Entscheidung der Kommission vom 20-4-1999 zur Feststellung, daß die Einfuhrabgaben in einem bestimmten Fall nachzuerheben sind (von Deutschland vorgelegter Antrag) Bezug: REC : 4/98 -------------------- DIE KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN - gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, gestützt auf die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften 1, gestützt auf die Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 2 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates, insbesondere auf Artikel 873, in Erwägung nachstehender Gründe: Mit dem bei der Kommission am 24. Juni 1998 eingegangenen Schreiben vom 28. Mai 1998 hat die Bundesrepublik Deutschland beantragt, die Kommission möge gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet 3, zuletzt geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1854/89 4, und nach Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b) der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 entscheiden, ob es unter folgenden Umständen gerechtfertigt ist, von der Nacherhebung der Einfuhrabgaben abzusehen. 1 ABl. L 302 vom 19.10.1992, S. 1. 2 ABl. L 253 vom 11.10.1993, S. 1. 3 ABl. L 197 vom 3.8.1979, S. 1. 4 ABl. L 186 vom 30.6.1989, S. 1.
Ein Unternehmen, im folgenden als "der Beteiligte" bezeichnet, importierte 1993 und 1994 Computerspiele des KN-Codes 9504 10 00 zum Wertzoll von 5,6 v.h. Diese Spiele bestanden aus einer Kassette mit einem integrierten Schaltkreis, auf der die Software der Spiele gespeichert war. Die Mutterfirma mit Sitz im Vereinigten Königreich hatte diese Software von verschiedenen Entwicklern mit Sitz in und außerhalb der Europäischen Gemeinschaft erworben. Sie übertrug die Spielesoftware auf eigene Datenträger, die sie als sogenannte "Prototypen" an einen japanischen Hersteller lieferte. Dieser übertrug die Software von den "Prototypen" auf die Spielkassetten, die vom Beteiligten in die Gemeinschaft eingeführt wurden. Die Mutterfirma entrichtete für den Erwerb der Software Lizenzgebühren an die Spielentwickler. Bei einer im Betrieb des Beteiligten durchgeführten Außenprüfung wurde festgestellt, daß nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b) Unterabsatz iv) der Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 des Rates vom 28. Mai 1980 über den Zollwert der Waren 5, zuletzt geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 4046/89 6, (anwendbar auf alle vor dem 1. Januar 1994 durchgeführten Vorgänge) und nach Artikel 32 Absatz 1 Buchstabe b) Unterabsatz iv) der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (anwendbar auf alle seit dem 1. Januar 1994 durchgeführten Vorgänge) alle außerhalb der Gemeinschaft entstandenen Kosten der Softwareentwicklung in den Zollwert der Einfuhrwaren einzubeziehen sind. Aufgrund dieser Feststellungen wurden am 12. Juli 1995 Einfuhrabgaben in Höhe von XXXXX vom Beteiligten nachgefordert. Bei einer erneuten Prüfung durch die zuständigen deutschen Behörden wurde jedoch festgestellt, daß die von der Mutterfirma an den japanischen Hersteller gelieferten Waren tatsächlich unter Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b) Unterabsatz ii) der obengenannten Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 bzw. Artikel 32 Absatz 1 Buchstabe b) Unterabsatz ii) der ebenfalls obengenannten Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 fallen. Also waren auch die innergemeinschaftlichen Kosten der Softwareentwicklung in den Zollwert der aus Japan eingeführten Fertigerzeugnisse einzubeziehen. Die deutschen Zollbehörden forderten daher mit Steueränderungsbescheid vom 18. März 1996 Einfuhrabgaben in Höhe von XXXX nach. Der Beteiligte hat für diesen Betrag das Absehen von der Nacherhebung beantragt. 5 ABl. L 134 vom 31.05.1980, S. 1 6 ABl. L 388 vom 30.12.1989, S. 24 2
Der Beteiligte hat bestätigt, daß er den der Kommission von den deutschen Behörden vorgelegten Antrag zur Kenntnis genommen und ihm nichts hinzuzufügen habe. Er hat dazu ferner eine Stellungnahme verfaßt, die der Kommission mit Schreiben vom 28. Mai 1998 übermittelt wurde. Die Kommission hat dem Beteiligten mit Schreiben vom 17. Dezember 1998 unter Aufführung ihrer Einwände mitgeteilt, daß sie den Antrag abzulehnen gedächte. Mit Schreiben vom 15. Januar 1999, am selben Tag bei der Kommission eingegangen, hat der Beteiligte zu diesen Einwänden Stellung genommen. Er machte insbesondere geltend, daß die innergemeinschaftlichen Kosten der Spieleentwicklung nicht in den Zollwert der Einfuhrwaren einzubeziehen seien, womit der Steueränderungsbescheid sich auf eine gar nicht entstandene Zollschuld beziehe und der Antrag auf Absehen von der Nacherhebung nur die Einbeziehung der außerhalb der Gemeinschaft entstandenen Entwicklungkosten in den Zollwert der Einfuhrwaren beträfe. Gemäß Artikel 873 der Verordnung 2454/93 wurde das Verwaltungsverfahren daraufhin vom 17. Dezember 1998 bis zum 15. Januar 1999 ausgesetzt. Gemäß Artikel 873 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 trat am 25. Februar 1999 eine Sachverständigengruppe aus Vertretern der Mitgliedstaaten im Rahmen des Ausschusses für den Zollkodex, Fachbereich "Allgemeine Zollregelungen/Erstattung", zur Prüfung dieses Falls zusammen. Nach Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79, die in diesem Fall auf die vor dem 1. Januar 1994 getätigten Einfuhren anwendbar ist, können die zuständigen Behörden von der Nacherhebung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben absehen, deren Nichterhebung auf einen Irrtum der zuständigen Behörden zurückzuführen ist, der vom Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte, sofern letzterer gutgläubig gehandelt und alle geltenden Bestimmungen über die Zollanmeldung beachtet hat. 3
