Kapitel III: Operative Umsetzung der Geldpolitik des Eurosystems. Antworten zu den Kontrollfragen zum Kapitel III.1



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Transkript:

Zusatzmaterial zum Lehrbuch Europäische Geldpolitik 1 Kapitel III: Operative Umsetzung der Geldpolitik des Eurosystems Antworten zu den Kontrollfragen zum Kapitel III.1 1 Auf der Instrumentenebene entscheidet eine Zentralbank über den Einsatz ihrer geldpolitischen Instrumente. Heutzutage handelt es sich dabei um drei Arten von Instrumenten: (1) Eine mindestreservebedingte Nachfrage nach Reserven oder Anreize zur freiwilligen Reservehaltung; (2) die sog. Offenmarktgeschäfte, die der primären Liquiditätsversorgung des Geschäftsbankensystems dienen (Initiative geht von der Zentralbank aus) und (3) die sog. Ständigen Fazilitäten, innerhalb derer eine Bank jederzeit kurzfristige Mittel bei der Zentralbank anlegen bzw. aufnehmen kann (Initiative geht von den Geschäftsbanken aus). 2 Auf der Instrumentenebene legt die Zentralbank die Notenbankzinssätze nach ihren Vorstellungen fest, um damit zunächst das operative Ziel zu erreichen. Als operatives Ziel fungiert der Zinssatz für Tagesgeld am Interbanken-Geldmarkt. 3 Auf der Indikatorebene geht es um Variablen, die frühzeitig Informationen darüber liefern, wie das operative Ziel anzupassen ist, um das Endziel zu erreichen. Fungiert eine derartige Variable sogar als Zwischenziel (wie z. B. die Geldmenge bei der Deutschen Bundesbank bis zum Beginn der Europäischen Währungsunion oder ein bestimmter Wechselkurs gegenüber einer Ankerwährung), sollte sie nicht nur frühzeitig verfügbar sein und einen möglichst stabilen oder zumindest prognostizierbaren Zusammenhang zum Endziel aufweisen, sondern auch hinreichend von der Zentralbank mit Hilfe ihres Instrumentariums (im Falle der Geldmenge über die Beeinflussung der Geldnachfrage) beeinflusst werden können. 4 Auf der Endzielebene geht es um die letztlich von der Zentralbank anzustrebenden Ziele. Hier hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten sowohl in der Theorie als auch in der Praxis als Konsens herausgebildet, dass sich Zentralbanken auf die Bekämpfung von Inflation bzw. die Gewährleistung von Preisstabilität konzentrieren sollten. Antworten zu den Kontrollfragen zum Kapitel III.2 1 Eine geldpolitische Strategie sollte folgenden Grundsätzen entsprechen: Ausrichtung auf das Endziel Preisstabilität. Das Eurosystem muss in der Lage sein, mit der Strategie dieses Ziel zu erreichen. Klare Zuordnung von Verantwortlichkeiten: Die mit der Strategie verbundenen Ziele sollen publiziert werden und damit eine Rechenschaftspflicht und einen Rechtfertigungszwang gegenüber der Öffentlichkeit bei Zielverfehlungen beinhalten. Dafür muss die Strategie transparent und für die Öffentlichkeit verständlich sein. Eine Strategie sollte mittel- bis langfristig ausgerichtet sein, um eine Orientierung für die Inflationserwartungen der privaten Marktteilnehmer zu bilden. Kurzfristige Zielabweichungen müssen vereinbar mit der Strategie sein. Die gewählte Strategie sollte also robust gegenüber Änderungen im wirtschaftlichen Umfeld sein. