Das Verlagerungsverfahren

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M W S T- I N F O /03

StB Dipl.-Kfm. S. Gubanov

Transkript:

und Zoll Das Verlagerungsverfahren Inhaltsverzeichnis 1 Der Sinn und das System der Mehrwertsteuer 2 Die Einfuhrsteuer 3 Erhebung der Einfuhrsteuer 4 Der Aspekt der Vorfinanzierung 5 Das Verlagerungsverfahren 6 Berechtigung und Bewilligung 7 Zuständigkeiten und Verfahren 8 Zusammenfassung Wenn Waren aus dem Ausland über die Grenze in die Schweiz gebracht werden, dann müssen diese Waren zollrechtlich abgefertigt werden. Das heisst, die Waren müssen nach dem Zollrecht veranlagt werden und die zu bezahlenden Zollabgaben sind zu berechnen. Daneben sind weitere Rechtsvorschriften aus nichtzollrecht - lichen Erlassen zu berücksichtigen. Dies können z. B. die CO 2 -Abgabe, die VOC-Abgabe oder andere Abgaben sein. Zudem ist bei jeder Einfuhr von Waren das Mehrwertsteuerrecht zu beachten. 1 Der Sinn und das System der Mehrwertsteuer Als allgemeine Verbrauchssteuer bezweckt die Mehrwertsteuer die Besteuerung des nicht unternehmerischen Endverbrauchs im Inland 1. Sie folgt dem Bestimmungslandprinzip und stellt sicher, dass der Endkonsum in der Schweiz (und in den dem Schweizer Mehrwertsteuerrecht unterstellten Gebieten) besteuert wird, unabhän- gig davon, aus welchem Land die Lieferung oder Dienstleistung erfolgt. Die Mehrwertsteuer wird auf den im Inland von steuerpflichtigen Personen gegen Entgelt erbrachten Lieferungen und Dienstleistungen erhoben (Inlandsteuer). Für Leistungen, welche nicht von steuerpflichtigen Personen im Inland erbracht werden, sondern durch Unternehmen mit Sitz im Ausland, die nicht im Schweizer Mehrwertsteuerregister eingetragen sind, können die Konsumenten im Inland verpflichtet sein, die Schweizer Mehrwertsteuer selbstständig mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung abzurechnen (Bezugsteuer). Werden jedoch Gegenstände aus dem Ausland in die Schweiz eingeführt, erfolgt die Belastung der Mehrwertsteuer im Zusammenhang mit der Verzollung (Einfuhr steuer). Die Besteuerung erfolgt nach dem System der Netto-Allphasensteuer mit Vorsteuerabzug. Dies bedeutet, dass die steuerpflichtige Person, welche die Mehrwertsteuer im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit bezahlt, den bezahlten Mehrwertsteuerbetrag grundsätzlich als Vorsteuerguthaben gegenüber der Eidgenössischen Steuerverwaltung wiederum geltend machen kann. Damit wird eine Steuerkumula tion verhindert und lediglich der Endkonsum wird belastet. Der bezahlte Mehrwertsteuerbetrag (Vorsteuer) wird der steuerpflichtigen Person durch die Eidgenössische Steuerverwaltung zurückbezahlt (bzw. im Abrechnungsverfahren verrechnet), da die steuerpflichtige Person die Mehrwertsteuerzahlung für ihren unternehmerischen Bereich (etwa für die Herstellung von Gütern, die Bearbeitung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen) vorgenommen hat und nicht als Endkonsument. Das Mehrwertsteuergesetz sieht Ausnahmen und Einschränkungen beim Vorsteuerabzug vor, welche für die Zwecke dieses Aufsatzes jedoch nicht weiter thematisiert werden. Mónika Molnár Dr. iur., LL. M. Taxation, Partner, MME Legal Tax Compliance, Zürich Stefan Schwaller RA, dipl. Steuerexperte, MWST-Experte FH 1 Art. 1 Abs. 1 MWSTG. 20 ZOLL REVUE REVUE DOUANIÈRE 4 2018

