Die Krankenversicherung von Selbstständigen: Reformbedarf unübersehbar



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Transkript:

Die Krankenversicherung von Selbstständigen: Reformbedarf unübersehbar von Dietmar Haun 1 und Klaus Jacobs 2 ABSTRACT Selbstständige können sich in Deutschland unabhängig vom Einkommen zwischen gesetzlichem und privatem Krankenversicherungsschutz entscheiden. Vor dem Hintergrund des strukturellen Wandels der Selbstständigkeit, insbesondere mit einer Zunahme von Solo-Selbstständigen mit niedrigen Einkommen, wird in diesem Beitrag eine Bestandsaufnahme des Krankenversicherungsschutzes der Selbstständigen vorgenommen. Mit Daten des Soziooekonomischen Panels (SOEP) wird analysiert, wie sich die Selbstständigen in unterschiedlichen Einkommensgruppen auf die gesetzliche und private Krankenversicherung verteilen und wie hoch ihre jeweiligen Beitragsbelastungen sind. Aus den Ergebnissen wird zweifacher Reformbedarf abgeleitet: zum einen im Hinblick auf das nicht mehr zeitgemäße Wahlrecht zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung, zum anderen in Bezug auf die in beiden Systemen bestehenden Beitragsregelungen. Schlüsselwörter: Selbstständigkeit, Krankenversicherungsschutz, gesetzliche Krankenversicherung, private Krankenversicherung Self-employed persons in Germany are free to seek protection by either statutory or private health insurance, no matter how high their income. There has recently been a noticeable structural change, particularly towards more solo self-employment combined with low income. Against this background the authors use data provided by the Socio-Economic Panel Study (SOEP) and take stock of the overall scheme of health insurance protection provided for self-employed persons. They analyse how self-employed persons spread out over different income brackets within both statutory and private health insurance and assess the respective contribution or premium load. The results suggest a twofold need for reform. One concerns the outdated freedom of choice between statutory and private health insurance, the other one focuses on the rules governing the contribution/premium scheme. Keywords: self-employment, health insurance protection, statutory health insurance, private health insurance 1 Einleitung In historischer Perspektive wurde die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) als solidarische Versicherung für Arbeiter konzipiert und im Verlauf ihrer über 130-jährigen Geschichte obligatorisch auf immer mehr Personengruppen ausgeweitet. Selbstständige zählen bis heute nicht dazu, was vielfach damit begründet wird, dass sie nicht als schutzbedürftig gelten. Somit haben sie unabhängig von ihrem Einkommen die Wahl, sich entweder in der privaten Krankenversicherung (PKV) oder freiwillig in einer gesetzlichen Krankenkasse zu versichern. Doch hat die Selbstständigkeit in den vergangenen Jahrzehnten einen substanziellen Wandel erfahren. Während die Zahl der klassischen Unternehmer und selbstständigen Arbeitgeber in Deutschland stagnierte, stieg vor allem die Zahl der Solo-Selbstständigen, für die nicht selten unstete Beschäftigungsformen und geringe Einkommen typisch sind. Nach der Einführung der Versicherungspflicht zum 1. April 2007 in der GKV und zum 1. Januar 2009 in der PKV zeigte sich rasch, dass sich insbesondere viele kleine Selbstständige die Krankenversicherungsbeiträge nicht leisten konnten 1 Dietmar Haun, Wissenschaftliches Institut der AOK Rosenthaler Straße 31 10178 Berlin Telefon: 030 346462148 E-Mail: dietmar.haun@wido.bv.aok.de 2 Prof. Dr. rer. pol. Klaus Jacobs, Wissenschaftliches Institut der AOK Rosenthaler Straße 31 10178 Berlin Telefon: 030 346462182 E-Mail: klaus.jacobs@wido.bv.aok.de 22 GGW 2016 Haun, Jacobs: Die Krankenversicherung von Selbstständigen Jg. 16, Heft 1 (Januar), 22 30

und bis heute eine Kerngruppe unter den Beitragsschuldnern in GKV und PKV bilden. Vor diesem Hintergrund wird in diesem Beitrag eine Bestandsaufnahme des Krankenversicherungsschutzes der Selbstständigen vorgenommen. Dazu wird zunächst ein Blick auf den Wandel in der Struktur der Selbstständigen geworfen (Abschnitt 2), ehe das Augenmerk auf die gesetzlichen Regelungen zur Beitragsbemessung für die Selbstständigen gerichtet wird, einschließlich dabei bestehender Umsetzungsprobleme (Abschnitt 3). Im vierten Abschnitt werden die Ergebnisse eigener empirischer Analysen zum Krankenversicherungsschutz der Selbstständigen auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) der Erhebungswelle des Jahres 2012 vorgestellt. Ein Fazit der vorgenommenen Analysen sowie ein Ausblick schließen den Beitrag ab (Abschnitt 5). 