Musterlösung Medizinrechtsprüfung vom 11. Juni 2010, Prof. Dr. Andrea Büchler



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SchiedsamtsZeitung 69. Jahrgang 1998, Heft 09 Online-Archiv Seite Organ des BDS

Transkript:

Musterlösung Medizinrechtsprüfung vom 11. Juni 2010, Prof. Dr. Andrea Büchler Fall 1 (25 Punkte + Zusatzpunkte) Aufgabe a Einnahme der Pille Zu prüfen ist, ob Lena selbständig in die Einnahme der Antibabypille einwilligen kann. Dies ist der Fall, wenn es sich bei der Einwilligung in die Einnahme um ein höchstpersönliches Recht handelt und Lena urteilsfähig ist. Anwendbares Recht Mangels genauerer Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass es sich bei Dr. Roth um eine niedergelassene Ärztin handelt. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte unterstehen dem Privatrecht. Es handelt sich folglich um eine Beziehung zwischen Privatpersonen, auf die Privatrecht zur Anwendung kommt. Für das privatrechtliche Behandlungsverhältnis kommen die Regelungen zum Persönlichkeitsschutz (Art. 27 f. ZGB) und die Bestimmungen zum einfachen Auftrag (Art. 394 ff. OR) zur Anwendung. Qualifikation der Einwilligung in einen medizinischen Eingriff Jeder Eingriff in den menschlichen Körper stellt einen grundsätzlich widerrechtlichen Eingriff in die durch Art. 28 ZGB (Persönlichkeitsschutz) geschützte körperliche und / oder psychische Integrität des Menschen dar. Dies gilt nach h.l. und Rechtsprechung auch für medizinische Eingriffe aller Art, seien sie therapeutischer, prophylaktischer oder präventiver Natur. Auch bei der Einnahme eines Medikamentes handelt es sich um einen Eingriff in die durch Art. 28 ZGB geschützte Persönlichkeit, der nach Art. 28 Abs. 2 ZGB der Rechtfertigung bedarf. Die Einwilligung in einen medizinischen Eingriff stellt folglich ein höchstpersönliches Recht dar, also ein Recht, das mit der Person als Träger des Rechts untrennbar verbunden ist (Hausheer/Aebi-Müller, Personenrecht, 2. Aufl., Bern 2008, N 07.21). Handlungsfähigkeit Wer handlungsfähig ist, hat nach Art. 12 ZGB die Fähigkeit, durch seine Handlungen Rechte und Pflichten zu begründen. Nach Art. 13 ZGB setzt Handlungsfähigkeit Urteilsfähigkeit und Mündigkeit voraus.

Mündigkeit, Art. 14 ZGB Lena hat laut Sachverhalt das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet, ist folglich unmündig. Urteilsfähigkeit, Art. 16 ZGB Urteilsfähigkeit ist die Fähigkeit zu vernunftgemässem Handeln. Sie wird grundsätzlich vermutet, ausser es liegt einer der im Gesetz genannten Ausnahmetatbestände vor. Bei einer knapp 14jährigen Jugendlichen ist die Urteilsfähigkeit gesondert zu prüfen. Zu prüfen sind folgende Voraussetzungen: - Relativität der Urteilsfähigkeit in zeitlicher und sachlicher Hinsicht - Intellektuelle und voluntative Komponente der Urteilsfähigkeit: Fähigkeit, die Situation zu verstehen, sich einen Willen dazu zu bilden und sich gemäss diesem Willen zu verhalten. Variante 1: Lena ist urteilsfähig Beschränkte Handlungsunfähigkeit, Art. 19 ZGB Nach Art. 19 Abs. 2 ZGB können urteilsfähige Unmündige ohne die Zustimmung ihrer Eltern Rechte ausüben, die ihnen um ihrer Persönlichkeit willen zustehen. Wie gesehen handelt es sich bei der Einwilligung in die Einnahme der Pille um ein höchstpersönliches Recht und Lena ist urteilsfähig. Sie kann selbständig in die Einnahme einwilligen. Variante 2: Lena ist urteilsunfähig Vollständige Handlungsunfähigkeit, Art. 18 ZGB Wenn Lena urteilsunfähig ist, ist sie vollständig handlungsunfähig und vermag durch ihre Handlungen keinerlei rechtlichen Wirkungen herbeizuführen. Vertretung durch die Eltern Zu prüfen ist, wer an Lenas Stelle berechtigt ist, die Einwilligung zu erteilen. In Frage kommen die Eltern als gesetzliche Vertreter (Art. 304 Abs. 1 ZGB). Sie treffen unter dem Vorbehalt der eigenen Handlungsfähigkeit von Lena alle Entscheidungen (Art. 301 Abs. 1 ZGB). Sie sind dabei gebunden an das Kindeswohl. Eltern, die beide Inhaber sind der elterlichen Sorge entscheiden gemeinsam.

