P. Hammerer, L. Manka, Klinik für Urologie und Uroonkologie, Klinikum Braunschweig. 07. November 2016 Frühe Chemo-Hormontherapie bei Patienten mit hormonnaivem Prostatakarzinom Das Prostatakarzinom ist der am häufigsten diagnostizierte Tumor des Mannes. In Deutschland sterben jährlich ca. 13.000 Männer an den Folgen eines metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms. Die meisten Männer mit einem metastasierten Prostatakarzinom sprechen primär auf eine Androgenablation an. Ziel der medikamentösen Hormontherapie ist die Unterdrückung der gonadalen Testosteronsynthese auf Kastrationsniveau. Eine hormonablative Therapie führt zu einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens, die publizierten Daten für das Gesamtüberleben sind kontrovers; aufgrund des primär guten Ansprechens wird allerdings bei Patienten mit symptomatisch metastasiertem Prostatakarzinom eine sofortige hormonablative Therapie empfohlen. Sowohl in den aktuellen Leitlinien der European Association of Urology (EAU) als auch den amerikanischen Leitlinien des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) und der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) wird die Hormonblockade als Standardtherapie beschrieben. Hormonnaives metastasiertes Prostatakarzinom Die Behandlung des hormonnaiven, metastasierten Prostatakarzinoms hat sich durch die auf dem ASCO (American Society of Clinical Oncology) Kongress 2014 vorgestellten Daten der CHAARTED- Studie (Chemohormonal Therapy versus Androgen Ablation Randomized Trial for Extensive Disease in Prostate Cancer (NCT00309985)) komplett verändert (1). Aktuell liegen die Daten von 3 prospektiv randomisierten Studien zur Kombination aus Hormonblockade und früher Chemotherapie mit Docetaxel vor. Docetaxel, das bei Patienten mit kastrationsresistentem Prostatakarzinom eine Verbesserung des Gesamtüberlebens zeigte, wurde als Kombinationstherapie mit gleichzeitiger Androgendeprivation bei Patienten mit einem hormonsensitiven Prostatakarzinom untersucht. Eine der ersten Studien zur Kombination einer Androgendeprivation mit einer Taxan-haltigen Chemotherapie war die französische GETUG-AFU 15 Studie (The French Genito-Urinary Tumor Group) (2). In dieser prospektiven Multicenter-Phase-III-Studie wurden Patienten mit histologisch gesichertem Adenokarzinom der Prostata und dem radiologischen Nachweis einer Metastasierung und einem Karnofsky-Index von > 70 eingeschlossen. Die Patienten wurden 1:1 randomisiert zu entweder ADT plus Docetaxel (Gruppe 1) oder ADT alleine (Gruppe 2). In Gruppe 1 erhielten die Patienten 75 mg/m 2 Docetaxel alle 3 Wochen für insgesamt max. 9 Zyklen. 58% der Patienten
hatten einen schlecht differenzierten Tumor (Gleason Score 8), der mediane PSA-Wert lag bei 26 ng/ml. Nach einem medianen Follow-up von 83,9 Monaten betrug das biochemische progressionsfreie Überleben für Gruppe 1 22,9 Monate versus 12,9 Monate (HR=0,67) für Gruppe 2. Vergleichbare Ergebnisse zeigten sich für das klinische progressionsfreie Überleben. Auch das Gesamtüberleben war für die Patienten in der Kombinationstherapie besser mit 62,1 vs. 48,6 Monaten für ADT alleine (HR=0,88, 95% KI 0,68-1,14). Dieses Ergebnis war jedoch statistisch nicht signifikant. In der ECOG-E3805-Studie CHAARTED wurden Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom in 2 Behandlungsarme randomisiert: eine Gruppe erhielt eine Hormonblockade in Kombination mit 6 Zyklen einer Chemotherapie mit Docetaxel in der Dosierung 75 mg/m2 KOF, die andere Gruppe nur eine Hormonblockade (1). Für Patienten mit einer