2 Wandel der Selbstständigkeit in Deutschland Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes, basierend auf Ergebnissen des Mikrozensus, stieg die Anzahl der Selbstständigen einschließlich mithelfender Familienangehöriger in Deutschland zwischen 2002 und 2012 um fast 600.000 auf insgesamt rund 4,5 Millionen Personen (Mai und Marder- Puch 2013). Dabei spielte vor allem zwischen 2003 und 2006 die staatliche Förderung zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit eine wesentliche Rolle und ließ die Zahl der Selbstständigen ohne Mitarbeiter nach oben schnellen. Über das Förderprogramm der Ich-AGs erhielten Arbeitslose durch eine dreijährige finanzielle Unterstützung einen Anreiz zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit. Als diese Fördermaßnahmen ab 2006 wieder reduziert wurden, schwächte sich das Wachstum deutlich ab. Neben den staatlichen Förderprogrammen profitierte die Zunahme der Selbstständigkeit aber auch von der partiellen Abschaffung des Meisterzwangs durch die Novellierung der Handwerksordnung 2004 sowie durch den generellen Strukturwandel in Richtung Dienstleistungsgesellschaft. Die Struktur der Selbstständigen veränderte sich im Zeitraum von 2002 bis 2012 erheblich: So stieg der Anteil der Solo-Selbstständigen von 51 auf 57 Prozent. Mehr als drei Viertel aller Selbstständigen waren 2012 im Dienstleistungsbereich tätig, davon knapp 24 Prozent im Bereich Handel, Verkehr, Gastgewerbe und rund 20 Prozent im Bereich Unternehmensdienstleister. Allein auf diesen Bereich entfiel fast die Hälfte des gesamten Zuwachses der Selbstständigkeit (Mai und Marder-Puch 2013, 489). Das Einkommensniveau der Selbstständigen ist nach den Ergebnissen des Mikrozensus im Vergleich zu den Arbeitnehmern insgesamt zwar überdurchschnittlich hoch, weist jedoch starke Unterschiede auf. Den partiell sehr hohen Einkommen von Selbstständigen mit Beschäftigten stehen geringere Durchschnittseinkommen von Solo-Selbstständigen gegenüber, die etwa dem durchschnittlichen Einkommensniveau der Arbeitnehmer entsprechen (Mai und Marder-Puch 2013, 495). Auch einer DIW-Studie zufolge ist die Expansion der Selbstständigkeit in Deutschland nahezu ausschließlich auf den kräftigen Anstieg der Selbstständigen ohne Arbeitnehmer zurückzuführen (Brenke 2013). Das im Vergleich zum Anstieg der Erwerbstätigkeit insgesamt überproportionale Wachstum bei den Solo-Selbstständigen wird als Zeichen für eine Veränderung des Arbeitsmarktes gewertet, bei der bestimmte Funktionen ausgelagert und in die Selbstständigkeit übertragen werden. Zwar erzielt ein Teil der Solo-Selbstständigen auch recht hohe Einkommen, mittlere Einkommen sind hingegen seltener zu beobachten, und rund ein Drittel der Solo-Selbstständigen muss mit Erwerbseinkommen wie im Niedriglohnsektor auskommen. Somit lautet das Fazit dieser Studie, dass es zwar eine Renaissance der Selbstständigkeit in Deutschland gegeben (hat), gewachsen ist aber im Wesentlichen die Zahl der Kleingewerbetreibenden mit oft spärlichen Einkünften (Brenke 2013, 15). Bögenhold und Fachinger (2012) fassen die Entwicklung der beruflichen Selbstständigkeit in drei Trends zusammen, die ihnen zufolge in ihren Auswirkungen interdependent und problematisch sind: Es gibt erstens eine Zunahme der Solo- Selbstständigkeit bei gleichzeitiger Dynamik und Unstetigkeit. Zweitens geht damit eine Erwerbshybridisierung einher, worunter verstanden wird, dass nicht nur die Erwerbsbiografie verschiedene Phasen von abhängiger Erwerbstätigkeit und Selbstständigkeit beinhaltet, sondern auch Mehrfachbeschäftigungen und Kombinationen zeitgleich vorzufinden sind. Drittens gibt es eine Erwerbsprekarisierung angesichts einer erheblichen Einkommensspreizung bei den Selbstständigen und der Zunahme instabiler Soziallagen vor allem bei Solo- Selbstständigen. Letzteres ist häufig eine Folge von geringen Einkommen, kurzfristigen Kontrakten und gestiegenen Insolvenzen von Kleinunternehmen. Dies führt zu der Einschätzung, dass der Status quo von Selbstständigen prinzipiell von einer hohen Heterogenität geprägt ist, die eine pauschalisierende Behandlung von vornherein verbietet und vor deren Hintergrund allgemeine Aussagen zu den Selbstständigen ohne Gehalt sind (Bögenhold und Fachinger 2012, 277). Im hier betrachteten Kontext des Krankenversicherungsschutzes bleibt festzuhalten, dass die Selbstständigkeit insbesondere mit der Zunahme der Solo-Selbstständigkeit und der damit verbundenen Ausbreitung unsteter und sozial prekärer Formen von Selbstständigkeit einen gravierenden Wandel erfahren hat. Dass die Selbstständigkeit parallel zur anhaltenden Zunahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung seit 2012 wieder zurückgeht und auch diese Entwicklung vor allem auf den Rückgang an Solo-Selbst- GGW 2016 Haun, Jacobs: Die Krankenversicherung von Selbstständigen Jg. 16, Heft 1 (Januar), 22 30 23