2 Die Einfuhrsteuer Die Einfuhrsteuer ist in den Art. 50 ff. MWSTG geregelt. Für die Steuer auf der Einfuhr von Gegenständen gilt die Zollgesetzgebung, soweit die Bestimmungen des Mehrwertsteuergesetzes nichts anderes anordnen 2. Die Einfuhrsteuer setzt das Bestimmungslandprinzip betreffend importierter Waren um. Waren, welche aus dem Ausland über die Grenze in die Schweiz gebracht werden, werden mittels der Einfuhrsteuer mit der Schweizer Mehrwertsteuer belastet. Ohne die Einfuhr - steuer würden eingeführte Waren steuerfrei bleiben. Die Einfuhrsteuer ist eine reine Verkehrssteuer. Sie besteuert die grenzüberschreitende Warenbewegung. Der wirtschaftliche Hintergrund dieses Vorgangs spielt keine Rolle 3. Es ist somit nicht relevant, ob der Einfuhr ein Rechtsgeschäft (z. B. ein Verkauf ) zugrunde liegt oder nicht. Die rechtsgrundlose Verbringung eines Gegenstandes über die Grenze in die Schweiz genügt, um die Einfuhrsteuer auszulösen 4. 3 Erhebung der Einfuhrsteuer Die Einfuhrsteuer wird durch die Eidgenössische Zollverwaltung erhoben 5. Aufgrund der anlässlich einer grenzüberschreitenden Warenbewegung ausgestellten entsprechenden Veranlagungsverfügung MWST wird die anfallende Einfuhr - steuer an die Eidgenössische Zollverwaltung entrichtet. Für die unternehmerisch tätige steuerpflichtige Person stellen die bezahlten Einfuhrsteuern Vorsteuern dar, welche sie im Rahmen der nächsten Mehrwertsteuer - abrechnung grundsätzlich gegenüber der Eidgenös - sischen Steuerverwaltung geltend machen kann. Der Staat erhebt somit durch die Eidgenössische Zollverwaltung einen Steuerbetrag und lässt diesen im Rahmen der Mehrwertsteuerabrechnung durch die Eidgenössische Steuerverwaltung wieder als Vorsteuer aus- 2 Art. 50 MWSTG. 3 Vgl. dazu CLAVADETSCHER/BOSSART MEIER, in: Expert Focus, Verlagerungsverfahren an der Schnittstelle zwischen Inland- und Einfuhrsteuer, EF 6 7/16, S. 453 ff., 454. 4 Vgl. SCHLUCKEBIER, in: Geiger/Schluckebier, OFK-MWSTG, Art. 54 N 2. 5 Art. 62 Abs. 1 MWSTG. 6 Vgl. dazu CLAVADETSCHER/BOSSART MEIER, in: Expert Focus, Verlagerungsverfahren an der Schnittstelle zwischen Inland- und Einfuhrsteuer, EF 6 7/16, S. 453 ff., 454. 7 Art. 47 Abs. 2 lit. a ZG. bezahlen, falls die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind 6. 4 Der Aspekt der Vorfinanzierung Die unternehmerisch tätige steuerpflichtige Person kann die ihr in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer grundsätzlich als Vorsteuer gegenüber der Eidgenössischen Steuerverwaltung wiederum geltend machen. Dies bedeutet, dass die unternehmerisch tätige steuerpflichtige Person ein Guthaben gegenüber der Eidgenössischen Steuerverwaltung im Betrag der bezahlten Vorsteuern hat. Dieses Guthaben wird durch die Eidgenössische Steuerverwaltung aufgrund der nächstfolgenden Mehrwertsteuerabrechnung verrechnet oder zurückbezahlt. Rückforderbare Vorsteuern bilden die in Rechnung gestellte Inlandsteuer, die selbstständig deklarierte Bezugsteuer sowie die Einfuhrsteuer. Wesentlich für die Finanzierungsabwicklung ist, dass die in