Titel zum Inhalt: Infektionen Unterschätzte Gefahr: Nadelstiche Infektionskrankheiten durch Nadelstichverletzungen sind ein typisches Berufsrisiko im Gesundheitswesen. Besonders betroffen sind Ärzte und Pflegekräfte in Krankenhäusern. Der Kreis der potenziell Gefährdeten, für deren Schutz die kommunalen Arbeitgeber verantwortlich sind, ist aber weitaus größer. Er umfasst auch Beschäftigte im Gesundheitsamt und Mitarbeiter der Sozialstation sowie jede einzelne Gemeindekrankenschwester. Was hat Bill Clinton mit Nadelstichverletzungen zu tun? Im Prinzip nicht viel, wäre da nicht das letzte Gesetz, das der 42. Präsident der USA am Ende seiner Amtszeit unterzeichnet hat. Dieser National Needlestick Safety and Prevention Act schreibt den Krankenhäusern vor, nur noch Sicherheitsprodukte zu verwenden, zum Beispiel sichere Spritzensysteme. Anlass für die flächendeckende Einführung war die hohe Zahl an Infektionserkrankungen, die sich Klinikmitarbeiter durch Nadelstichverletzungen zuzogen. Unter Nadelstichverletzungen versteht man alle Stiche und Schnitte an gebrauchten medizinischen Geräten, die Kontakt zu Patientenblut hatten und damit infektiös sein können. Sie zählen in Deutschland zu den häufigsten Arbeitsunfällen im Gesundheitswesen. Allerdings wird nur ein Bruchteil der tatsächlichen Vorfälle auch gemeldet. Schätzungen reichen von einem Unfall pro Mitarbeiter alle zwei Jahre bis zu einem Unfall pro Tag bei operierenden Chirurgen. 500.000 jährlich sollen es mindestens sein. Foto: fotolia Verletzungen werden bagatellisiert Diese Häufung ist aus mehreren Gründen verhängnisvoll, wie Dr. Ulrike Hein-Rusinek, Leiterin des Betriebsärztlichen Dienstes der Sana Kliniken Düsseldorf GmbH, erläutert: Stichverletzungen werden immer noch bagatellisiert. Vor allem ältere Mitarbeiter nehmen sie als selbstverständlich hin, so als ob sie zum Beruf dazugehörten. Die Folgen aber können fatal sein. Besonders gefährlich sind Infektionen mit dem Hepatitis B und C sowie dem HI-Virus. Hein-Rusinek: Hepatitis B beispielsweise kann Leberkrebs auslösen. Solche Unfälle dürfen daher auf keinen Fall verharmlost werden. 1 von 5 11.12.2007 11:57
Risikobewusstsein schaffen Die Düsseldorfer Ärztin erkannte zu Beginn ihrer Tätigkeit im Jahr 2001 schnell, dass in den von ihr betreuten Krankenhäusern das Problembewusstsein nur unzureichend vorhanden war und die Infektionsrisiken durch Nadelstichverletzungen völlig unterschätzt wurden. Seither betreibt sie intensive Aufklärungsarbeit, führt Schulungen durch und bietet auch individuelles Coaching an. Zu den Schulungsinhalten gehört beispielsweise auch das Einüben von sicheren Bewegungsabläufen und Übergabetechniken im Operationssaal. Insgesamt hat sie festgestellt, dass jüngere Pflegekräfte durch die inzwischen gute Aufklärung in den Pflegeschulen schon deutlich risikobewusster sind als ihre älteren Kollegen und zum Teil leider auch Ärzte. Als Weiteres hat Hein-Rusinek eine umfangreiche Dokumentation der Nadelstichverletzungen eingeführt. Die Auswertung der Daten hilft, Risiken besser einzuschätzen und gezielt auf richtige Verhaltensweisen hinzuwirken. Auffällig ist, so die Betriebsärztin, dass die Zahl der gemeldeten Nadelstichverletzungen deutlich gestiegen ist. Allem Anschein zum Trotz sei dies eine positive Entwicklung: Die Vorfälle würden häufiger gemeldet als früher, was zeige, dass die Mitarbeiter mehr sensibilisiert seien. Wichtige Prävention: Impfen Eine weitere wichtige Präventionsmaßnahme in den Düsseldorfer Kliniken sind Impfungen. Hein-Rusinek: Als ich hier als Betriebsärztin angefangen habe, waren die wenigsten Ärzte und Pflegekräfte geimpft. Inzwischen liegt die Durchimpfungsquote bei über 90 Prozent. Zwar geben Impfungen keine hundertprozentige Sicherheit sie bieten zum Beispiel keinen Schutz gegen Hepatitis C sowie HIV/AIDS, konsequente Impfungen gegen Hepatitis B konnten in den achtziger Jahren die Zahl