Inwieweit eine solche Typisierung angesichts des strukturellen Wandels der Selbstständigkeit noch trägt, erscheint jedoch zumindest fraglich. Darauf verweisen auch die zunehmenden Herausforderungen bei der Abgrenzung von Selbstständigen zurückzuführen ist (Brenke 2015), unterstreicht nur den Befund der Unstetigkeit bei dieser Teilgruppe von Selbstständigen. In den sozialen Sicherungssystemen und hier speziell bei der Frage des Krankenversicherungsschutzes sind diese Veränderungen bislang ohne jegliche Konsequenz geblieben, denn nach wie vor wird pauschal unterstellt, dass die Selbstständigen nicht auf den Schutz der Solidargemeinschaft angewiesen sind. 3 Beitragsregelungen für Selbstständige in GKV und PKV Unabhängig von ihrem Einkommen steht es Selbstständigen generell frei, sich privat zu versichern. Die Kalkulation ihrer Prämien erfolgt wie in der PKV üblich im Rahmen eines privaten Versicherungsvertrags und ist abhängig vom Eintrittsalter und Gesundheitszustand sowie vom gewählten Versicherungsumfang einschließlich Selbstbeteiligungen. Für Kinder und Familienangehörige sind eigene Verträge abzuschließen. Zeitgleich mit der Einführung der Versicherungspflicht wurde 2009 durch den Gesetzgeber der Basistarif eingeführt, der Elemente von Einkommenssolidarität enthält, die dem PKV-System ansonsten fremd sind. Der Basistarif entspricht vom Umfang her dem Leistungskatalog der GKV und darf nicht teurer sein als der GKV-Höchstbeitrag. Bei sozialer Hilfebedürftigkeit im Sinne des Sozialhilferechts ist eine Halbierung des Beitrags möglich. Die Zahl der Privatversicherten im Basistarif ist allerdings bis heute überschaubar geblieben: Ende 2014 waren es weniger als 29.000, davon etwas mehr als die Hälfte mit halbiertem Beitrag (PKV 2015 a, 30). Zahlenmäßig bedeutsamer ist der seit August 2013 als Reaktion auf die trotz Basistarif wachsende Zahl von Nichtzahlern eingeführte Notlagentarif für säumige Beitragszahler, dem nach weniger als eineinhalb Jahren Ende 2014 schon 114.000 Versicherte angehörten (PKV 2015 a, 31). Bei Zahlung einer verminderten Prämie und unter Rückgriff auf bestehende Altersrückstellungen ermöglicht der Notlagentarif die Versorgung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen der PKV-Versicherten. Das mit der Einführung der generellen Krankenversicherungspflicht angestrebte Ziel einer umfassenden Absicherung aller Bürger wird damit allerdings erkennbar verfehlt (Münstermann et al. 2014, 232). Erst nach Begleichung der Prämienrückstände können die betroffenen Personen wieder in ihren ursprünglichen Tarif wechseln und umfassende Gesundheitsleistungen beanspruchen. Hauptberuflich Selbstständige können sich aber auch freiwillig in der GKV versichern. In diesem Fall sind nach Paragraf 240 des Fünften Sozialgesetzbuchs (SGB V) grundsätzlich beitragspflichtige Einnahmen in Höhe der Beitrags- bemessungsgrenze zu veranschlagen, die 2016 monatlich 4237,50 Euro beträgt (wobei hier auf Sonderregelungen für selbstständige Künstler und Publizisten beziehungsweise Landwirte nicht näher eingegangen wird). Bei einem Beitragssatz von durchschnittlich 15,7 Prozent einschließlich Zusatzbeitrag liegt der Monatsbeitrag 2016 damit bei 665,29 Euro. Bei Verzicht auf Krankengeld wird der ermäßigte Beitragssatz von durchschnittlich 15,1 Prozent fällig, und der Monatsbeitrag beträgt 639,86 Euro. Die Mindestbemessungsgrenze (75 Prozent der monatlichen Bezugsgröße) beträgt 2016 monatlich 2.178,75 Euro und der Monatsbeitrag entsprechend 342,06 Euro mit beziehungsweise 328,99 Euro ohne Krankengeldanspruch. Beiträge von Selbstständigen, deren Einkünfte zwischen diesen Werten liegen, werden auf Basis der nachgewiesenen Ertragslage berechnet. Für Selbstständige mit Erträgen unter der Mindestbemessungsgrenze besteht als Ausnahmeregelung die Möglichkeit, bei der Krankenkasse einen Härtefallantrag nach Paragraf 240 Absatz 4 SGB V zu stellen. Hierdurch kann der Beitrag noch einmal um etwa ein Drittel auf monatlich 228,04 beziehungsweise 219,33 Euro gesenkt werden. Die Einstufung als Härtefall ist jedoch an restriktive Bedingungen geknüpft. So wird das Einkommen eines Partners mit berücksichtigt, und es dürfen bis auf einen Sockelbetrag keinerlei Einnahmen aus Kapitalanlagen sowie aus Vermietung und Verpachtung erzielt werden. Zweifel an der Angemessenheit dieser Regelungen vor dem Hintergrund der gewandelten Struktur der Selbstständigen können daraus abgeleitet werden, dass die bereits für die PKV angeführte Nichtzahler-Problematik auch in beträchtlichem Umfang in der GKV besteht und auch hier den Gesetzgeber auf den Plan gerufen hat, etwa um Beitragsschulden rückwirkend zu erlassen und Säumniszuschläge zu reduzieren (BMG 2013). Ob damit jedoch eine Verringerung der Zahl der Nichtzahler gelingt, wird insoweit durchaus skeptisch beurteilt, als die meisten Nichtzahler Selbstständige seien, die durch die bestehende Beitragsbemessung gegenüber Arbeitnehmern benachteiligt würden (Münstermann et al. 2014, 234). Dass der Mindestbeitrag für Selbstständige höher ist als für sonstige freiwillig Versicherte, hält der GKV-Spitzenverband für sachlich gerechtfertigt, weil der Beitragsbemessung bei den Selbstständigen Nettoerträge nach dem Abzug von Betriebsausgaben zugrunde liegen und der daraus resultierende Vorteil gegenüber Arbeitnehmern, deren Beitrag auf der Basis von Bruttoeinkommen ermittelt wird, typisierend durch die Festsetzung einer besonderen Mindestbemessungsgrenze ausgeglichen wird (GKV-Spitzenverband 2015, 7). 24 GGW 2016 Haun, Jacobs: Die Krankenversicherung von Selbstständigen Jg. 16, Heft 1 (Januar), 22 30

