Arbeits- und Gesundheitsschutz: Zwischen Pflichtaufgabe und Erfolgsfaktor - Rechtliche Rahmenbedingungen - Rechtsanwältin Andrea Gau, UVB
Allgemeine Rechtsquellen Europarecht z. B. Rahmen-RiLi 89/391/EWG Grundgesetz Gesetze z. B. ArbSchG, ASiG Rechtsverordnungen z. B. ArbStättV, GefStoffV, BildscharbV Tarifverträge Betriebsvereinbarungen Arbeitsverträge 2
Duales Arbeitsschutzsystem in Deutschland staatliches Recht Gesetze Verordnungen autonomes Recht Unfallverhütungsvorschriften (Berufsgenossenschaftliche Vorschriften - BGV) nichtgesetzliche Regelwerke ohne verpflichtenden Charakter Richtlinien, Sicherheitsregeln und Merkblätter der Unfallversicherungsträger allgemeine Verwaltungsvorschriften der Arbeitsschutzbehörden technische Normen / Regeln der Normenorganisationen (DIN, VDE, VDI, DVGW) 3
Arbeitsschutzgesetz Überblick Erster Abschnitt Zweiter Abschnitt Dritter Abschnitt Vierter Abschnitt Fünfter Abschnitt Sechster Abschnitt Allgemeine Vorschriften 1 Zielsetzung und Anwendungsbereich 2 Begriffsbestimmungen Pflichten des Arbeitgebers 3, 4 Grundpflichten des Arbeitgebers 5, 6 Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung und deren Dokumentation 7-14 sonstige Arbeitgeberpflichten z. B. Aufgabenübetragung, Erste Hilfe, Unterweisungen Pflichten und Rechte des Arbeitnehmers 15, 16 Mitverantwortung für die eigene Sicherheit 17 Rechte Verordnungsermächtigungen 18 Verordnungsermächtigungen 19 staatliche Vereinbarungen 20 Regelungen öffentlicher Dienst Gemeinsame deutsche Arbeitsschutzstrategie 20a Gemeinsame deutsche Arbeitsschutzstrategie 20b Nationale Arbeitsschutzkonferenz Schlussvorschriften 21-23 Befugnisse und Zusammenwirken der zuständigen Behörden 24 Ermächtigung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften 25, 26 Bußgeld- und Strafvorschriften 4
Arbeitssicherheitsgesetz Überblick Erster Abschnitt Zweiter Abschnitt Dritter Abschnitt Vierter Abschnitt 1 Grundsatz Arbeitgeber ist Normadressat Betriebsärzte 2-4 Bestellung, Aufgaben, Anforderungen Fachkräfte für Arbeitssicherheit 5-7 Bestellung, Aufgaben, Anforderungen Gemeinsame Vorschriften 8 Weisungsfreiheit von Sicherheitsfachkräften und Betriebsärzten 9, 10 Zusammenarbeit untereinander und mit dem Betriebsrat 11 Arbeitsschutzausschuss 12, 13 Rechte zuständiger Behörden 14, 15 Ermächtigungen zum Erlass von Verordnungen und Verwaltungsvorschriften 16-19 Anwendbarkeit des Gesetzes (Ausnahmen) 20-23 Ordnungswidrigkeit, Inkrafttreten 5
Haftung des Arbeitgebers Öffentlich-rechtliche Haftung 222, 229 StGB fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung Straf- und Bußgeldvorschriften in Spezialgesetzen, z. B. 25, 26 ArbSchG, 209 SGB VII etc. Zivilrechtliche Haftung gegenüber Geschädigtem Schadensersatz aus Vertrag oder unerlaubter Handlung ( 823 BGB) aber Haftungsfreistellung nach 104-107 SGB VII Haftung gegenüber Sozialversicherungsträgern bei Eintritt eines Versicherungsfalls greift zunächst Versicherungsschutz Berufsgenossenschaft aber Rückgriff auf Arbeitgeber gemäß 110, 111 SGB VII 6
Individualrechtliche Ansprüche auf Arbeitsschutzmaßnahmen? BAG, Urteil vom 12.08.2008 9 AZR 1117/06 Die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen konkretisieren den Inhalt von Fürsorgepflichten, die dem Arbeitgeber nach 618 BGB im Hinblick auf die Sicherheit und das Leben der Arbeitnehmer obliegen. Den Vorschriften des technischen Arbeitsschutzes kommt eine Doppelwirkung zu, wenn ihre Schutzpflichten über 618 Abs. 1 BGB in das Arbeitsrecht transformiert werden... Die von 5 Abs. 1 ArbSchG begründete Pflicht zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung ist zur Transformation nach 618 Abs. 1 BGB geeignet... Der Inhalt eines durch 618 Abs. 1 BGB vermittelten individuellen Erfüllungsanspruchs auf Grund des technischen Arbeitsschutzes bestimmt sich danach, ob die Arbeitsschutzvorschrift einen strikten normativen Befehl enthält oder dem Arbeitgeber einen Beurteilungs- oder Ermessenspielraum einräumt. Verleiht die Arbeitsschutznorm dem Arbeitgeber einen Beurteilungsspielraum, kann der Arbeitnehmer lediglich die ordnungsgemäße Ausfüllung des Beurteilungsspielraums verlangen. 7
Mitbestimmung des Betriebsrates nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG MBR umfasst Regelungen über Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften MBR setzt Handlungsspielraum aufgrund einer dem Gesundheitsschutz dienenden Rahmenvorschrift voraus MBR erfasst nur kollektive Tatbestände, d.h. Fälle, die sich abstrakt auf den ganzen Betrieb oder eine AN-Gruppe oder einen Arbeitsplatz beziehen (generell-abstrakte Regelungen) keine personellen Einzelmaßnahmen 8
