Fundament Analysis. Michael Kaltenbäck

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Transkript:

Fundament Analysis Michael Kaltenbäck

Inhaltsverzeichnis Vorwort ix 1 Mengen und Abbildungen 1 1.1 Mengen................................... 1 1.2 Funktionen................................. 4 1.3 Äquivalenzrelation............................. 8 1.4 Übungsaufgaben.............................. 9 2 Die reellen Zahlen 13 2.1 Algebraische Struktur der reellen Zahlen................. 13 2.2 Ordnungsstruktur der reellen Zahlen.................... 16 2.3 Die natürlichen Zahlen........................... 21 2.4 Die ganzen Zahlen............................. 33 2.5 Eine alternative Konstruktion von Z*................... 37 2.6 Dividieren mit Rest*............................ 41 2.7 Der Körper Q................................ 44 2.8 Archimedisch angeordnete Körper..................... 49 2.9 Das Vollständigkeitsaxiom......................... 50 2.10 Dedekindsche Schnitte*.......................... 54 2.11 Die komplexen Zahlen........................... 59 2.12 Übungsaufgaben.............................. 61 3 Der Grenzwert 69 3.1 Metrische Räume.............................. 69 3.2 Der Grenzwert in metrischen Räumen................... 74 3.3 Folgen reeller und komplexer Zahlen................... 80 3.4 Monotone Folgen.............................. 84 3.5 Cauchy-Folgen............................... 88 3.6 Konvergenz in weiteren metrischen Räumen............... 90 3.7 Konvergenz gegen unendlich........................ 93 3.8 Konvergenz gegen ± als metrische Konvergenz*............ 96 3.9 Unendliche Reihen............................. 100 3.10 Konvergenzkriterien............................ 105

vi Inhaltsverzeichnis 3.11 Übungsaufgaben.............................. 110 4 Die Konstruktion der reellen Zahlen 119 4.1 Existenz................................... 119 4.2 Eindeutigkeit................................ 124 5 Topologie metrischer Räume 127 5.1 ɛ-kugeln, offene und abgeschlossene Mengen............... 127 5.2 Kompaktheit................................ 134 5.3 Gerichtete Mengen und Netze....................... 139 5.4 Unbedingte Konvergenz und Umordnen von Reihen........... 146 5.5 Grenzwerte von Funktionen........................ 154 5.6 Übungsaufgaben.............................. 159 6 Reelle und komplexe Funktionen 165 6.1 Stetigkeit.................................. 165 6.2 Der Zwischenwertsatz........................... 173 6.3 Gleichmäßige Stetigkeit.......................... 175 6.4 Unstetigkeitsstellen............................. 178 6.5 Monotone Funktionen........................... 181 6.6 Gleichmäßige Konvergenz......................... 183 6.7 Vervollständigung*............................. 190 6.8 Reell- und komplexwertige Folgen und Reihen von Funktionen..... 192 6.9 Die Exponentialfunktion.......................... 197 6.10 Fundamentalsatz der Algebra....................... 206 6.11 Weitere wichtige elementare Funktionen................. 208 6.12 Abelscher Grenzwertsatz*......................... 212 6.13 Übungsaufgaben.............................. 214 7 Differentialrechnung 223 7.1 Begriff der Ableitung............................ 223 7.2 Mittelwertsätze............................... 230 7.3 Motivation zum Taylorschen Lehrsatz*.................. 240 7.4 Der Taylorsche Lehrsatz.......................... 243 7.5 Stammfunktion............................... 248 7.6 Übungsaufgaben.............................. 256 8 Das Riemannsche Integral 261 8.1 Ober- und Untersummen.......................... 261 8.2 Das Riemann-Integral........................... 265 8.3 Integrale von stetigen Funktionen..................... 272 8.4 Differential und Integralrechnung..................... 273 8.5 Weitere Eigenschaften des Integrals*................... 279 8.6 Uneigentliche Integrale........................... 280

Inhaltsverzeichnis vii 8.7 Vertauschung von Integralen mit Grenzwerten.............. 283 8.8 Mittelwertsatz............................... 294 8.9 Übungsaufgaben.............................. 296 9 Normen und Banachräume 303 9.1 Normierte Räume.............................. 303 9.2 Lineare Abbildungen............................ 307 9.3 Banachraumwertige Reihen, Funktionen, etc................ 313 9.4 Übungsaufgaben.............................. 328 10 Ableitungen nach mehreren Variablen 333 10.1 Partielle Ableitungen............................ 333 10.2 Höhere Ableitungen............................ 343 10.3 Extremwerte................................ 350 10.4 Übungsaufgaben.............................. 356 11 Wegintegrale 361 11.1 Wege.................................... 361 11.2 Wegintegrale................................ 367 11.3 Offene Mengen in R n und Gebiete..................... 373 11.4 Gradientenfelder.............................. 375 11.5 Homotopie und einfacher Zusammenhang................. 384 11.6 Komplexe Wegintegrale und Holomorphie................ 387 11.7 Laurentreihen*............................... 401 11.8 Nochmals komplexe Differenzierbarkeit*................. 403 11.9 Harmonische Funktionen*......................... 405 11.10 Übungsaufgaben.............................. 406 12 Topologische Grundlagen 413 12.1 Topologische Grundbegriffe........................ 413 12.2 Abgeschlossene Mengen.......................... 418 12.3 Stetige Abbildungen............................ 423 12.4 Basis, Subbasis............................... 427 12.5 Initiale Topologie.............................. 431 12.6 Spur- und Produkttopologie........................ 434 12.7 Finale Topologie*............................. 437 12.8 Zusammenhang und Trennungseigenschaft (T1)*............. 439 12.9 Trennungseigenschaften (T3) und (T4).................. 442 12.10 Das Lemma von Urysohn*......................... 444 12.11 Kompaktheit................................ 448 12.12 Satz von Tychonoff*............................ 453 12.13 Kompaktheit in metrischen Räumen.................... 454 12.14 Alexandroff-Kompaktifizierung...................... 460 12.15 Der Satz von Stone-Weierstraß....................... 463

viii Inhaltsverzeichnis 12.16 Übungsaufgaben.............................. 468 13 Lemma von Zorn* 475 Literaturverzeichnis 479 Index 480

Vorwort Das vorliegende Buch ist aus den Skripten zu den Vorlesungen Analysis 1 und Analysis 2 an der TU Wien entstanden. Diese beiden Vorlesung habe ich seit 2005 viermal gehalten, und viele Studenten sowie Kollegen haben mich auf Druckfehler, mathematische Ungereimtheiten oder auch Fehlendes aufmerksam gemacht, wofür ich sehr sehr dankbar bin. Ich hoffe daher, dass das vorliegende Werk nicht mehr allzu fehlerbehaftet ist. Die hier auftauchenden Begriffe, Konzepte und Ergebnisse sind eine wichtige Grundlage für die meisten Vorlesungen in den folgenden Semestern. So wird etwa das Verständnis von Stetigkeit, Differenzierbarkeit und Konvergenz als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Ich habe also darauf geachtet, dass dieses Buch nicht nur als Lernunterlage, sondern auch später als Nachschlagewerk verwendet werden kann. Insbesondere findet sich am Ende ein ausführlicher Index. Obwohl die Anfänge der Analysis inhaltlich nicht viel Spielraum für den Vortragenden lassen, habe ich versucht, auf die Dinge besonderes Augenmerk zu legen, die mir in meiner Arbeit als Mathematiker und im Hinblick auf spätere Vorlesungen wichtig erscheinen. Ich möchte aber auch betonen, dass das meine ganz persönliche Sicht der Materie ist. Es kann für Sie daher nur von Nutzen sein, wenn sie auch in andere Analysis Bücher bzw. Skripten manch Blicke werfen, um daraus zu lernen. Neben den klassischen Inhalten wie die Beschaffenheit von R, Konvergenztheorie von Folgen und Reihen, Stetigkeit, Differenzierbarkeit in einer und mehreren Variablen, Riemann- Integral und Wegintegral werden hier auch elementare Eigenschaften von Banachräumen studiert. Zudem wird aufbauend auf das Konzept der Gradientenfelder eine kurze Einführung in die komplexe Analysis gegeben. Zuletzt beinhaltet diese Buch eine Einführung in die mengentheoretische Topologie. Selbige hat sich in der modernen Mathematik als unverzichtbar wichtiges Werkzeug für diverse Gebiete etabliert. Die mit * gekennzeichneten Abschnitte, Resultate bzw. Bemerkungen ist weiterführendes bzw. tiefer erklärendes Material, welches nicht zum Verständnis von nachfolgenden Inhalten notwendig ist, und daher beim ersten Mal übergangen werden kann. Bezüglich der noch versteckten Fehler möchte ich die Leser bitten, mir entdeckte Druckfehler mit Seiten und Zeilenangabe per Email zu schicken: michael.kaltenbaeck@tuwien.ac.at Michael Kaltenbäck Wien, 2015