ABBILDUNG 1 Selbstständige nach Einkommensquintilen und Krankenversicherungsschutz 2012 Art der Krankenversicherung in Prozent 100 80 60 40 20 0 81 19 66 34 Q1 Q2 Q3 Q4 Q5 Gesamt bis zu 15.010 15.011 bis 25.200 25.201 bis 38.365 38.366 bis 60.100 über 60.100 Einkommensquintile ** in Euro Population: Selbstständige in Privathaushalten, 18 Jahre und älter* (Gesamt = 3.736.747 Selbstständige) * In Haupttätigkeit selbstständig Erwerbstätige ohne Landwirte und mithelfende Familienangehörige ** Brutto-Jahreseinkommen gesamt, basierend auf differenzierter Abfrage der persönlichen Vorjahreseinkünfte 62 38 46 54 35 65 GKV PKV 58 42 Quelle: eigene Berechnungen auf Basis des sozio-oekonomischen Panels, SOEPv29 (Hrsg. DIW Berlin); Grafik: G+G Wissenschaft 2016 ständigkeit. Dabei geht es zum einen um die regelmäßig von Sozial- und Arbeitsgerichten zu beantwortende Frage, ob überhaupt eine selbstständige Tätigkeit vorliegt oder im Fall einer negativen Antwort Sozialversicherungspflicht. Entscheidende Abgrenzungskriterien dabei sind laut Bundessozialgericht die persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, die Eingliederung in den Betrieb und das Weisungsrecht des Arbeitgebers, das Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Tätigkeit umfasst (Wenner 2014). Zum anderen haben die Krankenkassen in vielfach aufwendigen Einzelfallprüfungen festzustellen, ob die Ausübung der selbstständigen Erwerbstätigkeit hauptberuflich erfolgt. Das ist angesichts der bereits angesprochenen Erwerbshybridisierung mit einem dynamischen Nach- und vor allem auch Nebeneinander unterschiedlicher Erwerbsformen keineswegs trivial. Im Interesse eines einheitlichen Vorgehens gibt es dazu detaillierte Grundsätzliche Hinweise des GKV-Spitzenverbandes (GKV-Spitzenverband 2015). Nach der Rechtsprechung gilt eine selbstständige Erwerbstätigkeit dann als hauptberuflich, wenn sie von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten deutlich übersteigt und den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstellt. Wann das konkret der Fall ist, ist aber oft nicht eindeutig und in jedem Fall nur mit hohem bürokratischen Aufwand zu bestimmen. 4 Empirische Ergebnisse zu Einkommenslage und Krankenversicherung Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Veränderungen der Selbstständigkeit stellt sich die Frage, wie und zu welchen Kosten Selbstständige abhängig von ihrer finanziellen Lage in Deutschland krankenversichert sind. Die nachfolgende Beantwortung dieser Frage basiert auf Analysen mit Querschnittsdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) der GGW 2016 Haun, Jacobs: Die Krankenversicherung von Selbstständigen Jg. 16, Heft 1 (Januar), 22 30 25

Erhebungswelle des Jahres 2012 (Goebel et al 2008). Die Abgrenzung der Selbstständigen erfolgt über Angaben zur derzeitigen beruflichen Stellung der Befragten. In die Analyse einbezogen werden allein die in beruflicher Haupttätigkeit selbstständig Erwerbstätigen im Erwachsenenalter ohne mithelfende Familienangehörige und selbstständige Landwirte aufgrund ihrer Sonderstellung im Krankenversicherungskontext. Die Ergebnisse des SOEP werden personengewichtet und zugleich auf den Querschnitt der Bevölkerung hochgerechnet ausgewiesen. Graduelle Abweichungen gegenüber den Ergebnissen des Mikrozensus (Abschnitt 2) sind vor allem auf die etwas unterschiedliche Abgrenzung der Analysepopulation zurückzuführen. Zur Differenzierung der Einkommenssituation der Selbstständigen wurde eine Verteilungsanalyse auf Grundlage der im Vorjahr erzielten Gesamteinkommen durchgeführt, bei der alle gut 3,7 Millionen in der Analyse erfassten Selbstständigen nach der Rangfolge ihrer Einkommen in Quintile, also fünf gleich große Gruppen, aufgeteilt wurden. Neben den Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit wurden dabei auch Einkünfte aus weiteren beruflichen Tätigkeiten berücksichtigt sowie aus weiteren Quellen, wie etwa aus Kapitalanlagen, aber auch aus Versicherungen oder sozialen Transfers. In Abbildung 1 sind die Ergebnisse zum Krankenversicherungsschutz der Selbstständigen dargestellt. Von den 3,7 Millionen Selbstständigen im Jahr 2012 waren rund 58 Prozent gesetzlich und 42 Prozent privat krankenversichert. Abhängig von der Einkommenslage zeigen sich deutliche Unterschiede in der Zugehörigkeit zu GKV und PKV. Selbstständige im unteren Einkommensquintil Q1 mit Jahreseinkünften von weniger als 15.011 Euro sind zu über 80 Prozent gesetzlich und nur zu rund 19 Prozent privat versichert. Im obersten Einkommensquintil verhält es sich umgekehrt: Hier sind fast zwei Drittel privat versichert und nur ein gutes Drittel gehört einer gesetzlichen Krankenkasse an. Somit ist ein klares Muster erkennbar: Je höher die Einkommenslage von Selbstständigen, desto größer der Anteil der Privatversicherten. Und umgekehrt: Je geringer das Einkommen, desto größer die Anteile der GKV-Versicherten. Diese Ergebnisse korrespondieren mit früheren Analyseergebnissen zur Entwicklung der Versichertenstrukturen in Deutschland, wonach sich die