Wolf-Dietrich Bukow/Klaus Jünschke Susanne Spindler/Ugur Tekin Ausgegrenzt, eingesperrt und abgeschoben

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Transkript:

Wolf-Dietrich Bukow/Klaus Jünschke Susanne Spindler/Ugur Tekin Ausgegrenzt, eingesperrt und abgeschoben

Interkulturelle Studien Herausgegeben von Georg Auernheimer Wolf-Dietrich Bukow Christoph Butterwegge Hans-Joachim Roth Erol Yildiz Band 14

Wolf-Dietrich Bukow/Klaus Jünschke Susanne Spindler/Ugur Tekin Ausgegrenzt, eingesperrt und abgeschoben Migration und Jugendkriminalität Leske + Budrich, Opladen 2003

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für die Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 978-3-8100-3596-7 ISBN 978-3-322-95007-9 (ebook) DOI 10.1007/978-3-322-95007-9 2003 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschlieblich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung au Berhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist oh ne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Inhalt Vorwort... 9 Wolf-Dietrich Bukow Einleitung: Ausgegrenzt, eingesperrt und abgeschoben. Plädoyer für einen Perspektivenwechsel............................. 15 Kapitel I: Jugendliche Migranten im städtischen AlItag.. 35 UgurTekin 1. Die Lebenssituation allochthoner Jugendlicher in Köln... 37 Klaus Jünschke 2. Zur Kriminalisierung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Köln................................. 50 Susanne Spindler 3. Name, Alter, Herkunft und andere Skandale. Die Rolle der Medien im Kriminalisierungsprozess............................ 71 Kapitel n: Lebensgeschichten... 89 Susanne Spindier und Ugur Tekin 1. Biographieforschung als Methode der Rekonstruktion und Deutung von Lebensgeschichten............................ 91 Susanne Spindler und Ugur Tekin 2. Abdul: Kein Platz zum Leben................................. 104 5

Klaus Jünschke 3. Iwan:,,In Deutschland - Knast ist eine Paradies"... 117 Susanne Spindier und Ugur Tekin 4. Adnan: Die Suche nach Zugehörigkeit... 134 Klaus Jünschke 5. Murat: "Unbewusst hab' ich das gemacht"... 147 Susanne Spindier und Ugur Tekin 6. Hüseyin: Vom Leben in totalen Institutionen..................... 165 Susanne Spindier und Ugur Tekin 7. Ömür: Der Körper als Schlachtfeld............................ 179 Klaus Jünschke, Susanne Spindier und Ugur Tekin 8. Kurzbiographien weiterer Interviewter... 198 Kapitel ill: Querschnittfragen aus den Biographien... 213 Susanne Spindier und Ugur Tekin 1. Flüchten und sitzen bleiben: Jugendliche im Migrationskontext... 215 Susanne Spindier und Ugur Tekin 2. Wie man zum Türken wird: Fremd- und Selbstethnisierung in der totalen Institution... 238 Susanne Spindier 3. Boxer und underdogs: Männlichkeit als situative Ressource... 259 Christine Weyh 4. Die Brillen der ExpertInnen... 277 6

Kapitel IV: Abbau der Überrepräsentation... 291 Wolf-Dietrich Bukow 1. Wege zu einer konstruktivistischen Prävention... 293 UgurTekin 2. Die gesellschaftspolitische Dimension: Vom,,Ausländer" zum Bürger... 307 Susanne SpindIer 3. Der Bildungsprozess: Vom "ausländischen Jugendlichen" zum Schüler... 313 Klaus Jünschke und Susanne SpindIer 4. Der Bereich der sozialen Hilfe und Kontrolle: Vom Problemträger zum Jugendlichen 322 Klaus Jünschke und Susanne SpindIer 5. Die Krisenarrangements der Jugendlichen: Vom Mythos zum angemessenen Zugang... 340 Literatur... 359 Verzeichnis der Abkürzungen... 375 7