Vertretung bei höchstpersönlichen Rechten Es gibt zwei Kategorien von höchstpersönlichen Rechten. Während die sog. absolut höchstpersönlichen Rechte absolut vertretungsfeindlich sind und bei Urteilsunfähigkeit des Rechtsträgers überhaupt nicht wahrgenommen werden können, können die sog. relativ höchstpersönlichen Rechten bei Urteilsunfähigkeit des Rechtsträgers von der gesetzlichen Vertretung ausgeübt werden. Zu prüfen ist somit, ob es sich bei der Einwilligung in die Einnahme der Pille um ein absolut oder ein relativ höchstpersönliches Recht handelt. Die Einteilung in eine der beiden Kategorien erfolgt aufgrund einer ergebnisorientierten Wertung, die sich an der Rechtsfolge (absolut oder relativ vertretungsfeindlich) orientiert. Die Einwilligung in eine medizinische Heilbehandlung wird zu den relativ höchstpersönlichen Rechten gezählt. Fraglich ist jedoch, ob es sich im vorliegenden Fall um eine Heilbehandlung handelt. Dies ist zu verneinen. Diskussion der Argumente, die für oder gegen die Annahme eines absolut höchstpersönlichen Rechts sprechen. Bei Annahme eines absolut höchstpersönlichen Rechts: Eltern können Lena nicht vertreten. Bei Annahme eines relativ höchstpersönlichen Rechts: Eltern können Lena vertreten und an ihrer Stelle gültig in die Einnahme der Pille einwilligen. Sie sind dann jedoch aufzuklären. Kindeswohl als Schranke der elterlichen Vertretungskompetenz Die Eltern können nur dann stellvertretend für Lena in die Einnahme der Antibabypille einwilligen, wenn dies im Kindeswohl liegt. Diskussion der für das Kindeswohl massgebenden Umstände. Abschluss des Behandlungsvertrages Rechtsnatur des Behandlungsvertrages Beim privatrechtlichen Behandlungsvertrag handelt es sich um einen Auftrag im Sinne von Art. 394 ff. OR. Geschuldet ist das sorgfältige Tätigwerden im Interesse des Patienten, jedoch kein Erfolg.

Voraussetzungen des selbständigen Vertragsschlusses Voraussetzung des vollständig selbständigen Vertragsschlusses bildet die Handlungsfähigkeit nach Art. 12 ZGB. Diese Voraussetzung ist wie oben ausgeführt nicht erfüllt. In Frage kommt deshalb höchstens beschränkte Handlungsunfähigkeit nach Art. 19 ZGB. Variante 1: Lena ist urteilsfähig Beschränkte Handlungsunfähigkeit nach Art. 19 Abs. 1 ZGB Urteilsfähige Unmündige können sich durch ihre Handlungen verpflichten. Sie brauchen dafür jedoch die vorgängige oder nachträgliche Zustimmung / Genehmigung ihrer gesetzlichen Vertreter. Nach dem Wortlaut des Gesetzes wäre demzufolge davon auszugehen, dass urteilsfähige Minderjährige stets der Zustimmung ihrer Eltern bedürfen, um einen Behandlungsvertrag abzuschliessen. Vertragsschluss zur Wahrnehmung höchstpersönlicher Rechte Nach Ansicht des überwiegenden Teils der jüngeren Lehre können urteilsfähige Minderjährige Verträge, die zur Ausübung höchstpersönlicher Rechte notwendig sind, selbständig eingehen. Ansonsten könnten die Eltern durch die Verweigerung der Zustimmung zum Vertragsschluss die urteilsfähigen Unmündigen gesetzlich gewährte selbständige Wahrnehmung von höchstpersönlichen Rechten vereiteln. Nach heute herrschender Meinung können urteilsfähige Minderjährige dann selbständig einen Behandlungsvertrag eingehen, wenn - Sie für die Kosten aus dem freien Kindesvermögen aufkommen können (vgl. Art. 321 ff. ZGB) - Die Kosten von der Krankenkasse gedeckt werden (Vgl. dazu Fellmann, Arzt und das Rechtsverhältnis zum Patienten, in: Kuhn/Poledna, Arztrecht in der Praxis, 2. Aufl., Zürich 2007, 115) Im vorliegenden Fall wird Lena mit grosser Wahrscheinlichkeit aus ihrem freien Kindesvermögen für die relativ geringen Kosten der Antibabypille aufkommen können. Sie kann demnach selbständig in den Abschluss des Behandlungsvertrages einwilligen.