Mitbestimmung des Betriebsrates nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG BAG, Beschluss vom 8.06.2004 1 ABR 4/03 Das Mitbestimmungsrecht setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und wegen eines Fehlens einer zwingenden Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen... 5 ArbSchG und 3 Bildschirmarbeitsverordnung (Gefährdungsbeurteilungen) sind ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschriften. Sie enthalten keine zwingenden Vorgaben, wie die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen ist. Vielmehr lassen sie dem Arbeitgeber Handlungsspielräume bei der Umsetzung... 12 Abs. 1 ArbSchG (Unterweisung) ist auch eine Rahmenvorschrift, bei deren Umsetzung dem Arbeitgeber Handlungsspielräume verbleiben. Allerdings konkretisiert Satz 2 diese Pflicht insofern, als die Unterweisung Anweisungen und Erläuterungen umfassen muss, die eigens auf den Arbeitsplatz und den Aufgabenbereich der Beschäftigten ausgerichtet sind. Gleichwohl verbleiben dem Arbeitgeber im Zusammenhang mit seiner gesetzlichen Unterweisungspflicht mehrere Möglichkeiten, ihr nachzukommen. Insbesondere müssen Art, Umfang und konkrete Inhalte der Unterweisung festgelegt werden. 9
Mitbestimmung des Betriebsrates nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG BAG, Beschluss vom 18.08.2009 1 ABR 43/08... folgt aus 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Beauftragung Dritter mit der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen nach 5 ArbSchG und von Unterweisungen nach 12 ArbSchG... Jedenfalls verlang 13 Abs. 2 ArbSchG nicht, wie nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erforderlich, eine betriebliche Regelung, in der Arbeitgeber und Betriebsrat abstraktgenerell festlegen, in welcher Weise das vorgegebene Schutzziel erreicht werden soll. Vielmehr handelt es sich bei der Übertragung von Aufgaben auf Dritte typischerweise um Einzelmaßnahmen. An solchen besteht kein Mitbestimmungsrecht nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG... Insbesondere ist es dem Betriebsrat unbenommen, im Rahmen dieser Mitbestimmung ( 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) gegenüber dem Arbeitgeber oder erforderlichenfalls auch in der Einigungsstelle dafür zu sorgen, dass in einer Betriebsvereinbarung generalisierende Regelungen darüber getroffen werden, welche Qualifikationen und Kenntnisse die mit der Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen und der Unterweisungen befassten Personen besitzen müssen... 10
Mitbestimmungspflichtige Regelungsgegenstände nach dem ArbSchG Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung, 5, 6 ArbSchG Maßnahmen festlegen, 3 Abs. 1 ArbSchG Festlegung der Organisation des Gesundheitsschutzes, 3 Abs. 2 ivm 4 ArbSchG Entwicklung eines Planungsansatzes, 4 Nr. 4 ArbSchG Gestaltung der Arbeit, 3 Abs. 1, 4 ArbSchG Zusammenstellung des Standes der Technik und der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Gestaltung der Arbeit, 3 Abs. 2 i.v.m. 4 ArbSchG Führungskräfteschulung, 3 Abs. 2 ArbSchG Unterweisung, 12 ArbSchG Organisation des Verbesserungsprozesses, 3 Abs. 1, 2 ArbSchG Vorsorgeuntersuchung, 11 ArbSchG Sicherstellung der Beteiligung der Beschäftigten, 3 Abs. 2, 15-17 ArbSchG 11
Mitbestimmung des Betriebsrates nach 91 BetrVG 91 BetrVG - korrigierendes MBR, wenn AN durch Änderungen der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufes oder der Arbeitsumgebung, die den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit offensichtlich widersprechen, in besonderer Weise belastet werden LAG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 09.03.2010 6 Ta BV 15/09 zum Verhältnis zu 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG noch nicht rechtskräftig Diese Bestimmung ( 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) eröffnet kein allgemeines Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei sämtlichen unternehmerischen Entscheidungen, die möglicherweise Auswirkungen auf den Gesundheitsschutz der Beschäftigten haben. Regelungen isd. Nr. 7 sind nur solche Maßnahmen des Arbeitgebers, die dieser aus Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ergreift. Nicht erfasst werden hingegen Maßnahmen, die aus anderen Gründen erfolgen...... bei einer Einbeziehung von Baumaßnahmen als solche in den Mitbestimmungsbereich des 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (würden) die Regelungen der 90, 91 BetrVG leer laufen. 12