Atemphysiologie bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen

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Transkript:

Atemphysiologie bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen J. Hammer a * und U. Frey b a Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB), Abt. f ur Intensivmedizin und Pneumologie, Basel, Schweiz b Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB), Basel, Schweiz 1 Grundlagen 1.1 Lungenvolumina und -kapazitäten Die Unterteilung und Terminologie der Lungenvolumina und -kapazitäten ist in Abb. 1 dargestellt. Die meisten Lungenvolumina werden von der Atemruhelage aus gemessen, wo sich die elastischen Retraktionskräfte von Thorax und Lunge im Gleichgewicht befinden. Das Luftvolumen, das sich dabei in der Lunge befindet, nennt man die funktionelle Residualkapazität (FRC). Sie ergibt zusammen mit der Inspirationskapazität (IC) die totale Lungenkapazität (TLC). Die Vitalkapazität (VC) ist die größte Luftmenge, die nach maximaler Inspiration ausgeatmet werden kann. Das Residualvolumen (RV) stellt das Volumen dar, welches nach maximaler Exspiration noch in den Lungen vorhanden ist. Die meisten Lungenvolumina werden mittels eines Spirometers in ruhiger Atmung bestimmt. Die funktionelle Residualkapazität wird mittels Heliumdilution oder Stickstoffauswaschung gemessen. Bei Messung mittels Ganzkörperplethysmografie wird das endexspiratorische Luftvolumen als thorakales Gasvolumen (TGV) bezeichnet. Der Unterschied zwischen FRC und TGV ist die Luftmenge, welche nicht an der Ventilation teilnehmen kann ( Gefangenenluft ). Die Messung des RV und der TLC werden aus den spirometrischen Daten und der FRC errechnet. Die Lungenvolumina nehmen im Laufe des Wachstums fortlaufend zu und korrelieren eng mit der Körpergröße. Wegen der fehlenden Kooperationsfähigkeit sind, mit Ausnahme des Atemzugsvolumens (AZV) und des FRC, exakte Messungen der Lungenvolumina und Lungenkapazitäten bis zum 6. Lebensjahr kaum oder nur mit Hilfe invasiver Techniken möglich. 1.2 Atemmechanik Die Atemmechanik beschreibt die statischen und dynamischen Kräfte, welche die Luftströmung bei der Atmung bestimmen. Zur Inspiration m ussen sowohl die elastischen Retraktionskräfte von Lunge und Thorax (Compliance) sowie die Reibungswiderstände im respiratorischen System (Resistance) uberwunden werden. Mit dem Wachstum des Respirationstrakts verändern sich auch fortlaufend die atemmechanischen Eigenschaften. Die Compliance ist ein Maß f ur die Dehnbarkeit und ist definiert als der Quotient aus der Volumenänderung und des daf ur notwendigen Drucks. Die Compliance des gesamten respiratorischen Systems setzt sich aus der Compliance von Lunge und Brustkorb zusammen. Die Compliance der Lunge ist normalerweise proportional zur Körpergröße und hängt von der elastischen Retraktionskraft des Lungenparenchyms ab. Die Elastizität der Lunge beruht zu einem großen Teil auf dem oberflächenaktiven Surfactant, der die terminalen respiratorischen Einheiten auskleidet und die alveoläre Oberflächenspannung herabsetzt. Ursachen f ur eine Verminderung der Lungencompliance beruhen auf einer Störung des Surfactants (hyaline Membranen, acute respiratory distress syndrome [ARDS], Aspiration etc.), auf Veränderungen des Lungenparenchyms (Pneumonie, Fibrose, Ödem) oder einem Volumenverlust (Atelektase). Die Compliance des Brustkorbs ist beim Erwachsenen etwa gleich groß wie die Compliance *E-Mail: juerg.hammer@unibas.ch Seite 1 von 6