Kapitel 1 Mengen und Abbildungen 1.1 Mengen Die Objekte der modernen Mathematik sind die Mengen. Obwohl die Logik einen axiomatischen Zugang zur Mengenlehre bietet, wollen wir uns in dieser Vorlesung auf den naiven Mengenbegriff stützen. 1.1.1 Definition. Eine Menge ist eine Zusammenfassung von bestimmten, wohl unterschiedenen Objekten unserer Anschauung zu einem Ganzen. Die Objekte heißen Elemente der Menge. Ist x ein solches Element von M, so schreiben wir x M. Im Falle, dass x nicht zu M gehört, schreiben wir x M. Möglichkeiten Mengen darzustellen sind die aufzählende Schreibweise wie zum Beispiel M = {a, b, c, d, e} oder M = {1, 2,... }, und die beschreibende Schreibweise wie etwa M = {x : x ist ungerade ganze Zahl}. Man beachte zum Beispiel, dass die Menge {a, b, c} gleich der Menge {c, a, b, a} ist, und dass z.b. die Menge {1, 3, 5,... } mit {x : x ist ungerade natürliche Zahl} übereinstimmt. Einer bestimmten Menge werden wir oft begegnen, nämlich der leeren Menge, also der Menge, die keine Elemente enthält. 1.1.2 Definition. Sind A, B Mengen, so sagt man A ist gleich B (A = B), wenn sie dieselben Elemente enthalten. Man sagt A ist eine Teilmenge von B (A B), falls jedes Element von A auch ein Element von B ist. In diesem Fall bezeichnet man auch B als Obermenge von A (B A). Will man zum Ausdruck bringen, dass dabei A mit B nicht übereinstimmt, so schreibt man A B. Schreibweisen wie A B, A B, oder ähnliche sind dann selbsterklärend.

2 1 Mengen und Abbildungen Hat man zwei oder mehrere Mengen, so kann man diese in verschiedener Weise miteinander verknüpfen. 1.1.3 Definition. Seien A und B zwei Mengen: Die Menge A B = {x : x A oder x B} heißt die Vereinigungsmenge von A und B. Für A B sagt man kurz auch A vereinigt B. Die Menge A B = {x : x A und x B} heißt die Schnittmenge von A und B. Man sagt kurz auch A geschnitten B. Die Menge B \ A = {x : x B und x A} ist die Differenz von B und A. Man sagt kurz auch B ohne A. Betrachtet man Teilmengen A einer fixen Grundmenge M, so schreiben wir auch A c für M \ A und nennen es das Komplement von A in M, kurz A Komplement. A B := {(x, y) : x A, y B} das kartesische Produkt der Mengen A und B. Das ist also die Menge, deren Elemente die geordneten Paare sind, deren erste Komponente zu A und deren zweite Komponente zu B gehört 1. Für A A schreibt man auch A 2. Auch Durchschnitt und Vereinigung von mehr als zwei Mengen kann man analog definieren. Ist M i, i I, eine Familie von Mengen, welche mit der Indexmenge I durch indiziert ist, so setzt man M i := {x : x M i für alle i I}, i I M i := {x : es gibt ein i I mit x M i }. i I Das kartesische Produkt endlich vieler Mengen ist analog wie jenes für zwei Mengen erklärt. Zum Beispiel ist A B C := {(x, y, z) : x A, y B, z C}. Für A A A schreibt man A 3, und so weiter. 1.1.4 Beispiel. (i) Einfache Beispiele für Durchschnitts- bzw. Vereinigungsbildung wären: {1, 2, 3} { 1, 0, 1} = {1}, {a, b, 7} {3, 4, x} =, {2, 3, 4, 5} {4, 5, 6, 7} = {2, 3, 4, 5, 6, 7}, {a, b, c} = {a, b, c}. (ii) Ist M 2 = {x Z : es gibt ein y Z, sodass x = 2y}, so wäre Z \ M 2 genau die Menge der ungeraden ganzen Zahlen. Hier und im Folgenden bezeichnet Z die Menge aller ganzen Zahlen. 1 Bemerke, dass (x, y) (y, x) für x y.

1.1 Mengen 3 (iii) Weiters ist {1, 2, 3, 4} \ {4, 5, 6, 7} = {1, 2, 3}, {a, b, c} \ = {a, b, c}. (iv) Bezeichnet man mit N die Menge der natürlichen Zahlen, also N = {1, 2, 3,... }, und mit 2N die Menge der geraden natürlichen Zahlen, so ist das kartesische Produkt N 2N die Menge N 2N = {(1, 2), (1, 4),..., (2, 2), (2, 4),..., (3, 2), (3, 4),...}. 1.1.5 Definition. Ist M eine Menge, so bezeichnet man mit P(M) die Menge aller Teilmengen von M, P(M) = {A : A M}. Diese Menge heißt die Potenzmenge von M. Sie ist also die Menge, deren Elemente alle Teilmengen von M sind. 1.1.6 Beispiel. Ist M = {1, 2, 3}, dann ist die Potenzmenge P(M) gleich P(M) = {, {1}, {2}, {3}, {1, 2}, {1, 3}, {2, 3}, {1, 2, 3}}. Die Potenzmenge der Menge N ist schon viel zu groß, um sie noch in irgendeiner aufzählenden Weise anschreiben zu können. Sie enthält ja neben Mengen des Typs {1, 2, 3}, {4, 6, 7, 8, 1004}, usw. auch noch unendliche Mengen wie zum Beispiel 2N oder {n N : n 27} und viele mehr. 1.1.7 Bemerkung. Für das Verknüpfen von Mengen gelten diverse Rechenregeln. Es gilt zum Beispiel das Distributivgesetz für drei Mengen A, B, C: A (B C) = (A B) (A C), (1.1) A (B C) = (A B) (A C). Um z.b. (1.1) nachzuweisen beachte man, dass zwei Mengen übereinstimmen, wenn ein beliebiges Element x genau dann in der einen Menge ist, wenn es auch in der anderen Menge ist: Ein x liegt in A (B C) genau dann, wenn Das ist gleichbedeutend mit: x A und x B C. x A, und x liegt zumindest in einer der Mengen B bzw. C. Diese Aussage ist aber äquivalent zu: Zumindest eine der Aussagen - x A und x B - oder - x A und x C - trifft zu. Nun ist das dasselbe, wie: Schließlich gilt das genau dann, wenn x A B oder x A C. x (A B) (A C).

