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Transkript:

Gesetzliche Schuldverhältnisse Vorlesung am 22.06.2011 Der Tatbestand des 823 Abs. 1 (II) Prof. Dr. Thomas Rüfner Materialien im Internet: http://ius-romanum.unitrier.de/index.php?id=39651

Die Rechtsgutverletzung Es muss eines der in 823 Abs. 1 BGB aufgezählten Rechte oder Rechtsgüter verletzt sein. Als sonstiges Recht kommt nur ein mit dem Eigentum strukturell vergleichbares, absolut geschütztes Recht in Frage. Z.B. Urheber- oder Patentrecht, allgemeines Persönlichkeitsrecht, berechtigter Besitz, eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb. Nicht: Schädigung des Vermögens als solches. Prof. Dr. Th. Rüfner 2

Die Handlung des Schädigers Handlung = der Bewussteinskontrolle unterliegendes, beherrschbares Verhalten. = Tun oder Unterlassen. Unterlassen macht nur bei Bestehen einer Handlungspflicht haftbar. Handlungspflichten ergeben sich insbesondere aus Verkehrssicherungspflichten. Prof. Dr. Th. Rüfner 3

Haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität Die Rechtsgutverletzung muss durch eine Handlung des Schädigers verursacht sein (haftungsbegründende Kausalität). Außerdem muss die Rechtsgutsverletzung zu einem Schaden geführt haben (haftungsausfüllende Kausalität) Sog. Äquivalenztheorie oder condicio-sine-qua-non-lehre: Die Handlung ist dann kausal für die Rechtsgutverletzung, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Rechtsgutverletzung entfiele. Bsp.: Hätte der Schädiger nicht einen Stein in die Fensterscheibe geworfen, dann wäre die Scheine nicht zerstört worden. Einschränkungen der Äquivalenztheorie durch Adäquanztheorie, Lehre vom Schutzzweck der Norm, sind vor allem auf der Ebene der haftungsausfüllenden Kausalität von Bedeutung, müssen aber auch auf der Ebene der haftungsbegründenden Kausalität geprüft werden. Sonderregel zur haftungsbegründenden Kausalität in 830 Abs. 1 S. 2 BGB! Prof. Dr. Th. Rüfner 4

Fall 1 (nach BGH, NJW 1952, 1010) O wird 1937 bei einem von T verursachten Unfall verletzt. Ihm muss ein Bein amputiert werden. Durch Urteil wird festgestellt, dass T verpflichtet ist, dem O jeden künftig aus der Verletzung erwachsenden Schaden zu ersetzen. Im Jahr 1945 wird O durch einen Granatsplitter getötet, weil er infolge seiner Gehbehinderung nicht in der Lage ist, schnell genug den Bunker aufzusuchen. Prof. Dr. Th. Rüfner 5

Lösung (I) Rechtsgutverletzung: Verletzung im Jahr 1937. Handlung: Unfallbeteiligung des T. Haftungsbegründende Kausalität: Unproblematisch. Rechtswidrigkeit, Verschulden: Unproblematisch. Haftungsausfüllende Kausalität: Vom BGH verneint: Es fehlt am adäquaten Kausalzusammenhang, weil der Schaden auf besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Umständen beruht. Prof. Dr. Th. Rüfner 6

Lösung (II) Rechtsgutverletzung: Verletzung im Jahr 1945. Handlung: Unfallbeteiligung des T. Haftungsbegründende Kausalität: Ebenfalls nach der Adäquanztheorie zu verneinen. Prof. Dr. Th. Rüfner 7

Fall 2: BGH, NJW 2002, 2232 B will seine getrennt lebende Ehefrau X zur Rede stellen, die sich in der Wohnung ihres Freundes Y aufhält. Um sich Zutritt zur Wohnung des Y zu verschaffen, tritt B die Tür ein. Als B mit der Tür in die Wohnung hereinkracht, springt K, der Bruder des Y, der sich zufällig in der Wohnung aufhält, in Panik aus dem Fenster und stürzt 9 Meter tief. Er wird schwer verletzt und verlangt Ersatz für Heilungskosten und Verdienstausfall sowie ein Schmerzensgeld von B. Prof. Dr. Th. Rüfner 8

Lösung Anspruch aus 823 Abs. 1 BGB? Rechtsgutverletzung: Körper ist verletzt. Handlung des B: Hereinkrachen ins Zimmer. Haftungsbegründende Kausalität? Äquivalente Kausalität im Sinne der condicio sine qua non-formel ist gegeben. Da K sich zu seinem Verhalten herausgefordert fühlen durfte, ist auch die sog. adäquate Kausalität gegeben. Rechtswidrigkeit? Ist indiziert. Verschulden? +. Schaden: 842 (für Verdienstausfall) und 253 Abs. 2 (für Schmerzensgeld). Haftungsausfüllende Kausaliät? + Prof. Dr. Th. Rüfner 9

Die Rechtswidrigkeit Lehre vom Erfolgsunrecht: Verwirklichung des Tatbestandes (= Verursachung der Rechtsgutverletzung) indiziert Rechtswidrigkeit. Rechtswidrigkeit fehlt nur bei besonderen Rechtfertigungsgründen. Lehre vom Handlungsunrecht: Verwirklichung des Tatbestandes indiziert nur bei vorsätzlichem Verhalten die Rechtswidrigkeit. Bei fahrlässigem Verhalten muss die Rechtswidrigkeit durch einen Verstoß gegen Sorgfaltspflichten belegt werden. Bsp.: Produktion eines Autos ist nicht rechtswidrig, auch wenn sie für einen späteren Unfall kausal ist. Rechtswidrig (wegen Verstoßes gegen eine Verkehrssicherungspflicht) ist aber die Produktion eines PKW mit defekten Bremsen. Die h.m. folgt bei unmittelbarer Verursachung (kurze Kausalkette) der Lehre vom Erfolgsunrecht und bei mittelbarer Verursachung (lange Kausalketten) der Lehre vom Handlungsunrecht! A schlägt B. Die Handlung ist rechtswidrig, wenn kein Rechtfertigungsgrund eingreift. A produziert ein Messer, mit dem O den B verletzt. A handelt nicht rechtswidrig, wenn er nicht gegen eine Verkehrs(sicherungs)pflicht verstößt. Prof. Dr. Th. Rüfner 10

Das Verschulden Vorsatz und Fahrlässigkeit. Verschulden bezieht sich auf die Verursachung der Rechtsgutverletzung, nicht auf die haftungsausfüllende Kausalität! Darum sind die Einschränkungen der Äquivalenztheorie bei der haftungsausfüllenden Kausalität wichtiger! Soweit man der Lehre vom Handlungsunrecht folgt, hat die Verschuldensprüfung nur geringe Bedeutung. Jedenfalls zu prüfen: 827 f. BGB! Prof. Dr. Th. Rüfner 11

Gesetzliche Schuldverhältnisse Vorlesung am 27.06.2011 Fälle zur Wiederholung und Vertiefung Prof. Dr. Thomas Rüfner Materialien im Internet: http://ius-romanum.unitrier.de/index.php?id=39651