Unterschiede in den Erwerbs- und Einkommensstrukturen zwischen GKV- und PKV-Versicherten im Zeitraum von 2000 bis 2010 verstärkt haben (Haun 2013, 101). Weil die Zunahme der Solo-Selbstständigkeit ein wesentliches Merkmal des beschriebenen Strukturwandels der Selbstständigkeit in Deutschland darstellt, ist die Frage nach dem Krankenversicherungsschutz von Solo-Selbstständigen im Vergleich zu Selbstständigen mit Mitarbeitern von besonderem Interesse. Nach den in Tabelle 1 dargestellten Ergebnissen handelt es sich bei den in der GKV versicherten Selbstständigen nur selten um Selbstständige mit Mitarbeitern. Rund 71 Prozent der gesetzlich versicherten Selbstständigen sind Solo-Selbstständige. Anders in der PKV: Von den privat versicherten Selbstständigen hat fast jeder zweite angestellte Mitarbeiter, der Anteil der Solo-Selbstständigen liegt hier insgesamt bei 51 Prozent. Differenziert nach Einkommensquintilen zeigen sich sowohl in der GKV als auch in der PKV durchweg höhere Anteile von Solo-Selbstständigen in den unteren Einkommenslagen. Insbesondere in den beiden unteren Einkommensquintilen liegen die Anteile in der GKV mit 82 beziehungsweise 76 Prozent jedoch deutlich über den entsprechenden Werten in der PKV. Auffällig ist bei den privat versicherten Selbstständigen der mit 31 Prozent vergleichsweise geringe Anteil von Solo-Selbstständigen im obersten Einkommensquintil, das immerhin fast eine halbe Million Menschen umfasst. Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Solo-Selbstständige und Selbstständige mit geringen Einkommen sich überwiegend gesetzlich krankenversichern, während Selbstständige mit Mitarbeitern und Selbstständige mit hohen Einkommen sich eher privat versichern. Was ist die Ursache dieser Segregation, welche Bedeutung haben hierbei womöglich die unterschiedlichen Kosten für den Krankenversicherungsschutz von Selbstständigen in GKV und PKV? Für PKV-versicherte Selbstständige kann die Höhe der Beiträge direkt aus der entsprechenden persönlichen Abfrage im SOEP ermittelt werden. Die Beitragskosten in der GKV wurden dagegen näherungsweise über eine Simulation ermittelt. Die persönlichen beitragspflichtigen Einnahmen von Selbstständigen 2012 wurden auf Basis der einzelnen Komponenten ihrer Vorjahreseinkünfte bestimmt. Die Simulation der GKV-Beiträge erfolgte dann nach den in Abschnitt 3 beschriebenen Regelungen zur Beitragsbemessung, wobei der 2012 gültige ermäßigte Beitragssatz von 14,9 Prozent zugrunde gelegt wurde. In Tabelle 1 sind die durchschnittlichen individuellen Jahreseinkommen sowie auch die für 2012 berechneten jährlichen Krankenversicherungsbeiträge für GKV- und PKVversicherte Selbstständige dargestellt. Insgesamt weisen die PKV-versicherten Selbstständigen ein durchschnittlich fast doppelt so hohes Jahreseinkommen auf wie die GKV-versicherten Selbstständigen. Die durchschnittlichen jährlichen Beitragskosten von GKV-versicherten Selbstständigen liegen mit 4.603 Euro um rund 300 Euro unter den durchschnittlichen Jahresbeiträgen der PKV-versicherten Selbstständigen. Aufgrund ihres im Durchschnitt deutlich geringeren Einkommens ist der von den gesetzlich versicherten Selbstständigen aufzubringende Anteil ihres Krankenversicherungsbeitrags am Einkommen mit 23,2 Prozent jedoch erheblich höher als bei den PKV-versicherten Selbstständigen mit einem Anteil von 14,8 Prozent. 26 GGW 2016 Haun, Jacobs: Die Krankenversicherung von Selbstständigen Jg. 16, Heft 1 (Januar), 22 30

TABELLE 1 Ausgewählte Kennzahlen zu GKV- und PKV-versicherten Selbstständigen nach Einkommensquintilen 2012 Einkommensquintile nach Jahreseinkommen* in Euro Gesamt Anzahl GKV-versicherte Selbstständige Anteil Solo-Selbstständige in Prozent Durchschnittliches Einkommen * in Euro p. a. Durchschnittlicher Beitrag** in Euro p. a. Durchschnittlicher Anteil Beitrag/Einkommen in Prozent Q1 597.337 82 9.444 3.520 46,5 Q2 494.840 76 20.243 3.534 17,9 Q3 462.241 69 30.759 4.451 14,5 Q4 346.671 63 47.262 6.499 13,9 Q5 263.351 51 107.112 6.839 7,5 Gesamt 2.164.440 71 34.406 4.603 23,2 PKV-versicherte Selbstständige Q1 143.629 63 8.041 3.792 58,0 Q2 250.937 61 20.515 4.258 21,3 Q3 286.412 65 31.710 4.438 14,2 Q4 399.270 56 48.809 4.877 10,1 Q5 492.059 31 127.737 5.820 6,0 Gesamt 1.572.307 51 62.155 4.941 14,8 Selbstständige gesamt 3.736.747 63 45.864 Population: Selbstständige in Privathaushalten, 18 Jahre und älter (ohne Landwirte und mithelfende Familienangehörige) * Brutto-Jahreseinkommen gesamt, basierend auf differenzierter Abfrage der persönlichen Vorjahreseinkünfte ** Simulierte GKV-Beiträge auf Grundlage des durchschnittlichen ermäßigten Beitragssatzes von 14,9 Prozent Quelle: eigene Berechnungen auf Basis des sozio-oekonomischen Panels, SOEPv29 (Hrsg. DIW Berlin); Grafik: G+G Wissenschaft 2016 Im untersten Einkommensquintil ist die Belastung durch die Krankenversicherungsbeiträge bei GKV- wie PKV-versicherten Selbstständigen erheblich: Gesetzlich versicherte Selbstständige mussten durchschnittlich 3.520 Euro jährlich an Beiträgen aufwenden, entsprechend einem