4 1 Mengen und Abbildungen 1.2 Funktionen 1.2.1 Definition. Seien M und N Mengen. Eine Teilmenge f M N heißt auch Relation zwischen M und N. f M N heißt Funktion (oder auch Abbildung) von M nach N, wenn zusätzlich gilt: (i) für alle x M gibt es ein y N : (x, y) f ; (ii) sind (x, y 1 ) f und (x, y 2 ) f, so folgt y 1 = y 2. Die Menge M wird als Definitionsmenge und die Menge N als Zielmenge bzw. Wertevorrat bezeichnet. 1.2.2 Fakta. 1. Die Bedingung (i) besagt, dass jedem x (mindestens) ein Funktionswert y zugeordnet wird, man sagt auch f ist überall definiert. Die Bedingung (ii) besagt, dass einem x höchstens ein Funktionswert zugeordnet wird. Man sagt auch f ist wohldefiniert. 2. Eine Funktion f von M nach N lässt sich also als eine Vorschrift auffassen, durch die jedem Element x aus der Menge M in eindeutiger Weise jenes Element y aus der Menge N zugeordnet wird, sodass (x, y) f. Man schreibt y = f (x) und bezeichnet y als den Funktionswert von f an der Stelle x. Dabei stimmen zwei Funktionen f und g von M nach N überein, also f = g, genau dann, wenn f (x) = g(x) für alle x M. 3. Sieht man eine Funktion eher als Abbildungsvorschrift, dann unterscheidet man obwohl mathematisch das Gleiche die Funktion als Abbildungsvorschrift und die Funktion als Teilmenge von M N, und man bezeichnet diese Teilmenge von M N auch als Graph graph f von f. 1.2.3 Beispiel. Sei M die Menge aller Wörter in einem Wörterbuch. N = {1, 2,... } sei die Menge der natürlichen Zahlen. Sei nun f jene Funktion auf M, die jedem Wort die Anzahl seiner Buchstaben zuweist. Also zum Beispiel f ( gehen ) = 5. 1.2.4 Beispiel. Wir haben im Abschnitt über Familien von Mengen M i, i I, gesprochen, ohne genau zu sagen, was das bedeutet. Das ist nämlich die Funktion i M i von der Indexmenge I in die Potenzmenge P(M), wobei M eine hinreichend große Menge ist, die alle Mengen M i enthält, z.b. M = i I M i. Als Abbildungsvorschrift gibt man eine Funktion f von M nach N auch oft an als { M N, f : x f (x). Eine wichtige Funktion soll nun derart angegeben werden.

1.2 Funktionen 5 1.2.5 Definition. Ist M eine Menge, so heißt die Abbildung { M M, id M : x x, die identische Abbildung auf der Menge M. Daher id M : M M mit id M (x) = x. 1.2.6 Definition. Sei f eine Funktion von M nach N und sei A M. Die Funktion, die jedem x A den Funktionswert f (x) zuweist, heißt Einschränkung von f auf A und wird mit f A bezeichnet. Also f A = {(x, y) f : x A}. Ist umgekehrt g eine Funktion von A nach N und M A, so heißt eine Funktion f : M N Fortsetzung von g, falls g = f A. 1.2.7 Definition. Sei f eine Funktion von M nach N. Für eine Teilmenge A von M bezeichne f (A) = {y N : es gibt ein x A, sodass f (x) = y}, das Bild der Menge A unter der Abbildung f. Für f (M) schreibt man auch ran f ; vom englischen Wort range. Diese Menge wird als Wertebereich bzw. Bildmenge von f bezeichnet. Das vollständige Urbild einer Teilmenge B von N ist die Menge f 1 (B) = {x M : f (x) B}. Für y N wird jedes x f 1 ({y}) als ein Urbild von y bezeichnet. 1.2.8 Bemerkung. Ist f : M N eine Funktion, so muss die Zielmenge N im Allgemeinen nicht mit der Bildmenge f (M) übereinstimmen. Ist insbesondere B N mit f (M) B, so kann man f auch als Funktion von M nach B betrachten. 1.2.9 Beispiel. Betrachte zum Beispiel die Funktion n 2n von N in N. Natürlich kann man auch n 2n als Funktion von N in die Menge aller geraden natürlichen Zahlen betrachten. 1.2.10 Bemerkung. In manchen Zusammenhängen betrachtet man auch Funktionen, die nicht überall definiert sind. Das sind Teilmengen von f M N, die nur die Eigenschaft (ii) aus Definition 1.2.1 haben. Damit gibt es zu jedem Wert x M höchstens einen also keinen oder genau einen Funktionswert y N. Der Definitionsbereich dom f (vom englischen Wort domain) der Funktion f ist dann definiert durch: Betrachte etwa dom f = {x M : es gibt ein y N, sodass (x, y) f }. Offenbar ist dann dom f die Menge der geraden Zahlen. f := {(x, y) N 2 : x = 2y}. (1.2)

6 1 Mengen und Abbildungen Folgende Begriffsbildung ist auf den ersten Blick nicht allzu kompliziert. Sie spielt aber in der Mathematik eine immens wichtige Rolle. 1.2.11 Definition. Sei f : M N eine Funktion. f heißt injektiv, wenn für je zwei x 1, x 2 M f (x 1 ) = f (x 2 ) x 1 = x 2 gilt, es also zu jedem Wert y N höchstens ein Urbild gibt. Äquivalent dazu ist, dass aus x 1 x 2 folgt, dass f (x 1 ) f (x 2 ). surjektiv, wenn es zu jedem y N ein x M gibt, sodass f (x) = y, oder äquivalent ran f = N. bijektiv, wenn sie sowohl injektiv als auch surjektiv ist. 1.2.12 Bemerkung. Man beachte, dass die Eigenschaft surjektiv, und somit auch bijektiv, zu sein, ganz wesentlich von der betrachteten Zielmenge der Funktion f abhängt. Denn ist etwa f : M N eine beliebige Funktion, und betrachtet man f als Funktion von M nach f (M) und nicht nach N, so ist f : M f (M) immer surjektiv. Vergleiche auch Bemerkung 1.2.8. 1.2.13 Beispiel. Folgende drei Beispiele zeigen insbesondere, dass keine der beiden Eigenschaften injektiv und surjektiv zu sein, die jeweils andere impliziert. (i) Sei A die Menge aller in Österreich amtlich registrierten Staatsbürger, und sei f jene Funktion, die einer Person aus A ihre Sozialversicherungsnummer zuordnet. Dann ist f : A N keine surjektive (es gibt ja nur endlich viele Österreicher), aber sehr wohl eine injektive Funktion, da zwei verschiedene Personen auch zwei verschiedene Sozialversicherungsnummern haben. (ii) Die Funktion g : A N, die jeder Person ihre Körpergröße in Zentimeter (gerundet) zuordnet, ist weder injektiv noch surjektiv. (iii) Sei h : N N die Funktion, die einer Zahl (dargestellt im Dezimalsystem) ihre Ziffernsumme zuordnet. Diese Funktion ist nicht injektiv (h(11) = 2 = h(2)), aber sie ist surjektiv, denn ist n N, so gilt sicherlich h( } 11 {{... } 1 ) = n. n Stellen 1.2.14 Lemma. Sei f eine Funktion von M nach N. Ist f bijektiv, so ist f 1 = {(y, x) N M : (x, y) f } (1.3) eine bijektive Funktion von N nach M, die f 1 ( f (x)) = x für jedes x M und f ( f 1 (y)) = y für jedes y N erfüllt. Schließlich gilt ( f 1 ) 1 = f.

