Neue Anreizsysteme: Was kommt nach den DRG? Jahreskonferenz Universitäre Medizin 2017, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Neumünster, 1.4.2017 Prof. Dr. Jonas Schreyögg Lehrstuhl für Management im Gesundheitswesen Hamburg Center for Health Economics Universität Hamburg
Das deutsche Preis-Mengen Phänomen und die Fehlanreize der Krankenhausvergütung Jonas Schreyögg www.hche.de 2
Mexico Turkey Poland Slovak Republic Hungary Estonia Czech Republic Korea Slovenia Greece Portugal Spain Finland Canada Belgium Germany Iceland France Austria Netherlands Sweden Denmark Switzerland United States Krankenhausausgaben pro Kopf liegen leicht über dem OECD Durchschnitt (2013) Kaufkraft bereinigte Preise in US$ 3500 3000 2500 2000 1500 Durchschnitt: 1274 US$ PPP 1000 500 0 Quelle: OECD Health Statistics 2015 (Hospitals/Total current expenditure HC.1-HC.9 [Individual and collective health care.]) Jonas Schreyögg www.hche.de 3
Preise für stationäre Leistungen: Deutschland hat vergleichsweise geringe Preise -> OECD Studie zu internationalem Vergleich von Krankenhauspreisen, insgesamt 24 Leistungen in 14 Ländern verglichen; u.a. PTCA, Hüft TP, Bypass etc. Kaufkraft bereinigte Preise in US$ 16000 14000 12000 PTCA 10000 8000 6000 4000 2000 0 SLV GER FIN FRA AUS ISR NOR POR CAN SWE ITA KOR USA Quelle: Koechlin, F., L. Lorenzoni and P. Schreyer (2010), Comparing Price Levels of Hospital Services Across Countries: Results of Pilot Study, OECD Health Working, Papers, No. 53, OECD Publishing. http://dx.doi.org/10.1787/5km91p4f3rzw-en Jonas Schreyögg www.hche.de 4
Preise für stationäre Leistungen: Deutschland hat vergleichsweise geringe Preise Kaufkraft bereinigte Preise in US$ 20000 18000 16000 14000 12000 10000 8000 6000 4000 2000 Hüft TP 0 SLV ISR GER KOR FIN POR FRA SWE CAN AUS USA Quelle: Koechlin, F., L. Lorenzoni and P. Schreyer (2010), Comparing Price Levels of Hospital Services Across Countries: Results of Pilot Study, OECD Health Working, Papers, No. 53, OECD Publishing. http://dx.doi.org/10.1787/5km91p4f3rzw-en Jonas Schreyögg www.hche.de 5
Fallzahlen pro 100 Einwohner Aber: Fallzahlen sind im internationalen Vergleich sehr hoch und steigend -> Deutschland hat andere Preis-Mengen Kombination 30 28 26 24 22 20 18 16 14 Österreich Dänemark Frankreich Deutschland Italien Niederlande Spanien Schweiz Großbritannien USA 12 10 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Quelle: OECD Health Statistics 2017 Health Care Utilization/ Hospital Aggregates Jonas Schreyögg www.hche.de 6
Fallzahlen pro 100 Einwohner Starker Anstieg der Fallzahlen in den Jahren von 2005 bis 2015 24 23 22 21 20 19 18 17 16 15 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Quelle: Statistisches Bundesamt Fachserie 12 Reihe 6.1.1 Jonas Schreyögg www.hche.de 7
Ursachen liegen u.a. in Anreizen des Vergütungssystems begründet Es müssen Überschüsse realisiert werden, sonst können notwendige Investitionen nicht getätigt werden, d.h. Umsätze müssen schneller steigen als die Kosten Umsätze können im wesentlichen nur steigen, wenn stationäre Fallmenge/Case-Mix steigt -> starke Fokussierung auf Fallmenge Andere Vergütungskomponenten (z.b. Strukturzuschläge) als DRGs spielen keine wesentliche Rolle für den Umsatz Zahlreiche Änderungen der Relativgewichte wären nicht notwendig Die Vergütungssysteme sind an der Schnittstelle ambulant-stationär zu unflexibel Komplexe Verhandlungen um Basisfallwerte erzeugen das Gefühl, sich Geld über DRGs wiederholen zu müssen Jonas Schreyögg www.hche.de 8
