Leitfaden Schutz Kritischer Infrastrukturen



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AKH-DER-P-5.3. Gültig ab: Version:1.0.1 Seite 1 von 5

Transkript:

Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS Leitfaden Schutz Kritischer Infrastrukturen Entwurf vom 21. Februar 2014 1/62

Impressum Herausgeber Bundesamt für Bevölkerungsschutz Monbijoustrasse 51a 3003 Bern Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz dankt für allfällige Anregungen und Rückmeldungen. Sie erreichen uns über die E-Mail-Adresse ski@babs.admin.ch Weitere Informationen zum Programm Schutz Kritischer Infrastrukturen finden Sie auf unserer Website www.infraprotection.ch Ausgabe Konsultationsversion, 21. Februar 2014 Disclaimer Der Leitfaden basiert auf gängigen Normen und Standards im Bereich Risiko-, Notfall-, Krisen- und Kontinuitätsmanagement und führt diese zu einem integralen Ansatz zum Schutz Kritischer Infrastrukturen zusammen. Die Empfehlungen entsprechen dem Stand der Kenntnisse zum Zeitpunkt der Erstellung des Dokuments. Sie können aufgrund künftiger Entwicklungen überholt sein, ohne dass das Dokument in der Zwischenzeit geändert wurde. Der Leitfaden ist seitens des Bundesamts für Bevölkerungsschutz BABS rechtlich nicht bindend. Obwohl das BABS mit aller Sorgfalt auf die Richtigkeit veröffentlichter Informationen achtet, kann hinsichtlich der inhaltlichen Aktualität und Vollständigkeit dieses Dokumentes keine Gewährleistung übernommen werden. Haftungsansprüche wegen Schäden materieller und immaterieller Art durch die Nutzung bzw. Nichtnutzung der veröffentlichten Informationen werden ausgeschlossen. 2/62

Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung... 5 1 Einleitung... 6 1.1 Ausgangslage... 6 1.2 Leitfaden SKI... 7 2 Voraussetzungen... 9 2.1 Nahtstellen mit etablierten Managementsystemen... 9 2.2 Der Ansatz des Leitfadens... 10 2.3 Rollen und Zusammenarbeit... 11 3 Integraler Schutz von Kritischen Infrastrukturen... 12 3.1 Vorbereitung... 13 3.1.1 Unterstützung der Leitungsebene und Auftragserteilung... 13 3.1.2 Zusammenstellung und Rolle der Arbeitsgruppe... 14 3.1.3 Erfassung von bestehenden Arbeiten... 14 3.2 Analyse... 15 3.2.1 Identifikation der kritischen Prozesse... 15 3.2.2 Identifikation der massgebenden Ressourcen und Verwundbarkeiten... 16 3.2.3 Bewertung der Risiken... 16 3.2.4 Erstellung eines Analyse-Berichts... 21 3.3 Schutzziele... 22 3.3.1 Erarbeitung von Schutzzielen bei Kritischen Infrastrukturen... 23 3.4 (Schutz-)Massnahmen... 26 3.4.1 Zusammentragen von möglichen Massnahmen... 26 3.4.2 Ermittlung eines optimalen Massnahmenpakets... 28 3.4.3 Ermittlung der verbleibenden Risiken... 28 3.4.4 Erstellung eines Gesamtberichts... 29 3.4.5 Verabschiedung der Massnahmen... 29 3.5 Umsetzung der Massnahmen... 30 3.6 Monitoring. Überprüfung und Verbesserung der Massnahmen... 31 3.6.1 Übungen/Tests... 31 3.6.2 Pflege des SKI-Prozesses... 31 3.6.3 Überprüfung... 31 Abkürzungsverzeichnis... 33 Abbildungsverzeichnis... 33 Tabellenverzeichnis... 33 Begriffserläuterungen... 34 Anhang 1 Methodische Grundlagen... 40 Anhang 2 Schadensindikatoren... 43 Anh 2.1 Todesopfer... 43 Anh 2.2 Verletzte/Kranke... 43 3/62