1.2 Funktionen 7 Beweis. Ist y N, dann existiert ein x M mit y = f (x), da f surjektiv ist. Also ist die Forderung (i) von Definition 1.2.1 für f 1 erfüllt. Um auch (ii) nachzuprüfen, sei (y, x 1 ), (y, x 2 ) f 1. Dann sind (x 1, y), (x 2, y) f und wegen der Injektivität von f folgt x 1 = x 2. Die Funktion f erfüllt die Forderung (i) von Definition 1.2.1. Also gibt es zu jedem beliebigen x M ein y N, sodass (x, y) f bzw. (y, x) f 1. Somit gilt x f 1 (N), und infolge ist f 1 surjektiv. Um die Injektivität von f 1 zu zeigen, gelte f 1 (y 1 ) = f 1 (y 2 ). Mit x := f 1 (y 1 ) = f 1 (y 2 ) folgt (y 1, x), (y 2, x) f 1 bzw. (x, y 1 ), (x, y 2 ) f. Wegen (ii) von Definition 1.2.1 angewandt auf f folgt y 1 = y 2. f 1 ( f (x)) = x bzw. f ( f 1 (y)) = y ist klar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass y := f (x) ja genau (x, y) f und (y, x) f 1 genau f 1 (y) = x bedeutet. ( f 1 ) 1 = f folgt unmittelbar aus der (1.3). 1.2.15 Bemerkung. Man sieht am obigen Beweis, dass die Inverse f 1 einer injektiven Funktion f eine nicht notwendig überall definierte Funktion ist, vgl. Bemerkung 1.2.10. Ihr Definitionsbereich ist gerade ran f. Ist dagegen f nicht injektiv, so ist f 1 nicht einmal mehr eine nicht überall definierte Funktion. Durch unmittelbares Nachprüfen der Definition sieht man, dass die Zusammensetzung von Funktionen wieder eine Funktion ist. 1.2.16 Definition. Seien f : M N und g : N P Funktionen. Dann bezeichne g f jene Funktion von M nach P, die durch (g f )(x) = g( f (x)), x M, definiert ist. Man bezeichnet g f oft auch als die zusammengesetzte Funktion oder als die Hintereinanderausführung von f und g. Ist f eine Abbildung von M nach N, so gilt immer f = f id M = id N f. Außerdem ist die Hintereinanderausführung assoziativ, was für Funktionen f : M N, g : N P und h : P Q bedeutet, dass (h g) f = h (g f ). In der Tat gilt für jedes x M ((h g) f )(x) = (h g)( f (x)) = h ( g( f (x)) ) = h((g f )(x)) = (h (g f ))(x). Wegen der Assoziativität kann man die Klammern weglassen und einfach h g f schreiben. 1.2.17 Bemerkung (*). Man kann g f auch als {(x, z) : y N, (x, y) f, (y, z) g} (1.4) schreiben. Für Mengen M, N, P und beliebige Teilmengen f M N, g N P also eine Relation f zwischen M und N und eine Relation g zwischen N und P kann man vermöge (1.4) auch g f definieren. Man spricht vom Relationenprodukt von f und g.

8 1 Mengen und Abbildungen 1.2.18 Bemerkung. Sind f und g nicht mehr überall definiert, so muss man bei der Komposition darauf achten, dass die Definitionsbereiche so zusammenpassen, dass der Bildbereich von f im Definitionsbereich von g enthalten ist. 1.2.19 Satz. Sei f : M N eine Funktion. Ist f : M N bijektiv, so gilt f 1 f = id M, f f 1 = id N. Ist umgekehrt g : N M eine Funktion mit so ist f bijektiv und es gilt g = f 1. Sind f : M N und h : N P bijektiv, so gilt g f = id M, f g = id N, (1.5) (h f ) 1 = f 1 h 1. Beweis. f 1 f = id M, f f 1 = id N haben wir in Lemma 1.2.14 gesehen. Sei nun die Existenz einer Funktion g vorausgesetzt, die (1.5) erfüllt. Zu y N ist x = g(y) ein Element aus M, welches f (x) = f (g(y)) = id N (y) = y erfüllt. Also ist f surjektiv. Aus f (x 1 ) = f (x 2 ) folgt x 1 = g( f (x 1 )) = g( f (x 2 )) = x 2, womit sich f als injektiv herausstellt. Also ist f bijektiv und hat damit auch eine Inverse. Zudem gilt g = id M g = ( f 1 f ) g = f 1 ( f g) = f 1 id N = f 1. Seien nun f : M N und h : N P bijektiv. Die Funktion e := f 1 h 1 erfüllt wegen der Assoziativität der Hintereinanderausführung e (h f ) = f 1 (h 1 h) f = f 1 id N f = f 1 f = id M, sowie (h f ) e = h ( f f 1 ) h 1 = h id N h 1 = h h 1 = id P. Nach der zweiten Aussage des Satzes gilt e = (h f ) 1. 1.3 Äquivalenzrelation 1.3.1 Definition. Sei M eine Menge. Eine Teilmenge M M, also eine Relation auf M, heißt Äquivalenzrelation auf M, wenn 2 reflexiv ist: x x für alle x M; 2 x y ist hier eine andere Schreibweise für (x, y).

1.4 Übungsaufgaben 9 symmetrisch ist: aus x y folgt y x; transitiv ist: aus x y und y z folgt x z. Für ein x M bezeichnet [x] := {y M : y x} die sogenannte Restklasse, die von x aufgespannt wird. M/ steht dann für die Menge aller möglichen Restklassen. Das interessante am Konzept der Äquivalenzrelation ist, dass sich M als disjunkte Vereinigung von Restklassen schreiben lässt. 1.3.2 Lemma. Sei M eine Menge und eine Äquivalenzrelation darauf. Dann gilt für x, y M, dass x y genau dann, wenn [x] = [y]. Im Falle x y, also es gilt nicht x y, sind [x] und [y] disjunkt. Schließlich ist die Vereinigung aller Restklassen ganz M. Beweis. Aus x y folgt wegen der Symmetrie auch y x. z [x] bedingt zudem z x. Wegen der Transitivität erhält man z y bzw. z [y] ; also [x] [y]. Genauso zeigt man [y] [x], womit [x] = [y]. Sei nun [x] [y], was insbesondere bei [x] = [y] der Fall ist. Aus z [x] [y] folgt z x und z y. Transitivität und Symmetrie ergeben dann auch x y. Nach dem ersten Absatz des Beweises erhalten wir daraus wiederum [x] = [y]. Somit haben wir sowohl x y [x] = [y] als auch x y [x] [y] = gezeigt. Dass die Vereinigung aller Restklassen ganz M ist, folgt sofort aus M = x M{x} x M[x] M. Eine Menge S von Teilmengen einer Menge M, also S P(M), heißt Partition der Menge M, wenn alle verschiedenen A, B S immer disjunkt sind, und wenn die Vereinigung aller A S ganz M ergibt. Lemma 1.3.2 besagt, dass M/ eine Partition ist. 1.3.3 Bemerkung. Sei umgekehrt S eine Partition der Menge M. Für x M sei A(x) jenes A S, sodass x A. A(x) ist ob den Eigenschaften von Partitionen eindeutig bestimmt. Setzen wir nun x y : A(x) = A(y), so überprüft man leicht, dass eine Äquivalenzrelation auf M ist, und sodass M/ genau mit der gegebenen Partition S übereinstimmt. 1.4 Übungsaufgaben 1.1 Seien A, B, C M Mengen. (i) Berechnen Sie A, (A B) c (A \ B), c, A. (ii) Zeigen Sie, dass A B genau dann, wenn A B = A. (iii) Was folgt aus A \ B = A B für die Menge B? (iv) Zeigen Sie, dass A B genau dann, wenn A B = B.

