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Transkript:

4.15 Buch I der Elemente Das erste Buch der Elemente beginnt mit 23 Definitionen, 5 Postulate und einige Axiomen (von denen man in späteren Ausgaben bis zu 9 findet). Die ersten fünf Definitionen lauten (in der Übersetzung von Clemens Thaer, die wir folgenden stets verwenden werden): 1. Ein Punkt ist, was keine Teile hat. 2. Eine Linie ist breitenlose Länge. 3. Die Enden einer Linie sind Punkte. 4. Eine gerade Linie (Strecke) ist eine solche, die zu den Punkten auf ihr gleichmäßig liegt. 5. Eine Fläche ist, was nur Länge und Breite hat. Wie man sieht, handelt es sich nicht um Definitionen in unserem (modernen) Sinn, sondern eher um Beschreibungen.

In Definition 10 wird der Begriff des rechten Winkels folgendermaßen festgelegt: 10. Wenn eine gerade Linie, auf eine gerade Linie gestellt, einander gleiche Nebenwinkel bildet, dann ist jeder der beiden gleichen Winkel ein rechter; D.h. gilt in der Zeichnung α = β, so sind α und β rechte Winkel.

Weitere Begriffe, die in ähnlicher Weise definiert werden, sind (unter anderem): Winkel, sowie spitzer, rechter und stumpfer Winkel, Kreis, sowie Kreismittelpunkt, Kreisdurchmesser und Halbkreis, Dreieck, sowie gleichseitiges, gleichschenkeliges, rechtwinkeliges, spitzwinkeliges und stumpfwinkeliges Dreieck, Quadrat, Rhombus, Trapez, parallele Geraden.

Die fünf Postulate lauten: Gefordert soll sein: 1. Dass man von jedem Punkt nach jedem Punkt die Strecke ziehen kann, 2. Dass man eine begrenzte, gerade Linie zusammenhängend gerade verlängern kann, 3. Dass man mit jedem Mittelpunkt und Abstand den Kreis zeichnen kann, 4. Dass alle rechten Winkel einander gleich sind,

5. Und dass, wenn eine gerade Linie bei Schnitt mit zwei geraden Linien bewirkt, dass innen auf derselben Seite entstehende Winkel zusammen kleiner als zwei Rechte werden, dann die zwei geraden Linien bei Verlängerung ins unendliche sich treffen auf der Seite, auf der die Winkel liegen, die zusammen keiner als zwei rechte sind. D.h. sind in der obigen Zeichnung α + β < 180, so schneiden sich g und h.

Da das letzte Postulat das sogenannte Parallelenpostulat wesentlich komplizierter und weniger unmittelbar einleuchtend ist als die vorangegangenen, wurde über Jahrhunderte immer wieder versucht, es aus den anderen abzuleiten. Seit dem 19. Jhd. weiß man, dass das unmöglich ist. Von den folgenden fünf Axiomen hat Heron die ersten drei anerkannt und Proklos die beiden letzten als von Euklid stammend bezeichnet: Was demselben gleich ist, ist auch einander gleich. Wenn Gleichem Gleiches hinzugefügt wird, sind die Ganzen gleich. Wenn von Gleichem Gleiches weggenommen wird, sind die Reste gleich. Was einander deckt, ist einander gleich. Das Ganze ist größer als der Teil.

Nachdem in Buch I, 1 die Konstruktion eines gleichseitigen Dreiecks über einer gegebenen Strecke beschrieben wird, wird in Buch I, 2 eine Konstruktion angegeben, die das Übertragen einer Strecke mit Zirkel und Lineal beschreibt. Gegeben sind die drei Punkte A, B und C. An den Punkt A soll eine Strecke der Länge BC angelegt werden.

Euklid beschreibt die folgende Konstruktion: 1. Zeichne ein gleichseitiges Dreieck ABD. 2. Lege eine Gerade g durch A und D und eine Gerade h durch B und D. 3. Zeichne einen Kreis k 1 mit Mittelpunkt B und Radius BC. 4. Schneide h und k 1, um den Punkt E zu finden. 5. Zeichne einen Kreis k 2 mit Mittelpunkt D und Radius DE. 6. Schneide k 2 und g, um den Punkt F zu finden. Es ist dann AF = DF AD = DE BD = BE = BC. In Buch I, 3 beschreibt Euklid wie man die (mit Hilfe von Buch I, 2) übertragene Strecke auf einer längeren abschlägt (da Buch I, 2 nur ermöglicht, die Strecke an einem gegebenen Endpunkt anzulegen).

