Sich verantwortlich fühlen: Pflegende Angehörige wachkomatöser Menschen

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Transkript:

Sich verantwortlich fühlen: Pflegende Angehörige wachkomatöser Menschen Dr. rer. medic. Annett Horn Fachtagung Wachkoma 14.10.2008

Problemlage Schätzungen: etwa 1/3 wachkomatöser Menschen lebt in stationären Einrichtungen, 2/3 leben im häuslichen Bereich Zuhause: 24 Stunden Versorgung, oft mit pflegeintensivem Aufwand Folgen: Belastungen (physisch und psychisch)

Erkenntnisinteresse Untersuchungsfrage: Wie ist die Karriere pflegender Angehöriger von wachkomatösen Menschen? Ausgehend vom Erleben der Angehörigen rekonstruieren, was für sie die Pflege eines wachkomatösen Menschen bedeutet, wie sie diese gestalten, welche Veränderungen sie durchlaufen, wie diese Veränderungen erklärt werden können mit dem Ziel, daraus mögliche Hilfen und en zu erkennen.

Vorgehen in der Untersuchung Qualitativer Forschungsansatz Methode: Grounded Theory (Strauss & Corbin 1996) Datenerhebung: Interviews (unstrukturierte und teilstrukturierte) Auswahl der Informanten: Theoretical Sampling Mitwirkende: Angehörige von erwachsenen wachkomatösen Menschen Datenbestand: Insgesamt: 50 Interviews mit 46 Personen in 37 Familien Datenanalyse: Grounded Theory (Strauss & Corbin 1996)

Bedeutung der eigenen Person erkennen Den Betroffenen in den Vordergrund rücken Hoffnungen und nicht erfüllte Erwartungen Zum pflegenden Angehörigen werden Sicherheit bekommen und Vertrauen verlieren Zukunft gestalten und Tragweiten erkennen

Ergebnisse Verantwortung für den Betroffenen übernehmen Zum pflegenden Angehörigen werden, Normalität und ein Gleichgewicht zwischen der Verantwortung für den Betroffenen und das eigene Leben herstellen.

Interviewsituation das ist wie eine therapeutische Stunde heute. ( ) man kennt sich nicht, ich denke oft, zu neutralen Leuten redest du leichter als zu jemanden, den du kennst, der dann so sein Urteil abgibt, der dich kennt und seine ganze Geschichte da einbringt, das will man dann oftmals gar nicht, glaube ich.

Verantwortung annehmen Krisensituation überstehen und den Schock überwinden Wobei mir dann auch die Ärzte gleich sagten, wo ich hier ankam, ( ) OP wäre gut verlaufen, aber in welche Richtung es geht, wüssten sie nicht, könnten sie auch nicht sagen, besteht die Gefahr, dass er nicht überlebt. Ja und wie ich den Montag verbracht habe, weiß ich gar nicht mehr, also das fehlt mir irgendwie. Hauptsächlich hier im Krankenhaus, ich glaub, ich war vielleicht ne Stunde zwischendurch zuhause. Meine Tochter, die hab ich dann noch relativ gut unterbringen können, die wurde dann auch gut versorgt.

Verantwortung annehmen Die Bedeutung der eigenen Person erkennen: er kämpfte gegen alles an durch Schwitzattacken und ging einfach nicht, ging immer direkt der Kreislauf wieder ab ( ) und bin ich jeden Tag ( ) zwei Stunden hin, zwei Stunden wieder zurück nur um ein paar Stunden dann da zu sein aber eben weil, dann hörte das Schwitzen auf, wenn ich da war und dann also merkte man, dass ihm das gut tat.

Verantwortlich für den Betroffenen sein Hilflosigkeit der Betroffenen Verantwortung Beziehung Pflegender Angehöriger werden Heim Zuhause

Hilflosigkeit der Betroffenen Verantwortung bleibt bestehen Verantwortung Beziehung Pflegender Angehöriger werden Heim Zuhause sinnvoll, ihn in einem Heim unterzubringen ( ) nicht, um ihn abzuschieben, sondern einfach weil dort fachkundiges Personal war, was ihn betreut.

Hilflosigkeit der Betroffenen Verantwortung bleibt bestehen Verantwortung Beziehung Pflegender Angehöriger werden Heim Zuhause man meint, man müsste es mit Gewalt kriegen ( ) und dann, man will es einfach erst nicht akzeptieren ( ) und denkt dann, muss doch einfach was passieren, aber ich denke, wenn man tagtäglich damit umgeht, dann lernt man, [dass-ah] Millimeterchen ( ) einem einfach Freude machen.

Hilflosigkeit der Betroffenen Verantwortlich für sich selbst sein Verantwortung Beziehung Pflegender Angehöriger werden Heim Zuhause mal abends ein Bierchen trinken oder ins Kino, das hatte ich die ersten Jahre nicht, ich konnte es nicht. Das muss man, also das braucht ne ganze zeit und wenn man nicht selber dran arbeitet wie gesagt, dann geht man zugrunde, als Angehöriger.

Verantwortung und Hoffnung Hilflosigkeit der Betroffenen Verantwortung Beziehung Pflegender Angehöriger werden Heim Zuhause Ja Hoffnung hat man immer. Wenn sie keine Hoffnung mehr haben, dann können sie es bleiben lassen. Weil das braucht man, das ist das, was einen, wie soll ich sagen, der innere Motor, der einen am Leben hält und treibt.

Hilflosigkeit der Betroffenen Verantwortung behalten Verantwortung Beziehung Pflegender Angehöriger werden Heim Zuhause Verantwortung bleibt bestehen Nach einem Gleichgewicht zwischen der Verantwortung für den Betroffenen und für das eigene Leben streben

Hilfreiches Handeln durch professionelle Helfer Akutsituation: Vertrauensbonus bestätigen (Sicherheit vermitteln, klare Regeln und Hoffnungen balancieren) Rehabilitation: Vertrauen bestätigen bzw. zurück gewinnen (Angehörige einbeziehen, beraten und begleiten + gezielte Überleitung in den häuslichen bzw. stationären Bereich) Zuhause und Pflegeheim: Vertrauen bestätigen (Verantwortungsabgabe, Beratung und Edukation)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!