10 1 Mengen und Abbildungen 1.2 Seien X i, i I und Y i, i I Familien von Mengen, die alle in einer Grundmenge M enthalten sind. (i) Zeigen Sie die de Morganschen Regeln ( ) c X i = Xi c, i I i I ( ) c X i = Xi c. i I i I (ii) Beweisen Sie sowie ( ) c ( (X i Y i ) = i I i I ( ) ( ) X i Y i = i I i I X c i ) (i, j) I I ( i I Y c i ), (X i Y j ). 1.3 Sei M eine Menge und sei A P(M). Ausgehend von A konstruieren wir eine weitere Menge B P(M) von Teilmengen B von M, und zwar als die Menge aller möglichen Vereinigungen von Mengen aus A. Also ist B die Menge aller B M, sodass es eine Familie (A i ) i I gibt mit A i A, i I und B = i I A i. Man weise nach, dass j J B j B, wenn (B j ) j J eine Familie von Mengen aus B ist. 1.4 (i) Man betrachte die Funktion f 1 : X Y als Teilmenge von X Y. Ist f 2 eine weitere Funktion von X nach Y, sodass f 1 f 2 als Teilmengen von X Y, so zeige man, dass f 1 = f 2. (ii) Weiters sei X = {a, b, c}. Sei f : P(X) P(X) eine Funktion, wobei f (A) = A {a}. Stellen Sie diese Funktion als Teilmenge von P(X) P(X), also als Menge von Paaren dar. 1.5 Sei N = {1, 2, 3,... } die Menge der natürlichen Zahlen, Z die Menge der ganzen Zahlen und Q die Menge der rationalen Zahlen. Mit den aus der Schule bekannten Eigenschaften betrachte man f : Z N Q, (p, n) p n. Ist diese Funktion injektiv, surjektiv, bijektiv? Falls sie nicht bijektiv ist: Wie kann man den Definitionsbereich einschränken, sodass man eine bijektive Funktion erhält? 1.6 Seien f : X Y und g : Y Z Funktionen. Zeigen Sie: (i) Sind f und g beide injektiv (surjektiv), so ist auch g f injektiv (surjektiv). (ii) Ist g f bijektiv, so muss f injektiv und g surjektiv sein. 1.7 Sei f : X Y eine Funktion und seien C, D Y. Beweisen Sie: (i) f 1 (C D) = f 1 (C) f 1 (D). (ii) f 1 (C D) = f 1 (C) f 1 (D). (iii) Gilt C D Y, so folgt f 1 (C) f 1 (D). 1.8 Sei f : X Y eine Funktion und seien A, B X. Zeigen Sie: (i) f (A B) = f (A) f (B).

1.4 Übungsaufgaben 11 (ii) Gilt A B X, so folgt f (A) f (B). Gilt auch f (A B) = f (A) f (B)? Wenn nicht, dann gebe man ein Gegenbeispiel an. 1.9 Sei f : X Y eine Funktion. Zeigen Sie, dass folgende Aussagen äquivalent sind. (i) f ist injektiv. (ii) f 1 ( f (A)) = A für alle A X. (iii) f (A B) = f (A) f (B) für alle A, B X. 1.10 Sei M = {1, 2,..., 10}, N = {2,..., 9} und f : N M, n n + 1. Wie viele Fortsetzungen von f zu einer Funktion g : M M gibt es? Weiters gebe man alle Fortsetzungen von f zu einer Funktion g : M M an, sodass g surjektiv ist. 1.11 Geben Sie eine Funktion an, die N bijektiv auf N N abbildet.

Kapitel 2 Die reellen Zahlen Die reellen Zahlen sind uns anschaulich schon aus der Schule bekannt. Wir wollen im Folgenden die charakteristischen Eigenschaften der reellen Zahlen sammeln, von denen wir dann sehen werden, dass diese die reellen Zahlen (bis auf isomorphe Kopien) eindeutig bestimmen. Dass es die reellen Zahlen (also eine Menge mit den charakteristischen Eigenschaften) unter der Annahme der Gültigkeit der Mengenlehre überhaupt gibt, werden wir später sehen. 2.1 Algebraische Struktur der reellen Zahlen Zuerst wollen wir uns den Operationen + und, also der algebraischen Struktur, zuwenden. Die reellen Zahlen mit diesen Operationen sind ein so genannter Körper: 2.1.1 Definition. Sei K eine nichtleere Menge, und es seien Abbildungen, sogenannte Verknüpfungen, + : K K K und : K K K, welche Addition und Multiplikation genannt werden, gegeben. Das Tripel K, +, heißt Körper, falls es zwei ausgezeichnete Elemente 0, 1 K gibt, sodass folgende Gesetze, auch Axiome genannt, gelten. Wir schreiben dabei x + y für +(x, y) und x y für (x, y). (a1) Die Addition ist assoziativ: (x + y) + z = x + (y + z) für alle x, y, z K. (a2) 0 ist ein neutrales Element bezüglich +: x + 0 = x für alle x K. (a3) Jedes Element x K besitzt ein Inverses x K bezüglich +: x + ( x) = 0. (a4) Die Addition ist kommutativ: x + y = y + x für alle x, y K. (m1) Die Multiplikation ist assoziativ: (x y) z = x (y z) für alle x, y, z K. (m2) 1 ist ein neutrales Element von K \ {0} bezüglich : x 1 = x für alle x K \ {0}. (m3) Jedes x K \ {0} besitzt ein Inverses bezüglich : x x 1 = 1.

14 2 Die reellen Zahlen (m4) Die Multiplikation ist kommutativ: x y = y x für alle x, y K. (d) Es gilt das Distributivgesetz: x (y + z) = (x y) + (x z) für alle x, y, z K. 2.1.2 Bemerkung (*). Elementarer als der Begriff des Körpers ist jener der Gruppe. Eine nichtleere Menge G versehen mit einer Verknüpfung : G G G heißt Gruppe (man fasst das in dem Paar G, zusammen), falls es ein ausgezeichnetes Element e G gibt, sodass (g1) assoziativ ist: (x y) z = x (y z) für alle x, y G; (g2) e das neutrale Element ist; x e = e x = x für alle x G; (g3) es für alle x G ein x 1 G gibt mit x 1 x = x x 1 = e. Eine Gruppe G, heißt abelsch oder auch kommutativ, wenn zusätzlich (g4) x y = y x für alle x, y G. Mit diesen Begriffen lässt sich ein Körper K kürzer beschreiben. In der Tat ist eine nichtleere Menge K versehen mit Verknüpfungen + und genau dann ein Körper, wenn K, + eine abelsche Gruppe mit neutralem Element 0 ist, wenn K \ {0}, auch eine abelsche Gruppe ist, und wenn das Distributivgesetz für + und gilt. 2.1.3 Bemerkung. Die jeweiligen neutralen Elemente 0 bzw. 1 sind eindeutig bestimmt 1. Wäre nämlich etwa 0 ein weiters neutrales Element bezüglich +, so folgte aus (a2) und (a4), dass 0 = 0 + 0 = 0. Dasselbe gilt für die Inversen a und a 1. Wäre etwa ã ein weiteres additiv Inverses zu a, also a + ã = 0, so folgte ã = ã + (a + ( a)) = (ã + a) +( a) = 0 + ( a) = a. } {{ }} {{ } =0 =0 Somit ist x x eine wie aus unten stehenden Rechenregeln folgt bijektive Funktion von K auf sich selbst und x x 1 eine bijektive Funktion von K \ {0} auf sich selbst. 2.1.4 Beispiel. Man betrachte die Menge K = {, }. Die Verknüpfungen + und seien gemäß folgender Verknüpfungstafeln definiert: + 1 Die ausgezeichneten Elemente 0 und 1 sind zunächst von den gleich bezeichneten, bekannten ganzen Zahlen zu unterscheiden. Sie haben lediglich ähnliche Eigenschaften. Um zu betonen, dass es sich um das additiv bzw. multiplikativ neutrale Element von K handelt, schreibt man auch 0 K bzw. 1 K.