Folgen der Fehlanreize des Vergütungssystems Folgen für die Versorgung u.a.: Aufbau der Versorgungsstrukturen gerät in Gefahr Strukturen mit hohen Vorhaltekosten geraten unter Druck Deutschland hinkt bei Ambulantisierung deutlich hinterher Qualität spielt (zumindest bisher) im Vergleich zu anderen Ländern eine geringere Rolle Folgen für politisches Handeln: Viele Ressourcen der Verbände auf allen Seiten werden gebunden, um kurzfristige Lösungen für Fehlanreize zu finden Es entsteht ein immer komplizierter werdendes Geflecht aus Regelungen, das die Fehlanreize der Vergütung zu korrigieren versucht Parodoxon: Vielzahl politisch verhandelter Zuschläge und Pauschalen (i.d.r ohne Kostenbezug) sollen Fehlanreize des Ist-Kosten basierten ( nicht verhandelbaren ) G-DRG Systems korrigieren Jonas Schreyögg www.hche.de 9
Beitrag des KHSG zur Lösung der Anreizproblematik in der Krankenhausvergütung Krankenhausreform legt Schwerpunkt auf Stärkung der Qualität der Versorgung im Wettbewerb -> wichtige Reformen zu Qualitätsaspekten Stärkere Gewichtung vorhaltebezogener Vergütungskomponenten, z.b. Zuund Abschläge bei Notfallversorgung, Zentrenzuschläge -> Schritt in die richtige Richtung, aber nur geringe Relevanz für Umsatz Maßnahmen zur Mengensteuerung -> FDA wenig sinnvoll; keine grundsätzliche Kursänderung zur Reduktion der Mengenorientierung der Vergütung Änderungen im G-DRG-System -> Übervergütung der Sachkosten und Zusammensetzung der Kalkulationsstichprobe sind nicht das Kernproblem; eine Weiterentwicklung des Kalkulationsverfahrens wäre notwendig gewesen -> Politik hat die Probleme erkannt, aber nur erste kleine Schritte zur Behebung von Fehlanreizen umgesetzt Jonas Schreyögg www.hche.de 10
Notwendige Schritte zur evolutorischen Weiterentwicklung der Vergütung in Deutschland Jonas Schreyögg www.hche.de 11
Was machen andere OECD Länder anders? Die meisten andere OECD Länder haben auch DRG-Systeme aber: DRGs sind in der Regel deutlich weniger relevant für die Vergütung: In Deutschland ca. 80%, vielerorts eher 40-50% oder nur genutzt für Berechnung von Budgets In anderen Ländern sind die sonstigen Vergütungskomponenten, d.h. Sicherstellungszuschläge, Zuschläge für Notfallversorgung etc. oft deutlich budgetrelevanter Die Vergütung erfolgt regional differenziert, u.a. Adjustierung für regionale Unterschiede in Personalkosten und Grundstückspreisen Es gibt besondere Regelungen für tertiäre Versorger Ambulante Versorgung und Vergütung ist meistens stärker mit stationärer Versorgung integriert -> durchlässiger für Ambulantisierung Teilweise existieren auch andere Vergütungssysteme neben dem DRG- System Jonas Schreyögg www.hche.de 12
Automatisierte Basisfallwerte Basisfallwertverhandlungen binden viele Ressourcen und Ergebnisse werden sowohl von Kassen als auch Krankenhäusern als unbefriedigend empfunden Bisheriger Kostenorientierungswert bildet Kostenentwicklung von Krankenhäusern nicht spezifisch genug ab Zukünftige Ausgestaltung: - Statistisches Bundesamt ermittelt Warenkorb für Einkaufspreise in deutschen Krankenhäusern (Personalkosten, Miete etc.) - Bestimmung eines regionalisierten Preisindex (z.b. wie in England oder USA) - Automatisierte und regional differenzierte Bestimmung des Basisfallwerts anhand des Preisindex - Anpassung erfolgt faktenbasiert ohne Verhandlungen, wie in vielen anderen Ländern Jonas Schreyögg www.hche.de 13