Buch I enthält einige grundlegende Konstruktionen, wie z.b. das Halbieren eines Winkels (Buch I, 9) bzw. einer Strecke (Buch I, 10), das Errichten einer Gerade, die auf einer gegebenen Strecke senkrecht steht (Buch I, 11 und 12), das Übertragen eines gegebenen Winkels an einen vorgegebenen Ort (Buch I, 23) und die Konstruktion einer zu einer gegebenen Geraden parallelen Gerade durch einen gegebenen Punkt (Buch I, 31). Außerdem enthält es die folgenden bekannten Sätze: Buch I, 4 Seiten Winkel Seiten Satz (Kongruenzsatz) Buch I, 8 Seiten Seiten Seiten Satz (Kongruenzsatz) Buch I, 20 Dreiecksungleichung Buch I, 26 Winkel Seiten Winkel Satz und Seiten Winkel Winkel Satz (Kongruenzsatz) Buch I, 32 Die Winkelsumme im Dreieck ist 180 Buch I, 47 Satz des Pythagoras

In Buch I, 33 wird die Existenz von Parallelogrammen bewiesen und in Buch I, 34 ihre grundlegenden Eigenschaften beschrieben (gegenüberliegende Seiten sind gleich lang, gegenüberliegende Winkel sind gleich groß, Diagonalen halbieren es). Daran anschließend werden die folgenden Aussagen über den Flächeninhalt von Parallelogrammen und Dreiecken bewiesen: Buch I, 35 und 36 Der Flächeninhalt eines Parallelogramms hängt nur der Länge einer Seite und der dazu senkrechten Höhe ab. Buch I, 37 und 38 Der Flächeninhalt eines Dreiecks hängt nur der Länge einer Seite und der dazu senkrechten Höhe ab. Buch I, 41 Stimmen bei einem Parallelogramm und einem Dreieck die Länge einer Seite und der dazu senkrechten Höhe überein, so hat das Dreieck den halben Flächeninhalt des Parallelogramms.

In Buch I, 44 und 45 werden zum erstenmal Flächenanlegungen beschrieben. (Dabei bedeutet das Wort gleich, dass die Flächeninhalte übereinstimmen.) Buch I, 44 An eine gegebene Strecke ein einem gegebenen Dreieck gleiches Parallelogramm in einem gegebenen geradlinigen Winkel anzulegen. Buch I, 45 Ein einer gegebenen geradlinigen Figur gleiches Parallelogramm in einem gegebenen geradlinigen Winkel zu errichten. Buch I endet mit dem Satz des Pythagoras, d.h. bei einem rechtwinkeligen Dreieck ist die Summe der Flächen der Quadrate über den Katheten gleich der Fläche des Quadrats über der Hypothenuse (Buch I, 47) und seiner Umkehrung, d.h. ist bei einem Dreieck die Summe der Flächen der Quadrate über zwei Seiten gleich der Fläche des Quadrats über der dritten Seite, so ist der Winkel zwischen den beiden erstgenannten Seiten ein rechter Winkel (Buch I, 48).

Der (sehr elegante) Beweis, den Euklid für den Satz des Pythagoras in Buch I, 47 angibt, beruht auf der folgenden Figur:

Es ist DBA = FBC, denn beide entstehen, indem man ABC einen Winkel von 90 hinzufügt. Außerdem gelten DB = BC und FB = BA. Die Dreiecke ABD und BCF stimmen also in zwei Seiten und dem eingeschlossenen Winkel überein und sind daher kongruent (nach I, 4) und daher auch flächengleich. Die Fläche des Rechtecks BDLM ist doppelt so groß wie die Fläche des Dreiecks ABD (nach I, 41). Die Fläche des Quadrats ABFG ist doppelt so groß wie die Fläche des Dreiecks FBC (wieder nach I, 41). (Hier wird verwendet, dass das Dreieck rechtwinkelig ist!)

Insgesamt erhält man also: Fläche des Rechtecks BDLM = 2 Fläche des Dreiecks ABD = 2 Fläche des Dreiecks BCF = Fläche des Quadrats ABFG Analog kann man zeigen, dass die Fläche des Rechtecks CELM gleich der Fläche des Quadrats ACHK ist. Da sich das Quadrat BCED aus den beiden Rechtecken BDLM und CELM zusammensetzt, folgt die Behauptung. D.h. eigentlich beweist Euklid sogar den Kathetensatz.