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund der vielfältigen Unsicherheiten, denen sich das Eurosystem gegenüber sieht (Daten-, Modell-, Parameterunsicherheit), wichtig. Vereinbarkeit mit der Unabhängigkeit des Eurosystems (ansonsten nicht konform mit EU- Vertrag). Schnelle und präzise Datenverfügbarkeit: Die ökonomischen Größen, auf die sich die Strategie stützt, sollten ohne große Verzögerungen und mit hinreichender Genauigkeit verfügbar sein. Dadurch können Fehlentwicklungen frühzeitig erkannt werden, und eine externe Überprüfbarkeit in nicht zu langen Zeitabständen ist gewährleistet. 2 Prinzipiell und theoretisch erlauben es sowohl einstufige als auch zweistufige Strategien, das Ziel Preisstabilität zu erreichen. Beide konzentrieren sich auch auf dieses Endziel. Bei der einstufigen Strategie wird dies deutlicher herausgestellt. Die zweistufige Strategie setzt sich zur Erreichung des

Zusatzmaterial zum Lehrbuch Europäische Geldpolitik 2 Endziels ein Zwischenziel oder eine spezielle Indikatorvariable, wodurch frühzeitige Informationen über mögliche Preisgefahren gewonnen werden sollen. Dafür muss die Größe in einem hinreichend gesicherten und stabilen Zusammenhang zum Endziel stehen. Die Informationserfordernisse sind geringer als bei einstufigen Strategien. Kann eine derartige Indikatorvariable gefunden werden, sollten die Inflationserwartungen über die Regelbindung und die größere Transparenz eine bessere Orientierung haben. 3 Folgende Gründe sprechen gegen Wechselkursziele für das Eurosystem: EWU ist eine relativ geschlossene und große Volkswirtschaft. Dadurch stellt sich die Frage, an welche Währung der gekoppelt werden sollte. Auch dürfte die Preisentwicklung hauptsächlich durch EWU-interne Faktoren bestimmt sein. Wechselkurs hängt nicht nur von der Geldpolitik ab. Wechselkursziel muss glaubwürdig sein. Dies bezieht die glaubwürdige Aufrechterhaltung mit ein. Bei dem Umfang der internationalen Finanztransaktionen und dem freien Kapitalverkehr ist daran zu zweifeln. Die Gefahr spekulativer Attacken ist nicht auszuschließen. Wechselkursausrichtung entspricht letztlich Verletzung des EU-Vertrages, da dort explizit Preisstabilität als Hauptziel vorgegeben ist. Durch Devisenmarktinterventionen zur Aufrechterhaltung des Wechselkursziels können sich unerwünschte Geldmengen- und Preiseffekte einstellen. Einschränkung des Autonomiegrades der Geldpolitik des Eurosystems, da man sich letztlich an der Geldpolitik des Ankerwährungslandes ausrichten muss. 4 Eine nominale BIP-Steuerung trägt der realen Entwicklung, gemessen am realen BIP, und der Preisentwicklung gleichermaßen Rechnung. Es besteht kein Primat der Preisstabilität. Die Geldmengenstrategie baut auf einfache und quantitätstheoretisch gesicherte Zusammenhänge auf: Längerfristig ist Inflation ein monetäres Phänomen. Sie erweckt nicht den Eindruck, sie wäre für eine Stabilisierung des Nominaleinkommens verantwortlich. Während Geldmengenzahlen ohne größere Verzögerung monatlich verfügbar sind, erscheinen die Zahlen der VGR nur vierteljährlich mit einer zeitlichen Verzögerung von einigen Monaten. Sie unterliegen auch in der Regel Revisionen. Die Politik der nominellen BIP-Steuerung baut zudem auf ein der Öffentlichkeit nur unzureichend bekanntes Konzept auf. Dies könnte der Transparenz und der Kommunikation mit der Öffentlichkeit hinderlich sein. Auch bzgl. der Behandlung der Umlaufsgeschwindigkeit gibt es Unterschiede zwischen beiden Strategien: Während bei