IRV IC VC TLC AZV FEV 1 FVC FRC ERV RV Zeit (Sek.) 0 1 2 Abb. 1 Links: Lungenvolumina und -kapazitäten im Spirogramm. TLC totale Lungenkapazität, VC Vitalkapazität, IC Inspirationskapazität, FRC funktionelle Residualkapazität, IRV inspiratorisches Reservevolumen, AZV Atemzugsvolumen, ERV exspiratorisches Reservevolumen, RV Residualvolumen. Rechts: Forcierte Exspiration als Fuß-Zeit-Kurve. FEV 1 Erstsekundenvolumen, FVC forcierte Vitalkapzität. Wertvolle Informationen liefert auch die Messung der dynamischen Lungenvolumen bei obstruktiven Ventilationsstörungen. Dabei wird nach kompletter Inspiration maximal forciert ausgeatmet, was die Bestimmung der forcierten Vitalkapazität, des Erstsekundenvolumens und der maximalen Fl usse ermöglicht der Lunge, beim Säugling ist die Brustkorbcompliance jedoch etwa 3- bis 5-mal höher als die Compliance der Lunge. Da das Gleichgewicht zwischen der elastischen Retraktionskraft des Thorax und der Lunge die Atemruhelage bestimmt, ist die FRC beim Säugling dadurch verhältnismäßig klein. Der Atemwegswiderstand (Resistance) ist definiert als der Quotient aus Druckdifferenz und zugehörigem Atemfluss und hängt in erster Linie vom Bronchiallumen, d. h. von dessen Radius ab. Entsprechend dem Poiseuille-Gesetz verhält sich der Atemwegswiderstand bei laminarer Strömung umgekehrt proportional zur 4. Potenz des Radius. Das Bronchiallumen wird aber auch von Alter und Größe der Lungen sowie von der Elastizität der Atemwege und des Lungenparenchyms beeinflusst. Sowohl Resistance als Compliance hängen vom Lungenvolumen ab, bei welchem sie gemessen werden. 1.3 Atemarbeit Die Atemarbeit ist das Produkt aus Volumen und Druck und wird durch eine optimale Kombination von Atemzugsvolumen und Atemfrequenz so ökonomisch wie möglich ausgef uhrt. Beim gesunden Patienten werden etwa zwei Drittel der Atemarbeit f ur die elastischen Retraktionskräfte und ein Drittel f ur die Strömungswiderstände verbraucht. Diese Anteile verändern sich je nach Art der atemmechanischen Störung. In der Regel wird bei tiefer Compliance (restriktive Störung) die Atmung flacher und die Frequenz erhöht, während bei hoher Resistance (obstruktive Störung) die Atemfrequenz vermindert und das Atemzugsvolumen erhöht wird. 2 Besonderheiten der Säuglingslunge Es gibt eine Vielzahl von physiologischen und anatomischen Gr unden, warum Säuglinge eine respiratorische Beeinträchtigung viel schlechter bewältigen können als ältere Kinder oder Erwachsene. So ändert sich die histologische Zusammensetzung der Atemwegswand mit zunehmendem Alter, und die Alveolisation ist erst mit 18 Monaten abgeschlossen. Die Säuglingslunge ist also keine Miniaturversion der Erwachsenenlunge! 2.1 Obere Luftwege Die Nase trägt beim Säugling fast zur Hälfte, beim Erwachsenen sogar etwas mehr, zum gesamten Atemwegswiderstand bei. Generell ist der Widerstand bei Mundatmung viel kleiner als bei Nasenatmung. Seite 2 von 6

Aufgrund der speziellen Konfiguration der oberen Luftwege im Säuglingsalter atmen Neugeborene und Säuglinge fast obligat oder wenigstens präferenziell durch die Nase. Die Epiglottis ist relativ groß, weich und hoch im Pharynx gelegen, so dass diese dem weichen Gaumen anliegen kann, was die Nasenatmung beg unstigt. Ebenfalls beeinträchtigt die verhältnismäßig große Zunge die Mundatmung. Neugeborene und Säuglinge sind wohl in der Lage, bei Obstruktion der Nasenpassage durch den Mund zu atmen, jedoch deutlich weniger effizient als ältere Kinder. Deshalb kann bereits eine banale Rhinitis die Atmung des Säuglings erheblich beeinträchtigen. Während der ersten 2 Lebensjahre verlagert sich der Larynx dann kaudalwärts unter die Zunge, was die Mundatmung und die Sprachentwicklung erleichtert. Nach der Nase ist der Larynx die engste Stelle der oberen Luftwege, wobei beim Säugling aufgrund der trichterartigen Larynxform das Krikoid die engste Stelle darstellt. Beim älteren Kind und beim Erwachsenen ist dies dann die Glottisöffnung (Stimmbänder). 