Variante 2: Lena ist urteilsunfähig Vollständige Handlungsunfähigkeit Ist Lena urteilsunfähig, vermag sie durch ihre Handlungen keinerlei rechtlichen Wirkungen herbeizuführen. An ihrer Stelle müssen die Eltern den Behandlungsvertrag abschliessen in ihrer Funktion als gesetzliche Vertreter (Art. 304 Abs. 1 ZGB). Aufgabe b Anwendbares Recht Zu prüfen ist, ob Lena gegen Dr. Roth Anspruch auf Genugtuung hat. Da Lena infolge der Pilleneinnahme eine Venenthrombose bzw. eine Körperverletzung erlitten hat, richtet sich der Anspruch nach Art. 47 i.v.m. Art. 41 Abs. 1 OR. Ein Anspruch aus Art. 49 i.v.m. Art. 41 Abs. 1 OR ist nicht zusätzlich zu prüfen, da Art. 47 OR als lex specialis vorgeht. Korrekturhinweis: Bei der Bewertung ist zu berücksichtigen, dass kumulativ zu den ausservertraglichen auch vertragliche Genugtuungsansprüche geprüft werden können, sofern unter 2a das Zustandekommen des Behandlungsvertrages bejaht worden ist. Anspruchsvoraussetzungen im Allgemeinen Voraussetzungen gemäss Art. 47 i.v.m. Art. 41 Abs. 1 OR: Aktiv- und Passivlegitimation (i.c. unproblematisch), Körperverletzung (siehe oben), immaterielle Unbill, Widerrechtlichkeit, Kausalität, Verschulden, (besondere Umstände: können isoliert geprüft werden oder bei der immateriellen Unbill und beim Verschulden einbezogen werden). Immaterielle Unbill Immaterielle Unbill ist die Beeinträchtigung des subjektiven Wohlbefindens einer Person, wobei die Beeinträchtigung von einer gewissen Schwere sein muss. Lena leidet an einer Venenthrombose. Eine Venenthrombose verursacht für gewöhnlich erhebliche Schmerzen und es sind mehrere Nachbehandlungen im Spital nötig, weshalb die immaterielle Unbill in casu gegeben ist (a.m. vertretbar).