der nominellen BIP-Steuerung mit dem prognostizierten Wert für die Zielperiode gearbeitet wird, verwendet man im Rahmen der Geldmengenstrategie einen längerfristigen Trendwert, der sich aufgrund theoretischer und empirischer Erkenntnisse leichter ermitteln lässt. Für eine erfolgreiche Geldmengenorientierung muss zudem der Transmissionsprozess der Geldpolitik gerade nicht bekannt sein. Bei einer Orientierung am nominalen BIP ist dies jedoch Grundvoraussetzung. Gerade vor dem Hintergrund der unterschiedlichen nationalen Finanzstrukturen in der EWU erscheint dies problematisch. 5 Es müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: Gute und prognostizierbare Vorlaufeigenschaften bzgl. der Endziele, vor allem der Preisentwicklung. Geltung der Fisher-Gleichung, d. h. (approximativ) i = r + erw Gültigkeit der rationalen Erwartungshypothese bzgl. der Inflation, d. h. es dürfen keine systematischen Erwartungsfehler gemacht werden. Dementsprechend wird der Zusammenhang eher langfristiger Natur sein. Keine zu starken Schwankungen der Realzinsen Geltung der Erwartungstheorie der Zinsstruktur, nach der sich die Nominalzinsen von Wertpapieren verschiedener Fristigkeiten vor allem durch unterschiedliche Erwartungen über die weitere Entwicklung der kurzfristigen Zinsen unterscheiden. Gelingt eine erfolgreiche Orientierung der Geldpolitik an der Zinsstruktur, könnten über die Fisher-Beziehung auch die Inflationserwartungen auf niedrigem Niveau stabilisiert werden. Kontrolle der Zinsstruktur durch die Zentralbank. Ein maßgeblicher Einfluss kann bei den kurzfristigen Zinsen vorausgesetzt werden. Bei den längerfristigen Zinsen dagegen ist die

Zusatzmaterial zum Lehrbuch Europäische Geldpolitik 3 Kontrolle nur mehr indirekt über die Beeinflussung von Zins- und Inflationserwartungen gegeben. Es sollte eine dominante Kausalität von der Zinsstruktur zur Preisentwicklung vorliegen, nicht umgekehrt. In der Zinsstruktur sind aber Zins- und Inflationserwartungen und damit auch Erwartungen über den zukünftigen Kurs der Geldpolitik enthalten. Bei Publikation des Zwischenzielwertes für den Zinsspread sind unter Umständen unerwünschte Ankündigungseffekte zu beachten. 6 In den ersten Jahren der Währungsunion war eine Kombination aus Orientierung an der Geldmenge und umfassender Beurteilung der Preisperspektiven eine empfehlenswerte Strategie. Dafür sprechen zunächst, dass Inflation auf Dauer ein monetäres Phänomen ist und das geldpolitische Umfeld für die EZB äußerst unsicher ist. Auch Glaubwürdigkeitsgesichtspunkte sind anzuführen. Langfristig kann es aber aufgrund der Umwälzungen auf den Finanzmärkten (Stichworte: Finanzinnovationen, Disintermediation weg vom Bankensystem, Verlängerung der Intermediationsketten, Finanzmarktturbulenzen) zu Instabilitäten in der Geldnachfrage kommen, die eine Politik ähnlich der vom Federal Reserve System durchgeführten nahe legt. Als Konsequenz resultiert letztlich eine Strategie ohne explizite Indikatorvariable. 