Landtag von Baden-Württemberg Drucksache 12 / 1862 12. Wahlperiode 06. 08. 97 Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Stellungnahme des Finanzministeriums Nebentätigkeiten, Stammtischgespräche und Versagung der Ermächtigung zur Strafverfolgung im Fall Märkle Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen zu berichten: I. Nebentätigkeiten 1. Welche Nebentätigkeiten übte und übt der Leiter der Abt. Steuern im Finanzministerium, R. M., seit 1991 aus? 2. Wurden auch die Prüfungstätigkeiten des Beamten als genehmigungsfrei qualifiziert? Wenn ja, nach welcher Vorschrift? 3. Trifft es zu, daß im Rahmen der Vortragstätigkeit des R. M. Fragen, wie man sich auf legalem Weg dem Zinsabschlag entzieht, und andere Möglichkeiten der Steuervermeidung thematisiert werden? 4. Teilt die Landesregierung die Auffassung, daß diese Nebentätigkeiten den Beamten in einen Widerstreit mit seinen dienstlichen Pflichten bringen können? Wenn nein, warum nicht? 5. Wurde jemals geprüft, ob die Nebentätigkeiten des R. M., insbesondere soweit sie fiskalischen Interessen entgegenstehen, mit seinen dienstlichen Pflichten kollidieren? Wenn ja, wann? 6. Trifft es zu, daß bei der Schulung von Steuerberatern nicht nur allgemeine Tips zur Steuervermeidung gegeben werden, sondern daß die Steuerberater auch die steuerliche Behandlung konkreter Einzelfälle mit R. M. besprechen? Eingegangen: 06. 08. 97 / Ausgegeben: 08. 10. 97 1
7. Gibt es weitere Finanzbeamte in leitender Position, die vergleichbare Nebentätigkeiten wie R. M. (insbes. Vorträge, Fortbildung und Prüfung von Steuerberatern) ausüben? Wenn ja, wie viele? 8. Trifft es zu, daß R. M. im Rahmen seiner Vortragstätigkeit über Gesetzesänderungen, Erlasse und Verordnungen zu einem Zeitpunkt informierte, als diese Neuregelungen in der Finanzverwaltung noch nicht bekannt waren? 9. Welche Auswirkungen hat es auf die Motivation der Finanzbeamten, wenn R. M. im Rahmen seiner privaten Vortragstätigkeit dafür Sorge trägt, daß ein Informationsvorsprung eines kleinen Kreises von Steuerberatern und -pflichtigen sichergestellt ist? 10. In welchem Umfang geht R. M. den Nebentätigkeiten, die er im Zusammenhang mit der Steuerberaterprüfung durchführt, innerhalb und außerhalb der Dienstzeit nach? 11. In welchem Umfang wurden bei der Ausübung der Nebentätigkeiten des R. M. Telefon-, Fax- und Schreibkraftkapazitäten des Finanzministeriums in Anspruch genommen? In welchem Umfang leisten Beamte oder Angestellte des Finanzministeriums Zuarbeit für die Ausübung der Nebentätigkeiten des R. M. 12. In welchem Umfang werden durch die Nebentätigkeiten anderer Finanzbeamter Arbeitskräfte und Kommunikationsmittel der Finanzverwaltung eingesetzt? II. Verdacht der Verletzung von Dienst- und Steuergeheimnissen 1. Welche Personen waren anwesend, als R. M. in einer Stammtischrunde Informationen zu einem laufenden Steuerverfahren eines Konzertveranstalters weitergab? 2. Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, daß Herr Ministerialdirektor Klaus Fischer, der selbst Mitglied des fraglichen Stammtisches ist, bei der Beauftragung eines ihm untergebenen Beamten, ein Gutachten über die Strafbarkeit anzufertigen, auf die Fürsorgepflicht und die Unbescholtenheit des R. M. hinwies? 3. Wie bewertet die Landesregierung das strafrechtliche Gutachten aus dem Finanzministerium, in dem das Gespräch im Schellenturm nicht als einheitliche Handlung unter den 353 b StGB subsumiert wurde? 4. Teilt die Landesregierung die Auffassung, daß durch das Erfordernis der Erteilung einer Verfolgungsermächtigung unnötige Ermittlungsverfahren vermieden werden sollen und deshalb bei der Erteilung der Ermächtigung zur Strafverfolgung allein darauf abgestellt werden darf, ob die Möglichkeit der Strafbarkeit des Verhaltens eines Amtsträgers besteht? 5. Teilt die Landesregierung die Rechtsauffassung des Finanzministeriums, daß die Erteilung der Strafverfolgungsermächtigung vom Grad der öffentlichen Berichterstattung abhängig gemacht werden kann? Wenn ja, wie wird dieser Einfluß externer Faktoren auf die Strafverfolgung im einzelnen begründet? 6. Werden die am Stammtisch gemachten Äußerungen des Steuerbeamten R. M. disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen? Wenn nein, warum nicht? 05. 08. 97 Kuhn und Fraktion 2