Widerrechtlichkeit Objektive Widerrechtlichkeitstheorie (h.l.): widerrechtlich ist die Schadenszufügung dann, wenn das schädigende Verhalten entweder ein absolutes Recht des Geschädigten beeinträchtigt oder im Falle einer reinen Vermögensschädigung eine besondere Schutznorm verletzt. Gemäss h.l. und der Praxis des Bundesgerichts ist der ärztliche Heileingriff in den menschlichen Körper eine widerrechtliche Körperverletzung (Art. 28 Abs. 1 ZGB), es sei denn, es liege ein Rechtfertigungsgrund vor. Hauptrechtfertigungsgrund im Bereich der ärztlichen Behandlung ist die rechtsgenügliche Aufklärung und Einwilligung des Patienten (Art. 28 Abs. 2 ZGB). I.c. gibt der Sachverhalt keinen Hinweis auf eine ungenügende Aufklärung. Ob Lena in die Pillenverschreibung/Einnahme einwilligen konnte, hängt davon ab, ob sie bezüglich dieses Aktes urteilsfähig war oder nicht. Die aufgeworfene Frage wird unter Fall 1 a. beantwortet (Verweis und korrekte Schlussfolgerung genügt). Einwand des rechtmässigen Alternativverhaltens = Einwand, dass der Schaden auch dann eingetreten wäre, wenn der Schädiger sich rechtmässig verhalten hätte (nur zu prüfen, wenn oben verneint wurde, dass der Eingriff gerechtfertigt war). Gemäss Sachverhalt hätten die Eltern von Lena nicht eingewilligt, dass Lena die Pille verschrieben wird, sofern Dr. Roth sie angefragt hätte. Der Einwand des rechtmässigen Alternativverhaltens schlägt fehl. Kausalität Natürliche Kausalität: conditio sine qua non-formel, d.h. das widerrechtliche Verhalten kann nicht weggedacht werden, ohne dass der Schaden entfällt. Die Pillenverschreibung kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Thrombose entfällt. Die natürliche Kausalität ist gegeben. Adäquate Kausalität: Gegeben, wenn Ursache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen Schaden von der Art des eingetretenen herbeizuführen. Die Venenthrombose ist ein typisches Risiko der Pilleneinnahme. Die Adäquanz ist gegeben.

Verschulden Schuldhaftes Handeln muss in objektiver Hinsicht als vorsätzlich oder fahrlässig zu qualifizieren sein und setzt in subjektiver Hinsicht Urteilsfähigkeit des Handelnden voraus. Das Verschulden muss von einer gewissen Schwere sein, damit Genugtuung gemäss Art. 47 OR zugesprochen werden kann. Dr. Roth ist vermutungsweise urteils- und damit schuldfähig (Art. 16 ZGB). Allerdings kann man ihr nicht vorwerfen, dass sie die Pille einer 14-jähirgen Gymnasiastin verschrieben hat ohne deren Eltern vorgängig anzufragen, denn ein solches Verhalten ist unter Ärzten sozialüblich, mithin nicht fahrlässig (a.m. vertretbar). Will man dieses Verhalten doch als fahrlässig beurteilen, so wiegt das Verschulden jedenfalls nicht schwer. Fazit Dr. Roth schuldet Lena keine Genugtuung aus Art. 47 i.v.m. Art. 41 Abs. 1 OR. Aufgabe c Informationen über medizinische Diagnosen und Therapien, sogar die Tatsache selbst, dass sich eine Person in ärztlicher Behandlung befindet, fallen in den Schutzbereich des privatrechtlichen Persönlichkeitsschutzes nach Art. 28 ZGB. Das ärztliche Berufsgeheimnis ergibt sich im Weiteren aus dem Auftragsrecht. Zusätzlich ist das ärztliche Berufsgeheimnis strafrechtlich abgesichert (Art. 321 StGB). Persönlichkeitsschutz nach Art. 28 ZGB Zu den geschützten Persönlichkeitsrechten gehört auch das Recht auf Privatsphäre, umfassend den Schutz der Geheim- oder Intimsphäre. Zur Intimsphäre zählen die medizinischen Daten einer Person, das heisst Angaben über den Gesundheitszustand, die Diagnose und die Krankengeschichte. Die Verletzung des Rechts auf Privatsphäre durch Weitergabe medizinischer Informationen an Dritte stellt folglich eine grundsätzlich widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung dar, die der Rechtfertigung nach Art. 28 Abs. 2 ZGB bedarf. Die Rechtfertigung erfolgt in der Regel durch die Einwilligung des Verletzten. Vertragsrecht