Anh 2.3 Unterstützungsbedürftige... 44 Anh 2.4 Geschädigte Ökosysteme... 44 Anh 2.5 Vermögensschäden und Bewältigungskosten... 45 Anh 2.6 Reduktion der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit... 45 Anh 2.7 Versorgungsengpässe und -unterbrüche... 46 Anh 2.8 Einschränkungen von Ordnung und innerer Sicherheit... 46 Anh 2.9 Geschädigtes Ansehen... 47 Anh 2.10 Vertrauensverlust in Staat/Institutionen... 47 Anh 2.11 Einschränkung der territorialen Integrität... 48 Anh 2.12 Schädigung und Verlust von Kulturgütern... 48 Anhang 3 Beurteilung Wahrscheinlichkeit/Plausibilität... 49 Anhang 4 Grenzkosten und Aversionsfaktor... 51 Anh 4.1 Vorschläge für Grenzkosten... 51 Anh 4.2 Vorschläge für Aversionsfunktionen... 52 Anhang 5 Beispiele für Schutzmassnahmen... 54 Anh 5.1 Beispiele baulich-technischer Massnahmen... 54 Anh 5.2 Beispiele organisatorisch-administrativer Massnahmen... 55 Anh 5.3 Beispiele personeller Massnahmen... 56 Anh 5.4 Beispiele organisatorisch-juristischer Massnahmen... 56 Anh 5.5 Beispiele von Massnahmen zur Sicherstellung der Kontinuität... 57 Anhang 6 Integrales Schutzkonzept. Vorschlag Struktur eines Gesamtberichts... 59 Anhang 7 Kritische Sektoren und Teilsektoren... 60 Anhang 8 Koordinierende Bundesstellen... 61 Abkürzungen zuständige Bundesstellen... 62 4/62

Zusammenfassung Kritische Infrastrukturen stellen die Verfügbarkeit von wichtigen Gütern und Dienstleistungen wie Energie, Verkehr oder Kommunikation sicher. Schwerwiegende Ausfälle, etwa der Stromversorgung, des Schienenverkehrs oder der Telekommunikation, können gravierende Folgen für die Gesellschaft und die Wirtschaft in der Schweiz nach sich ziehen. Im Juni 2012 hat der Bundesrat eine nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (SKI) verabschiedet. Der vorliegende Leitfaden stellt ein zentrales Instrument zur Umsetzung dieser Strategie dar. Der Leitfaden dient als Hilfsmittel, um die Resilienz (Widerstandsfähigkeit) 1 der Kritischen Infrastrukturen zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern, indem schwerwiegende Ausfälle nach Möglichkeit verhindert respektive im Ereignisfall die Ausfallzeit reduziert werden. Der Leitfaden soll überdies zu einem verbesserten Umgang mit und Verständnis der zu erwartenden Risiken beitragen. Methodisch orientiert sich der Leitfaden an gängigen und etablierten Konzepten des Risiko-, Krisen- und Kontinuitätsmanagements und kombiniert verschiedene Elemente dieser Ansätze im Sinne eines integralen Schutzes. Der Leitfaden baut auf entsprechenden Planungen und Arbeiten auf, die auf Ebene der Unternehmen vielerorts bereits existieren. Während dem diese in der Regel auf betriebliche Risiken fokussieren, stehen im SKI-Leitfaden die Auswirkungen von Funktionsausfällen der kritischen Infrastrukturen auf die Bevölkerung und ihre (wirtschaftlichen) Lebensgrundlagen im Vordergrund. Mit dem Leitfaden sollen keine unverhältnismässigen Regulationstätigkeiten oder Auflagen hinsichtlich Schutzmassnahmen ausgelöst initiiert werden. Stattdessen soll der Leitfaden dabei behilflich sein, das bestehende Schutzniveau zu überprüfen und allfällige Lücken zu identifizieren. Der Leitfaden verfolgt einen risikobasierten Ansatz, der gewährleistet, dass die Kosten von allenfalls zusätzlich notwendigen Massnahmen in einem positiven Verhältnis zu deren Nutzen stehen. Weiter soll mit dem Ansatz verhindert werden, dass es zu Ungleichbehandlungen oder Marktverzerrungen innerhalb der einzelnen Branchen kommt. Die Umsetzung des SKI-Leitfadens erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen den Betreibern der Kritischen Infrastrukturen und den jeweiligen Fach-, Aufsichts- und Regulationsbehörden. Diese sind dafür verantwortlich, in den entsprechenden Bereichen die Rahmenbedingungen für das Funktionieren der kritischen Infrastrukturen zu gestalten. In diesem Kontext wird auch die Umsetzung und Finanzierung der unter Umständen notwendigen, zusätzlichen Schutzmassnahmen zu klären sein. Es ist indes für die Betreiber auch möglich, den Leitfaden in Eigenverantwortung umzusetzen. Damit kann überprüft werden, ob allenfalls Risiken in Bezug auf gesellschaftlich und wirtschaftlich gravierende Ausfälle bestehen, die nicht zuletzt auch eine existenzielle Gefahr für den Fortbestand des Unternehmens darstellen könnten. 1 Für diesen Leitfaden zentrale Begriffe werden im Kapitel Begriffserläuterungen erläutert. 5/62