Stellungnahme*) Mit Schreiben vom 16. September 1997 Nr. E 14 0314.2 nimmt das Finanzministerium zu dem Antrag wie folgt Stellung: Zu I. 1.: Der Leiter der Steuerabteilung des Finanzministeriums übte bzw. übt seit 1991 folgende Nebentätigkeiten aus: Unterrichtstätigkeit bei der Steuerberaterkammer Stuttgart im Lehrgang zur Vorbereitung auf die Steuerberaterprüfung (letztmals 1991), in Seminaren zur Vorbereitung auf die Übergangsprüfung von Steuerbevollmächtigten gemäß 157 Steuerberatungsgesetz (letztmals 1992); Prüfungstätigkeit im Prüfungsausschuß für Steuerberater beim Finanzministerium (erstmals 1992/1993); Vortragstätigkeit. Zu I. 2.: Prüfungstätigkeiten unterliegen gemäß 83 Landesbeamtengesetz (LBG) grundsätzlich der Genehmigungspflicht. Die Durchführung der Steuerberaterprüfung obliegt nach dem Steuerberatergesetz dem Finanzministerium. Die Mitglieder des Prüfungsausschusses werden durch das Finanzministerium berufen. Diese Berufung beinhaltet zugleich die Pflicht zur Übernahme der Nebentätigkeit gemäß 82 LBG. Einer Genehmigung gemäß 83 LBG bedarf es daneben nicht. Zu I. 3.: Vortragstätigkeiten von Beamten sind weder genehmigungs-, anzeige- noch erklärungspflichtig. Auskünfte über solche Tätigkeiten können vom Vortragenden deshalb grundsätzlich nicht verlangt werden. Der Leiter der Steuerabteilung des Finanzministeriums hat freiwillig dem Finanzausschuß des Landtages in der 20. Sitzung Sondersitzung am 4. August 1997 Art, Inhalt und Umfang seiner Vortragstätigkeit offengelegt und erläutert. Er hat klargestellt, daß Gegenstand seiner Vorträge Gesetzesänderungen, Verwaltungsanweisungen und Rechtsprechung zu aktuellen Steuerrechtsproblemen sind. Auf das ausführliche Protokoll des Finanzausschusses wird hingewiesen. Erkenntnisse, die über die dort mitgeteilten Informationen hinausgehen, liegen dem Finanzministerium nicht vor. Zu I. 4. und 5.: Die Tätigkeit des Beamten im Prüfungsausschuß für Steuerberater liegt als angeordnete Nebentätigkeit im dienstlichen Interesse. Wie in der Sondersitzung des Finanzausschusses am 4. August 1997 dargelegt, konnte das Finanzministerium davon ausgehen, daß keine Interessenkonflikte bestehen. Auf das ausführliche Protokoll des Finanzausschusses wird hingewiesen. Das Finanzministerium ist auf Antrag des Beamten in Vorermittlungen eingetreten. *) Der Überschreitung der Drei-Wochen-Frist wurde zugestimmt. 3
Zu I. 6.: Erkenntnisse über den Inhalt von Vorträgen, die über die in der Sondersitzung des Finanzausschusses am 4. August 1997 mitgeteilten Informationen hinausgehen, liegen dem Finanzministerium nicht vor. Zu I. 7.: Dem Finanzministerium ist bekannt, daß Fachvorträge zu aktuellen Steuerrechtsproblemen mehrheitlich von Beamtinnen und Beamten des gehobenen und höheren Dienstes der Steuerverwaltung gehalten werden, die keine leitenden Positionen innehaben. Erkenntnisse über die Anzahl der Vortragenden liegen dem Finanzministerium nicht vor. Der Leiter der Steuerabteilung des Finanzministeriums ist Vorsitzender des Prüfungsausschusses für die Steuerberaterprüfung und nimmt selbst als Prüfer an der Steuerberaterprüfung teil. Daneben ist eine Reihe weiterer Beamter des höheren Dienstes der Steuerverwaltung an der Durchführung der Steuerberaterprüfung beteiligt. Von diesen Beamten, die aus dem Finanzministerium, den