2.2 Untere Luftwege Die Luftwege des Säuglings und Kleinkindes sind relativ groß im Vergleich zu denjenigen eines Erwachsenen, in absoluten Maßen hingegen sind sie klein. Geringe Veränderungen im Durchmesser der Luftwege haben deshalb beim Säugling einen viel größeren Anstieg des Atemwegswiderstands zur Folge, da sich dieser in der 4. Potenz jeder Verringerung des Radius erhöht. Zudem sind die Luftwege des Säuglings viel elastischer und können bei forcierter Atmung leicht einengen oder gar kollabieren. Der dynamische Luftwegskollaps spielt in der Pathophysiologie obstruktiver Luftwegskrankheiten im Kindesalter eine wichtige Rolle. Der maximale Fluss durch die Atemwege ist daher nicht nur durch den kleineren Atemwegsdurchmesser, sondern zusätzlich durch die hohe Compliance der Atemwegswand limitiert. Beim Erwachsenen machen die größeren Luftwege (>2 mm im Durchmesser) den größten Teil des Atemwegswiderstands aus, da die kleinen Luftwege eine viel größere Querschnittsfläche f ur den gesamten Luftfluss zur Verf ugung stellen. Beim Säugling tragen die kleinen Luftwege proportional noch viel mehr zum gesamten Atemwegswiderstand bei. Dieser Anteil verringert sich aber mit zunehmendem Alter durch Zunahme von Länge und Durchmesser der Luftwege. Dies erklärt, warum Krankheiten der kleinen Luftwege (z. B. Bronchiolitis) beim Erwachsenen oft klinisch stumm verlaufen, jedoch beim Säugling deutliche Symptome und eine signifikante Zunahme der Atemarbeit verursachen. 2.3 Brustkorb Insgesamt trägt der Brustkorb beim Säugling wegen seiner Form, hohen Compliance und Deformierbarkeit wenig zur Atmung bei. Die Rippen liegen viel horizontaler, was die Effizienz der Interkostalmuskulatur, den Thoraxdurchmesser zu vergrößern, verringert. Aufgrund des weichen Thoraxskeletts kommt es beim Säugling bei vielen pathologischen Zuständen mit vermehrter Atemarbeit zu charakteristischen Retraktionen, d. h. der Thorax wird während der Inspiration eingezogen (paradoxe Atembewegung). Dabei wird viel Atemarbeit f ur das Einziehen von Rippen anstelle von Luft verschwendet. Dasselbe Phänomen kann bei Verlust der stabilisierenden Interkostalmuskulatur beobachtet werden (neuromuskuläre Krankheiten, thorakale R uckenmarksverletzungen, REM-Schlaf etc.). Erst mit dem Erreichen des 1. Lebensjahres ist der Anteil des Brustkorbes an der Atmung mit dem des Erwachsenen vergleichbar. 2.4 Lungenparenchym Die elastische Retraktionskraft des Lungenparenchyms (Alveolarsepten) nimmt mit Ausreifung und Wachstum der Lunge fortlaufend bis ins Adoleszentenalter zu. Durch ihren radialen Zug auf die Atemwege beeinflusst sie deren Kaliber und den Atemwegswiderstand. Wegen der geringen Zahl von Alveolen im Säuglingsalter ist der radiale Zug des elastischen Lungenfaserger usts auf die Atemwege Seite 3 von 6