1 Einleitung 1.1 Ausgangslage Kritische Infrastrukturen Kritische Infrastrukturen 2 (KI) stellen die Verfügbarkeit von wichtigen Gütern und Dienstleistungen wie Energie, Kommunikation oder Verkehr sicher. Störungen, Ausfälle oder die Zerstörung von Kritischen Infrastrukturen können schwerwiegende Auswirkungen auf die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen haben. Die Kritischen Infrastrukturen werden in sogenannte Sektoren und Teilsektoren unterteilt (z.b. Stromversorgung, Erdölversorgung und Erdgasversorgung im Sektor Energie). 3 Innerhalb der Teilsektoren sind grundsätzlich sämtliche Elemente oder Objekte (z.b. Betreiberfirmen, Anlagen, Systeme usw.) als Bestandteil der Kritischen Infrastrukturen zu betrachten, wobei sich die Bedeutung (oder Kritikalität) selbstverständlich unterscheidet. 4 Einbettung in die nationale SKI-Strategie Am 27. Juni 2012 hat der Bundesrat die nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (SKI) verabschiedet und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS mit der Koordination der Arbeiten beauftragt. 5 Die nationale SKI-Strategie hält die übergeordneten Grundsätze, Definitionen, Ziele und Massnahmen für einen umfassenden Schutz der Schweiz im Hinblick auf Kritische Infrastrukturen fest. Sie dient allen involvierten Stellen auf den Ebenen Bund, Kantone, Gemeinden und KI-Betreiber als Bezugsrahmen für ihre spezifischen Arbeiten im SKI-Bereich. Die Strategie bezeichnet insgesamt 15 Massnahmen, wovon sich 14 mit bereichsübergreifenden Themen beschäftigen, unter anderem etwa die Führung eines periodisch aktualisierten Inventars der Kritischen Infrastrukturen (SKI-Inventar). Weitere Massnahmen betreffen beispielsweise die Gewährleistung einer frühzeitigen Warnung und einer wirkungsvollen, subsidiären Unterstützung im Ereignisfall. Mit Massnahme M15 hat der Bundesrat sodann die zuständigen Fachbehörden und Betreiber beauftragt, in ihrem Zuständigkeitsgebiet die Resilienz der Kritischen Infrastrukturen zu überprüfen und bei Bedarf zu verbessern. Der vorliegende Leitfaden stellt ein entsprechendes Hilfsmittel dar und zeigt auf, welche Punkte dabei zu berücksichtigen sind und wie vorzugehen ist. Vorarbeiten In verschiedenen Teilsektoren der Kritischen Infrastrukturen existieren bereits einzelne Schutzplanungen für spezifische Bereiche. Jedoch beziehen sich diese in der Regel auf einzelne Gefährdungen oder einzelne Gegenmassnahmen (z.b. Versorgungssicherheit). Bis heute fehlte jedoch ein ausführlicher und vergleichbarer Ansatz, um den umfassenden Schutz der Kritischen Infrastrukturen zu gewährleisten. Der vorliegende Leitfaden berücksichtigt sowohl ein umfassendes Gefährdungsspektrum wie auch ein umfassendes Massnahmenspektrum. Letzteres beinhaltet bauliche, technische und organisatorische Massnahmen, um Ausfälle zu verhindern oder im Ereignisfall die Ausfallzeit zu reduzieren (inkl. Ereignisbewältigung und Kontinuitätsmanagement (Business Continuity 2 Für eine ausführliche Begriffserklärung siehe Begriffserläuterungen. 3 Vgl. Anhang 7 Kritische Sektoren und Teilsektoren für einen Überblick. 4 Dementsprechend ist innerhalb der Teilsektoren keine Unterscheidung zwischen kritisch oder nicht kritisch möglich. Im Teilsektor Stromversorgung sind beispielsweise sämtliche rund 900 involvierte Unternehmen als KI-Betreiber zu betrachten, wobei die Bedeutung selbstverständlich unterschiedlich ist: Einige sind auf nationaler Ebene relevant, (viele) andere dagegen lediglich auf kommunaler oder lokaler Ebene. 5 Die Nationale Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen (BBl 2012 7715-7739) ist auf der Website des SKI-Programms www.infraprotection.ch verfügbar. 6/62