der berufsbedingten Erkrankungen im Gesundheitswesen aber deutlich reduzieren. Um weitere Fortschritte zu erzielen, sind neben Impfungen und Schulungen vor allem sichere Instrumente notwendig. Der beste Weg der Entsorgung: Die Kanüle wird direkt nach Gebrauch in einen Sammelbehälter geworfen, wie Dr. Ulrike Hein-Rusinek demonstriert. Sicherheitsprodukte senken das Risiko Ein Blick auf die Unfallursachen zeigt, dass sich viele Beschäftigte beim so genannten Recapping verletzen, das heißt, beim Zurückstecken der gebrauchten Nadel in die Schutzhülle. Diese Vorgehensweise ist allerdings gar nicht zulässig. Nach der Technischen Regel für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) 250 Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und der Wohlfahrtspflege dürfen Kanülen weder in Plastikschutzhüllen zurückgesteckt noch verbogen oder abgeknickt werden. Dass Recapping dennoch praktiziert wird, liegt häufig daran, dass an Ort und Stelle keine oder nicht genug stichsichere Entsorgungsbehälter vorhanden sind. Offene Kanülen landen auch immer wieder ungeschützt im Abfall und gefährden insbesondere die Reinigungskräfte. Wenn sie zu uns kommen, sind sie noch nicht ausreichend geimpft, was erst in meiner Abteilung geschieht, erklärt Hein-Rusinek deren besonderes Infektionsrisiko. Erschwerend komme hinzu, dass bei den Reinigungsfirmen eine hohe Fluktuation herrsche. In den meisten Fällen können Instrumente mit integrierten Sicherheitsvorrichtungen, bei denen die Kanülen nach Gebrauch abgedeckt oder blockiert werden, die Verletzungen verhindern. Der Vorteil dieser Sicherheitsprodukte liegt darin, dass sie jederzeit, unabhängig von der jeweiligen Arbeitssituation und den besonderen Umständen (z.b. Stress, unübersichtliches Arbeitsfeld) einen bestmöglichen Schutz vor Nadelstichverletzungen bieten. Dirk Ruthmann, zuständig für den Bereich Arbeitssicherheit in den Sana Kliniken Düsseldorf GmbH, hat zusammen mit Hein-Rusinek die sicheren Instrumente in diesem Jahr eingeführt. Er ist vom Erfolg der 2 von 5 11.12.2007 11:57
Maßnahme überzeugt: In Ländern, in denen der Einsatz dieser Instrumente bereits gesetzlich vorgeschrieben ist, haben Studien klar belegt, dass die Anzahl der Nadelstichverletzungen um bis zu 90 Prozent reduziert werden konnte. Technische Regel fordert Umrüstung Hintergrund der Einführung war die Neufassung der TRBA 250 im August 2006. Sie fordert den Arbeitgeber nun auf, spitze oder scharfe medizinische Instrumente durch geeignete sichere Arbeitsgeräte zu ersetzen, soweit dies technisch möglich ist. Sichere Systeme müssen beispielsweise eingesetzt werden, wenn Patienten behandelt werden, die mit Hepatitis B oder C oder HIV infiziert sind, sowie im Rettungsdienst und in der Notaufnahme. Außerdem kommen sie bei Tätigkeiten zum Einsatz, bei denen Körperflüssigkeiten in infektionsrelevanter Menge übertragen werden können. Das ist zum Beispiel bei der Blutentnahme der Fall. Bedenken wegen Mehrkosten dieser Produkte sollten nach Ansicht von Ruthmann kein Hindernis sein: Weil man tendenziell feststellen kann, dass die Folgekosten der Nadelstichverletzungen teurer, die Sicherheitsprodukte selbst deutlich günstiger werden. Es gibt allerdings Bereiche, in denen Nadelstichverletzungen nur schwer zu vermeiden sind. Im Operationssaal zum Beispiel, wo unter Zeitdruck geschnitten und genäht werden muss. Denn für Nähnadeln gibt es noch keine effiziente stichsichere Variante. Beispiel eines sicheren Blutentnahmesets: Die Schutzhülse wird über die Kanüle geschoben und rastet dann ein. Mitarbeiter einbeziehen Akzeptanz stärken Der Umgang mit den neuen Instrumenten erfordert eine gewisse Übung. Deshalb werden die Ärzte und Schwestern in den Düsseldorfer Kliniken in die Sicherheitsprodukte eingewiesen. Die Akzeptanz für Sicherheitsprodukte zu erhöhen, sei eine wichtige Aufgabe der Arbeitgeber, betont Hein-Rusinek. Vor allem die Vorgesetzten