7 Die geldpolitische Strategie des Eurosystems besteht aus drei Komponenten: der quantitativen Festlegung des vorrangigen Ziels der Preisstabilität (Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex von unter, aber nahe 2%), einer Monetären (langfristigen) Säule, da Inflation langfristig ein monetäres Phänomen ist (umfassende Analyse verschiedener Geldmengenaggregate, ihrer Komponenten und Bilanzgegenposten, verschiedene Geldlückenkonzepte, Bekanntgabe eines Referenzwertes für das Wachstum von M3) und einer auf breiter Grundlage erfolgenden Beurteilung der Preisperspektiven im Euro-Raum aufgrund einer Vielzahl finanzieller und realer Variablen neben der Geldmenge (kurzfristige realwirtschaftliche Säule). Es erfolgt dadurch eine Definition des Verständnisses des Eurosystems von Preisstabilität. Somit wird eine Orientierungsgröße für die Inflationserwartungen geliefert. Wegen Messfehlern beim HVPI, Deflationsgefahren und unterschiedlichen Inflationsraten in den EWU-Ländern wird nicht eine Inflationsrate von 0% angestrebt. Durch die Monetäre Säule wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Inflation auf Dauer stets mit einer übermäßigen Ausweitung der Geldmenge einhergeht. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Analysen zur Stabilität der Geldnachfrage und die vielfältigen EWU-spezifischen Unsicherheiten eine vorsichtige Interpretation der monetären Entwicklungen nahe legen. Deshalb wurde die langfristige Analyse durch eine Untersuchung der kürzerfristigen Abweichungen der Inflation von ihrem langfristigen Trend ergänzt. Dafür wird eine umfassende Beurteilung der Preisperspektiven aufgrund einer Vielzahl von finanziellen und realwirtschaftlichen Variablen neben der Geldmenge im Rahmen der Wirtschaftlichen Säule vorgenommen. Insgesamt fehlt es durch die Gleichgewichtung der beiden Säulen in Fällen, in denen keine eindeutigen Signale von beiden ausgehen, an einem strikten öffentlichen Leitkonzept für die Inflationserwartungen. Dies erweist sich gerade in schwierigen geldpolitischen Situationen als Nachteil. 8 Das Verhalten der Geldnachfrage bzw. der Umlaufsgeschwindigkeit spielt für eine Geldmengenstrategie die entscheidende Rolle. Da das Eurosystem im Rahmen der Monetären Säule der Geldmenge eine bedeutende Stellung einräumt, ist auch in diesem Konzept, wenn auch in abgeschwächter Form, die Geldnachfrage wichtig. Die Theorie der Geldnachfrage beschäftigt sich dabei mit den Motiven der Wirtschaftssubjekte zur Geldhaltung. Üblicherweise wird eine Abhängigkeit der Geldnachfrage von einer Transaktionsgröße und den Opportunitätskosten der Geldhaltung postuliert. Ausschlaggebend für die Strategiewahl ist die langfristige Stabilität der Geldnachfrage bzw. der Umlaufsgeschwindigkeit. Diese Stabilität bedeutet, dass sich die Entwicklung des Geldmengenaggregates durch einige wenige Faktoren erklären lässt und die Zusammenhänge im Zeitablauf nicht zu stark schwanken, sodass sie sich auch für Prognosezwecke ausnutzen lassen. Instabilitäten können sich z. B. durch Finanzinnovationen, die enge Substitute für Geld darstellen und nicht in der Geldmengengröße enthalten sind, aber auch durch Finanzmarktturbulenzen und Unsicherheiten, wie sie z. B. durch Krisen verursacht werden, einstellen. Auch ein Regimewechsel, wie er der Übergang auf eine einheitliche Geldpolitik darstellt, kann zu Instabilitäten in dem Sinne führen, dass die zuvor festgestellten (aus nationalen Zahlen) aggregierten Zusammenhänge für das neue Euro-Aggregat nicht mehr gelten. Wenn die Geldnachfrage instabil wird, ist in der Regel sowohl die Kontrolle der