Oberfinanzdirektionen und den Finanzämtern kommen, haben 19 Beamte eine leitende Position inne. Zu I. 8. und 9.: Zur Rechtslage bei Vortragstätigkeiten wird auf die Ausführungen zu Nr. I. 3. Bezug genommen. Der Leiter der Steuerabteilung im Finanzministerium hat Behauptungen, daß Angehörige der steuerberatenden Berufe durch seine Vorträge früher als die Finanzämter über Rechtsänderungen informiert würden, in der Sondersitzung des Finanzausschusses als falsch bezeichnet. Seine Auskunft wurde von den drei Oberfinanzpräsidenten durch schriftliche Stellungnahmen, die dem Finanzausschuß übergeben wurden, erhärtet. Zu I. 10.: Die Mitwirkung des Leiters der Steuerabteilung an der Durchführung der Steuerberaterprüfung beschränkt sich im wesentlichen auf die Mitwirkung an der mündlichen Prüfung. Bei der Steuerberaterprüfung 1996, deren mündlicher Prüfungsteil im Frühjahr 1997 abgehalten wurde, führte er insgesamt an drei Tagen vor- und nachmittags sowie an zwei Tagen vormittags den Vorsitz des Prüfungsausschusses. Die versäumte Arbeitszeit ist im Rahmen einer mit dem Rechnungshof abgestimmten Regelung für dienstbezogene Lehr- und Prüfungstätigkeiten vor- oder nachzuleisten. Zu I. 11.: Der Beamte bedarf gemäß 9 Landesnebentätigkeitsverordnung (LNTVO) der vorherigen schriftlichen Genehmigung, wenn er bei Ausübung einer Nebentätigkeit Einrichtungen, Personal oder Material seines Dienstherrn in Anspruch nehmen will. Der Leiter der Steuerabteilung des Finanzministeriums hat keine derartige Genehmigung beantragt. Dem Finanzministerium liegen keine Erkenntnisse vor, nach denen für einen entsprechenden Antrag ein Anlaß bestanden hätte. Eine Zuarbeit durch Angehörige des Finanzministeriums für die Vortragstätigkeit erfolgt nach Angaben des Beamten nicht. Es kommt gelegentlich vor, daß von Mitarbeitern für Fortbildungszwecke privat erstellte Arbeitsunterlagen auch dem Leiter der Steuerabteilung des Finanzministeriums zur Verfügung gestellt werden. 4
Der Leiter der Steuerabteilung des Finanzministeriums veröffentlicht gelegentlich steuerrechtliche und wissenschaftliche Abhandlungen in Fachzeitschriften. Dies geschieht meist in Zusammenarbeit mit einem Mitarbeiter, der regelmäßig als Mitautor, bei hälftiger Honoraraufteilung, in Erscheinung tritt. Zu I. 12.: Bei den drei Oberfinanzdirektionen liegen keine Anträge von Steuerbeamten vor, die auf eine Genehmigung zur Inanspruchnahme von Einrichtungen, Personal oder Material des Dienstherrn bei Ausübung von Nebentätigkeiten gerichtet sind. Zu II. 1.: Dem Finanzministerium ist nicht bekannt, welche Personen außer den Herren Dr. Märkle und Russ am Abend des 12. März 1997 am Stammtisch im Restaurant Schellenturm anwesend waren. Zu II. 2. bis 5.: Es ist nicht Aufgabe der Landesregierung, die in den Nummern 2 und 3 nachgefragten Bewertungen anzustellen bzw. die Auffassung des Finanzministeriums zu bewerten. Nach Artikel 49 der Landesverfassung leitet jeder Minister innerhalb der vom Ministerpräsidenten vorgegebenen Richtlinien der Politik seinen Geschäftsbereich selbständig unter eigener Verantwortung. Im übrigen verweist das Finanzministerium auf das Protokoll der 20. Sitzung Sondersitzung des Finanzausschusses am 4. August 1997. In dieser Sitzung hat das Finanzministerium durch mehrere Beamte sowohl das angesprochene strafrechtliche Gutachten als auch die Vorgehensweise und die Verfahrensabläufe innerhalb des Finanzministeriums ausführlich dargelegt und erläutert. Zu II. 6.: Gegen den Beamten wurde am 4. August 1997 wegen des Verdachts der Verletzung des Dienstgeheimnisses und anderer Vorwürfe ein disziplinarisches Vorermittlungsverfahren eingeleitet. Das Vorermittlungsverfahren ist bis zur Beendigung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ausgesetzt. Mayer-Vorfelder Finanzminister 5