Scheinselbständigkeit Fakten, Grauzonen, Spekulationen



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Transkript:

Scheinselbständigkeit Fakten, Grauzonen, Spekulationen Arbeitskreis Selbständige der GI-Regionalgruppe München 28. 4. 1999 Intercity Hotel München -0

Überblick über die Begriffe keine versicherungspflichtigen Angestellten außer Familienangehörigen nur ein wesentlicher Auftraggeber für Beschäftigte typische Arbeitsleistungen kein unternehmerischer Marktauftritt Vermutung der Scheinselbständigkeit, diese kann durch den Betroffenen oder seine Auftraggeber widerlegt werden. Falls Widerlegung mißlingt: Arbeit- nehmer-eigenschaft Arbeitnehmerartiger Selbständiger (falls Vermutung der Scheinselbständigkeit widerlegt ist) Folge: Auftraggeber sind versicherungsrechtlich Arbeitgeber und rückwirkend verpflichtet, alle Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten Folge: Selbständiger ist selbst rentenversicherungspflichtig; Befreiungsmöglichkeit, falls Alter >= 50 oder äquivalente Lebensversicherung Selbständiger keine rechtliche Veränderung -1

Die 4 Kriterien aus der Sicht der Informatiker Keine versicherungspflichtigen Angestellten Trifft meist zu. Schwierig zu umgehen folgende Lösungen funktionieren nicht: Informatik-Gehilfe als Lehrling (kein Angestellter) Anstellen der privaten Putzfrau Nur ein wesentlicher Auftraggeber Trifft häufig zu (5/6-Regel). Jedoch noch keine klare Abgrenzung des Zeitraums. Wenn in Vergangenheit oder Gegenwart zumindest zeitweise mehrere Auftraggeber, wirkt dies positiv auf die Einzelprüfung. Erschwerend: Kündigung beim bisherigen Auftraggeber und sofortige Auftragsvergabe durch diesen. Für Beschäftigte typische Arbeitsleistungen Kann bei strenger Auslegung gefährlich sein (welche Tätigkeit kann schon nicht von Beschäftigten ausgeführt werden?) In der Prais wohl entschärft; viele Auftraggeber im IV-Bereich verhalten sich schon entsprechend der Rechtsprechung. Kein Marktauftritt Am leichtesten zu widerlegen; ohnehin jedem Selbständigen dringend zu empfehlen. -2

Grauzonen in der Anwendung der Kriterien Nur Kriterium 1 läßt sich mit Ja oder Nein beantworten. Die Kriterien können zeitlich veränderlich zutreffen. Es gibt noch keine Verwaltungsprais und außer einem recht unpräzisen Papier der Spitzenverbände der Versicherungsträger keine übergreifenden Richtlinien. Es gibt kaum Gerichtsurteile. Es gibt keine bekannten Präzendenzfälle für Informatiker. Auskunft der LVA Bayern Auch die Prüfer haben noch keine präziseren Vorgaben als wir sie kennen. Grenzfälle werden mit äußerster Sensibilität entschieden. Bisherige Fälle von Scheinselbständigkeit waren stets astklar und anteilmäßig gering. -3

Folgen bei Scheinselbständigkeit Auftraggeber muß alle Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend abführen, mindestens bis 1. 1. 1999. Falls schon nach altem Recht Arbeitnehmereigenschaft bestand, bis zu 4 Jahre zurück. Bei Vorsatz bis zu 30 Jahre zurück. Auftragnehmer muß alle Sozialversicherungsbeiträge rückwirkend abführen, jedoch nur für 3 Monate; darüberhinaus wieder der Auftraggeber. Die steuerliche Behandlung ist nicht automatisch an die sozialversicherungsrechtliche gekoppelt. Siehe hierzu die Richtlinien zur Lohnsteuerdurchführungsverordnung Abschnitt 67 sowie das BFH-Urteil vom 2. 12. 98 Áktenzeichen X R 83/96. Unklar: Hat der Auftragnehmer Anspruch auf einen Arbeitsvertrag, und wie kommt dieser zustande? Bei mehreren Auftraggebern: wer wird arbeitsrechtlicher Arbeitgeber? Gefahren für Auftraggeber: Risiko erheblicher Zusatzkosten, im voraus kaum abschätzbar. für Auftragnehmer: Risiko erheblicher Zusatzkosten; außerdem Gefahr, Aufträge zu verlieren und keine Anstellung zu erhalten. -4

Folgen bei arbeitnehmerartiger Selbständigkeit Auftraggeber bleiben ungeschoren. Auftragnehmer muß sich voll rentenversichern. Befreiungsmöglichkeit, bis 30. 6. 1999, falls vor dem 2. 1. 1949 geboren oder äquivalente Lebensversicherung besteht. Anforderungen an eine äquivalente Lebensversicherung Vor dem 10. 12. 1998 abgeschlossen, Leistungen für Invalidität, Erleben des 60. oder eines höheren Lebensjahres sowie bei Tod Leistungen an Hinterbliebene, Beiträge mindestens so hoch wie bei gesetzlicher Versicherung. Betriebsrenten zählen mit. Mehrere Lebensversicherungsverträge können summiert werden. Falls Versicherung die Bedingungen noch nicht erfüllt, kann bis 30. 6. 1999 nachgebessert werden. -5