2.1 Algebraische Struktur der reellen Zahlen 15 Man erkennt unschwer, dass die Axiome (a1) (a4), (m1) (m4) und (d) für einen Körper erfüllt sind, wobei des neutrale 0 Element bezüglich + und des neutrale Element 1 bezüglich ist. Es sei noch bemerkt, dass jeder Körper mindestens zwei Elemente hat, und somit der hier vorgestellte Körper kleinstmöglich ist. Wir werden xy für x y und, falls y 0, für xy 1 oft x schreiben. Um Klammern zu y sparen, wollen wir auch übereinkommen, dass Punkt- vor Strichrechnung kommt, also zb. xy + xz = (xy) + (xz). Schließlich werden wir für x + ( y) bzw. ( x) + y auch x y bzw. x + y schreiben. 2.1.5 Lemma. Für einen Körper K, +, gelten folgende Rechenregeln: (i) Die Inverse von der Inversen ist die Zahl selbst: ( x) = x für x K und (x 1 ) 1 = x für x K \ {0}. (ii) (x + y) = ( x) + ( y) für x, y K. (iii) x 0 = 0, aus x, y 0 folgt x y 0, (xy) 1 = x 1 y 1, sowie ( x) 1 = (x 1 ). Insbesondere gilt ( 1)( 1) = 1. (iv) x( y) = xy, ( x)( y) = xy, x(y z) = xy xz. (v) a b c = ac. d bd Beweis. Exemplarisch wollen wir x 0 = 0 und (x + y) = ( x) + ( y) nachweisen. Wegen (a2) gilt 0 + 0 = 0 und mit (d) damit auch x 0 = x (0 + 0) = x 0 + x 0. Addieren wir das nach (a3) existierende additiv Inverse von x 0, so folgt mit Hilfe von (a1), dass 0 = x 0 + ( x 0) = (x 0 + x 0) + ( x 0) = x 0 + (x 0 + ( x 0)) = x 0 + 0 = x 0 Wegen dem Kommutativgesetz und Assoziativgesetz gilt (x + y) + (( x) + ( y)) = ((x + y) + ( x)) + ( y) = ((y + x) + ( x)) + ( y) = ( y + (x + ( x)) ) + ( y) = ((y + 0) + ( y)) = y + ( y) = 0. Also ist ( x) + ( y) eine additiv Inverse von x + y. Wegen Bemerkung 2.1.3 ist diese additiv Inverse aber eindeutig. Also ( x) + ( y) = (x + y). Schließlich wollen wir noch einige Schreibweisen festlegen. Sind A und B Teilmenge unseres Körpers K, so setzen wir A := { a : a A} sowie A + B := {a + b : a A, b B}. Insbesondere ist A das Bild von A unter der Abbildung : K K und A + B das Bild von A B ( K K) unter der Abbildung + : K K K. Entsprechend seien A 1, A B, etc. definiert.

16 2 Die reellen Zahlen 2.2 Ordnungsstruktur der reellen Zahlen Eine weitere wichtige Eigenschaft der reellen Zahlen ist die, dass man je zwei Zahlen x und y der Größe nach vergleichen kann. Dabei ist bekannterweise x < y genau dann, wenn y x eine positive reelle Zahl ist. Um diesen Sachverhalt mathematisch zu fassen, definieren wir 2.2.1 Definition. Sei K, +, ein Körper und sei P K. Dann heißt K (streng genommen K, +,, P ) ein angeordneter Körper, wenn (p1) K = P {0} ( P), wobei P, P disjunkt sind, also P ( P) =, und beide 0 nicht enthalten 2 ; (p2) x, y P x + y P; (p3) x, y P xy P. Die Menge P heißt die Menge der positiven Zahlen. Für x, y K sagen wir, dass x kleiner als y ist, in Zeichen x < y, wenn y x P; x größer als y ist, in Zeichen x > y, wenn x y P; x kleiner oder gleich y ist, in Zeichen x y, wenn x < y oder x = y; x größer oder gleich y ist, in Zeichen x y, wenn x > y oder x = y. 2.2.2 Bemerkung. Man beachte, dass man und < sowie und > als Teilmengen von K K betrachten kann, indem man etwa als die Menge aller Paar (x, y) K K, für die y x P {0} gilt, ansieht. Also sind, <,, > allesamt Relationen auf K. 2.2.3 Lemma. In einem angeordneten Körper K gelten für beliebige a, b, x, y, z K folgende Regeln: (i) Reflexivität: x x. (ii) Antisymmetrie: (x y y x) x = y. (iii) Transitivität: (x y y z) x z. (iv) Totalität: x y y x. (v) (x y a b) x + a y + b. (vi) x y x y. (vii) (z > 0 x y) xz yz und (z < 0 x y) xz yz. 2 Um bei einer Vereinigung von Mengen zum Ausdruck zu bringen, dass paarweise disjunkte Mengen vereinigt werden, macht man oft einen Punkt über das Vereinigungszeichen; zb. K = P {0} ( P).

2.2 Ordnungsstruktur der reellen Zahlen 17 (viii) x 0 x 2 > 0. Insbesondere: 1 > 0. (ix) x > 0 x 1 > 0 und x < 0 x 1 < 0. (x) 0 < x y ( x y 1 y x x 1 y 1 ). (xi) (0 < x y 0 < a b) xa yb. (xii) x < y x < x+y 2 < y, wobei 2 := 1 + 1. Beweis. Wir beweisen exemplarisch (ii), (iii), (v), (viii) und (xii): (ii) (x y y x) ist per Definitionem dasselbe, wie y x P {0} x y P {0}. Also y x (P {0}) ( P {0}) = {0}, und damit x = y. (iii) (x y y z) (y x P {0} z y P {0}). Aus (p2) folgt z x = (z y) + (y x) P {0}, also x z. (v) (x y a b) bedeutet y x, b a P {0}. Aus (p2) folgt dann (y + b) (x + a) = (y x) + (b a) P {0}; also x + a y + b. (viii) Aus x 0 folgt x P P. Ist x P, so folgt wegen (p3), dass x 2 = xx P und damit x 2 > 0. Ist x P, so folgt x P und wieder wegen (p3), dass x 2 = xx = ( x)( x) P. (xii) Aus x < y und (v) folgt x + x x + y y + y, wobei weder links noch rechts ein Gleichheitszeichen stehen kann, da sonst durch Addieren von x bzw. y die Gleichung x = y folgen würde; also x + x < x + y < y + y. Nun ist wegen des Distributivgesetzes x + x = x(1 + 1) und y + y = y(1 + 1). Da wegen (p2), 1 + 1 P, folgt aus (vii), dass x < x+y 2 < y. 2.2.4 Definition. Eine Menge M versehen mit einer Relation R, also R M M, heißt Halbordnung auf M, falls R 3 R reflexiv ist: xrx für alle x M; R antisymmetrisch ist: aus xry, yrz folgt x = y; R transitiv ist: aus xry, yrz folgt xrz. Eine Relation R heißt total, wenn für je zwei x, y M immer xry oder yrx. Totale Halbordnungen nennt man Totalordnung. Die Eigenschaften (i) (iii) und (iv) besagen also, dass eine Totalordnung ist. Wie jede Totalordnung kann man somit jeden angeordneten Körper als Gerade veranschaulichen, wobei eine Zahl x genau dann links von einer anderen Zahl y liegt, wenn sie kleiner ist: 3 xry ist eine andere Schreibweise für (x, y) R.

18 2 Die reellen Zahlen 0 x y K Abbildung 2.1: Zahlengerade 2.2.5 Definition. Sei K eine Menge und eine Totalordnung darauf. Sind x, y K, so sei max(x, y) das Maximum von x und y. Also max(x, y) = x, falls x y, und max(x, y) = y falls y x. Entsprechend definiert man das Minimum min(x, y) zweier Zahlen. Ist A K, und gibt es ein a 0 A, sodass a a 0 (a 0 a) für alle a A, so nennt man a 0 das Maximum (Minimum) von A, und schreibt a 0 = max A (a 0 = min A). Zum Maximum (Minimum) sagt man auch größtes (kleinstes) Element. Ist A K, so heißt A nach oben beschränkt, falls es ein x K gibt, sodass A x, sodass also a x für alle a A. Jedes x K mit A x heißt dabei obere Schranke von A. Entsprechend heißt eine Teilmenge A nach unten beschränkt, wenn es eine untere Schranke in K hat, wenn also x A für ein x K. Eine nach oben und nach unten beschränkte Teilmenge heißt beschränkt. Sei A K eine nach oben (unten) beschränkte Teilmenge. Hat nun die Menge {x K : A x} ({x K : x A}) aller oberen (unteren) Schranken von A ein Minimum (Maximum), so heißt dieses Supremum (Infimum) von A und wird mit sup A (inf A) bezeichnet. Die Tatsache, dass eine Menge A K nicht nach oben (nicht unten) beschränkt ist, wollen wir mit der formalen Gleichheit sup A = + (inf A = ) zum Ausdruck bringen. obere Schranken von M M sup M Abbildung 2.2: Supremum der Menge M 2.2.6 Bemerkung. Man sieht leicht, dass jedes Maximum (Minimum) einer Teilmenge auch Supremum (Infimum) dieser Teilmenge ist. Die Umkehrung gilt im Allgemeinen nicht. Es kann auch vorkommen, dass eine beschränkte Teilmenge von K weder ein Supremum, noch ein Infimum hat.