Zusatzmaterial zum Lehrbuch Europäische Geldpolitik 4 Geldmengenentwicklung durch die Zentralbank beeinträchtigt als auch die Indikatoreigenschaft der Geldmenge für die Preis- und reale Entwicklung in Mitleidenschaft gezogen. Die Frage nach der Stabilität der Geldnachfrage hängt eng mit der Abgrenzung der Geldmenge zusammen und ist je nach Währungsgebiet unterschiedlich zu beantworten. Allerdings sollte man den Informationsgehalt aufkommender Instabilitäten nicht außer Acht lassen. So weisen Instabilitäten ja gerade darauf hin, dass sich auf den Finanzmärkten und im Geldnachfrageverhalten etwas verändert. Antworten zu den Kontrollfragen zum Kapitel III.3 1 Damit eine Zentralbank den Tagesgeldsatz kontrollieren kann, muss eine ausreichende Nachfrage nach Einlagen (Guthaben) bei der Zentralbank bestehen. Diese Nachfrage kann entweder durch eine (stabile) mindestreservebedingte Zwangsnachfrage oder/und durch eine (freiwillige) Nachfrage für Zwecke des Zahlungsverkehrs (Clearing über die Konten bei der Zentralbank, sog. Working Balances) erzeugt werden. Im Eurosystem greift die mindestreservebedingte Zwangsnachfrage. Diese führt in der Ausgestaltung als Durchschnitts-Mindestreserve auch zu einer Glättung des Tagesgeldsatzes, da kurzfristig am Tagesgeldmarkt auftretende Anspannungen bzw. Verflüssigungen durch ein vorübergehendes Unter- bzw. Überschreiten des nur durchschnittlich zu haltenden Mindestreserve- Solls abgefedert werden können. Dadurch wirkt die Mindestreserve für die Kreditinstitute wie ein Liquiditätspuffer. 2 Bei den Offenmarktgeschäften handelt es sich um geldpolitische Operationen, die auf Initiative der Zentralbank durchgeführt werden. Während ursprünglich unter Offenmarktgeschäften der Kauf und Verkauf von Wertpapieren am offenen Markt verstanden wurde, wird dieser Begriff vom Eurosystem rein enumerativ gebraucht, d. h. Offenmarktgeschäfte sind diejenigen Geschäfte, die die Zentralbank als solche bezeichnet, ohne dass es sich dabei um Käufe bzw. Verkäufe von Wertpapieren am offenen Markt handeln muss. 3 Offenmarktgeschäfte werden ausschließlich auf Initiative des Eurosystems durchgeführt, d. h. das Eurosystem tritt an die Kreditinstitute heran und bietet entsprechende Geschäfte an. Die Ständigen Fazilitäten stellen hingegen Geschäfte mit dem Eurosystem dar, die auf Initiative der Kreditinstitute zustande kommen. Die Kreditinstitute fragen also entsprechende Geschäftsabschlüsse nach. 4 Im Zuge der Krise ging das Eurosystem im Oktober 2008 auf eine Vollzuteilungspolitik über, bei der es den Geschäftsbanken bei Refinanzierungsgeschäften jeden von ihnen gewünschten Betrag an Zentralbankgeld zur Verfügung stellte sofern sie ausreichend Sicherheiten stellen. Ein Grund für diese Maßnahme war, zu verhindern, dass es im Zahlungsverkehr zu krisenhaften Liquiditätsengpässen kommt. Daneben soll damit einer Kreditklemme vorgebeugt werden dass nämlich Banken die Vergabe von Krediten an die Wirtschaft einschränken, weil sie befürchten, sich benötigtes Zentralbankgeld wegen der allgemeinen Vertrauenskrise nicht über den Geldmarkt beschaffen zu können. 5 Die Besicherung erfolgt, um die Zentralbank vor möglichen Ausfällen zu schützen. Antworten zu den Kontrollfragen zum Kapitel III.4 1 Da am Interbanken-Geldmarkt nur die Kreditinstitute untereinander, d. h. ohne Mitwirkung des Eurosystems, Zentralbankguthaben handeln, kann es nur zu einer Umverteilung eines gegebenen Bestands an Bankenliquidität kommen. 