Rechnung gestellte Inlandsteuer und die zu bezahlende Einfuhrsteuer eine finanzielle Vorleistung der unternehmerisch tätigen steuerpflichtigen Person bewirkt. Die Geltendmachung der Vorsteuer gegenüber der Eidgenössischen Steuerverwaltung erfolgt nachgelagert mittels der nächsten quartalsweisen Mehrwertsteuer - deklaration. Dies bedeutet, dass die Zahlung der Vorsteuern und die Rückzahlung der Vorsteuern zeitlich auseinanderfallen und eine entsprechende Vorfinanzierung der Vorsteuern durch das Mehrwertsteuerabrechnungssystem auferlegt wird. Durch die zwei möglichen Mehrwertsteuerabrechnungsarten (Abrechnung nach vereinbarten Entgelten und Abrechnung nach vereinnahmten Entgelten; Art. 39 MWSTG) kann die Zeitspanne der Vorfinanzierung unterschiedlich ausfallen. Mit diesem gesetzgeberisch gewollten Mehrwertsteuerabrechnungssystem können bei getätigten Investitionen oder Einfuhren von teuren Gegenständen hohe Vorsteuerbeträge bis zu mehreren Monaten den unternehmerisch tätigen steuerpflichtigen Personen als liquide Finanzmittel blockiert werden. Diese Vorfinanzierung und zeitliche Blockierung liquider finanzieller Mittel kann mit dem Verlagerungsverfahren behoben werden. 5 Das Verlagerungsverfahren Das Verlagerungsverfahren ist ein Veranlagungsverfahren des Mehrwertsteuerrechts, welches an das Zollverfahren zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr 7 anknüpft bzw. dieses nach unserem Erachten «ablöst». Das Verlagerungsverfahren ist in Art. 63 MWSTG sowie ZOLL REVUE REVUE DOUANIÈRE 4 2018 21

Art. 117 ff. MWSTV geregelt. Es ist daher kein eigentliches Zollverfahren und ist als solches auch nicht im Zollgesetz genannt 8. Das Verlagerungsverfahren wurde zur Entlastung der Unternehmen und der Steuerverwaltung geschaffen. Eine steuerpflichtige Person, welche über eine Bewilligung zur Anwendung des Verlagerungsverfahrens verfügt, hat bei der Zollanmeldung das Wahlrecht, ob sie im konkreten Fall das Verlagerungsverfahren anwenden will oder nicht. Die Deklaration der geschuldeten Einfuhrsteuer erfolgt bei der Anwendung des Verlagerungsverfahren im Rahmen der periodischen Mehrwertsteuerabrechnung 9. Somit kann gleichzeitig die deklarierte Einfuhrsteuer wieder als Vorsteuer zum Abzug geltend gemacht werden. Damit reduziert sich die Mehrwertsteuerforderung 10 um den gleichen (Vorsteuer-)Betrag. Dadurch ist kein zweifacher Geldfluss nötig, wie er sonst erforderlich wäre 11. Mit dem Verlagerungsverfahren wird im Mehrwertsteuerbereich eine effizientere Finanzbewirtschaftung erreicht, ohne dass Mehrwertsteuersubstrat verloren geht. Dies indem eine mehrwertsteuerrechtliche Vorfinanzierung bzw. die vorgängige Bindung von Investitionsmitteln für einen Warenumsatz, der im Inland noch nicht stattgefunden hat, nicht erfolgen muss. Die Mehrwertsteuer soll erst anfallen, wenn ein im Inland mehrwertsteuerrechtlich relevanter Sachverhalt (wie z. B. ein Verkauf) erfolgt. 