ausgedehnten Metastasierung (definiert als visceral metastases or 4 bone lesions with 1 beyond vertebral bodies and pelvis ) zeigte sich eine Verbesserung des progressionsfreien Überlebens und ein deutlicher Überlebensvorteil mit einem medianen Gesamtüberleben von 49,2 Monaten für Patienten unter der kombinierten Chemo- Hormontherapie vs. 32,2 Monate für die alleinige Hormontherapie. Es wurden ebenfalls die Quality-of-Life (QOL)-Daten der in dieser Studie behandelten Patienten durch validierte Fragebögen ausgewertet (3). Die Messungen erfolgten zu Beginn (Ausgangswert) sowie nach 3, 6, 9 und 12 Monaten. Es zeigte sich eine initiale Verschlechterung der Lebensqualität nach 3 Monaten, nach 12 Monaten wiesen Patienten in dem Arm mit der Chemo- Hormontherapie bessere Lebensqualitätswerte (FACT-P) auf. Aufgrund der beobachteten Grad-3-5-Toxizitäten im jeweiligen Docetaxel-Arm wird die Empfehlung für eine frühe Chemo-Hormontherapie begrenzt auf Patienten in gutem Allgemeinzustand mit einem ECOG-Performance-Status von 0 oder 1. Im Jahr 2015 wurden auf der ASCO-Jahrestagung die Ergebnisse der STAMPEDE-Studie (Systemic Therapy in Advancing or Metastatic Prostate Cancer: Evaluation of Drug Efficiency) (4) vorgestellt. Diese Studie ist eine Multiarm-Studie, in der unterschiedliche Therapieregime gegenüber der Standardtherapie (ADT) verglichen werden. Es wurden insgesamt 2.962 Männer mit einem Hochrisiko-Prostatakarzinom (lokal fortgeschritten oder metastasiert) untersucht. 1.087 Männer wurden in die Arme ADT plus Docetaxel-Chemotherapie (Gruppe 1), oder ADT alleine (Gruppe 2) randomisiert. Patienten in Gruppe 1 erhielten wie in der CHAARTED-Studie 75 mg/m 2 Docetaxel alle 3 Wochen für 6 Zyklen mit Prednisolon 10 mg täglich. Nach einem medianen Follow-up von 42 Monaten war das Gesamtüberleben bei den metastasierten Patienten signifikant verbessert (65 vs. 43 Monate, HR=0,73, 95% KI: 0,59-0,89). Neben dieser Verbesserung des progressionsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens zeigte allerdings die Chemo-Hormontherapie eine höhere Rate an Nebenwirkungen wie Neutropenie (RR=108,78), febrile Neutropenie (RR=38,87) und Fatigue (RR=11,79). Aufgrund des deutlichen Überlebensvorteils wurde diese Therapieoption bereits in die aktuelle NCCN-Guideline-Empfehlungen 1/2015 aufgenommen.
Tab. 1: Sicherheit und Wirksamkeit einer ADT plus Docetaxel im Vergleich zu einer alleinigen ADT beim metastasierten hormonnaiven Prostatakarzinom (mod. nach (5)). ADT=Androgen-Deprivationstherapie; D=Docetaxel; ECOG=Eastern Cooperative Oncology Group; PS=Performance Status; OS=Gesamtüberleben; mhnpc=metastasiertes hormonnaives Prostatakarzinom; mo=monate; Die Arbeitsgemeinschaft urologische Onkologie und der Arbeitskreis Onkologie haben eine gemeinsame Empfehlung für die Praxis erstellt, nach der diese neue kombinierte Behandlung für Patienten mit ausgedehntem metastasierten Prostatakarzinom angeboten werden sollte (6). Dabei profitieren Patienten mit einer high volume disease von der Therapie im Sinne einer Überlebensverlängerung. Ein Überlebensvorteil kann bei Patient mit einer low volume disease jedoch nicht ausgeschlossen werden, so dass sich die Empfehlung auf alle Patienten unabhängig von der Metastasenlast bezieht. Gemäß der Patientencharakteristika der CHAARTED- und der STAMPEDE-Studie sollten nur Patienten mit einem guten Allgemeinzustand (ECOG Performance Status 0/1) die Therapie erhalten. Weitere Empfehlungen zur Charakterisierung, welche Patienten von der Therapie am ehesten profitieren, sind aufgrund der Datenlage bislang