Auch aus dem privatrechtlichen Vertragsverhältnis zwischen Ärztin und Patientin ergibt sich die Pflicht der Ärztin zur strikten Verschwiegenheit. Dabei handelt es sich im vertraglichen Verhältnis um eine Treuepflicht (Art. 398 Abs. 2 OR), welche von Gesetzes wegen besteht. Eine explizite Vertraulichkeitsabrede zwischen Ärztin und Patientin ist daher nicht notwendig. Die Pflicht zur Verschwiegenheit erfasst aus privatrechtlicher Sicht alle Informationen, welche die Ärztin von der Patientin selber, von ihren Angehörigen oder von Dritten erhält und alle Informationen, welche ihr aufgrund der durchgeführten diagnostischen Massnahmen bekannt werden; kurz, alles, was die Ärztin im Rahmen der Behandlung erfährt, fällt unter die Pflicht zur Geheimhaltung, sofern die Patientin ein subjektives Geheimhaltungsinteresse hat. Die Pflicht zur Geheimhaltung gilt auch gegenüber Angehörigen der Patientin. Die urteilsfähige Patientin kann die Ärztin ermächtigen, Informationen über ihren Gesundheitszustand an Angehörige oder bestimmte Drittpersonen weiterzugeben. Berufsgeheimnis nach Art. 321 StGB Das ärztliche Berufsgeheimnis schützt sowohl das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient als auch das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Die jüngere Lehre geht praktisch durchgehend davon aus, dass Art. 321 StGB lediglich Urteilsfähigkeit voraussetzt und nicht Mündigkeit. Geheimnisherr ist somit der urteilsfähige minderjährige Patient. Er entscheidet allein, ob ihn betreffende medizinische Informationen an die Eltern oder an Drittpersonen weitergegeben werden dürfen. Nach Abs. 2 Art. 321 ist die Einwilligung des Berechtigten ein Rechtfertigungsgrund für das Berufsgeheimnis Urteilsfähigkeit als massgebendes Kriterium Aus den verschiedenen Rechtsgrundlagen zur ärztlichen Schweigepflicht geht einhellig hervor, dass urteilsfähige Patientinnen und Patienten selber darüber bestimmen, wer über ihre medizinischen Daten informiert werden darf. Ist Lena urteilsfähig muss die Ärztin deshalb eine allfällige Information der Eltern mit ihr absprechen und ausdrücklich ihr Einverständnis einholen. Es besteht keine Veranlassung, sich zur Rechtfertigung des Bruchs des Berufsgeheimnisses allein auf die mutmassliche Einwilligung zu stützen, wenn es sich um ein besonders persönlichkeitsnahes Thema handelt sowie die Patientin ansprechbar und in der Lage ist, ihren diesbezüglichen Willen zu äussern. Handelt es sich um minderjährige urteilsunfähige Patientinnen und Patienten, sind demgegenüber die Eltern in ihrer Funktion als gesetzliche Vertretung des Kindes immer zu benachrichtigen. Denn nur sie sind grundsätzlich in der Lage, die gültige Einwilligung abzugeben, welche die mit dem medizinischen Eingriff verbundene widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung zu rechtfertigen vermag.

Fall 2 (25 Punkte + Zusatzpunkte) Aufgabe a aa. Beurteilung der geplanten IVF Anwendbares Recht Die Voraussetzungen, unter denen die Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung beim Menschen angewendet werden dürfen, sind im Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) geregelt (Art. 1 Abs. 1 FMedG). Zu den Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung zählt insbesondere die IVF (Art. 2 lit.a FMedG). I.c. ist also das FMedG einschlägig. Zulässigkeit der IVF Für die (präventive) Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit der geplanten IVF sind im Wesentlichen zwei Punkte massgebend: Das Kindeswohl (Art. 3 FMedG) muss gewährleistet sein und es muss eine Indikation für die Durchführung der IVF (Art. 5 FMedG) vorliegen. Kindeswohl Fortpflanzungsverfahren dürfen nur angewendet werden, wenn das Kindeswohl gewährleistet ist, was Art. 3 Abs. 1 FMedG in allgemeiner Weise festhält. Der allgemeinen Maxime des Kindeswohls läuft es z.b. zuwider, wenn ein Fortpflanzungsverfahren nicht primär zur Befriedigung des Kinderwunsches der Verfahrensbeteiligten angestrengt wird, sondern die Erzeugung des Kindes einem anderen Zweck dient (z.b. der Rettung der Partnerschaft). Gemäss Sachverhalt wünschen sich Kevin`s Eltern ein zweites Kind. Dieses soll gesund sein und darüber hinaus als Knochenmarkspender für Kevin in Frage kommen. Das zweite Kind ist aufgrund des vorhandenen elterlichen Kinderwunsches also nicht primär ein Retterbaby, sondern bloss sekundär. Infolgedessen steht das Fortpflanzungsverfahren mit Art. 3 Abs. 1 FMedG im Einklang (a.m. vertretbar). Art. 3 Abs. 2 FMedG konkretisiert den Grundsatz der Wahrung des Kindeswohls: Fortpflanzungsmedizinische Verfahren dürfen nur bei Paaren angewendet werden, zu