2 Eine Steuerung des Preises ( Tagesgeldsatz ) hat den Vorteil, dass erratische Zinsschwankungen am Geldmarkt und dadurch ausgelöste Irritationen an den Finanzmärkten vermieden werden können. Solche Schwankungen sind bei einer Mengensteuerung allein schon deshalb nicht zu vermeiden, weil in Banken- und Kreditsystemen heutigen Zuschnitts der Geldschöpfungsprozess aus dem Zusammenspiel von Banken und deren Kunden also zunächst ohne Zutun der Zentralbank angestoßen wird. Das Ausmaß des damit einhergehenden zusätzlichen Zentralbankgeldbedarfs wird aber nur in den seltensten Fällen mit dem von der Zentralbank vorgegebenen Zielpfad bei der Bereitstellung von Zentralbankgeld übereinstimmen. Da falls die Zentralbank an ihrem Kurs festhält eine über das von der Zentralbank vorgesehene Zuteilungsvolumen hinausgehende Nachfrage nach Zentralbankgeld nicht befriedigt werden kann, wird es zu Zinssteigerungen kommen. Diese sind aber im Unterschied zu den in Marktwirtschaften sonst üblichen Preiswirkungen funktionslos, da durch die

Zusatzmaterial zum Lehrbuch Europäische Geldpolitik 5 Zinssteigerung kein zusätzliches Angebot an Zentralbankgeld mobilisiert werden kann. Eine solche Mengensteuerung würde dazu führen, dass der Tagesgeldsatz keine Rückschlüsse mehr auf die geldpolitischen Intentionen der Zentralbank zuließe. Mit häufigen und heftigen Schwankungen des Tagesgeldsatzes käme es aber auch zu einer stärkeren Volatilität der für die Ausgabeentscheidungen der Wirtschaftssubjekte relevanteren längerfristigen Zinssätze und damit zu Ineffizienzen. Auch das Instrument der Mindestreserve würde in Frage gestellt, da die Banken gesamtwirtschaftlich ihrer Mindestreservepflicht nicht mehr nachkommen könnten. 3 Der Geldschöpfungsprozess erfolgt in einem ersten Schritt aus dem Zusammenspiel von Geschäftsbanken und deren Kunden also zunächst ohne Zutun der Zentralbank. Geld entsteht endogen aus dem Wirtschaftsprozess heraus primär im Zusammenhang mit den Kreditvergabeaktivitäten des Geschäftsbankensektors. Die (nominale) Geldmenge M wird also keineswegs von den währungspolitischen Instanzen vorgegeben. Sie resultiert vielmehr primär aus dem Zusammenspiel zwischen Geschäfts- und Nichtbanken und ist von der Geldnachfrage her determiniert. Dies heißt aber auch, dass vom Geldangebot der Zentralbank (zumindest kurzfristig) keine selbständigen inflationären Impulse ausgehen können, da das Geldangebot nur Reflex der gewünschten Geldhaltung ist. Daraus sollte allerdings nicht der Schluss gezogen werden, die geldpolitischen Instanzen trügen keine Verantwortung für inflationäre Prozesse. Über die Festlegung der Konditionen, zu denen sich die Geschäftsbanken bei der Notenbank refinanzieren können, vermögen sie letztlich Einfluss auf die Ausgabeentscheidungen der Nichtbanken und damit auch auf die Höhe der Geldnachfrage der Nichtbanken zu nehmen. Drohen beispielsweise die Ausgabeentscheidungen der privaten Wirtschaftssubjekte und die hierzu erforderliche Geldmenge das Wachstum des realen Produktionspotenzials zu überschreiten, kann die Zentralbank diesem sich abzeichnenden inflationären Druck durch Anhebung der Geldmarktsätze entgegenwirken. Auf der anderen Seite kann die Notenbank einen monetären Nachfragesog erzeugen, indem sie einen bewusst expansiven Kurs fährt, also reichlich Liquidität zu niedrigen Zinssätzen anbietet, damit die Geldmarktsätze nach unten drückt, um schließlich die Ausgabeentscheidungen der Nichtbanken zu beflügeln. 