noch nicht möglich. Im September 2016 wurde die Konsultationsfassung der Version 4.0 der Interdisziplinären Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms publiziert (7). Eine der wesentlichen Neuerungen betraf die kombinierte Chemo-Hormontherapie mit Docetaxel bei Patienten mit metastasiertem (M1), hormonsensitiven Prostatakarzinom. Das aktuellen Statements der Leitlinie lauten: Die Möglichkeit der kombinierten Chemo- Hormontherapie hat die Erstlinienbehandlung des metastasierten (M1), hormonsensitiven Prostatakarzinoms bei Erstdiagnose grundlegend verändert mit einem Level of Evidence 1+. Patienten in gutem Allgemeinzustand (ECOG Performance Status 0/1) mit metastasiertem (M1), hormonsensitiven Prostatakarzinom sollte zusätzlich zur Androgendeprivation eine Chemotherapie mit Docetaxel empfohlen werden. Entscheidet sich der Patient für eine kombinierte Behandlung aus Chemotherapie und Androgendeprivation, soll die Docetaxel-Gabe innerhalb von 4 Monaten nach Beginn der Androgendeprivation beginnen. Es sollen 6 Zyklen alle 3 Wochen in einer Dosierung von 75 mg/m 2 gegeben werden. Patienten, die nicht für eine Kombinationsbehandlung in Frage kommen, soll eine Androgendeprivation empfohlen werden. Die Androgendeprivation kann medikamentös oder operativ erfolgen. Die medikamentöse Androgendeprivation kann als Monotherapie oder als maximale Androgenblockade erfolgen. Die
Androgendeprivation sollte kontinuierlich durchgeführt werden, wenn der PSA-Wert nach spätestens 7 Monaten nicht unter 4 ng/ml abfällt. Bei Abfall des PSA-Wertes unter 4 ng/ml kann nach ausführlicher Aufklärung alternativ eine intermittierende Hormontherapie angeboten werden. Die Dosierungsempfehlung 75 mg/m 2 alle 3 Wochen in 6 Zyklen für die Docetaxelgabe als Kombinationstherapie entspricht der Dosierung und Frequenz in den hierzu vorliegenden randomisierten Studien. Ob eine Medikation mit 50 mg/m 2 alle 2 Wochen vergleichbare Ergebnisse zeigen könnte, ist in den Studien nicht untersucht worden. Die Docetaxel- Chemotherapie sollte innerhalb der ersten 3-4 Monate nach Beginn der Androgendeprivation begonnen werden. Schlussfolgerung Die Kombination aus Androgendeprivation und Docetaxel-basierter Chemotherapie stellt den neuen Standard in der Therapie des hormonnaiven, primär metastasierten Prostatakarzinoms dar. Prof. Dr. med. Peter Hammerer Chefarzt Klinik für Urologie und Uroonkologie Klinikum Braunschweig Salzdahlumer Str. 90 38126 Braunschweig Tel.: 0531/5952312 Fax: 0531/5952657 E-Mail: urologie@klinikum-braunschweig.de Web: http://www.klinikum-urologie.de
ABSTRACT P. Hammerer, L. Manka, Klinik für Urologie und Uroonkologie, Klinikum Braunschweig Androgen-deprivation therapy alone (ADT) is the first line of treatment for most men with metastatic prostate cancer. However, prospective randomized trials showed that chemohormonal therapy (ADT ± 6 cycles of docetaxel) for metastatic hormone-naive prostate cancer (mhnpc) improved the clinical progression-free survival (PFS) and overall survival (OS) of patients with mhnpc. A superior OS was seen especially for patients with metastatic high-volume disease with a suvival benefit of up to 22 months. This combined regimen should be offered as a first-line treatment for selected patients. Regarding adverse events and severe toxicity (grade 3), the group receiving the combined therapy had higher rates of neutropenia, febrile neutropenia and fatigue, however no long-term impact on quality of life was seen. Keywords: androgen-deprivation therapy, prostate cancer, chemohormonal therapy, mhnpc