Dr. Michael Kilchling. Fotonachweis: Münsterländische Volkszeitung. Sanktionenrecht. Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS

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Transkript:

Dr. Michael Kilchling Fotonachweis: Münsterländische Volkszeitung Sanktionenrecht #2 Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 1

Basiszahlen zur gerichtlichen Sanktionierung Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 2

Basiszahlen zur gerichtlichen Sanktionierung Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 3

Basiszahlen zur gerichtlichen Sanktionierung Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 4

Quellen- u. Literaturhinweis: https://www.bundesjustizamt.de/de/shareddocs/publikation en/justizstatistik/strafrechtspflege_deutschland.pdf? blob =publicationfile&v=4 Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 5

Quellen- u. Literaturhinweis: https://www.destatis.de/de/publikationen/thematisch/rechts pflege/querschnitt/broschuerejustizblick0100001099004.pdf? blob=publicationfile Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 6

Das Problem der Sanktionierung Sanktionierung/Strafe ist Gewalt und trägt deshalb ein Stigma; zudem ist das Risiko der Gegengewalt (Widerstand, Rache) enthalten Überlegene Gewalt (Aktionsmacht, vgl. Popitz) bedeutet Macht über eine Person (allerdings nur für einen Moment) Herrschaft muss auf Dauer gestellt werden Dies bedeutet, dass die Sanktion und die Sanktionierung normiert werden müssen Erst wenn die Sanktion normiert ist, kann es zu dauerhafter und stabiler Herrschaft kommen» Kodifizierung» Anwendung (Durchsetzung)» Akzeptanz Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 7

Aufklärung und Menschenrechte Beccaria (1738-1794): "Über Verbrechen und Strafen" (1764) Forderungen Beccarias: Willkürverbot Gesetzlichkeitsprinzip Prävention anstelle von Vergeltung (Nützlichkeit) Abschaffung grausamer Strafen Abschaffung der Todesstrafe Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 8

Aufklärung und Nützlichkeit Jeremy Bentham (1748-1832) Konstant wirkende Kräfte: Leid und Freude Entscheidend ist das Nutzenkalkül der Menschen Konsequenz: Folgenorientierung des Strafrechts in Form von Zielsetzungen der Spezial- und Generalprävention wird zu einem zentralen Element der Strafe Bedingt insbesondere durch die Entwicklung der Wissenschaften im ausgehenden 19. Jahrhundert Beispiel: Das Marburger Programm von Franz v. Liszt Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 9

Benthams Panopticon Eastern State Penitentiary, Philadelphia Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 10

Konsequenzen Strafe wird nicht mehr öffentlich vollzogen Strafe orientiert sich an den Folgen der Strafe Strafe und Bestrafung werden Experten anvertraut (insbes. Resozialisierung und Behandlung) Strafe unterliegt zunehmend rechtlichen Schranken Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 11

Kolonialisierung, Staatsbildung und Strafkonzepte Strafen wie Freiheitsstrafe und Geldstrafe sind ebenso weitgehend europäische 'Erfindungen', ebenso wie der im 18./19. Jahrhundert sich ausbildende (National-) Staat Im Prozess der Kolonialisierung werden die europäischen Konzepte der Strafe (und des Staates) 'exportiert' Fotos: judiciary.gov.hk Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 12

Exkurs: Islamisches und westliches Strafrecht Übernahme westlichen Strafrechts im Laufe der Kolonialisierung» Anpassung des materiellen und formellen Strafrechts bis hin zur kompletten Übernahme westeuropäischer Strafgesetzbücher» Einzelne Länder übernehmen ein vollständig laizistisches Recht westlichen Musters (Türkei, nordafrikanische Länder)» Englische Strafrechts- und Prozessstrukturen in Palästina und Israel Ausnahme: Saudi-Arabien und Golfstaaten behalten islamisches Recht bei Scharia behält partiell Bedeutung bei zivilrechtlichen Fällen und in lokaler Rechtsprechung Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 13

Exkurs: Islamisches und westliches Strafrecht Bis Anfang der 1970er Jahre bleibt das Strafrecht weitgehend durch das Recht der Kolonialmächte beeinflusst Danach setzt Entwicklung zur Re-Islamisierung des Strafrechts ein» Re-Islamisierung des Rechts/Strafrechts: Libyen, Iran, Nigeria (Norden), Pakistan, Sudan» Versuche der Einführung der Scharia in Indonesien, Malaysia, Kenia sowie weiteren afrikanischen Ländern Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 14

Beispiel Iran: Gesetz über die islamischen Strafen vom 30.7.1991 Art. 13: Hadd-Strafen sind Strafen, die in der Scharia festgelegt sind (absolute Strafandrohungen) Steinigung, Körperstrafe, Amputation von Hand/Fuß Sure 5, 38: "Dieb und Diebin, schneidet ihnen die Hände ab" Art. 14: Vergeltung:.Strafe muss der Tat entsprechen Talionsprinzip nach Anklage durch Opfer Vergeltung kann mit Zustimmung des Bluträchers und des Täters in Blutgeld umgewandelt werden Wenn Ankläger fehlt: sog. Tazir-Strafen (Gefängnis) Art. 16: Tazir-Strafen sind Strafen, die nicht in der Scharia festgelegt, sondern dem Ermessen des Richters anheim gestellt sind: Gefängnisstrafe, Geldstrafe oder Auspeitschung (quasi 'weltliches' Parallelstrafrecht mit 'weltlichen' Strafen) Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 15