8 CLAVADETSCHER/BOSSART MEIER, in: Expert Focus, Verlagerungsverfahren, EF 6 7/16, S. 453 ff. Alle möglichen Zollverfahren sind abschliessend in Art. 47 ff. ZG aufgezählt (vgl. dazu DERKS, in: Kocher/Clavadetscher, Handkommentar Zollgesetz, Bern 2009, Art. 47 N 13). Das Verlagerungsverfahren betrifft ausschliesslich die Einfuhrsteuer; die Erhebung der übrigen (Einfuhr-)Abgaben, wie z. B. der Zoll, ist davon nicht berührt (vgl. dazu CLAVADETSCHER/BOSSART MEIER, in: Expert Focus, Verlagerungsverfahren an der Schnittstelle zwischen Inland- und Einfuhrsteuer, EF 6 7/16, S. 453 ff.). 9 Art. 63 Abs. 1 MWSTG. 10 Vgl. Art. 36 Abs. 2 MWSTG. 11 Vgl. dazu CLAVADETSCHER/BOSSART MEIER, in: Expert Focus, Verlagerungsverfahren an der Schnittstelle zwischen Inland- und Einfuhrsteuer, EF 6 7/16, S. 453 ff. 12 Art. 117 Abs. 1 MWSTV. 13 Art. 118 MWSTV. 14 Art. 118 lit. a d MWSTV. 15 Art. 119 MWSTV. 16 Art. 118 lit. e MWSTV, Art. 120 MWSTV. 17 Art. 118 lit. d MWSTV. 6 Berechtigung und Bewilligung Das Verlagerungsverfahren steht nicht jeder steuerpflichtigen Person offen, sondern bedarf einer vorgängigen Bewilligung. Liegen die Voraussetzungen für die Erteilung der Bewilligung nach Art. 118 Abs. 1 MWSTV vor, besteht jedoch ein Rechtsanspruch des Antragstellers auf Erteilung dieser Bewilligung (... «wird erteilt»...). Die Bewilligung wird durch die Eidgenössische Steuerverwaltung erteilt 12. Bewilligungsinstanz ist somit jene Behörde, welche über die Inlandsteuer und den Vor - steuerabzug befindet und nicht die Eidgenössische Zollverwaltung, welche die Einfuhrsteuer erhebt. Um eine Bewilligung zu erhalten, das Verlagerungsverfahren anwenden zu können, muss die steuerpflichtige Person einen schriftlichen Anwendungsantrag auf Form. 1231_02 stellen und nachfolgende Voraussetzungen kumulativ erfüllen 13 : a) die steuerpflichtige Person muss die Mehrwertsteuer nach der effektiven Methode abrechnen; b) es müssen im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit regelmässig Gegenstände importiert und exportiert werden; c) über die importierten und exportierten Gegenstände muss eine detaillierte Einfuhr-, Lager- und Ausfuhrkontrolle geführt werden; d) es müssen regelmässig Vorsteuerüberschüsse von mehr als CHF 10 000. aus diesen Ein- und Ausfuhren herrühren und e) die steuerpflichtige Person muss Gewähr für einen ordnungsgemässen Ablauf des Verfahrens bieten. Fällt eine der ersten vier Bewilligungsvoraussetzungen 14 weg, so muss die steuerpflichtige Person die Eidgenössische Steuerverwaltung als Bewilligungsinstanz unverzüglich schriftlich benachrichtigen 15. Schliesslich kann die Bewilligung entzogen werden, wenn die steuerpflichtige Person nicht mehr Gewähr für einen ordnungsgemässen Ablauf des Verfahrens bietet 16. Die Limite der Vorsteuerüberschüsse 17 wurde erst per 1. Januar 2018 auf CHF 10 000. festgesetzt. Zuvor betrug diese Limite CHF 50 000. und es nutzten lediglich ca. 400 steuerpflichtige Personen das Verlagerungsverfahren. Mit der Herabsetzung der Limite will der Bundesrat das Verlagerungsverfahren für weitere Unternehmen zugänglich machen. 7 Zuständigkeiten und Verfahren Eidgenössische Steuerverwaltung (für Bewilligung) -> Eidgenössische Zollverwaltung (für Einfuhrveranlagung) und Eidgenössische Steuerverwaltung (für Inlandsteuer) 22 ZOLL REVUE REVUE DOUANIÈRE 4 2018