Management BCM)) und trägt somit zu einem umfassenden Schutz der Kritischen Infrastrukturen bei. 1.2 Leitfaden SKI Entstehungsgeschichte Der Leitfaden wurde in enger Zusammenarbeit mit der interdepartementalen Arbeitsgruppe Schutz Kritischer Infrastrukturen (AG SKI) 6, in welcher 26 Bundesstellen und zwei Kantone vertreten sind, ausgearbeitet. Der Leitfaden wurde während seiner Entstehung von einer Kerngruppe begleitet, die sich aus Experten in den Bereichen Risiko-, Notfall-, Krisen- und Kontinuitätsmanagement zusammensetzte. Im September 2011 fand zudem unter Mitwirkung der ETH Zürich ein Workshop statt, in dem der Leitfaden durch Experten in den oben genannten Bereichen sowie Vertretern aus der Privatwirtschaft, der Wissenschaft und Verbänden, getestet und evaluiert wurde. In den Jahren 2012 und 2013 wurde der Leitfaden in Zusammenarbeit mit je einem KI-Betreiber aus demselben Teilsektor zuerst an einem konkreten KI-Objekt überprüft und später über die wichtigsten Unternehmensprozesse während mehrerer Monate auf seine Praxistauglichkeit getestet. Im Frühling 2014 geht der Leitfaden zur fachlichen Konsultation an Fachverbände, KI-Betreiber und weitere interessierte Stellen. Ziel und Zweck Der vorliegende Leitfaden Schutz Kritischer Infrastrukturen stellt ein Instrument zur Überprüfung und gegebenenfalls Verbesserung der Resilienz der Kritischen Infrastrukturen dar. Insbesondere ist er konzipiert im Hinblick auf die Anwendung auf Ebene der kritischen Teilsektoren sowie auf Stufe Betrieb oder Objekte des SKI-Inventars 7. Der Leitfaden soll dazu beitragen, grossflächige und länger andauernde Störungen oder Ausfälle von KI zu verhindern und das Schadensausmass und die Ausfallzeit im Ereignisfall zu begrenzen. Der Leitfaden soll auch zu einem verbesserten Umgang mit und Verständnis von den zu erwartenden Risiken beitragen. Die Erkenntnisse, welche aus der im Leitfaden dargestellten Vorgehensweise gewonnen werden, sollen für die Planung/Anpassung von evtl. fehlenden/unzureichenden Schutzmassnahmen genutzt werden, sowie in den bestehenden betriebsinternen Strukturen des Risiko-, Notfall-, Krisen- und Kontinuitätsmanagements berücksichtigt werden. 6 Bundesstellen: Bundeskanzlei BK, Abteilung Sicherheitspolitik ASP-EDA, Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA, Bundesamt für Gesundheit BAG, Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie MeteoSchweiz, Bundesamt für Polizei fedpol, Sicherheitspolitik VBS SIPOL VBS, Nachrichtendienst des Bundes NDB, Informations- und Objektsicherheit IOS, Führungsstab der Armee FSTA, armasuisse Immobilien ar Immo, Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS, Eidgenössische Finanzverwaltung EFV, Bundesamt für Bauten und Logistik BBL, Bundesamt für Informatik und Telekommunikation BIT, Informatiksteuerungsorgan Bund ISB (Koordinationsstelle nationale Strategie Cyber-Risiken), Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL, Generalsekretariat UVEK (Postreg), Bundesamt für Verkehr BAV, Bundesamt für Zivilluftfahrt BAZL, Bundesamt für Energie BFE, Bundesamt für Strassen ASTRA, Bundesamt für Kommunikation BAKOM, Bundesamt für Umwelt BAFU, Eidgenössische Elektrizitätskommission Elcom, Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI. Kantone: Kanton Genf, Kanton Basel-Stadt. 7 Das SKI-Inventar ist Teil der Nationalen Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen (Massnahme 1). Im Inventar sind alle Objekte verzeichnet, die zu den Kritischen Infrastrukturen der Schweiz gezählt werden. Das Inventar teilt sie einem von 28 Teilsektoren zu und enthält Informationen zur Art des Objekts und seiner Bedeutung für die Resilienz der Schweiz. Nach Möglichkeit wird dabei auf Daten zurückgegriffen, die bereits im Rahmen von anderen Verzeichnissen erfasst wurden (Störfallkataster, Kulturgüterschutzinventare etc). Das SKI-Inventar unterliegt den Informationsschutzvorschriften des Bundes. Es ist als GEHEIM klassifiziert, Auszüge können als VERTRAULICH klassifiziert werden. Das SKI-Inventar ist aus dem ehemaligen Katalog der Objekte zur Sicherstellung existentieller Bedürfnisse (SEB-Katalog) entstanden, der bis 2009 vom Führungsstab der Armee betreut wurde. 7/62

