Vielfalt gehört dazu Demografische Entwicklung, Inklusion und Diversität: Herausforderungen für die Selbsthilfe

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Transkript:

Vielfalt gehört dazu Demografische Entwicklung, Inklusion und Diversität: Herausforderungen für die Selbsthilfe 34. Jahrestagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.v. in Goslar vom 23. bis 25. Mai 2012 Demografische Entwicklung, Inklusion, Diversität: Handlungsherausforderungen für die Selbsthilfe Prof. Dr. Dr. Sigrid Graumann, Ev. Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Bochum Vortrag am Mittwoch, dem 23. Mai 2012 2012

Vielfalt gehört dazu Demographische Entwicklung, Inklusion und Diversität: Herausforderungen für die Selbsthilfe Impuls zur Einstimmung auf das Tagungsthema Sigrid Graumann

Vorgehen 1. Demographische Entwicklung 2. Inklusion und Diversität als Leitbegriffe der UN-BRK 3. Anerkennungstheoretisches Modell für eine Annäherung an ein differenziertes Verständnis von Inklusion und Diversität 4. Bedeutung für die Arbeit in der Selbsthilfe und ihre politische Interessensvertretung

1. Demographische Entwicklung In der Vergangenheit haben wir uns fraglos darauf verlassen, dass Familien, Nachbarschaften und Gemeinden Hilfe und Unterstützung für diejenigen leisten, die darauf angewiesen sind Sie haben die damit die notwendige gesellschaftliche Integration aller garantiert Das ist heute nicht mehr umstandslos möglich, weil sich Familien, Nachbarschaften und Gemeinden verändert haben Menschen, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, sind von Ausgrenzung bedroht

1. Demographische Entwicklung Woran liegt das? Wir sind heute eine älter werdende Gesellschaft eine Single-, Paare- und Kleinfamiliengesellschaft eine immer mobilere Gesellschaft eine multikulturelle Gesellschaft eine plurale Gesellschaft

1. Demographische Entwicklung Konsequenzen Familien, Nachbarschaften und Gemeinden können notwendige Integration nicht mehr garantieren Neue Formen sozialer Netzwerke und solidarischer Organisierung von Hilfe und Unterstützung sind notwendig Aufgaben der Selbsthilfe

2. Inklusion und Diversität in der UN-BRK Inklusion wird in der UN-BRK definiert als, die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und die Einbeziehung in die Gesellschaft (UN-BRK, Art. 3) Menschen mit chronischen Krankheiten fallen unter den Schutzbereich der Konvention, wenn ihre Inklusion durch das Zusammenwirken einer dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigung mit gesellschaftlichen Barrieren behindert wird

2. Inklusion und Diversität in der UN-BRK Menschenrechtstheoretisch verweist Inklusion auf die Inklusivität des Schutzbereichs der Menschenrechten die Universalität des Anspruchs auf und der Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte die Unteilbarkeit der Menschenrechte (Abwehrrechte und Anspruchsrechte!)

2. Inklusion und Diversität in der UN-BRK Inklusion kann an Diskriminierung scheitern Diskriminierung bedeutet jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. (UN-BRK, Art. 2)

2. Inklusion und Diversität in der UN-BRK Menschen mit Behinderung und chronischer Krankheit werden diskriminiert durch: fehlende Hilfe und Unterstützung die Vorenthaltung formal gleicher Rechte negative Einstellungen und Bewertungsmuster kann verstärkt werden durch das Zusammenwirken mehrerer Diskriminierungsmerkmale (Krankheit, Geschlecht, Herkunft, sozialer Status, )

2. Inklusion und Diversität in der UN-BRK Historisch hat sich gezeigt: Zunächst haben nur weiße, besitzende Männer von der Menschenrechtsgarantie profitiert. Frauen, Kinder, Arme, Fremde, Menschen mit Behinderung und viele andere, die nicht den Vorstellungen von Normalität genügten, haben weniger oder nicht davon profitiert. Die Diversität der Lebensentwürfe und Lebenslagen muss berücksichtigt werden, wenn alle Menschen in den Schutzbereich der Menschenrechte gleichermaßen einbezogen werden sollen.