Verfahren bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung Das Verlagerungsverfahren beginnt mit der Antragsstellung auf Erteilung der Bewilligung bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Wird bei der Einfuhr einer Ware von der Bewilligung Gebrauch gemacht, erfolgt mit der Anwendung des Verlagerungsverfahrens eine Verlagerung der Steuerentrichtung auf der Einfuhr in die quartalsweise Mehrwertsteuerabrechnung bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Die steuerpflichtige Person reicht zusammen mit der ordentlichen Mehrwertsteuerabrechnung das Form. 1234_02 («Verlagerung der Steuerentrichtung auf der Einfuhr; Beilage zur MWST-Abrechnung») ein. Das Beilageformular weist den Totalbetrag der verlagerten Einfuhrsteuer aus. Jener Totalbetrag der verlagerten Einfuhrsteuer ist zudem der Totalbetrag des geltenden gemachten Vorsteuerabzuges. Mit der zeitgleichen Deklaration der verlagerten Einfuhrsteuer und des diesbezüglichen Vorsteuerabzuges wird in der Realität die vorgenannte Vorfinanzierung eliminiert, da kein zeitliches Auseinanderfallen der Zahlung der Vorsteuern durch die steuerpflichtige Person und der Rückzahlung der Vorsteuern durch die Eidgenössische Steuerverwaltung erfolgt 18. 18 Vorausgesetzt, dass die volle Vorsteuerabzugsberechtigung gegeben ist. 19 Art. 117 Abs. 3 MWSTV. 20 CLAVADETSCHER/BOSSART MEIER, in: Expert Focus, Verlagerungsverfahren an der Schnittstelle zwischen Inland- und Einfuhrsteuer, EF 6 7/16, S. 453 ff., 455. 21 Art. 21 Art. 67 ZG. 22 Art. 21 Abs. 1 ZG. 23 Art. 23 Abs. 1 ZG. 24 Art. 24 Abs. 1 ZG. 25 Art. 25 Abs. 1 ZG. Verfahren bei der Eidgenössischen Zollverwaltung Wenn eine Einfuhr im Verlagerungsverfahren vorgenommen wird, erfolgt eine sogenannte Verschachtelung von Verfahren. Dieses Verfahren beginnt nämlich mit der Antragsstellung bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Wird die Bewilligung für die Anwendung des Verlagerungsverfahrens seitens der Eidgenössischen Steuerverwaltung gutgeheissen, findet ein Wechsel der Zuständigkeit der Eidgenössischen Zollverwaltung in Bezug auf die Erhebung der Einfuhrsteuer auf die Eidgenössische Steuerverwaltung statt. Die Eidgenössische Steuerverwaltung prüft die Bewilligungsvoraussetzungen und die Einfuhrsteuer wird zum Teil der Inlandsteuer. Die Veranlagung ist nicht mehr alleinige Sache der Eidgenössischen Zollverwaltung. Die Verjährung richtet sich nach Art. 42 MWSTG 19 gemäss Inlandsteuer. Eine Hinterziehung der Einfuhrsteuer nach Art. 96 Abs. 4 lit. a MWSTG kann nicht in Betracht kommen 20. Gerade mit Bezug auf die Zuständigkeit wird in der Lehre einheitlich davon ausgegangen, dass die Zuständigkeit der Eidgenössischen Zollverwaltung nach der Prüfung der eingereichten Zollanmeldung und allenfalls der Ware, dem Erlass der Veranlagungsverfügung und der Bewilligung des Verlagerungsverfahrens endet. Das Verlagerungsverfahren bedeutet nicht, dass es zu einer steuerfreien Einfuhr gekommen ist, sondern zur Verlagerung der Erhebung der Einfuhrsteuer an die Eidgenössische Steuerverwaltung (mittels Erhebung als Inlandsteuer). Im Rahmen des Zollveranlagungsverfahrens 21 sind folgende wesentliche Verfahrensschritte in der Zollabwicklung zu befolgen: Schritt 1 Zuführungspflicht: Wer Waren ins Zollgebiet verbringt, verbringen lässt oder sie danach übernimmt, muss