Anteil von durchschnittlich 46,5 Prozent ihrer Einkünfte. Mit 58 Prozent liegt die entsprechende Belastung für privat versicherte Selbstständige sogar noch über diesem Wert. Ohne finanzielle Unterstützung, zum Beispiel von Familienangehörigen, sind die Belastungen in diesem Einkommenssegment für PKV- und GKV-versicherte Selbstständige kaum zu schultern. Im zweiten Einkommensquintil fällt die durchschnittliche Beitragsbelastung der Selbstständigen mit knapp 18 (GKV) beziehungsweise 21 Prozent (PKV) schon merklich geringer aus. Doch darf die Durchschnittsbetrachtung nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in diesem Einkommenssegment teilweise noch hohe Belastungen gibt. In den höheren Einkommensquintilen Q3 bis Q5 liegen die durchschnittlichen Jahresbeiträge der privat versicherten Selbstständigen durchweg unter den entsprechenden Beitragskosten in der GKV. Damit bestätigt sich, dass die PKV unter Kostenaspekten vor allem für einkommensstarke Selbstständige attraktiv ist. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass die in Tabelle 1 dargestellten Ergebnisse keine unmittelbaren Rückschlüsse auf das Ausmaß prekärer Einkommenslagen von Selbstständigen erlauben. Denn es ist durchaus möglich, dass Selbstständige mit geringen eigenen Einkünften etwa durch den Ehepartner oder andere im selben Haushalt lebende Personen finanziell unterstützt werden. Auch im zweiten Einkommensquintil können sich Selbstständige in prekärer Lage befinden, zum Beispiel wenn ihr Einkommen ausreichen muss, um weitere Haushaltsangehörige ohne eigenes Einkommen mitzuversorgen. GGW 2016 Haun, Jacobs: Die Krankenversicherung von Selbstständigen Jg. 16, Heft 1 (Januar), 22 30 27

ABBILDUNG 2 Haushaltskonstellation von Selbstständigen in prekärer und nicht-prekärer Einkommenslage 2012* Angaben in Prozent Paar mit Kindern/ Sonstige Alleinerziehend Paar ohne Kinder 12,3 prekär (10 Prozent) 17,2 49,7 Einpersonenhaushalt Paar mit Kindern/ Sonstige Alleinerziehend nicht prekär (90 Prozent) Einpersonenhaushalt Paar ohne Kinder Population: Selbstständige in Privathaushalten, 18 Jahre und älter (ohne Landwirte und mithelfende Familienangehörige) * Auf Basis der Summe der äquivalenzgewichteten Brutto-Vorjahreseinkünfte der Haushaltsmitglieder, bei einem Schwellenwert für die Einstufung als prekär von zehn Prozent (= unter 13.740 Euro) 40,3 21,7 21,0 34,5 3,5 Quelle: eigene Berechnungen auf Basis des sozio-oekonomischen Panels, SOEPv29 (Hrsg. DIW Berlin); Grafik: G+G Wissenschaft 2016 Um Selbstständige in prekärer Soziallage zu identifizieren, ist eine Analyse auf Basis von äquivalenzgewichteten Haushaltseinkommen erforderlich. Dabei wird die Bedarfssituation der Haushalte abhängig von der jeweiligen Haushaltsgröße berücksichtigt bei unterschiedlicher Gewichtung von erwachsenen Personen und Kindern. Wenn man dabei der international üblichen Äquivalenzgewichtung nach OECD- Kriterien folgt und sich als Schwellenwert für die relative Armut an den vom Statistischen Bundesamt auf Basis der Studie Leben in Europa (EU-SILC) für die Gesamtbevölkerung berichteten Ergebnissen für 2011 orientiert (Statistisches Bundesamt 2012), lässt sich abschätzen, wie viele Selbstständige in einer Einkommenssituation leben, die gemeinhin mit relativer Armut assoziiert wird. In der genannten Studie lag der Schwellenwert für Armutsgefährdung (in Höhe von 60 Prozent des Medianwerts des äquivalenzgewichteten Haushaltsnettoeinkommens von 1.633 Euro) bei einem Einkommen von 980 Euro monatlich beziehungsweise einem Jahreseinkommen von 11.760 Euro für eine alleinstehende Person (Deckl 2013, 895). Wenn man die Selbstständigen nach diesem Forschungsansatz auf Basis ihres Haushaltseinkommens analysiert, kommt man zu dem Ergebnis, dass sich zumindest zehn Prozent der Selbstständigen und damit fast 375.000 Personen jenseits der Schwelle zur relativen Armut befinden. Es handelt sich hierbei um Selbstständige, deren äquivalenzgewichtetes Haushaltsbruttoeinkommen 2011 unter 13.740 Euro lag. Gut drei Viertel dieser Selbstständigen waren in der GKV, ein knappes Viertel in der PKV versichert bei einem Gesamtanteil an Solo-Selbstständigen von 81 Prozent. Bei durchschnittlichen jährlichen Krankenversicherungsbeiträgen von 3.520 Euro in der GKV beziehungsweise 3.895 Euro in der PKV im Jahr 2012 ist der auf Basis des Nettoeinkommens ermittelte Schwellenwert für Armutsgefährdung deutlich unterschritten. Wie die Analyse der SOEP-Daten zeigt, sind rund zwei Drittel der gesetzlich versicherten Selbstständigen in prekärer Lage freiwillig in der GKV versichert, das restliche Drittel ist entweder als Familienangehöriger mitversichert oder als Arbeitnehmer gesetzlich pflichtversichert. Dies deutet darauf hin, dass zumindest ein Teil der Selbstständigen gewisse 28 GGW 2016 Haun, Jacobs: Die Krankenversicherung von Selbstständigen Jg. 16, Heft 1 (Januar), 22 30