Vorwort.Ausgegrenzt. eingesperrt. abgeschoben" - der Titel bezeichnet die Etappen in den Jugendbiographien. die in diesem Buch herausgearbeitet werden. Die Lebensläufe der Jugendlichen sind geprägt von gesellschaftlichen Strukturen. in denen sie von Anfang an als unerwünscht behandelt werden. Durch die Abschiebung wird ihre Marginalisierung in vielen Fällen zum logischen Ende gebracht - in Form einer endgültigen Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Der Positionierungsprozess dieser Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist das Ergebnis einer.. Sonderbehandlung" durch die relevanten gesellschaftlichen Repräsentanten sozialer und strafrechtlicher Kontrolle. Auch die Medien leisten ihren Beitrag dazu. wenn sie mit ihren Meldungen über die Zunahme der Jugendkriminalität. insbesondere von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. ein beunruhigendes Bild schaffen. Befasst man sich mit dem Thema genauer. so wird bald deutlich. dass wir es eigentlich mit drei.,problemkreisen" zu tun haben. die hier in Szene gesetzt werden: Erstens sind es die.ausländer". die unser Zusammenleben bedrohen. Zweitens sind es die.,kriminellen". die unsere Sicherheit gefáhrden. Und drittens sind es die.jugendlichen". die zunehmend orientierungsloser und gewalttätiger erscheinen und damit die Zukunft der Gesellschaft in Frage stellen. Hier wird ein sehr dichtes und wirkungsvolles Szenarium aufgebaut. in dem sich unterschiedlich gelagerte Ängste der Bevölkerung miteinander verbinden und gegenseitig hochschaukeln. Was daraus entsteht. ist eine in aller Öffentlichkeit verbreitete Vorstellung von diesen Jugendlichen als Bedrohung. die eine beträchtliche gesamtgesellschaftliche Relevanz und Reichweite erlangt. Sie wirkt in den politischen genauso wie in den akademischen Bereich hinein und bestimmt oft genug das Alltagsbewusstsein der Bevölkerung. Bei näherer Betrachtung entstehen vielen Beobachtem - nicht nur Wissenschaftlem. auch engagierten Praktikem und durchaus auch politischen Akteuren - immer wieder Zweifel am Bild des.kriminellen Ausländers". Dabei geht es nicht nur urn die unterstellte Datenlage. also die Aussagekraft der Kriminalstatistiken. Es geht auch darum, ob die Überrepräsentation allochthoner Jugendlicher wirklich die zentrale Ursache der skizzierten Ängste. oder nicht zu einem 9

groben Teil ein Ergebnis dieser Ängste ist. In der Sozialforschung gibt es dafiir seit langem einen Begriff, nämlich das Thomas-Theorem. Es besagt eigentlich nur, dass die Definition einer Situation die Kraft hat, diese Situation genau im definierten Sinn herzustellen. Kann es nicht sein, dass man hier auf etwas setzt, was wir alle aus der Alltagspraxis so gut kennen, nämlich einen Sündenbock zu defmieren? Die Pointe ist dabei freilich, dass genau das Ereignis, dass den Bock zum Sündenträger macht, ihn auch zum Sünder macht. Als Beobachter gewinnt man den Eindruck, dass die spezifischen Schwierigkeiten, in die allochthone Jugendliche - also Jugendliche mit Migrationshintergrund - geraten können, hochgespielt, übertrieben, einseitig gedeutet und dann auch noch sehr wirkungsvoll vermarktet werden. Offenbar sind sie gut als Aufhänger tur die Bearbeitung ganz anderer gesellschaftlicher Probleme geeignet. Es ist sicher nicht ganz falsch zu vermuten, dass das Thema auch deshalb in dieser Weise hochkommt, weil man darnit von den Herausforderungen, Problemen und Gefáhrdungen der modernen Risikogesellschaft und einer zunehmend hilflosen Risikopolitik ablenken kann. Aber man entzieht sich nicht nur und bleibt selber unbeschadet, sondern man gefáhrdet darnit die Gesellschaft, und zwar als Ganzes. Neoliberale Beschwörer können weiter erfolglos agieren, statt den eigentlichen Herausforderungen zu begegnen. Man gefáhrdet die allochthonen Jugendlichen selbst, weil man sie in ihren Schwierigkeiten nicht ernst nimmt, sondern nach Sündenbocklogik durchs Dorf treibt und abschiebt. Als wissenschaftlicher Beobachter kann man sich in die hier nur angedeutete Diskussion an ganz unterschiedlichen Stellen einklinken. Wir haben uns in einem über insgesamt fiinf Jahre dauernden Forschungsprojekt auf die Überrepräsentation allochthoner Jugendlicher in Untersuchungshaft und im Strafvollzug konzentriert. Das Ziel ist es gewesen, die Kriminalitätskarrieren allochthoner Jugendlicher, Ursachen und Folgen fiir deren Überrepräsentation in Haft und zugleich mögliche GegenmaBnahrnen herauszuarbeiten. Dieses Forschungsvorhaben wurde von MitarbeiterInnen der Forschungsstelle tur interkulturelle Studien (FiSt) realisiert und drei Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefórdert. Ohne diese Unterstützung wäre eine Bearbeitung der Genese der Überrepräsentation von Kriminalitätskarrieren allochthoner Jugendlicher nicht möglich gewesen. Wir legen hier den Kern unserer Untersuchungen vor. Wir möchten dabei nicht nur die Ergebnisse mitteilen, sondern den Forschungsprozess in seinen drei zeitlich aufeinander folgenden Untersuchungsschritten dokumentieren: lm ers ten Teil dieses Buches wird zunächst untersucht, inwiefern allochthone Jugendliche bei Kriminalitätskarrieren überrepräsentiert sind. Dabei kommt es uns darauf an, die Lebenssituation von MigrantInnen in Köln allgemein und im Besonderen die der Jugendlichen zu beleuchten. Dazu werden 10