sie unverzüglich und unverändert der nächstgelegenen Zollstelle zuführen oder zuführen lassen 22. Schritt 2 Zollüberwachung und Zollprüfung: Waren, die ins Zollgebiet verbracht werden, unterliegen vom Zeitpunkt des Verbringens an bis zur Wiederausfuhr oder zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr der Zollüberwachung und der Zollprüfung 23. Schritt 3 Gestellen und summarisches Anmelden: Die zuführungspflichtige Person oder die von ihr Beauftragten müssen die der Zollstelle zugeführten Waren gestellten und summarisch anmelden 24. Schritt 4 Anmelden: Die anmeldepflichtige Person muss die der Zollstelle zugeführten, gestellten und summarisch angemeldeten Waren innerhalb der von der Eidgenössischen Zollverwaltung bestimmten Frist zur Veranlagung anmelden und die Begleitdokumente einreichen 25. Damit die Eidgenössische Zollverwaltung die Berechti- ZOLL REVUE REVUE DOUANIÈRE 4 2018 23

gung zur Benutzung des mehrwertsteuerrechtlichen Verlagerungsverfahren überprüfen kann, müssen die Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Wareneinfuhr (mehrwertsteuerrechtlich der Einfuhr der Gegenstände) dazu berechtigt sein. Die Eidgenössische Zollverwaltung prüft die Anmeldedaten. Diese Voraussetzungen müssen in der Zollanmeldung geltend gemacht werden und sie sind von der Eidgenössischen Zollverwaltung zu überprüfen. In der Zollanmeldung werden folgende Angaben erfasst: a) Feld «Importeur»: Bewilligungsinhaber b) Feld «Bewilligungen»: Die Bewilligungsnum - mer des Importeurs c) Feld «UID Importeur»: Die Unternehmens- Identifikationsnummer des Importeurs d) Feld «MWST-Nr.»: Die MWST-Nr. des Importeurs (bei Importeuren, die Mitglieder einer MWST- Gruppe sind: die MWST-Nr. der Gruppe) Schritt 5 Zollrechtliche Bestimmung: Mit der zollrechtlichen Bestimmung legt die anmeldepflichtige Person 26 fest, ob Waren: a) in ein Zollverfahren übergeführt werden 27 ; oder b) in ein Zollfreilager verbracht werden 28. Waren, die in ein Zollverfahren übergeführt werden sollen, sind zum betreffenden Verfah ren anzumelden 29. Schritt 6 Gewähltes Zollverfahren: Wählbar sind folgende Zollverfahren 30 (abschliessende Aufzählung möglicher Zollverfahren): a) die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr; b) das Transitverfahren; c) das Zolllagerverfahren; d) das Verfahren der vorübergehenden Verwendung; e) das Verfahren der aktiven Veredelung; f ) das Verfahren der passiven Veredelung; g) das Ausfuhrverfahren. 26 Art. 27 ZG. 27 Art. 47 61 ZG. 28 Art. 62 67 ZG. 29 Art. 47 Abs. 1 ZG. 30 Art. 47 Abs. 2 ZG. 31 Art. 47 Abs. 2 lit. a ZG. 32 Art. 33 ZG. 33 Art. 117 Abs. 2 MWSTV. Mit dem Verlagerungsverfahren wird das Zollverfahren zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr gewählt 31. Kommt die Eidgenössische Zollverwaltung zum Ergebnis, dass alle verfahrensrechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, erstellt sie die Zollveranlagung und gibt die Ware mittels Veranlagungsverfügung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr frei. Schritt 7 Annahme der Zollanmeldung: Die von der Zollstelle angenommene Zollanmeldung ist für die anmeldepflich - tige Person verbindlich 32. Damit kann gesagt werden, dass die