noch gering. Dies erklärt, warum die Luftwege im Säuglingsalter leichter und sogar trotz geringem Entfaltungsdruck kollabieren können. Kollaterale Ventilationswege (intraalveoläre Kohn-Poren, bronchoalveoläre Lambert-Kanäle) sind bei Säuglingen noch nicht vorhanden und bilden sich erst ab dem 3. 4. Lebensjahr richtig aus. Während eine Obstruktion der kleinen Luftwege (<2 mm im Durchmesser) bei älteren Kindern und Erwachsenen keine Verminderung der Vitalkapazität zur Folge hat, da die verschlossenen Alveolen uber kollaterale Kanäle ventiliert werden können, bleiben diese beim Säugling von der Ventilation ausgeschlossen. Dadurch wird das Auftreten von Hypoxämie und Hyperkapnie bei obstruktiven Krankheiten der kleinen Luftwege (z. B. Bronchiolitis, Asthma) zusätzlich beg unstigt. Der Surfactantmangel ist ein bekanntes Problem unreifer Neugeborener und f uhrt wegen der fehlenden Verminderung der Oberflächenspannung in den Alveolen zu deren Kollaps. Dies bewirkt eine Verminderung der elastischen Retraktionskraft und beg unstigt das Auftreten von Atelektasen. 2.5 Dynamische Kontrolle der Atemruhelage Die Atemruhelage wird durch das Gleichgewicht zwischen der elastischen Retraktionskraft der Lunge und des Thorax bestimmt. Wegen der hohen Thoraxcompliance erreicht der Säugling sein Equilibrium bei einem relativ viel kleineren Lungenvolumen. Eine Exspiration bis zum elastischen Gleichgewicht ist f ur den Säugling jedoch ung unstig, da es dabei zum Atemwegskollaps kommen w urde. Mittels verschiedener Regulationsmechanismen halten deshalb Säuglinge ihre Atemruhelage aktiv oberhalb des elastischen Gleichgewichts: 1. Das Zwerchfell verliert während der Exspiration nie seine ganze tonische Aktivität, was die Retraktionskraft erhöht und die Atemruhelage anhebt. 2. Die relativ hohe Atemfrequenz der Säuglinge verhindert durch die kurze Exspirationszeit eine vollständige Entleerung der Lunge bis zum elastischen Gleichgewicht. 3. Zusätzlich verkleinern die Säuglinge während der Exspiration die Glottisöffnung aktiv, um den Ausatmungswiderstand zu erhöhen und damit eine Erhöhung des endexspiratorischen Lungenvolumens zu erzielen. Besonders deutlich tritt dieses Phänomen ( grunting, exspiratorisches Stöhnen) beim ateminsuffizienten Neugeborenen auf, der durch eine lautstarke Stimmbandadduktion versucht, die funktionelle Residualkapazitiät zu erhöhen und den Kollaps der Luftwege zu vermindern. Mit der Zunahme der elastischen Retraktionskraft und der besseren Stabilität des Thorax verschwinden diese Mechanismen gegen Ende des 1. Lebensjahres. 2.6 Atemmuskulatur Das Zwerchfell ist der wichtigste Atemmuskel, und jede Beeinträchtigung der Zwerchfellfunktion prädisponiert insbesondere den Säugling zu Atemnot (Zwerchfellparese, geblähtes Abdomen, Lungenblähung). Das ältere Kind kann eine Zwerchfellparese wegen der geringeren Thoraxcompliance viel besser kompensieren. Zwerchfell und Interkostalmuskeln sind Antagonisten an der unteren Thoraxapertur und stabilisieren diese während der Inspiration. Der Ansatzwinkel des Zwerchfells an der unteren Thoraxapertur ist beim Säugling viel horizontaler als beim älteren Kind. Dadurch besteht die Tendenz zur Retraktion der unteren Rippen während der Inspiration, da das Zwerchfell den Thorax nach innen zieht; eigentlich eine exspiratorische Tätigkeit. Eine paradoxe Einwärtsbewegung der unteren Thoraxapertur während der Inspiration kann bei pulmonaler Überblähung (Hoover-Zeichen) beobachtet werden. Bei Geburt besteht das Zwerchfell histochemisch hauptsächlich aus schnellen Typ-II-Muskelfasern, und es ist deshalb relativ schlecht ausger ustet, eine hohe Atemarbeit aufrechtzuerhalten. Erst mit dem Seite 4 von 6

