.4.1953, II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (168); P. Ulmer in: Hachenburg, GmbHG, 34 Rz. 68, Anh. 34 Rz. 39, 61; O. Sosnitza in: Michalski, GmbHG, 34 Rz. 45, Anh. 34 Rz. 33; L. Strohn in: MünchKomm. GmbHG, 34 Rz. 205. 20 BGH, Urt. v. 16.12.1991, II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (369 f.); M. Kort in: MünchHdb. GesR III, 28 Rz. 17, 29 Rz. 23, 47; C. H. Seibt in: Scholz, GmbHG, Anhang zu 34 Rz. 22; H. P Westermann in: Scholz, GmbHG, 34 Rz. 23, 25.

A. Die zivilrechtliche Ausgangslage 7 anteil kaduziert, steht dem ausscheidenden Gesellschafter dagegen kein Abfindungsanspruch zu. 21 Ebenso entsteht kein Anspruch auf Abfindung beim Ausscheiden durch Anteilsveräußerung, da der Gesellschafter bereits ein Entgelt als Ausgleich erhält. II. Die gesellschaftsvertragliche Beschränkung des Abfindungsanspruchs 1. Zulässigkeit Regelungen über den Abfindungsanspruch sind in verschiedener Hinsicht möglich (z. B. Regelungen über die Höhe des Anspruchs, Auszahlungsmodalitäten). Für diese Untersuchung sind Abfindungsbeschränkungen von besonderem Interesse, bei denen der Abfindungsanspruch vollständig ausgeschlossen oder der Höhe nach auf einen Wert unterhalb des Verkehrswertes begrenzt wird. Wird eine solche Klausel vollzogen, entsteht in der Differenz zwischen Verkehrswert des Gesellschaftsanteils und Abfindungsanspruch ein Mehrwert, der der Gesellschaft oder den verbleibenden Gesellschaftern zu Gute kommt. 22 Die Zulässigkeit von Abfindungsbeschränkungen ist anerkannt. 23 Zwar hat der ausscheidende Gesellschafter nach 738 Abs. 1 Satz 2 BGB einen Anspruch auf Abfindung in voller Höhe des Verkehrswertes. Hierbei handelt es sich jedoch um dispositives Recht. Es steht im Belieben der Gesellschafter, die Höhe der Abfindung zu bestimmen. Allerdings unterliegen Abfindungsbeschränkungen den Grenzen der 138, 242, 723 Abs. 3 BGB. 24 An dieser Stelle kann nur ein kursorischer Überblick über die sich aus den Vorschriften ergebenden Anforderungen gegeben werden. Ob eine Abfindungsvereinbarung den Voraussetzungen der 138, 242, 723 Abs. 3 BGB genügt, kann nicht generell und abstrakt, sondern nur nach Abwägung der 21 H. Altmeppen in: Roth/Altmeppen, GmbHG, 21 Rz. 17; W. Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 21 Rz. 14; a. A. O. Melber, Die Kaduzierung in der GmbH, 200 ff., 208 ff.; zweifelnd V. Emmerich in: Scholz, GmbHG, 21 Rz. 26a. 22 Im Folgenden werden daher mit den Begriffen Abfindungsbeschränkung und Abfindungsklausel gesellschaftsvertragliche Regelungen bezeichnet, mit denen der Abfindungsanspruch entweder vollständig ausgeschlossen oder auf einen Wert unterhalb des Verkehrswertes des Gesellschaftsanteils begrenzt wird. Der Vollzug einer solchen Klausel wird folgend als Ausscheiden gegen Minderabfindung bezeichnet. 23 M. Leitzen, RNotZ 2009, 315 (315); O. Sosnitza in: Michalski, GmbHG, 34 Rz. 55; vgl. zu den Auswirkungen der Erbschaftsteuerreform 2009 auf die Zulässigkeit von Abfindungsbeschränkungen M. Casper/C. Altgen, DStR 2008, 2319. 24 M. Leitzen, RNotZ 2009, 315 (315); C. Schäfer in: Staub, HGB, 131 Rz. 168.