Spielräume nutzt, die in der GKV bei der Gestaltung des Versichertenstatus bestehen. Wie in Abbildung 2 dargestellt, unterscheiden sich die Selbstständigen in prekärer Einkommenslage in Bezug auf ihre Haushaltskonstellation recht deutlich von den übrigen Selbstständigen. Jeder Zweite von ihnen lebt in einem Einpersonenhaushalt, bei den übrigen Selbstständigen dagegen nur gut jeder Fünfte. Eine weitergehende Analyse verweist zudem auf zwei Zusammenhänge. Der erste betrifft das Alter: Jüngere selbstständige Singles befinden sich vielfach noch in einer instabilen Lage. Der zweite Zusammenhang betrifft die Auflösung von Partnerbeziehungen: Die Trennung einer Beziehung oder die Auflösung einer Familie nach einer Scheidung trägt häufig mit zu einer prekären Einkommenslage von Selbstständigen bei. Auffällig ist zudem auch der mit über zwölf Prozent hohe Anteil von Selbstständigen in prekärer Lage, die als Alleinerziehende häufig nur in eingeschränktem Umfang erwerbstätig sein können. 5 Fazit und Ausblick Selbstständige können sich als einzige Personengruppe in Deutschland unabhängig vom Einkommen zwischen gesetzlichem und privatem Krankenversicherungsschutz entscheiden. Das gilt zumindest, wenn man akzeptiert, dass es für Beamte aufgrund der bestehenden Beihilferegelungen und der Abwesenheit beihilfekompatibler GKV-Tarife keine echte Wahloption zwischen GKV und PKV gibt (dazu Haun und Jacobs 2014). Auf die Fragwürdigkeit der pauschalen Annahme, Selbstständige generell als nicht schutzbedürftig einzustufen, ist bereits wiederholt hingewiesen worden (etwa Jacobs 2013; Kingreen 2014) ganz abgesehen von der (rhetorischen) Frage, wie sich eigentlich eine Solidargemeinschaft tragen soll, die ganz oder zumindest überwiegend nur aus Schutzbedürftigen besteht. Die Ergebnisse von Analysen auf der Datengrundlage des SOEP belegen eindrucksvoll, dass sich ein substanzieller Teil der Selbstständigen in einer Einkommenssituation befindet, die nach gängigen Bewertungskriterien dringend der solidarischen Absicherung bedarf. Dass die PKV ihre seit 2012 rückläufigen Versichertenzahlen mit dem Rückgang der Selbstständigkeit in Deutschland begründet, entbehrt insoweit nicht einer gewissen Pikanterie, als dieser Rückgang vor allem auf die abnehmende Zahl an Solo-Selbstständigen zurückzuführen ist, die vielfach niedrige Einkommen beziehen und überwiegend GKV-versichert sind. Die Feststellung, dass viele vormals privat versicherte Selbstständige beim Wechsel in eine sozialversicherungspflichtige Anstellung unter der Entgeltgrenze in die GKV wechseln mussten, egal ob sie das wollten oder nicht (PKV 2015 b), mag zwar für einen Teil der Betroffenen zutreffen. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass die Motivation für viele Wechsel von der Selbstständigkeit in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gerade in der damit verbundenen GKV-Versicherung liegt, die anders nicht zu erreichen ist. Somit folgen nicht allein Regelungen zum Krankenversicherungsschutz in durchaus fragwürdiger Weise überholten Erwerbskriterien. Vielmehr ist auch umgekehrt zu beobachten, dass bestimmte Erwerbskonstellationen gezielt im Hinblick auf damit verbundene Krankenversicherungsoptionen gewählt werden. Das gilt keinesfalls allein für Geringverdiener, die den Schutz der Solidargemeinschaft suchen. Es gibt auch etliche Beispiele dafür, dass sich hochqualifizierte Personen auf der Flucht aus der Sozialversicherung (Wenner 2014, 247 f.) befinden und sich mit Hilfe oft zweifelhafter Konstrukte von Selbstständigkeit etwa im IT-Geschäft oder bei Honorarärzten ihres im Fall eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses fälligen Solidarbeitrags zu entledigen suchen. Das macht deutlich: Die Option GKV oder PKV pauschal am Kriterium der Selbstständigkeit festzumachen, hat mit der Arbeitsmarkt- und Einkommensrealität schon längst nichts mehr zu tun. Dass dabei Entscheidungen über den Krankenversicherungsschutz mit potenziell lebenslanger Bindungswirkung getroffen werden, passt nicht mehr zu den immer häufigeren Patchwork-Erwerbsbiografien. Aber noch etwas ist bei der empirischen Analyse deutlich geworden: Die Beitragsregelungen sowohl in der GKV als auch in der PKV sind für viele Selbstständige nicht mehr angemessen. In der PKV wird die Intention der erst 2009 eingeführten Krankenversicherungspflicht durch den Notlagentarif bereits heute ausgehöhlt. Das Geschäftsmodell der PKV ist vom Grundsatz her nicht in der Lage, auf sich ändernde individuelle Erwerbsund Lebenslagen der Versicherten zu reagieren. Doch auch in der GKV werden die weithin auf Typisierungen basierenden Beitragsregelungen der konkreten Situation vieler Selbstständiger nicht mehr gerecht, wie nicht zuletzt die hohe Zahl von Nichtzahlern unterstreicht. Allerdings prallen hier zwei Schutzinteressen aufeinander: einerseits die Schutzbedürftigkeit kleiner Selbstständiger in prekären Einkommenslagen, aber andererseits auch die Notwendigkeit, die Solidargemeinschaft der GKV vor Überforderung zu schützen. An der solidarischen Finanzierung des Krankenversicherungsschutzes müssen sich deshalb alle Bürger beteiligen, nicht zuletzt auch die nach wie vor vielen Selbstständigen mit hohen und sehr hohen Einkommen. Vor entsprechendem Reformbedarf darf die Politik die Augen nicht länger verschließen. GGW 2016 Haun, Jacobs: Die Krankenversicherung von Selbstständigen Jg. 16, Heft 1 (Januar), 22 30 29