2. Inklusion und Diversität in der UN-BRK Defizit- soll durch Diversitäts-Orientierung ersetzt werden Für die Defizit-Orientierung steht das medizinische Modell von Behinderung: Behinderung wird auf die individuelle Beeinträchtigung zurückgeführt eine chronische kranke Person ist behindert Handlungsorientierung: Beeinträchtigung sollen repariert werden Ansatzpunkt: Defizite der Person

2. Inklusion und Diversität in der UN-BRK Für die Diversitäts-Orientierung steht das soziale Modell von Behinderung: Behinderung wird auf das Zusammenwirken der individuellen Beeinträchtigung mit gesellschaftlichen Barrieren zurückgeführt eine chronisch kranke Person wird behindert Handlungsorientierung: Barrieren sollen beseitigt werden Ansatzpunkt: Ressourcen der Person und ihres Umfelds

3. Anerkennungstheoretisches Modell soll ein differenziertes Verständnis ermöglichen, was Inklusion erfordert Grundlegende Annahmen: Menschen entwickeln und bewahren durch intersubjektive Anerkennung ihre personale Identität Wenn Anerkennung vorenthalten wird oder scheitert kann die personale Identität beschädigt werden

3. Anerkennungstheoretisches Modell Menschen entwickeln und bewahren personale Identität durch intersubjektive Anerkennung 1. Anerkennung als Person mit individuellen Bedürfnissen Entwicklung von Selbstbewusstsein 2. Anerkennung als Person mit gleichen Rechten Entwicklung von Selbstachtung 3. Anerkennung als Person mit besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten Entwicklung von Selbstwertgefühl Alle drei Dimensionen von Anerkennung sind wichtig für personale Identität und wirken zusammen!

3. Anerkennungstheoretisches Modell Personale Identität kann durch Vorenthalten oder Scheitern von Anerkennung beschädigt werden 1. Anerkennung als Person mit individuellen Bedürfnissen Selbstbewusstsein ist durch Vernachlässigung oder Missbrauch gefährdet 2. Anerkennung als Person mit gleichen Rechten Selbstachtung ist durch Benachteiligung oder Entrechtung gefährdet 3. Anerkennung als Person mit besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten Selbstwertgefühl ist durch Abwertung und Geringschätzung gefährdet

4. Bedeutung für die Selbsthilfe Leitbild Inklusion in der Arbeit der Selbsthilfe: 1. Anerkennung als Person mit individuellen Bedürfnissen: den besonderen Bedürfnissen und Lebenssituationen Rechnung tragen. 2. Anerkennung als Person mit gleichen Rechten: Gleichberechtigung garantieren. 3. Anerkennung als Person mit besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten: die Möglichkeit geben, Wertschätzung zu erfahren und positive Identifikationsangebote zu haben.

4. Bedeutung für die Selbsthilfe Aufgaben der Selbsthilfe: Die Angewiesenheit auf Anerkennung in der Beratungsarbeit berücksichtigen Solidarität organisieren und soziale Netzwerke stärken, in denen Anerkennung praktiziert wird Anerkennung in allen drei Dimensionen mit Bezug auf die Diversität von Lebensentwürfen und Lebenslagen politisch einfordern

4. Bedeutung für die Selbsthilfe Dabei sollten folgende Aspekte berücksichtigt werden: Soziales statt medizinisches Modell von Behinderung Ressourcen- statt Defizitorientierung Berücksichtigung individueller Bedürfnisse und Lebensumstände Begegnung auf gleicher Augenhöhe Beachtung individueller Fähigkeiten und Leistungen Volle und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe Förderung von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit

Fazit: Selbsthilfe kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, Inklusion zu verwirklichen! Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!