Erreichen des 1. Lebensjahres sind die langsameren, erm udungsresistenten Typ-I-Muskelfasern vollständig ausgebildet. Ebenfalls benötigen Fr uhgeborene noch erhebliche Reifungsprozesse in der Koordination der Atemmuskulatur der oberen Luftwege und des Zwerchfells, was sie f ur obstruktive Apnoen anfällig macht. 3 Pathophysiologische Veränderungen Lungenphysiologisch unterscheidet man obstruktive von restriktiven Ventilationsstörungen. Bei vielen Lungenkrankheiten liegen jedoch kombinierte Funktionsstörungen vor, wobei meist eine der beiden Komponenten dominiert. 3.1 Obstruktive Luftwegserkrankungen Eine Obstruktion der Luftwege kann durch verschiedenste Mechanismen zustande kommen (Abb. 2). Bei Obstruktionen der extrathorakalen Atemwege entsteht meist ein typischer inspiratorischer Stridor. Wegen der notwendigen Erhöhung des negativen, intrathorakalen Drucks zur Inspiration kommt es zu ausgeprägten thorakalen Retraktionen und paradoxen Atembewegungen, welche beim Säugling wegen seiner hohen Thoraxcompliance besonders ausgeprägt sind. Da auch die Luftwege eine hohe Compliance aufweisen, kommt es während heftiger Inspirationen zusätzlich zum Kollaps der extrathorakalen Atemwege, insbesondere der Trachea. Dieser dynamische Kollaps verschlimmert dabei die bereits bestehende Atemwegsobstruktion. Umgekehrt stehen bei Obstruktionen der peripheren Atemwege exspiratorische Symptome im Vordergrund. Lungenfunktionell kommt es zu einer Erhöhung des Atemwegswiderstands und zur Lungenblähung, erkennbar an einer Zunahme der FRC, des TGV oder des RV-TLC-Verhältnisses. Bei kompletter Obstruktion größerer Luftwege entsteht zudem eine Gasaustauschstörung durch Atelektasenbildung. Forcierte Exspirationen beg unstigen wegen der Erhöhung des transpulmonalen Drucks den dynamischen Kollaps der intrathorakalen, kompressiblen Atemwege. Schreit der Säugling, wird der a b c d e Abb. 2 a e Ursachen von Obstruktionen der Luftwege: a Verlegung des Lumens durch Schleim, Sekret, Fremdkörper, Tumor; b Verdickung der Bronchialwand durch Ödem, Entz undung, Muskelhypertrophie; c Kontraktion der glatten Bronchialmuskulatur; d Kollaps durch Wandschwäche oder Verlust der elastischen Retraktionskraft der Lunge; e äußerliche Kompression durch Gefäße, Tumor Seite 5 von 6

dynamische Luftwegskollaps während der Exspiration noch verstärkt. Dies erklärt, warum in vielen Situationen beruhigende Maßnahmen beim Säugling zu einer Besserung der Atemnot beitragen. 3.2 Restriktive Ventilationsstörungen Restriktive Lungenkrankheiten sind charakterisiert durch eine Verminderung der Lungenvolumina ohne Erhöhung des Atemwegswiderstands. Ursachen können eine Krankheit des Lungenparenchyms (z. B. Fibrose, Ödem), der Pleura (z. B. Erguss, Pneumothorax), Krankheiten des Thorax (z. B. Kyphoskoliose), neuromuskuläre Krankheiten (z. B. Muskeldystrophien) oder ein ausgeprägter Zwerchfellhochstand sein. Literatur Bryan AC, Wohl MB (1986) Respiratory mechanics in children. In: Geger SR (Hrsg) Handbook of physiology, section 3, vol 3, Pt 1. American Physiology Society, Bethesda, S 179 191 Hammer J, Eber E (2005) The pecularities of infant respiratory physiology. In: Hammer J, Eber E (Hrsg) Paediatric pulmonary function testing, Bd 33, Progress in respiratory research. Karger, Basel, S 2 7 Kerem E (1996) Why do infants and small children breathe faster? Pediatr Pulmonol 21:65 68 Polgar G, Wenig TR (1979) The functional development of the respiratory system from the period of gestation to adulthood. Am Rev Respir Dis 120:625 695 Seite 6 von 6