Literatur Bögenhold D, Fachinger U (2012): Selbstständigkeit im System der Erwerbstätigkeit. Sozialer Fortschritt, Jg. 61, Heft 11/12, 276 287 Brenke K (2013): Allein tätige Selbständige: starkes Beschäftigungswachstum, oft nur geringe Einkommen. DIW-Wochenbericht, Jg. 80, Nr. 7, 3 16 Brenke K (2015): Selbstständige Beschäftigung geht zurück. DIW- Wochenbericht, Jg. 82, Nr. 36, 790 796 Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (2013): Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung tritt am 1. August in Kraft. Pressemitteilung Nr. 59, 30.07.2013; www.bmg.bund.de g Presse g Pressemitteilungen Deckl S (2013): Armut und soziale Ausgrenzung in Deutschland und der Europäischen Union. Ergebnisse aus LEBEN IN EUROPA (EU-SILC) 2012. Wirtschaft und Statistik, Heft Dezember, 893 906; www. destatis.de g Publikationen g WISTA Wirtschaft und Statistik g Archiv GKV-Spitzenverband (2015): Grundsätzliche Hinweise zum Begriff der hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigkeit vom 23. Juli 2015; www.mediafon.net/upload/2015_gkv_kriterien_hauptberuf.pdf Goebel J, Grabka M, Krause P et al. (2008): Mikrodaten, Gewichtung und Datenstruktur der Längsschnittstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP). Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Jg. 77, Heft 3, 77 109 Haun D (2013): Quo vadis, GKV und PKV? Entwicklung der Erwerbsund Einkommensstrukturen von Versicherten im dualen System. In: Jacobs K, Schulze S (Hrsg.): Die Krankenversicherung der Zukunft. Anforderungen an ein leistungsfähiges System. Berlin: KomPart, 75 106 Haun D, Jacobs K (2014): Beihilfe ohne Perspektive? Die Zukunft der Gesundheitskostenabsicherung für Beamte. Gesundheit und Gesellschaft Wissenschaft, Jg. 14, Heft 1, 23 30 Jacobs K (2013): Wettbewerb im dualen Krankenversicherungssystem in Deutschland Fiktion und Realität. In: Jacobs K, Schulze S (Hrsg.): Die Krankenversicherung der Zukunft. Anforderungen an ein leistungsfähiges System. Berlin: KomPart, 47 73 Kingreen T (2014): Wandel durch Annäherung: Perspektiven für eine integrierte Krankenversicherungsordnung. In: Wallrabenstein A, Ebsen I (Hrsg.): Stand und Perspektiven der Gesundheitsversorgung. Optionen und Probleme rechtlicher Gestaltung. Frankfurt/ Main: Peter Lang, 13 35 Mai C-M, Marder-Puch K (2013): Selbstständigkeit in Deutschland. Wirtschaft und Statistik, Heft Juli, 482 497; www.destatis.de g Publikationen g WISTA Wirtschaft und Statistik g Archiv Münstermann L, Arentz C, Läufer I (2014): Zum Umgang mit Nicht- Zahlern in der Krankenversicherung. Sozialer Fortschritt, Jg. 63, Heft 9, 231 238 Statistisches Bundesamt (2012): Wirtschaftsrechnungen. LEBEN IN EUROPA (EU-SILC): Einkommen und Lebensbedingungen in Deutschland und in Europa. Fachserie 15, Reihe 3; www.destatis.de g Publikationen g Thematische Veröffentlichungen Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) (2015 a): Zahlenbericht der Privaten Krankenversicherung 2014; www.pkv.de/ service/broschueren/daten-und-zahlen/zahlenbericht-2014/ Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) (2015 b): PKV- Zahlen 2014: Über 200 Milliarden Euro als Demografie-Vorsorge für die Versicherten. Pressemitteilung vom 13.03.2015; www.pkv. de/presse/pressemitteilungen/2015/0313-pkv-geschaeftszahlen-2014/ Wenner U (2014): Sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit? Aktuelle Problemfelder einer unendlichen Abgrenzungsgeschichte. Soziale Sicherheit, 63. Jg., Heft 6, 245 250 (letzter Zugriff auf alle Quellen: 18. Dezember 2015) DIE AUTOREN Dietmar Haun, Diplom-Soziologe, Jahrgang 1962, Studium der Soziologie, BWL und Sozial- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Mannheim und der Indiana University, Bloomington, USA. Anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Methoden der empirischen Sozialforschung und angewandte Soziologie der Universität Mannheim. Seit 2001 beim AOK-Bundesverband, zunächst im Geschäftsbereich Change Management, anschließend als Referent für Risikomanagement im Geschäftsbereich Finanzen. Seit 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsbereich Gesundheitspolitik und Systemanalysen des WIdO. Prof. Dr. rer. pol. Klaus Jacobs, Jahrgang 1957, ist seit 2002 Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) und leitet dort den Forschungsbereich Gesundheitspolitik und Systemanalysen. Zuvor Studium der Volkswirtschaftslehre in Bielefeld und Promotion an der Freien Universität (FU) Berlin. Wissenschaftliche Tätigkeiten an der FU Berlin, am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und im Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES), Berlin. Honorarprofessor der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen, Campus Essen. Fotos: privat, WIdO 30 GGW 2016 Haun, Jacobs: Die Krankenversicherung von Selbstständigen Jg. 16, Heft 1 (Januar), 22 30