müssen gewonnen werden, damit sie ein Vorbild abgeben. Um die Mitarbeiter von den Produkten zu überzeugen, erhielten sie die Möglichkeit zu testen, mit welchen Produkten sie am besten umgehen können. Und wenn sie sich trotz aller Sicherheitsvorkehrungen doch eine Nadelstichverletzung zuziehen? Dann greife ein umfassender Notfallplan, erläutert Hein-Rusinek. Nach der Meldung werde zunächst das Infektionsrisiko geprüft. Daran orientierten sich alle weitergehenden Maßnahmen mit dem Ziel, eine Infektion zu verhindern. Über die erforderlichen Schritte werden die Mitarbeiter in jährlich stattfindenden Schulungen informiert. Außerdem sind sie in einem Notfallordner auf jeder Station und im Intranet hinterlegt. Wichtig sei, dass möglichst schnell gehandelt werde, erklärt die Betriebsärztin: Für Gegenmaßnahmen bleibt oft nur wenig Zeit. Beispiel einer Sicherheitskanüle: Eine Verschlussklappe deckt die Nadel nach Gebrauch ab. Christian Donner, Wickede Ursachen für Nadelstichverletzungen Die häufigsten Gründe für die Verletzungen sind: Zurückstecken der Schutzkappe auf gebrauchte Kanülen 3 von 5 11.12.2007 11:57
Falsche Entsorgung benutzter Instrumente Unzureichende Ausstattung mit Entsorgungsbehältern für gebrauchte Nadeln Mangelhafte Entsorgungsbehälter Überfüllte Entsorgungsbehälter Achtlose Übergabe von Instrumenten. Tätigkeiten, bei denen sich häufig Verletzungen ereignen: Injizieren von Blut in Blutkulturflaschen Entnehmen von Blut aus Blutkulturflaschen mittels Spritzenkanülen Manuelles Entfernen der Kanüle von der Spritze Blutentnahme mittels Spritzenkanüle aus einer liegenden Leitung (z.b. Katheter) Einspritzen von Materialien in einen Probenbehälter (z.b. in ein Laborröhrchen). Wie sehen sichere Instrumente aus? Ein Sicherheitsprodukt zur Vermeidung von Nadelstichverletzungen muss bestimmte Merkmale aufweisen, zum Beispiel: Der Sicherheitsmechanismus ist Bestandteil des Produkts und kein Zubehör. Die Aktivierung muss intuitiv erfolgen können. Die Aktivierung muss sofort nach dem Entfernen aus der Vene/Arterie möglich sein. Die Aktivierung des Sicherheitsmechanismus kann mit einer Hand erfolgen. Der Gebrauch des Produkts erfordert keine prinzipielle Änderung der Anwendungstechnik. Der Sicherheitsmechanismus darf nicht reaktivierbar sein Die Aktivierung des Sicherheitsmechanismus muss durch ein Signal (fühlbar oder hörbar) erkennbar sein. 4 von 5 11.12.2007 11:57
Praxishilfen CD-ROM Kleiner Stich mit Folgen Für Einrichtungen im Gesundheitswesen haben die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand in Nordrhein-Westfalen zusammen mit der Bergischen Universität Wuppertal eine Handlungshilfe in Form einer CD-ROM entwickelt. Titel: Kleiner Stich mit Folgen. Sie hilft Verantwortungsträgern und Führungskräften zum Beispiel bei der Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung, die ausführlich Nadelstichverletzungen berücksichtigt der Erstellung tätigkeitsbezogener Betriebsanweisungen der Auswahl und Einführung von sicheren Instrumenten (z.b. sind alle Hersteller aufgelistet) der Ausstattung mit Abwurfbehältern für Kanülen der Schulung der Beschäftigten im Rahmen von Unterweisungen. Kurze Filme veranschaulichen beispielsweise, wie sichere Produkte gehandhabt werden. Die CD kann zum Preis von 3 Euro inklusive Versandkosten per E-Mail beim Rheinischen Gemeindeunfallversicherungsverband bestellt werden: j.wolter@rguvv.de. Eine Downloadmöglichkeit besteht unter: www.rguvv.de (> Gesundheitsdienstportal). Weitere Informationen GUV-I 8537 Nadelstichverletzungen vermeiden. Downloadmöglichkeit: http://regelwerk.unfallkassen.de www.nadelstichverletzung.de: Die Initiative SAFETY FIRST stellt auf ihrer Internetseite unter anderem eine Software zur Erfassung und Auswertung von Nadelstichverletzungen vor. Außerdem befinden sich hier Beispiele sicherer Instrumente sowie eine Kosten-Nutzen-Analyse. zum Inhalt: 5 von 5 11.12.2007 11:57