welchen ein Kindsverhältnis i.s.d. Art. 252-263 ZGB begründet werden kann (lit.a); und die aufgrund ihres Alters und ihrer persönlichen Verhältnisse voraussichtlich bis zur Mündigkeit des Kindes für dessen Pflege und Erziehung sorgen können (lit.b). Zu Kevin`s Eltern kann ein Kindsverhältnis i.s.d. Art. 252-263 ZGB begründet werden. Ob sie voraussichtlich bis zur Mündigkeit des Kindes für dasselbe sorgen können, lässt der Sachverhalt offen, schliesst dies aber wenigstens nicht aus. Das Kindeswohl ist demnach gewahrt (a.m. vertretbar). Indikation Ein Fortpflanzungsverfahren darf gemäss Art. 5 Abs. 1 FMedG nur angewendet werden: wenn damit die Unfruchtbarkeit eines Paares überwunden werden soll und die anderen Behandlungsmethoden versagt haben oder aussichtslos sind (lit.a); oder wenn die Gefahr, dass eine schwere, unheilbare Krankheit auf die Nachkommen übertragen wird, anders nicht abgewendet werden kann (lit. b). Andere Zwecke dürfen mit Fortpflanzungsverfahren nicht verfolgt werden (der Terminus nur impliziert dies). Variante 1: Die Unfruchtbarkeit des Paares soll i.c. durch die IVF nicht überwunden werden, d.h. Art. 5 Abs. 1 lit.a FMedG ist nicht einschlägig. I.c. soll mit dem Fortpflanzungsverfahren dagegen verhindert werden, dass das Kind an der septischen Granulamotose leiden wird, was den Tatbestand von Art. 5 Abs. 1 lit.b FMedG auf den ersten Blick zu erfüllen scheint. Allerdings handelt es sich bei der septischen Granulamotose lediglich um eine schwere, nicht aber um eine unheilbare Krankheit (gemäss Sachverhalt kann die Knochenmarktransplantation eine Heilung herbeiführen). Entsprechend ist auch Art. 5 Abs. 1 lit. b i.c. nicht einschlägig und die IVF deshalb nicht indiziert. Variante 2: Wer das Vorliegen einer schweren unheilbaren Krankheit bejaht, (etwa mit dem Argument, dass die Heilungssichten zwar gut sind, wenn ein passender Spender gefunden wird, das Auffinden eines geeigneten Spenders in der Praxis aber sehr schwierig ist; oder mit dem Argument das genetische Krankheiten im strengen Sinn nie heilbar sind) muss die Indikation des Fortpflanzungsverfahrens mit dem Argument verneinen, dass das Verfahren i.c. nicht nur der Heilung der septischen Granulamotose dient, sondern darüber hinaus ein Retterbaby erzeugt werden soll. Fazit Die IVF ist mit dem Kindeswohl grundsätzlich vereinbar (a.m. vertretbar). Mangels Indikation ist die IVF jedoch unzulässig.