Weiterentwicklung des G-DRG Systems 1. Abkehr von Einhausansatz sollte erwogen werden Angebote der Krankenhäuser unterscheiden sich deutlich in Komplexität, Menge und Vorhaltungskosten Kalkulationsstichprobe sollte bzgl. systematischer Kostenunterschiede von Versorgungsstrukturen untersucht werden Z.B. Maximalversorger und ländl. Krankenhäuser mit bes. Vorhaltungsfunktion Berechnung von Multiplikationsfaktoren für besondere Versorgungsstrukturen oder separate Pauschalen für Vorhaltungskosten 2. Komplexität anders abbilden als über therapeutische Prozeduren Bei 47 % der abgerechneten Fälle ist Prozedur (OPS-Kode) für Bestimmung des DRG-Gewichts ausschlaggebend kann zu Bevorzugung operativer vs. konservativer Therapieformen führen Stärker diagnostische Prozeduren und zusätzliche ICD codes integrieren Jonas Schreyögg www.hche.de 14
Weiterentwicklung des G-DRG Systems 3. Einführung einer konstanten Kalkulationsstichprobe oder technische Konstanthaltung Krankenhäuser reagieren auf Veränderung der DRG-Gewichte DRG-Gewichte ändern sich vor allem aufgrund von Änderungen in der Kalkulationsstichprobe und Migrationen Jonas Schreyögg www.hche.de 15
Integration von nicht-mengenabhängigen Vergütungskomponenten Vorhalteleistungen, die nicht über das G-DRG System vergütet werden können bzw. sollten Beispiel: Rettungsstellen - Zahl der in Rettungsstellen ambulant behandelten Patienten ist nicht unbedingt abhängig von stationärer Fallmenge und wenig steuerbar - Auf Basis von Ist-Kosten berechnete Strukturpauschalen für die Vorhaltung von Rettungsstellen (3 grobe Stufen nach Struktur und Kontaktvolumen) Beispiel: Innovationszentren - G-DRG System ist erst innovationsförderlich bei Innovationen, die bereits eine gewisse Verbreitung gefunden haben - Wildwuchs bei NUBs in früheren Phasen - Innovationen fallbezogen zu finanzieren ist oft problematisch (viele negative Beispiele aus anderen OECD Ländern) - Daher: Erprobung von Innovationen in bestimmten Zentren, die sich bewerben verbunden mit finanzieller Förderung Jonas Schreyögg www.hche.de 16
Mischvergütung für ambulant erbringbare Leistungen Zahl der Kurzlieger (1-3 Tage) ist um 53% gestiegen, Zahl der Fälle >3 ist 2% gesunken (2005-2015) Zahl der ambulanten Operationen im Krankenhaus stagniert Andere Länder erbringen deutlich mehr OPs ambulant (Brökelmann & Toftgaard, 2013) Für Katalog von ca. 400 ambulant erbringbaren Prozeduren/Operationen könnte Mischvergütung zwischen EBM und DRGs kalkuliert werden Vollständige Öffnung des Wettbewerbs ambulant/stationär zur Erbringung dieser Leistungen Sektorübergreifende Qualitätssicherung ohnehin gestartet, aber müsste deutlich ausgeweitet werden Jonas Schreyögg www.hche.de 17
Qualitätsorientierung der stationären Vergütung ist derzeit der Trend in vielen OECD Ländern Ausgestaltung variiert sehr stark/ viele Projekte in der Erprobungsphase, einige Beispiele: Zu- und Abschläge auf Baserate eines Krankenhauses bei Über- oder Unterschreitung eines Sets von Qualitätszielen Zu- und Abschläge für definierte Leistungen (diverse Länder u.a. geplant in Deutschland) Eigene DRGs für Krankenhäuser mit besonders hoher Qualität der Vergütung (z.b. England) Fallzusammenführung als Qualitätsinstrument (z.b. England, USA, Deutschland mit Einschränkung) Krankenhäuser die sich zu bestimmten Qualitätsmaßnahmen verpflichten, bekommen Teil des Budgets unabhängig von Fallmenge (z.b. USA, Frankreich) Jonas Schreyögg www.hche.de 18