4 Bis Herbst 2008 kam dem Zinssatz für das Hauptrefinanzierungsgeschäft Leitzinsfunktion für den Tagesgeldmarkt zu. Da es mit einer Laufzeit von 7 Tagen wöchentlich angeboten wird, stellt es ein nahes Substitut zur Tagesgeldaufnahme am Interbanken-Geldmarkt dar. Kann eine einzelne Bank von Woche zu Woche entscheiden, ob sie einen Kredit bei der Zentralbank aufnimmt oder sich die benötigten Mittel am Interbanken-Geldmarkt besorgt, wird sie im Allgemeinen nicht bereit sein, für Interbankengeld deutlich mehr zu zahlen, als sie bei Abschluss eines Refinanzierungsgeschäftes mit der Zentralbank aufbringen müsste. Das Hauptrefinanzierungsgeschäft stellt allerdings kein vollkommenes Substitut zur Aufnahme von Mitteln am Tagesgeldmarkt dar, da die Zentralbank nicht ständig am Markt präsent ist, d. h. nicht täglich entsprechende Geschäfte mit den Kreditinstituten tätigt. Dies hat zur Folge, dass das Eurosystem nicht zu jedem Zeitpunkt vollständig den Tagesgeldsatz determiniert. In der Zeit zwischen den einzelnen Geschäftsabschlüssen wirkt aber zunächst die Durchschnitts-Mindestreserve stabilisierend. Reicht die Liquiditätspufferfunktion der Mindestreserve nicht aus, kann das Eurosystem kurzfristig auf Feinsteuerungsoperationen zurückgreifen, wenn sie verhindern will, dass Bewegungen beim Tagesgeldsatz aus Sicht der Geldpolitik unerwünschte Erwartungen bei den längerfristigen Zinsen bzw. bei den Wechselkursen auslösen. Ergreift das Eurosystem keine Feinsteuerungsmaßnahmen, so findet der Tagesgeldsatz beim Spitzenrefinanzierungssatz seine Obergrenze. Da das Bankensystem über ausreichend Sicherheiten verfügt, stellt dieser Zinssatz eine wirksame Obergrenze dar. Keine Bank wird am Interbanken- Geldmarkt bereit sein, einen höheren Zins für eine Mittelaufnahme zu zahlen, als sie dafür bei der Zentralbank bezahlen muss. Als Zinsuntergrenze fungiert der Einlagesatz, da eine einzelne Bank am Interbanken-Geldmarkt Zentralbankguthaben nicht zu einem Zins verleihen wird, der unterhalb des Satzes liegt, den die Zentralbank für eine entsprechende Anlage zu vergüten bereit ist. Seit Herbst 2008 orientiert sich der Zinssatz für Tagesgeld gemessen am Referenzzinssatz EONIA - aufgrund der reichhaltigen Liquiditätsversorgung durch das Eurosystem am Zinssatz für die Einlagefazilität. 5 Letztlich wird die Entwicklung der Geldmenge M3 von dem Verhalten der Nichtbanken, genauer von der Geldnachfrage der Nichtbanken bestimmt. Die Zentralbank beobachtet die Entwicklung von M3, die sich monatlich aus der Konsolidierten Bilanz des MFI-Sektors ergibt. Über die Festlegung der Konditionen, zu denen sich die Geschäftsbanken bei der Zentralbank refinanzieren können, vermag

Zusatzmaterial zum Lehrbuch Europäische Geldpolitik 6 die Zentralbank Einfluss auf die Ausgabeentscheidungen der Nichtbanken und damit auch auf die Höhe der Geldnachfrage der Nichtbanken und die Preisentwicklung zu nehmen. Egon Görgens, Karlheinz Ruckriegel, Franz Seitz Europäische Geldpolitik Theorie, Empirie, Praxis 2013, 6. Aufl., zweifarbig, 512 Seiten, geb., ISBN 978-3-8252-8555-5