Hadd-Delikte Fünf Delikte "unerlaubter Geschlechtsverkehr", "Verleumdung wegen unerlaubten Geschlechtsverkehrs", Weintrinken, Diebstahl, Straßenraub umstritten ist, ob der Abfall vom Islam auch zu dieser Deliktsgruppe gehört Keine Festlegung von Tatbestandsmerkmalen Grenzen durch sehr eng gefasste Tatbestände und strenge Beweisregeln z.b.: zweifaches (wiederholtes) Geständnis oder zwei Tatzeugen (männlich) Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 16

Konsequenzen der Kolonialisierung Nordamerika, Australien» Vernichtung der alten (Rechts-) Kulturen» Seit den 1980er Jahren Wiedereinführung von Autonomie in der Streitregelung (einschließlich der Zulassung besonderer (traditioneller) Sanktionen)» Vorbild und Anknüpfungspunkt für moderne kriminalpolitische Entwicklung in allen westlichen Rechtsordnungen: Mediation, Täter-Opfer-Ausgleich, 'community justice', 'restorative justice' Entstehung hybrider Sanktionssysteme» Staatliches Recht steht neben 'customary law' (unter Einschluss von Sanktionierung im Bagatellbereich der Kriminalität) Freiheitsstrafe und Geldstrafe setzen sich durch Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 17

Was ist Strafe? Jescheck/Weigend: Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil. Berlin 1996, S. 13: "Strafe ist der Ausgleich einer erheblichen Rechtsverletzung durch Auferlegung eines der Schwere von Unrecht und Schuld angemessenen Übels, das eine öffentliche Missbilligung der Tat ausdrückt und dadurch Rechtsbewährung schafft. Die Strafe soll außerdem für den Täter selbst eine positive Wirkung entfalten " Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 18

Elemente der Strafe Übel (Schmerz, Verlust, Einbuße) Zwang Reaktion (auf die Rechtsverletzung) Ausgleich (von Unrecht/Schuld) Kommunikation Zwecksetzungen Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 19

Was ist ein "Übel"? Kulturell (im Querschnitt) variabel Todesstrafe, Körperstrafe, Freiheitsentzug, Geldstrafe, elektronische Überwachung, Fahrverbot Im Längsschnitt variabel Insbes. hinsichtlich Umfang/Höhe Heute weitgehende Verrechtlichung (Normierung) der Sanktion Nicht nur die Straftat, sondern auch die Sanktion und ihr Vollzug unterliegen einer Normierung Vorhersehbarkeit und Begrenzung Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 20

Reaktion/Ausgleich Rache (vergeltende Gewalt, nicht begrenzt) Talion (Vergeltung: Gleiches wird mit Gleichem vergolten) Austausch Normverletzung/Straftat/Vorwerfbarkeit (Tat-/Schuldproportionalität) Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 21

Kommunikation Ausdruck eines "sozialethischen Unwerturteils" Das Gesetz ist nicht nur Instrument zur Steuerung gesellschaftlicher Prozesse nach soziologischen Erkenntnissen und Prognosen, es ist auch Ausdruck sozialethischer und rechtlicher Bewertung menschlicher Handlungen: es soll sagen, was für den einzelnen Recht und Unrecht ist (BVerfG NJW 1975, S. 580) Stigmatisierung Stigma der Verurteilung/Strafe Vorstrafenregister/"Führungszeugnis" Öffentlichkeit Öffentliche Verhandlung Bekanntmachung des Urteils Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 22

Zwecksetzungen Kant: verschuldetes Unrecht muss um der Herstellung von Gerechtigkeit willen bestraft werden Hegel: Negation des Unrechts Straftat und Strafe teilen mit, welche Gesetze gelten sollen Moderne Folgenorientierung (Bentham, v. Liszt, u.a.) Strafrechtssetzung als Akt des Rechtsgüterschutzes Strafe» Generalprävention (negativ/positiv)» Individualprävention (negativ/positiv), insbes. Abschreckung, Wiedereingliederung, Sicherung Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 23

2. Warum wird bestraft? Theorien der Strafe 24 Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015

Theorie der Schuldvergeltung Individuelle Schuld Begründet Strafe Fordert Strafe Erlaubt Sühne? Schuld wird maßgebliches Kriterium Unschuldsvermutung (verlangt, dass Schuldfeststellung der Verhängung und Vollstreckung der Strafe vorangeht) Nulla poena sine culpa (keine Strafe ohne Schuld) Hauptströmungen Kant Hegel Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 25

Kant Metaphysik der Sitten 1797 Das Strafgesetz enthält einen kategorischen Imperativ Strafe hat nur den Sinn der Vergeltung der Schuld (um ihrer selbst willen) Richterliche Strafe kann niemals bloß als Mittel, ein anderes Gute zu befördern, für den Verbrecher selbst oder für die bürgerliche Gesellschaft verhängt werden, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat. Denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowieder ihn seine angeborene Persönlichkeit schützt. In jeder Strafe, als solcher, muß zuerst Gerechtigkeit sein. (Kritik der praktischen Vernunft, 1968, Bd. VII, S. 150) Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 26

Kant Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung aulösete (z.b. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinanderzugehen und sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volk hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat: weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann. (Metaphysik der Sitten, S. 453) Strafe ist Talionsstrafe: Gleiches wird mit Gleichem vergolten Straftaten müssen immer bestraft werden Unter heutigen Bedingungen objektiv unmöglich Problem des Dunkelfeldes der Kriminalität Problem der folgenlosen Einstellungen Michael Kilchling Vorlesung Sanktionenrecht I SS 2015 27