2.2 Ordnungsstruktur der reellen Zahlen 19 2.2.7 Bemerkung. Wenn das Supremum einer Teilmenge A existiert, so gilt gemäß der Definition A sup A, und sup A x für alle oberen Schranken x von A. Ist umgekehrt y K mit A y und y x für alle oberen Schranken x von A, so folgt aus A y, dass y eine obere Schranke von A ist, und aus der zweiten Voraussetzung, dass y das Minimum der oberen Schranken von A ist. Also gilt y = sup A. Entsprechendes lässt sich über das Infimum sagen. 2.2.8 Lemma. Ist A B K, so gilt (i) {x K : A x} {x K : B x} und {x K : x A} {x K : x B}. (ii) Haben A und B ein Maximum (Minimum), so folgt max A max B (min A min B). (iii) Haben A und B ein Supremum (Infimum), so folgt sup A sup B (inf A inf B). Beweis. (i) t {x K : B x} bedingt b t für alle b B. Wegen A B gilt auch a t für alle a A, und daher t {x K : A x}. Die zweite Mengeninklusion beweist man genauso. (ii) Das Maximum von B erfüllt definitionsgemäß max B b für alle b B, und damit insbesondere max B a für alle a A. Wegen max A A folgt insbesondere max B max A. Analog zeigt man min A min B. (iii) Definitionsgemäß gilt sup A = min{x K : A x}, sup B = min{x K : B x}. Nach (i) ist {x K : B x} {x K : A x}, und infolge sup A = min{x K : A x} min{x K : B x} = sup B. Ist K ein angeordneter Körper, so gelten für die oben eingeführten Begriffe einfach nachzuprüfende Rechenregeln: (i) Offenbar gilt x A genau dann, wenn x A. Also ist A K genau dann nach oben (unten) beschränkt, wenn A nach unten (oben) beschränkt ist. (ii) min( A) = max A, max( A) = min A, (iii) inf( A) = sup(a), sup( A) = inf(a). Diese Gleichheiten gelten in dem Sinn, dass die linke Seite des Gleichheitszeichen genau dann existiert, wenn die rechte existiert. 2.2.9 Beispiel. Seien a, b K. Dann definiert man die Intervalle (a, b) := {x K : a < x < b}, (a, b] := {x K : a < x b},

20 2 Die reellen Zahlen und entsprechend [a, b] := {x K : a x b}, [a, b) := {x K : a x < b}. Außerdem setzt man (+, sind hier nur formale Ausdrücke) (, b) := {x K : x < b}, (, b] := {x K : x b}, (a, + ) := {x K : a < x}, [a, + ) := {x K : a x}. Ist a < b, so sind die Mengen (a, b), [a, b], (a, + ) z.b. nach unten beschränkt. Nach oben beschränkt sind dagegen nur die ersten beiden. Die Mengen (a, b), (a, b] haben das Supremum b, aber nur für die Menge (a, b] ist b ein Maximum. Um etwa einzusehen, dass b = sup(a, b), argumentiert man folgendermaßen: Zunächst ist wegen der Definition von Intervallen x b für alle x (a, b), also (a, b) b. Angenommen es gäbe eine obere Schranke y von (a, b) mit y < b. Im Falle y a wäre y a < a+b < b (vgl. Lemma 2.2.3, (xii)), womit aber y keine obere Schranke sein kann, 2 da a+b (a, b). Im Falle a < y wäre a < y < y+b < b, womit wiederum y keine obere 2 2 Schranke sein kann, da y+b (a, b). Also ist b tatsächlich die kleinste obere Schranke von 2 (a, b), sup(a, b) = b. 2.2.10 Beispiel. Dem Begriff der rationalen Zahlen vorgreifend seien K die rationalen Zahlen und sei M = {x K : x 2 < 2}. Dann hat diese Menge weder Maximum noch Supremum, obwohl sie nach oben beschränkt ist. Siehe dazu Satz 2.9.5. Wir wollen noch zwei elementare Funktionen auf einem angeordneten Körper betrachten. 2.2.11 Definition. Sei K, +,, P ein angeordneter Körper. Die Signumfunktion sgn sei jene Funktion von K nach K, sodass für x K 1, falls x P, sgn(x) = 0, falls x = 0, 1, falls x P. Die Betragsfunktion. : K K ist definiert durch x, falls x P {0}, x = x, falls x P. 2.2.12 Lemma. Für x, y K gilt: (i) x = sgn(x)x. (ii) xy = x y.

2.3 Die natürlichen Zahlen 21 (iii) max(x, y) = x+y+ x y 2, min(x, y) = x+y x y 2. (iv) x + y x + y. (v) x + y x y. Beweis. (i) und (ii) bzw. (iii) folgen ganz leicht, wenn man die Fälle x > 0, x = 0, x < 0 bzw. x y und x > y unterscheidet. Wir zeigen (iv) und (v): Die (iv) ist klar, falls eine der Zahlen x oder y Null ist. Sonst unterscheiden wir folgende zwei Fälle: sgn(x) = sgn(y) 0 x + y = sgn(x)( x + y ) = x + y sgn(x) = sgn(y) 0 x + y = sgn(x)( x y ) = x y x + y Letztere Ungleichung gilt wegen x y x + y und ( x y ) = y x x + y. Aus (iv) folgt x = (x + y) + ( y) x + y + y und damit x y x + y. Vertauschen der Variablen ergibt y x x + y. Aus diesen beiden Ungleichungen erhalten wir (v). (iv) nennt man auch Dreiecksungleichung und (v) Dreiecksungleichung nach unten für.. 2.3 Die natürlichen Zahlen Ob es die oben diskutierten angeordneten Körper überhaupt gibt, davon haben wir uns bisher nicht überzeugen können. Um solche Objekte zu konstruieren, wenden wir uns zunächst den natürlichen Zahlen zu. Die natürlichen Zahlen sind uns als Objekt des Alltages wohlvertraut, aber ihre Existenz als mathematisches Objekt ist keine Trivialität. Trotzdem wollen wir diese voraussetzen. In der Tat folgt sie aus den Axiomen der Mengenlehre. 2.3.1 Definition. Die natürlichen Zahlen sind eine Menge N, in der ein Element 1 N ausgezeichnet ist, 4 und auf der eine sogenannte Nachfolgerabbildung : N N definiert ist, sodass gilt: (S1) ist injektiv. (S2) Es gibt kein n N mit n = 1. (S3) Ist M N, 1 M und m M für alle m M, so ist M = N. Für n wollen wir auch n + 1 schreiben. 4 Die Bezeichnung 1 hat zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts mit der gleichlautenden Bezeichnung für das multiplikative neutrale Element in einem Körper zu tun.