Nach Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b) der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92, der in diesem Fall auf die nach dem 1. Januar 1994 getätigten Einfuhren anwendbar ist, wird keine nachträgliche buchmäßige Erfassung vorgenommen, wenn die buchmäßige Erfassung des gesetzlich geschuldeten Betrags durch einen Irrtum der zuständigen Behörden unterblieben ist, der vom Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte, und letzterer gutgläubig gehandelt und alle geltenden Rechtsbestimmungen über die Zollanmeldung beachtet hat. Nach erneuter Erwägung der Prüfungsergebnisse sind die zuständigen deutschen Behörden zu der Schlußfolgerung gelangt, daß die von der Muttergesellschaft an den japanischen Hersteller gelieferten Erzeugnisse tatsächlich unter Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b) Unterabsatz ii) der Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 bzw. Artikel 32 Absatz 1 Buchstabe b) Unterabsatz ii) der vorgenannten Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 fallen und die in der Gemeinschaft entstandenen Softwareentwicklungskosten daher bei der Feststellung des Zollwertes der eingeführten Fertigerzeugnisse ebenfalls zu berücksichtigen sind. Die diesen Kosten entsprechenden Einfuhrabgaben in Höhe von XXXXX sind noch nicht erhoben worden. Der mit Schreiben vom 28. Mai 1998 eingegangene Antrag der deutschen Behörden bezieht sich nur auf diesen zuletzt genannten Betrag, mit dem Nacherhebungsbescheid vom 12. Juli 1995 wurde die Kommission der Europäischen Gemeinschaften nicht befaßt. Die deutschen Zollbehörden waren im Irrtum, als sie nach den Ergebnissen der Außenprüfung, welche in dem Nacherhebungsbescheid vom 12. Juli 1995 bestätigt wurden, befanden, daß die in Frage stehenden Kosten unter Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b) Unterabsatz iv) der Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 bzw. Artikel 32 Absatz 1 Buchstabe b) Unterabsatz iv) der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 Fallen. Die Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 und Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b) der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 zielen darauf ab, das berechtigte Vertrauen des Abgabenschuldners zu schützen. 4
Grundsätzlich kann der Beteiligte auf den Standpunkt, den die Verwaltung in einem Nacherhebungsbescheid zu Fragen der Zollwertermittlung einnimmt, in bezug auf alle anschließend durchgeführten Vorgänge ein berechtigtes Vertrauen stützen; in bezug auf die Vorgänge jedoch, die Gegenstand des Nacherhebungsbescheids sind und folglich vor seiner Erteilung durchgeführt wurden, gilt dies nicht. Untersucht eine Behörde insbesondere im Rahmen einer Außenprüfung einen komplizierten Sachverhalt, so kann sie für die abschließende Stellungnahme - unter Beachtung der geltenden Verjährungsfristen - längere Zeit benötigen. Solange diese Verjährungsfrist nicht abgelaufen ist, kann die Behörde jederzeit eine neue Kontrolle durchführen bzw. die Ergebnisse einer vorausgegangenen Kontrolle überprüfen. Sollte die Verwaltung in solchen schwierigen Fällen nicht über einen gewissen Handlungsspielraum verfügen dürfen, so wäre die Verjährungsklausel sinnlos. Wird nach erneuter Würdigung der Ergebnisse einer Außenprüfung ein fehlerhafter Nacherhebungsbescheid berichtigt, so bleibt das berechtigte Vertrauen, das der Beteiligte dem ursprünglichen Nacherhebungsbescheid entgegengebracht hat, davon unberührt. Die hier vorliegenden Umstände bilden daher keinen Irrtum im Sinne des Artikels 5 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 bzw. des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b) der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92, der vom Abgabenschuldner nicht erkannt werden konnte. Im Übrigen hat der Abgabenschuldner nicht alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten, denn er hatte die Kosten der Softwareentwicklung nicht in den Zollanmeldungen aufgeführt, obwohl sie bei der Ermittlung des Zollwerts der fraglichen Waren und damit bei der Festsetzung des Einfuhrabgabenbetrags zu berücksichtigen waren. Deshalb ist es in diesem Fall gerechtfertigt, die Einfuhrabgaben nachzuerheben. 5
HAT FOLGENDE ENTSCHEIDUNG ERLASSEN: Artikel 1 Die Einfuhrabgaben in Höhe von XXXXX, die Gegenstand des Antrags der Bundesrepublik Deutschland vom 28. Mai 1998 sind, sind nachzuerheben. Artikel 2 Diese Entscheidung ist an Deutschland gerichtet. Brüssel, den 20-4-1999 Für die Kommission 6