Sinnvolle Integration der Qualitätsorientierung in die Vergütung für Deutschland Parallelsysteme zur Erfassung von Daten für die Qualitätssicherung und Qualitätsincentivierung könnten in Zukunft vermieden werden Beides kann weitestgehend über Abrechnungsdaten erfolgen -> weniger admin. Aufwand + manipulationssicherer Indikationsqualität: Schaffung von ICD/OPS codes für leitlinienrelevante klinische Informationen, z.b. Stärke des Wirbelgleitens (Grad nach Meyerding) mit Kodierverpflichtung Prozessqualität: Integration von Qualitätsparametern in Kodierrichtlinien (z.b. 90 min. door to balloon bei STEMI) Ergebnisqualität: Fallzusammenführung bei Wiederaufnahme unabhängig von kodierter Diagnose (wie z.b. USA) mit Ausnahme von Verkehrsunfällen etc. Jonas Schreyögg www.hche.de 19
Investitionskosten: kreative Lösungen sind gefragt Schleichende Monistik: Erhöhte Betriebskosten für unterlassene Investitionen der Länder werden in DRGs überwälzt Unwahrscheinlich, dass Investitionskostenzuschüsse der Länder wieder steigen Das Problem wird sich noch deutlich verschärfen, wenn Länder Pensionslasten der Babyboomer tragen müssen und Bund ab 2030 GRV und GKV stützen muss Situation allerdings in vielen anderen europäischen Staaten tendenziell eher schlechter Mögliches Modell: Bund könnte z.b. Pauschalförderung übernehmen, aber im Gegenzug Entscheidungskompetenzen einfordern Jonas Schreyögg www.hche.de 20
Systempauschalen Kooperationen zwischen Krankenhäusern/Verbünden werden in den nächsten Jahren deutlich zunehmen Es werden Vergütungssysteme jenseits des DRG-Systems entstehen, Qualitätsverträge sind erster Schritt in diese Richtung Regionale und überregionale Verbünde werden mit Krankenkassen Budget mit befreiender Wirkung verhandeln - Krankenhäuser: mehr Sicherheit bei mittelfristiger Planung des Umsatzes, aber Risiko der Case-mix Veränderung tragen Krankenhäuser - Krankenkassen: unter Umständen höhere Ausgaben, aber Krankenkassen hätten die Möglichkeit zu Sondervereinbarungen, u.a. Qualität Wettbewerb der Vergütungssysteme; wird in verschiedenen Ländern praktiziert Jonas Schreyögg www.hche.de 21
Förderung einer evidenzbasierten Weiterentwicklung der Vergütung in Deutschland Einer der Hauptgründe für immer komplizierter werdendes Geflecht an Regelungen zur Krankenhausvergütung ist der schlechte Datenzugang für die Wissenschaft Deutschland gehört zu den OECD Ländern mit dem schlechtesten Datenzugang: - 21 Daten über das stat. Bundesamt de facto aufgrund admin. Hürden kaum nutzbar - Kalkulationsdaten der Krankenhäuser nicht für Forschungszwecke freigegeben - Zusammengeführte 301 SGB V Daten mit inst. Kennziffern nicht existent Alle diese Datenquellen sind in den meisten Ländern selbstverständlich für Forschungszwecke freigegeben Ohne Daten sind die Wirkungen politischer Interventionen kaum abzuschätzen Warum initiieren wir nicht einen wissenschaftlichen Wettbewerb zur Weiterentwicklung des Vergütungssystems (wie z.b. in den USA und Skandinavien)? Jonas Schreyögg www.hche.de 22
Fazit KHSG gibt positive Impulse zur Initiierung eines Qualitätswettbewerb, aber nur sehr zarte Impulse zur Weiterentwicklung der Vergütung Es besteht großer Handlungsdruck, da vor allem Fehlanreize die Versorgungsstrukturen zunehmend in die falsche Richtung treiben Reformen sollten aber zielgerichtet auf Basis von Evidenz erfolgen Dafür ist mehr Transparenz erforderlich/ verbesserter Datenzugang Es muss und wird ein KHSG 2 geben Jonas Schreyögg www.hche.de 23
Kontakt Prof. Dr. Jonas Schreyögg Hamburg Center for Health Economics Universität Hamburg Esplanade 36 20354 Hamburg Tel: +49 40 428 38-8041 Fax: +49 40 428 38-8043 jonas.schreyoegg@uni-hamburg.de www.hche.de Jonas Schreyögg www.hche.de 24