Europäische Wirtschaftspolitik: Was läuft falsch? Prof. Dr. Sebastian Dullien Konferenz Neue Wirtschaftspolitik in der EU: Wohlstand für Wen? 28. Juni 2011, Wien
Programm 1. Die Euro-Krise: Mehr als eine Schuldenkrise 2. Wie konnte es soweit kommen? 3. Wie kann man solche Krisen künftig verhindern? 4. Vorschläge der EU-Kommission vs. der gute Kapitalismus 5. Schlussfolgerung 2 / 33
Ursachen der Euro-Krise (I) Öffentliche Debatte in Deutschland: Schlendrian in Südstaaten Staaten haben zu viel ausgegeben Regierungen haben keine Steuern eingetrieben Hans-Werner Sinn (ifo-institut): Party am Mittelmeer Staatsversagen 3 / 33
Ursachen der Euro-Krise (II) Tatsächlich: Nur in Einzelfällen finanzpolitischen Schlendrian (v.a. in Griechenland) Ansonsten: Ungleichgewichte in Europa! Spanien, Irland, Portugal: Wachstumseinbruch nach Finanzkrise 2008/9 Euro-Krise muss im Zusammenhang mit der globalen Krrise 2008/9 gesehen werden Ursachen sind daher auch ähnlich jener der Krise 2008/9 Marktversagen 4 / 33
Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/9 und die Euro-Krise Zusammenspiel von Auseinanderlaufenden Nachfragetrends (oft Kreditgetrieben) USA/UK/Spanien vs. China/Deutschland/Japan Spanien/Irland/Portugal vs. Deutschland/Niederlande/Österreich Nicht rationalen Finanzmärkten und schlechter Finanzmarktregulierung Haben Ungleichgewichte lange finanziert 5 / 33
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Was ist in den Südländern passiert? (I) Über Jahre nach Beginn der Währungsunion: Nominallöhne sind viel stärker gestiegen als im Schnitt der Euro-Zone (bei niedriger Produktivität) Inflation lag deshalb höher Realzins lag niedriger Investitionen wurden angekurbelt, vor allem im Wohnungsbau Konsum (vor allem auf Kredit) legte kräftig zu Kurzfristig wurde so das Wachstum angekurbelt 8 / 33
Was ist in den Südländern passiert? (II) Aber: Länder haben Wettbewerbsfähigkeit verloren und die Leistungsbilanzdefizite sind in die Höhe geschossen Verschuldung von Privatsektor ist stark gestiegen Gesamtwirtschaftliche Auslandsverschuldung ist stark gestiegen Mit dem Ende des Baubooms haben sich die Länder in einer tiefen Krise wiedergefunden Steuereinnahmen sind weggebrochen 9 / 33
Was ist in den Südländern passiert? (III) Zudem: Krise hat Banken in Mitleidenschaft gezogen Regierungen sahen sich zu Bank- Rettungspaketen gezwungen Ergebnis: Weitere Belastungen für Staatshaushalte 10 / 33
Bauboom in Spanien: Bauinvestitionen in % des BIP 11 / 33
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Wie konnte es zu den Ungleichgewichten kommen (I)? Völlig unkoordinierte Wirtschaftspolitik in der Euro-Zone von 2000 bis 2008 Extreme Lohnzurückhaltung in Deutschland (gefolgt von Niederlanden; Österreich) Harte Austeritätspolitik in Deutschland Übertrieben Lohnabschlüsse in Griechenland, Portugal, Spanien und Irland Staaten haben dort Sondereinnahmen aus dem Boom ausgegeben (mit Einverständnis der EU) EU-Strukturfonds haben in Spanien Boom angeheizt 14 / 33
Wie konnte es zu den Ungleichgewichten kommen (II)? Finanzmärkte haben Blase finanziert Kurzsichtige Finanzmärkte haben Ungleichgewichte nicht bemerkt Banken haben Gelder in spanische und irische Immobilienprojekte gepumpt Irlands Banken haben sich in großem Stil auch im Ausland engagiert Schuldner waren im Boom in Spanien und Irland bereit, hohe Zinsen zu zahlen 15 / 33
Warum sind Irland, Portugal und Spanien unter Druck der Finanzmärkte? Irland, Portugal, Spanien: Schuldenstände sind nicht übermäßig hoch Realistische Szenarien zur mittelfristigen Schuldbedienung Aber: Finanzmärkte misstrauen Ländern Renditen steigen Gefahr einer selbst-erfüllenden Finanzkrise! Eigentlich nur Liquiditätsproblem!!! 16 / 33
Aktuelle Herausforderungen an die EU- Wirtschaftspolitik 1. Solvenzproblem in Griechenland lösen 2. Verhindern, dass Marktstimmung andere Länder in Solvenzprobleme bringt (Liquiditätsprobleme lösen) 3. Verhindern, dass Ungleichgewichte wie in Spanien und Irland erneut entstehen 17 / 33
Was sich ändern muss: Grundsätzliches (I) Gefährliche Verschuldungstrends müssen begrenzt werden Von Sektoren (z.b. spanischen Haushalten) Von Ländern (Spanien, Portugal etc.) Konsequenz: Es sollte möglichst global (und damit zumindest innerhalb der EU) in jedem Land ein stabiles Nachfragewachstum geben, dass durch echte Einkommenszuwächse gespeist ist Also: Nominallöhne sollten möglichst überall mit Rate des Produktivitäszuwachses plus Zielinflation steigen 18 / 33