Arbeitnehmerartige Selbständigkeit der goldene Mittelweg? Keine Gefahr für Auftraggeber, dadurch bessere Ausgangsposition bei Akquise. Falls schon äquivalent versichert, keine materielle Veränderung für den Selbständigen. Vorrangig muß die Vermutung der Scheinselbständigkeit widerlegt werden. Es gibt Stimmen, nach denen der Status "Arbeitnehmerartiger Selbständiger" sich als überflüssig erweisen könnte. Was tun, wenn irgendwann der Gesetzgeber alle Arbeitnehmerartigen in Arbeitnehmer umwandelt? -6

Dilemma: soll man Befreiung beantragen? beantragen nicht beantragen best case worst case best case worst case beantragen bis 30. 6. 1999 beantragen bis 30. 6. 1999 stillhalten stillhalten Vorrangige Prüfung auf Scheinselbständigkeit ohne Ergebnis Vorrangige Prüfung ergibt Scheinselbständigkeit es erfolgt keine Prüfung, oder sie ergibt Selbständigkeit Prüfung nach 30. 6. 1999 ergibt arbeitnehmerartige Selbständigkeit keine oder wenig Mehrbelastung Eistenz als Selbständiger wohl zerstört; hohe Mehrbelastung keine Mehrbelastung keine Befreiungsmöglichkeit mehr; volle Rentenversicherungspflicht -7

Vorsicht bei Umgehungsmaßnahmen Einzel-GmbH nützt nichts. Bei Mehrpersonengesellschaft unklar, ob Situation der einzelnen Personen oder der Gesellschaft ausschlaggebend ist. Vorsicht bei Auswahl der Gesellschaftspartner! Vermittler im Ausland nützt nichts. Im Zweifelsfall haftet der inländische Endkunde. Auftraggeber gründet drei Töchter und läßt sie reihum die Selbständigen beauftragen unklar, ob dies akzeptiert wird. -8

Wettbewerbsverzerrung zuungunsten Selbständiger Die Auftraggeber sind verunsichert. Lieber beauftragt man eine größere Firma als einen Freiberufler. Wie soll ein Selbständiger dem Auftraggeber nachweisen, daß er die Kriterien nicht erfüllt? Wie soll er nachweisen, daß er sie nicht erfüllen wird? Auftraggeber zahlt über Honorar schon Anteil für Risikovorsorge; warum soll er nochmals zahlen? Bei jedem anderen Geschäft gilt, wenn das Geschäft überhaupt legal ist, der Wille der Vertragsparteien hier jetzt nicht mehr. Die finanziellen Folgen treten erst mit Verzögerung ein. Keine Klarheit bei Vertragsbeginn. -9

Tete, die man kennen muß Gemeinsame Stellungnahme der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung... vom 19. 1. 1999 (z.b. über Website des Verband Deutscher Rentenversicherungsträger) enthält Gesetzestet und einige Klarstellungen über die Auslegung Fragebögen der Versicherer (z.b. über Website der LVA Unterfranken) Broschüre zur arbeitnehmerartigen Selbständigkeit (z.b. über Website des Bundesministeriums für Arbeit) Tete mit interessanter Hintergrund-Info Stellungnahme des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger... vom 25. 11. 1998 (über dessen Website) Bundestagsprotokoll 14009b (erste Beratung des Gesetzes November 1998) Bundestagsprotokoll 14030i (Aktuelle Stunde März 1999) Bundestagsprotokoll 14034e (Aktuelle Stunde April 1999) Jürgen Borchert (Grüner Richter am Landessozialgericht in Darmstadt): Rente: Rendite ahoi, Solidarität ade (über Website www.gruene-berlin.de/stach_arg/109/24_rente.html Pressemitteilungen des BMA (über dessen Website) -10

Politische Situation SPD, BMA, Gewerkschaften wollen echte Scheinselbständigkeit energisch bekämpfen. Deshalb kein Rückzug. Gemäßigte Teile der SPD, BMA, Grüne wollen Kultur der Selbständigkeit (Medien, Rechtsanwälte, IT-Bereich) fördern. Rücknahme des Gesetzes aus der Lehrbubenphase wäre Gesichtsverlust für Koalition. Deshalb: abwarten und beobachten. Mögliche Szenarien Gesetz bleibt und wird straff ausgeführt. Ausrottung ganzer Zweige selbständiger Berufe. Gewerkschaften mögen nun mal keine Unternehmer. Gesetz bleibt; Ausführung mit Augenmaß. Dadurch entsteht mit der Zeit in einigen Wirtschaftsbereichen Rechtssicherheit. Die Folgen in der Zwischenzeit sind jedoch unumkehrbar. Modifizierung der Kriterien und/oder es müssen mehr als zwei zutreffen. Katalogberufe werden ausgenommen. In diesem Zusammenhang Aufnahme der Informatiker in den Katalog? Nicht-Informatiker in IT-Branche dann über Einzelfallprüfung. -11

Was kann der Einzelne tun? Sich anstellen lassen. Sich freiwillig prüfen lassen. Risiko des Fehlschlagens wer will den Musterprozeß führen? Die Kriterien, die leicht erfüllbar sind, klar erfüllen. Was können wir als Berufsstand tun? Uns als Berufsstand fühlen und formieren. Unsere Meinung und Situation den politischen Entscheidungsträgern kundtun. Unseren Standpunkt publik machen. Anbieten, an der Verbesserung der Regelung mitzuwirken. -12