22 2 Die reellen Zahlen 2.3.2 Bemerkung. Wir wollen anmerken, dass wir zunächst weder die Abbildungen +,, die N N nach N abbilden, noch die Möglichkeit zwei natürliche Zahlen der Größe nach zu ordnen, zur Verfügung haben. Obige Festlegung, dass n = n + 1, ist nur symbolisch zu verstehen. Ehe wir uns an die Definition von Addition und Multiplikation machen, wollen wir uns die Möglichkeit schaffen, Ausdrücke, wie nx, x n, n k=1 c(k) für n N zu definieren, wenn z.b. x und c(k) für k N Elemente eines Körpers sind. Alle diese Ausdrücke haben gemein, dass sie Funktionen n φ(n) auf N sind, wobei φ(1) bekannt ist und wobei φ(n ) bekannt ist, wenn φ(n) es ist. Im Falle von n x n ist etwa x 1 = x und x n = x n x. Um einzusehen, warum solche Funktionen eindeutig definiert sind, zeigen wir den 2.3.3 Satz (Rekursionssatz). Sei A eine Menge, a A, g : A A (Rekursionsfunktion). Dann existiert genau eine Abbildung φ : N A mit φ(1) = a und φ(n ) = g(φ(n)). Beweis. Betrachte alle Teilmengen H N A mit den Eigenschaften (a) (1, a) H (b) Ist (n, b) H, so gilt auch (n, g(b)) H. Solche Teilmengen existieren, da z.b. N A die Eigenschaften (a) und (b) hat. Sei D der Durchschnitt aller solchen Teilmengen: D := H H erfüllt (a) und (b) Da (1, a) H für alle H, die (a) und (b) erfüllen, ist auch (1, a) D. Ist (n, b) D, so gilt (n, b) H für alle (a) und (b) erfüllenden H. Nach (b) folgt (n, g(b)) H für alle solchen H, und somit (n, g(b)) D. Also hat D auch die Eigenschaften (a) und (b), und ist damit die kleinste Teilmenge mit diesen Eigenschaften. Wir behaupten, dass D eine Funktion von N nach A ist, also, dass es zu jedem n N genau ein b A gibt, sodass (n, b) D; vgl. Definition 1.2.1. Dazu reicht es zu zeigen, dass 5 M = {n N :! b A, (n, b) D} mit N übereinstimmt. Wir prüfen das mit Hilfe von (S 3) nach. Zunächst ist 1 M, da einerseits (1, a) D. Gäbe es andererseits ein weiteres c A, c a mit (1, c) D, so betrachte D \ {(1, c)}. Klarerweise hat D \ {(1, c)} die Eigenschaft (a). Wegen (S 2) bleibt auch die Eigenschaft (b) erhalten. Das ist ein Widerspruch dazu, dass D kleinstmöglich ist. Nun zeigen wir, dass mit n auch n in M liegt. Für n M gibt es genau ein b A mit (n, b) D. Also ist auch (n, g(b)) D. Wäre noch (n, c) D mit c g(b), so kann man wieder D \ {(n, c)} betrachten. Weil n 1, erfüllt D \ {(n, c)} Eigenschaft (a). 5! steht für: Es gibt genau ein

2.3 Die natürlichen Zahlen 23 Aus (k, d) D \ {(n, c)} D folgt (k, g(d)) D. Ist k n, so folgt wegen (S 1) daher auch (k, g(d)) (n, c). Ist n = k, so muss wegen n M die Gleichheit d = b gelten. Es folgt (k, g(d)) = (n, g(b)) (n, c). In jedem Fall gilt also (k, g(d)) D \ {(n, c)}, und D \ {(n, c)} erfüllt auch (b). Das ist wieder ein Widerspruch dazu, dass D kleinstmöglich ist. Aus (S 3) folgt M = N. Nach Definition 1.2.1 kann man also D auffassen als Abbildung φ : N A. Die Eigenschaft (a) bedeutet φ(1) = a, und (b) besagt φ(n ) = g(φ(n)). Wäre φ eine weitere Funktion mit φ(1) = a und mit φ(n ) = g( φ(n)), und betrachtet man φ als Teilmenge D von N A, so erfüllt D Eigenschaften (a), (b). Weil wir schon wissen, dass D die kleinste solche Menge ist, folgt D D. Da aber beide Funktionen sind, muss D = D bzw. φ = φ. 2.3.4 Beispiel. Satz 2.3.3 rechtfertigt rekursive Definitionen: (i) Zum Beispiel die Funktion n x n, wobei x in einem Körper K liegt. Dafür nehmen wir A = K, a = x und g : K K, y yx. Nach Satz 2.3.3 ist dann x n für alle n N eindeutig definiert. (ii) Genauso kann man n nx definieren. (iii) Um n n k=1 c(k) zu definieren, wenn c : N K ist, wenden wir Satz 2.3.3 mit A = N K, a = (1, c(1)) und g : N K N K, (n, x) (n, x c(n )) an, und definieren n k=1 c(k) als die zweite Komponente von φ(n). (iv) Genauso kann man n n k=1 c(k), n max k=1,...,n c(k) und ähnliche Ausdrücke definieren. Für n c(k) schreiben wir auch c(1) + + c(n). Entsprechend setzen wir k=1 c(1) c(n) := n k=1 c(k) und max(c(1),..., c(n)) = max k=1,...,n c(k). Als weitere Anwendung des Rekursionssatzes erhalten wir, dass die natürlichen Zahlen im Wesentlichen eindeutig sind. 2.3.5 Korollar. Seien N und Ñ Mengen mit ausgezeichneten Elementen 1 N und 1 Ñ und Abbildungen : N N, : Ñ Ñ, sodass für beide die Axiome (S1), (S2) und (S3) gelten. Dann gibt es eine eindeutige bijektive Abbildung ϕ : N Ñ mit ϕ(1) = 1 und ϕ(n) = ϕ(n ), n N. Beweis. Wendet man den Rekursionssatz an auf A = Ñ, a = 1, und g =, so folgt, dass genau eine Abbildung ϕ : N Ñ existiert mit ϕ(1) = 1 und ϕ(n) = ϕ(n ), n N. Durch Vertauschung der Rollen von N und Ñ erhält man eine Abbildung ψ : Ñ N mit ψ( 1) = 1 und ψ(x) = ψ( x), x Ñ. Betrachte die Abbildung Φ = ψ ϕ : N N. Es gilt Φ(1) = 1 und Φ(n) = ( ψ(ϕ(n)) ) = ψ( ϕ(n)) = (ψ ϕ)(n ).

24 2 Die reellen Zahlen Die identische Abbildung id N hat dieselben Eigenschaften, also folgt nach der Eindeutigkeitsaussage des Rekursionssatzes Φ = id N. Analog zeigt man ϕ ψ = id Ñ, also ist ϕ bijektiv und es gilt ϕ 1 = ψ. Wenn wir uns den Beweis des Rekursionssatzes nochmals anschauen, so haben wir gezeigt, dass D eine Funktion auf N ist, es also zu jedem n N genau ein b A gibt mit (n, b) D, indem wir die Menge M aller in diesem Sinne guten n N hernehmen und davon zeigen, dass sie die Voraussetzungen von (S 3) erfüllen. Diese Vorgangsweise kann man auf alle Aussagen A(n) ausdehnen, die für alle natürliche Zahlen n gelten sollen. Das führt zum sogenannten Prinzip der vollständigen Induktion: Für jedes n N sei A(n) eine Aussage über die natürliche Zahl n. Dabei gelte: (i) Induktionsanfang: Die Aussage A(1) ist wahr. (ii) Induktionsschritt: Für jedes n N ist wahr, dass aus der Gültigkeit von A(n) die Gültigkeit von A(n ) folgt. Dann ist die Aussage A(n) für jede natürliche Zahl n richtig. Um das einzusehen, betrachte man die Menge M aller n N, für die A(n) richtig ist. Ist nun A(1) richtig, so ist 1 M, und aus A(n) A(n ) sehen wir, dass mit m M auch m M. Nach Axiom (S 3) ist M = N. Also ist A(n) für jede natürliche Zahl n richtig. 2.3.6 Beispiel. Als erstes Beispiel für die Anwendung der Methode der vollständigen Induktion, wollen wir zeigen, dass für einen angeordneter Körper K, +,, P und y K mit y 0, also y P {0}, immer ny 0 für alle n N gilt. Die zu beweisende Aussage A(n) ist also ny 0 für alle n N. Induktionsanfang: A(1), daher 1y = y 0, gilt voraussetzungsgemäß. Induktionsschritt: Gilt A(n), daher ny 0, so folgt n y = y + ny 0, da ja Also gilt A(n ), wenn wir A(n) voraussetzen. (P {0}) + (P {0}) P {0}. Als weitere Anwendung der Beweismethode der vollständigen Induktion bringen wir die später verwendete Bernoullische Ungleichung. 2.3.7 Lemma. Ist K, +,, P ein angeordneter Körper, und bezeichnen wir das multiplikative neutrale Element mit 1 K, so folgt für x K, x 1 K, und n N, dass (1 K + x) n 1 K + nx.