Adressaten Leitfaden Schutz Kritischer Infrastrukturen Der Schutz Kritischer Infrastrukturen ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die eine enge Zusammenarbeit zwischen KI-Betreibern und Behörden verlangt. Der Leitfaden richtet sich deshalb sowohl an KI-Betreiber als auch an die jeweils verantwortlichen Fachbehörden (Leitbehörden, Regulatoren, Aufsichtsorgane etc.). Die Anwendung des Leitfadens kann demzufolge initiiert werden durch 1. KI-Betreiber, die dafür verantwortlich sind, ein möglichst kontinuierliches Funktionieren ihrer Anlagen sicherzustellen und den Leitfaden in Eigenverantwortung umsetzen wollen. 2. Fachbehörden auf Stufe Bund, Kanton oder Gemeinde, welche für die jeweiligen Kritischen Infrastrukturen aufgrund gesetzlicher Grundlagen eine Steuerungs- und Aufsichtsfunktion wahrnehmen. Der Leitfaden kann sie dabei unterstützen, entsprechende Risiken für das Funktionieren von Gesellschaft und Wirtschaft zu identifizieren und zu reduzieren. Des Weiteren kann der Leitfaden auch Branchenverbänden dienen, die ihre Mitglieder durch das Erarbeiten von Musterlösungen unterstützen wollen (vgl. Kapitel 2.3 Rollen und Zusammenarbeit). Mehrwert für die KI-Betreiber Für die KI-Betreiber resultiert durch die Anwendung des Leitfadens auf verschiedenen Ebenen ein Mehrwert: Der Leitfaden schafft Entscheidungsgrundlagen für einen effizienten Mitteleinsatz (minimale Investitionen für maximalen Sicherheitsgewinn). Er sorgt für ein vergleichbares Vorgehen bei der Festlegung von Schutzzielen und der Bewertung von Massnahmen innerhalb der Branchen und über die Branchen hinaus. Durch die Schaffung gleicher Voraussetzungen für alle bewirkt er eine ähnliche Ausgangslage im Bereich der Sicherheit für die verschiedenen KI-Betreiber. Durch die Zusammenarbeit mit den Fachbehörden erfährt der KI-Betreiber Rechtsund Planungssicherheit im Hinblick auf Schutzmassnahmen. Ergänzung bestehender Standards Der Leitfaden baut methodisch massgeblich auf bestehende Regelwerke aus den Bereichen Risiko-, Notfall-, Krisen- und Kontinuitätsmanagement auf, indem er: hilft, kritische Prozesse zu identifizieren, welche für die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen existentiell wichtig sind, damit aber auch die Betriebskontinuität des Betreibers tangieren; eine für KI spezifische Risikoanalyse ermöglicht; Voraussetzungen schafft, Schutzziele bei KI mit den zuständigen Behörden festzulegen; Positionierung Der Leitfaden stellt sicher, dass bestehende (regulatorische) Vorgaben der Behörden und Planungen seitens der KI-Betreiber berücksichtigt werden können. Er versteht sich als Ergänzung zu bereits vorhandenen oder laufenden Arbeiten. Der Leitfaden ersetzt oder übersteuert keine geltenden Vorgaben in Bezug auf den integralen Schutz. Der Leitfaden greift methodisch auf bestehende Managementsysteme zurück und ergänzt diese lediglich, wo nötig. Der parallele Aufbau von zusätzlichen Systemen und Werkzeugen soll vermieden werden. 8/62