bb. Beurteilung der geplanten PID Die PID ist nach geltendem Recht untersagt (Art. 5 Abs. 3 FMedG). Korrekturhinweis: Wer die Indikation der IVF bejahte, hier aber bemerkt, dass das ganze Fortpflanzungsverfahren für Kevins Eltern wegen der Unzulässigkeit der PID keinen Sinn macht und daraus schliesst, dass auch die IVF nicht durchgeführt werden darf, weil das unnütze Herstellen von Embryonen verpönt ist, erhält dafür nachträglich Punkte. cc. Beurteilung der Knochenmarktransplantation Anwendbares Recht Das Transplantationsgesetz gilt für den Umgang mit Organen, Geweben oder Zellen menschlichen oder tierischen Ursprungs sowie daraus hergestellten Produkten (Transplantatprodukte), die zur Transplantation auf den Menschen bestimmt sind (Art. 2 Abs. 1 Transplantationsgesetz). Eine Ausnahme gemäss Art. 2 Abs. 2 Transplantationsgesetz darf nicht vorliegen. I.c. soll beurteilt werden, ob Kevins zukünftigem Geschwister Knochenmark entnommen werden darf, um dieses später auf Kevin zu übertragen. Es geht also darum, menschliches Gewebe auf einen Menschen zu transplantieren. Eine Ausnahme gemäss Art. 2 Abs. 2 Transplantationsgesetz ist i.c. nicht ein-schlägig. Das Transplantationsgesetz ist anwendbar. Zulässigkeit der Knochenmarkentnahme Zu beurteilen ist, ob Kevins zukünftigem Geschwister Knochenmark entnommen werden darf, um dieses auf Kevin zu übertragen. Es handelt sich also um eine Entnahme von Gewebe bei einer lebenden Person. Die Lebendspende ist im 3. Abschnitt des Transplantationsgesetzes geregelt (Art. 12 ff.). Da die geplante Gewebeentnahme möglichst bald, also nicht allzu lange nach der Geburt des potentiellen Spenderkindes stattfinden sollte, ist Art. 13 Transplantationsgesetz (Entnahme beim urteilsunfähigen unmündigen Spender) für die Beurteilung der Knochenmarkentnahme massgebend. Für die (präventive) Beurteilung der Zulässigkeit der Transplantation sind insbesondere die im Art. 13 Abs. 2 aufgezählten Voraussetzungen massgebend.

Entnahme von regenerierbarem Gewebe als Grundvoraussetzung Grundsätzlich dürfen urteilsunfähigen und/oder unmündigen Personen keine Organe, Gewebe oder Zellen entnommen werden (Art. 13 Abs. 1 Transplantationsgesetz). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz sieht das Gesetz vor, wenn regenerierbares Gewebe entnommen werden soll (Art. 13 Abs. 2 Transplantationsgesetz). I.c. soll Kevins zukünftigem Geschwister Knochenmark entnommen werden. Dabei handelt es sich um regenerierbares Gewebe. Minimale Risiken und Belastungen Die Gewebeentnahme ist gemäss Art. 13 Abs. 2 lit. a Transplantationsgesetz bei der urteilsunfähigen oder unmündigen Person nur zulässig, wenn sie lediglich minimale Risiken und Belastungen mit sich bringt. Bei der Knochenmarkspende bestehen die Nebenwirkungen und Risiken im Wesentlichen aus dem allgemeinen Narkoserisiko und dem Infektionsrisiko. Wundschmerzen werden meist nicht als gravierend empfunden. Die Risiken und Belastungen für die spendende Person sind also eher gering. Subsidiarität der Lebendspende Art. 13 Abs. 2 lit. b Transplantationsgesetz verlangt, dass die Empfängerin oder der Empfänger mit keiner anderen therapeutischen Methode von vergleichbarem Nutzen behandelt werden kann. Die septische Granulomatose kann medikamentös behandelt werden, allerdings lässt sich dadurch die Gefahr einer lebensbedrohlichen Infektion nicht beseitigen. Dies ist aktuell nur durch eine Knochenmarktransplantation möglich (und in Zukunft evtl. durch eine Genetherapie). Eine Therapie, welche den gleichen Nutzen wie die Knochenmarktransplantation hat, existiert also bis dato nicht. Subsidiarität der Gewebeentnahme bei Urteilsunfähigen Nach Art. 13 Abs. 2 lit. c Transplantationsgesetz darf eine geeignete urteilsfähige und mündige spendende Person nicht zur Verfügung stehen. Gemäss Sachverhalt sind die Heilungschancen dann am grössten, wenn die Spende von einem Geschwister mit identischen Gewebeeigenschaften stammt. Kevin hat keine urteilsfähigen und mündigen Geschwister, die als Spender in Frage kämen. Die Eltern sind als Spender ebenfalls nicht tauglich.