Eidgenössische Zollverwaltung alle verfahrensrechtlichen Voraussetzungen prüft resp. prüfen muss: Erstellung der Zollveranlagung; Gutheissung/Ablehnung den Antrag auf Gewährung des Verlagerungsverfahrens; Entstehung der Einfuhrsteuer aber auf der Erhebung (Angaben des Wertes CHF 0.00 auf der Veranlagungsverfügung MWST, vorausgesetzt, dass alle Bedingungen erfüllt sind); Freigeben der Waren mittels Veranlagungsverfügung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr (vorausgesetzt, dass alle Bedingungen erfüllt sind). Besteht Zweifel seitens der Eidgenössischen Zollverwaltung daran, ob die Voraussetzungen für die Verlagerung der Einfuhrsteuer erfüllt sind, muss die Eidgenössische Zollverwaltung: die Zollveranlagung erstellen den Antrag auf Gewährung des Verlagerungsverfahrens im konkreten Einfuhrverfahren ablehnen 33. In diesem Fall wird die Eidgenössische Zollverwaltung die Steuerschuld entstehen lassen und die Einfuhrsteuer erheben. Die Waren werden mittels Veranlagungsverfügung und Abrechnung der Einfuhrsteuer zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr frei gestellt (definitive Einfuhr). Schliesslich hat die Eidgenössische Zollverwaltung die Möglichkeit der Nachforderung von Zollabgaben 34. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn verfahrensrechtliche Vor - aussetzungen des Verlagerungsverfahrens nicht erfüllt sind. Hierzu muss die Eidgenössische Zollverwaltung ihre entsprechende Absicht innerhalb eines Jahres nach Ausstellen der Veranlagungsverfügungen mitteilen 35. 24 ZOLL REVUE REVUE DOUANIÈRE 4 2018

8 Zusammenfassung Das Verlagerungsverfahren beginnt und endet mit der Zuständigkeit der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Durch die effektive grenzüberschreitende Transaktion muss ein Zollverfahren gewählt werden. Hierdurch erfolgt eine Verschachtelung von verschiedenen Verfahren 36, die zusammen in Abstimmung erfolgen müssen. Die Eidgenössische Zollverwaltung überprüft die Bewilligungsvoraussetzungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung im Zusammenhang mit dem Verlagerungsverfahren (d. h. regelmässig das Vorliegen der Bewilligung) und überwacht das Zollverfahren (Gestellen, Veranlagungsverfügung Zoll und MWST). Zwei verschiedene Behörden sind involviert. Die Zielsetzung des Verlagerungsverfahrens darf jedoch nicht verfehlt werden: Behebung der zeitlichen Blockierung liquider finanzieller Mittel seitens der mehrwertsteuerpflichtigen Person. Das Verlagerungsverfahren ist komplex. Ein formell richtiges Verfahren muss materiell korrekten Tatsachen entsprechen. Nachforderungen der Zollverwaltung und der Steuerverwaltung sind zeitlich beschränkt. Bewilligungsanträge benötigen eine sorgfältige Prüfung und Vorabklärung. Überprüfung der bestehenden Geschäftsabläufe und der bestehenden Bewilligungen müssen kontinuierlich reflektiert und überwacht werden. Seitens der Behörden besteht die Funktion der Kontrolle (Antragstellung) und Überwachung der korrekten Anwendung. 34 Im Fall, wenn irrtümlich eine von ihr zu erhebende Zollabgabe nicht festgesetzt worden wäre. 35 Art. 85 ZG. 36 Verfahren nach dem MWSTG und Verfahren nach dem ZG. ZOLL REVUE REVUE DOUANIÈRE 4 2018 25