Was sich ändern muss: Grundsätzliches (II) Erfahrungen der Krise Finanzmärkte sind oft nicht rational Finanzmärkte können krisenverschärfend wirken Die Rolle der Finanzmärkte bei grundlegenden wirtschaftlichen Entscheidungen sollte zurückgedrängt werden Shareholder-Value als Steuerungselement Kapitaldeckung in Rentenversicherung Vertrauen auf marktbestimmten Wechselkurs 19 / 33
Was sich ändern muss: Kurzzusammenfassung Die Balance zwischen Markt und Staat muss neu überdacht werden! 20 / 33
Was zu tun ist: Die Blaupause 21 / 33
Was dafür zu tun ist: Die vier Politiksäulen Der gute Kapitalismus Säule I Säule II Säule III Säule IV Die Banken und das Finanzsystem Die öffentliche n Haushalte Die Löhne und der Arbeitsmarkt Internationale Koordinierung 22 / 33
Säule I: Banken und Finanzmarkt Regulierung aller Finanzinstitute und Produkte Finanz-TÜV analog Arzneimittelzulassung Striktere Eigenkapitalregeln Antizyklische Regeln für Finanzstandards (z.b. Eigenkapital) + neue Instrumente für Zentralbank Europäische Bankenaufsicht mit erweiterten Kompetenzen Verbot von Geschäften mit Offshore-Zentren Clearingstelle für Derivate und Verbot von OTC- Geschäften 23 / 33
Säule II: Löhne und Arbeitsmarkt Orientierung der Lohnentwicklung an gesamtwirtschaftlicher Produktivität plus Zielinflation Europäische Mindestlöhne: 60 Prozent des nationalen Durchschnittslohns; Mindestlohnkommission Förderung Europäischer Gewerkschaften + Arbeitgeber Einführung eines einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland Stärkung des Flächentarifs: Allgemeinverbindlichkeitserklärungen und Zwangsmitgliedschaft der Unternehmen in Arbeitgeberverbänden 24 / 33
Säule III: Öffentliche Haushalte Einführung europäischer Mindeststeuersätze für Unternehmen Verhindern von Steuerflucht: Nationalitätenprinzip Stärkere Zentralisierung der Finanzpolitik auf europäischer Ebene Stärkere Besteuerung hoher Einkommen, Erbschaften und Vermögen Einbindung aller Einkommensbezieher in die gesetzliche Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung 25 / 33
Säule IV: Internationale Kooperation Auf europäischer Ebene: Stärkung der makroökonomischen Koordination Gemeinsame Elemente der regionalen Stabilisierung (etwa europäische Arbeitslosenversicherung) Einführung eines internationalen Schuldengerichtshofs für Staaten Außerhalb der Euro-Zone: Rückkehr zu stabileren Wechselkursen mit klaren Regeln zu Anpassungen bei Leistungsbilanzungleichgewichten 26 / 33
Was sieht die EU-Strategie vor? Verschärfter Stabilitätspakt Schnellere und einfachere Strafen Europäisches Semester Frühe Meldung von Haushaltsplänen Pakt zur Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte Scoreboard überwacht Vielzahl von Variablen wie Hauspreise, realer Wechselkurs, Leistungsbilanzsalden Europa 2020-Paket Langfristige Wachstumskräfte stärken 27 / 33
Reicht die EU-Strategie? Zentrale Frage: Hätten die Reformen die aktuelle Krise und vor allem das Entstehen der Ungleichgewichte verhindert? 28 / 33
Hätten die Reformen die aktuelle Krise verhindert? (I) Verschärfter Stabilitätspakt + Europäisches Semester: Hätten vielleicht Griechenland verhindern können (ist aber nicht sicher) Hätten Probleme in Spanien, Irland und Portugal nicht verhindert! 29 / 33
Hätten die Reformen die aktuelle Krise verhindert? (II) Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte: Sind im Prinzip eine gute Idee Scoreboard-Ansatz hat Idee aber so verwässert, dass diese Reform im Zweifel zu nichts führt Vor allem Deutschland legt Wert darauf, dass Leistungsbilanz-Überschüsse nicht sanktioniert werden 30 / 33
Was ist mit den Europa 2020-Zielen? Lobenswerte Ziele: Beschäftigung Forschung, Entwicklung & Innovation Klimawandel & Energie Bildung Armut und soziale Ausgrenzen Problem: Keine Instrumente zur Zielerreichung Priorität der Politik liegt woanders 31 / 33
Was läuft also falsch? Politik vernachlässigt Vermeidung künftiger Ungleichgewichte als Krisenursache Fokus auf Problem unsoliden Haushaltens Weitgehende Vernachlässigung des Problems der Europäischen Ungleichgewichte Soziale und ökologische Komponente für eine wohlstandsfördernde Wirtschaftspolitik wird gänzlich vernachlässigt 32 / 33
HERZLICHEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT! 33 / 33
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