auch kriminalstatistische Aspekte in einer Sekundäranalyse ausgewertet. Eine exemplarische Untersuchung zu der medialen Aufbereitung des Themas,,Ausländer- und Jugendkriminalität" schliebt sich an. Mit diesem Teil möchten wir die relevant werdenden Inldusions- oder Exklusionsprozesse (Teilnahme an bzw. Ausschluss von relevanten sozialen Figurationen) allochthoner Jugendlicher - und zwar je nach dem Stand der jugendlichen Karriere - durch Diskurse und in Institutionen transparent machen. Im zweiten Kapitel wird die Lage der Jugendlichen rekonstruiert und die Entwicklungspotenziale der Betroffenen in ihrer alltäglichen Lebenssituation herausgearbeitet. Es war uns dabei wichtig, dass die Jugendlichen selbst zu Wort kommen. Wir wollten wissen, wie sie ihre Lage deuten. Die wichtigste Sozialforschungsmethode war das narrative Interview. In den Jugendvollzugsanstalten Köln-Ossendorf, Heinsberg und Siegburg haben wir mit 23 inhaftierten Jugendlichen und Heranwachsenden Interviews durchgefuhrt; mit dieser Zahl haben wir faktisch alle einschlägigen Personen mit Migrationshintergrund aus dem Raum Köln im Untersuchungszeitraum berücksichtigt. Sechs dieser Biographien werden hier exemplarisch rekonstruiert und systematisch analysiert, urn Situationen und Interaktionen herauszuarbeiten, die fur kriminelle Karrieren von Bedeutung sind. Die anderen 17 Interviewten erscheinen nur mit kurzen biographischen Daten. Im dritten Kapitel werden die Befimde systematisiert und quer durch verschiedene Biographien mit Hilfe theoretischer Konzepte ausgewertet. Hier wechselt die Perspektive: Jetzt stehen Problernfelder im Vordergrund. Dennoch bleibt die Ausgangsfrage leitend, weil genau die Problernfelder ausgewählt werden, die in den einzelnen Lebensläufen entscheidend waren. Die kriminellen Karrieren der Jugendlichen verdeutlichen schnell, welche sozialen Felder Relevanz besitzen, d.h. zum Problem werden, beispielsweise wenn sie die Kriminalisierungsprozesse auslösen oder zumindest verstärken. Die Institutionen strafrechtlicher Kontrolle werden dabei besonders wichtig, weil sie ZUID Teil sogar mehrfach einwirken, wenn sie zur Etikettierung im Sinne von Kriminalisierung und Ethnisierung beitragen. Neben anderen Feldern hat sich auch die Geschlechtsproblematik als wichtig erwiesen. Dabei geht es darum, wie die Jugendlichen im Rahmen ihrer Kriminalitätskarriere viele ihrer Aktivitäten auf das "doing gender" fokussieren. Der letzte Beitrag in diesem Kapitel befasst sich mit Positionen von MitarbeiterInnen aus Jugendhilfe und Strafrechtspflege. Im vierten Kapitel werden die Weichenstellungen diskutiert, die speziell fur den Weg der Jugendlichen ins Gefángnis relevant wurden. Diese Weichenstellungen sind zugleich entscheidend fur die Überlegung, was hier interventiv oder gar präventiv getan werden kann. 11

Vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Überlegungen verbietet sich hier ein normativer Ansatz, wie er sich heute zunehmend zum Beispiel in der kommunalen Prävention durchzusetzen scheint. Er ist, wie das zuletzt erst wieder Michael Walter betont (2001b: 111), ideologieverdächtig und setzt - was bei allochthonen Jugendlichen besonders nahe liegt - Differenz mit Devianz gleich. Hier kommt es entsprechend der eingangs markierten Position darauf an, die problematischen Konstellationen, je nach der biographischen Phase innerhalb der Kriminalitätskarriere, aufzuhellen und einen Beitrag zu einer,,konstruktiven", nämlich an den Kompetenzen und Möglichkeiten des Einzelnen orientierten Prävention zu leis ten. Wir orientieren uns an dem konstruktivistischen Paradigma. Nur so lässt sich wohlletztlich die Überrepräsentation allochthoner Jugendlicher in Untersuchungshaft und im Strafvollzug beenden. Die Arbeit liefert kein geschlossenes Konzept. Hätte es die Möglichkeit gegeben, das Projekt breiter und längerfristiger anzulegen, wäre an manchen Stellen sicherlich mehr Präzision möglich gewesen. Aber das war auch nicht das Ziel der Untemehmung. Hauptziel war es, die Aufmerksamkeit auf eine andere Sicht der Dinge zu lenken, wirklich mit allem N achdruck Abschied von der Sündenbockstrategie zu nehmen.und.für eine konstruktivistische Sichtder Dinge zu plädieren, bei der die beteiligten Menschen,,konstruktiv" miteinafider umgehen können. Dies ist auch der Augenblick, sich fur die Unterstützung durch die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates des Projektes zu bedanken, bei Emine Akyiiz, Ursula Boos-Nünning und Faruk ~en. Ganz besonders gilt unser Dank den TeilnehmerInnen zweier Workshops des Projektes und hier vor allem Fritz Sack, Michael Walter, Gabriele Kawamura-Reindl und Klaus Riekenbrauk. Mit Rat, Tat und Kritik haben uns auch Dirk Halm und Mechthild Bereswill geholfen. Die Einbindung des Projektes in die Forschungsstelle fur interkulturelle Studien (FiSt) gewährleistete eine kontinuierliche Diskussion. Stellvertretend fur alle seien hier Georg Auernheimer, Christoph Butterwegge und Brunhilde Sauer-Burghard genannt. Au13erdem gab es eine unermüdliche Unterstützung durch Christine Weyh und Sonja Schwarzenbacher. Am meisten bleibt jedoch den Jugendlichen in Haft zu danken. Fast alle Jugendlichen, die wir angesprochen haben, haben unser Vorhaben schnell verstanden und unterstützt. Sie waren bereit, uns ihre in der Regel schwierigen und quälenden Lebensgeschichten zu berichten. Natürlich war das auch nicht ohne offizielle Unterstützung möglich. Es gab eine gute Zusammenarbeit mit den örtlichen involvierten lnitiativen und öffentlichen Institutionen der Jugendhilfe und der Straffálligenhilfe; hier danken wir besonders denjenigen MitarbeiterInnen, die sich uns fur Interviews zur Verfugung gestellt haben. Bedanken möchten wir uns auch beim Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, besonders bei Wolfgang 12

Wirth von der Arbeitsgruppe Kriminologischer Dienst fiir die Genehmigung der Durchführung der Interviews in den Justizvollzugsanstalten. Für ihre freundliche Unterstützung geht unser Dank schlie8lich an die Leiter und Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalten Köln, Siegburg und Heinsberg. Die Vorarbeiten fiir das Projekt wurden vor allem von Sebastian Trautmann ge1eistet. Wenn das Projekt jetzt in dieser schriftlichen Form vorliegt, so hat das auch damit zu tun, dass zwei ProjektmitarbeiterInnen, nämlich Susanne Spind Ier und U gur Tekin, noch ein weiteres J ahr selbstlos die Arbeit am Material fortgesetzt haben. Wolf-Dietrich Bukow 13