Familienmitglied als Gewebeempfänger Die Empfängerin oder der Empfänger muss ein Elternteil, ein Kind oder ein Geschwister der spendenden Person sein (Art. 13 Abs. 2 lit. d Transplantationsgesetz). I.c. ist die Gewebespende unter Geschwistern zu beurteilen. Art. 13 Abs. 2 lit. d ist erfüllt. Lebensrettende Spende Die Spende muss geeignet sein, das Leben der Empfängerin oder des Empfängers zu retten (Art. 13 Abs. 2 lit. e Transplantationsgesetz). Gemäss Sachverhalt beträgt Kevins Lebenserwartung ohne Transplantation 25 Jahre. Mit 90-prozentiger Sicherheit kann die Krankheit durch die geplante Knochenmarktransplantation geheilt werden. Insofern ist die Transplantation lebensrettend. Fazit Bilanzierend kann festgehalten werden, dass die Knochenmarkentnahme bei Kevins zukünftigem Geschwister mit dem geltenden Recht vereinbar ist. Zulässigkeit der Knochenmarkübertragung Die Zulässigkeit der Knochenmarkübertragung beurteilt sich nach allgemeinen Regeln. Die Operation, welche eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung i.s.v. Art. 28 Abs. 1 ZGB darstellt, ist gerechtfertigt, wenn sie indiziert ist und die gesetzlichen Vertreter einwilligen. Die Indikation der Operation ist i.c. gegeben. Kevins Eltern werden voraussichtlich auch einwilligen. Die Knochenmarkübertragung wird also zulässig sein. Fazit Sowohl die geplante Knochenmarkentnahme als auch die geplante Knochenmarkübertragung sind mit dem geltenden Recht grundsätzlich vereinbar.

Aufgabe b Korrekturhinweis: Eine summarische Lösung genügt bzw. erhält die volle Punktzahl, da die Beurteilung anhand eines noch nicht in Kraft stehenden Regelwerks vorzunehmen ist. Änderung 1 Im Art. 5 lit. b E-FMedG wurde das Erfordernis gestrichen, dass die Gefahr einer schweren unheilbaren Krankheit durch das Fortpflanzungsverfahren abgewendet werden soll; eine schwere Krankheit genügt. Anders als im Fall 2 a scheitert die Anwendung eines Fortpflanzungsverfahrens deshalb sicher nicht daran, dass die septische Granulomatose grundsätzlich heilbar ist. Änderung 2 Die PID ist erlaubt, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen, welche im Art. 5a Abs. 2 E-FMedG umschrieben sind. Danach ist die Untersuchung des Erbguts von Embryonen in vitro und deren Auswahl nach ihrem Geschlecht oder nach anderen Eigenschaften nur zulässig, wenn: die Gefahr, dass sich ein Embryo mit der Veranlagung für eine schwere Krankheit in der Gebärmutter einnistet, anders nicht abgewendet werden kann (lit.a); es wahrscheinlich ist, dass die schwere Krankheit vor dem 50. Lebensjahr ausbrechen wird (lit.b); keine wirksame und zweckmässige Therapie zur Bekämpfung der schweren Krankheit zur Verfügung steht (lit.c); und das Paar gegenüber der Ärztin oder dem Arzt schriftlich geltend macht, dass ihm die Gefahr nach Buchstabe a nicht zumutbar ist (lit. d). I.c. werden die Voraussetzungen (Art. 5 Abs. 2 lit. a bis d) voraussichtlich erfüllt sein (a.m. insbesondere bezüglich lit. c vertretbar; Diskussion der einzelnen Voraussetzungen kann summarisch erfolgen). Ein Hinderungsgrund für die Zulässigkeit der PID könnte allerdings darin liegen, dass die PID nicht nur dazu dient zu verhindern, dass Kevins zukünftiges Geschwister an der septischen Granulomatose leidet, sondern darüber hinaus bewirken soll, dass der geplante Säugling optimale Spendereigenschaften aufweist. Die Kandidaten und Kandidatinnen können die Zulässigkeit der PID aufgrund dieses Punktes verneinen. Die Gegenmeinung ist ebenfalls vertretbar. Gesamtpunktzahl: 50 Punkte + Zusatzpunkte