2 Voraussetzungen 2.1 Nahtstellen mit etablierten Managementsystemen Der Leitfaden weist Nahtstellen mit verschiedenen Managementsystemen auf, die auf Unternehmens-Ebene in der Regel etabliert sind. Dazu gehören beispielsweise: Sicherheitsmanagement Risikomanagement Kontinuitätsmanagement (engl. Business Continuity Management BCM) Krisenmanagement Notfallmanagement Internes Kontrollsystem (IKS) Die genannten Managementsysteme werden in den verschiedenen existierenden Standards, Normen und der Literatur unterschiedlich definiert. Abhängig von der Organisation werden die einzelnen Systeme eigenständig nebeneinander behandelt oder einzelne Systeme werden als Teilsystem in ein anderes integriert. Entscheidend ist, dass jede der Komponenten verschiedene Aspekte adressiert, die sich gegenseitig sinnvoll ergänzen und die Sicherheit im Unternehmen verbessern. Um einen umfassenden Schutz zu etablieren, ist es notwendig, alle Aspekte in der Unternehmenssicherheit zu berücksichtigen. Wie die einzelnen Systeme zusammenspielen, ist durch die Organisation selber zu bestimmen. Es ist weder Ziel und Anspruch des Leitfadens, eine allgemein gültige Definition der Systeme zu liefern, noch diese abschliessend gegeneinander abzugrenzen. Zum Verständnis des Leitfadens und des Zusammenspiels der verschiedenen Komponenten werden die oben genannten Managementsysteme unter Berücksichtigung ausgewählter Definitionen in den Begriffserläuterungen zu diesem Dokument kurz dargestellt. Für SKI besonders wichtige Managementsysteme Von den oben genannten Managementsystemen sind für SKI das Risikomanagement (Aspekt «Vorbeugung / Verhindern von Ereignissen») und das Kontinuitätsmanagement (Aspekt «Vorbereitung auf Ereignisse») von zentraler Bedeutung. Im vorliegenden Leitfaden stehen daher diese beiden Systeme im Vordergrund. Dabei handelt es sich nicht um eine abschliessende Ausgrenzung, sondern um einen Arbeitsansatz. Je nach Abgrenzung der verschiedenen Managementsysteme im Unternehmen können auch andere Managementsysteme von Bedeutung sein und integriert werden. Wesentliche methodische Grundlagen für den Leitfaden SKI bilden daher etablierte Managementsysteme, welche in Normen und Richtlinien umfassend beschrieben sind. 9/62

Themengebiet Risikomanagement Massnahmen zur Sicherstellung der Kontinuität Grundlagen Anleitungen und Hinweise zum Aufbau eines Risikomanagements geben z.b.: - ISO 31000 Integriertes Risikomanagement - ONR 49001 ff. Umsetzung der ISO 31000 in die Praxis - HB 436:2004 Risk Management Guidelines Companion to AS/NZS 4360:2004 - Handbuch zum Risikomanagement Bund Anleitungen und Hinweise zum Aufbau eines Kontinuitätsmanagements geben z.b.: - ISO 22301: Societal Security Business Continuity Management Systems Requirements - ISO 22313: Societal Security Business Continuity Management Systems Guidance. First edition, 15. December 2012 - BS 25999-2 - BCI Good Practice Guidelines 2010 - BCM-Ratgeber des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung («Unternehmenserfolg nachhaltig sichern auch im Krisenfall») - HB 221/2004 Business Continuity Management (basiert auf AS/NZS) Tabelle 1: Grundlagen-Dokumente pro Themengebiet Generell ist davon auszugehen, dass Betreiber, welche ausgereifte Risikomanagement- und Kontinuitätsmanagementsysteme nach den Vorgaben der oben aufgeführten Richtlinien und Standards implementiert haben, die Bedürfnisse von SKI weitgehend erfüllen. 2.2 Der Ansatz des Leitfadens Erweiterung des Blickwinkels Durch die Anwendung des Leitfadens soll nicht ein weiteres Managementsystem im Unternehmen eingeführt werden. Vielmehr soll auf den bestehenden Systemen aufgebaut und diese um den Blickwinkel des Schutzes Kritischer Infrastrukturen (SKI) erweitert werden: Während sich die herkömmlichen Managementsysteme auf den Schutz des Unternehmens konzentrieren, ergänzt SKI diese Betrachtungsweise um den Schutz der Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen. Die Lebensgrundlage ist die Gesamtheit der Elemente, die für das Leben der Bevölkerung notwendig sind. Die Lebensgrundlagen ermöglichen das kollektive und individuelle Zusammenleben. Sie lassen sich in natürliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Lebensgrundlagen unterteilen: - Natürliche Lebensgrundlagen: intakte Umwelt (Boden, Wasser, Luft, Biodiversität) - Wirtschaftliche Lebensgrundlagen: prosperierende Wirtschaft und funktionierende Infrastrukturen - Gesellschaftliche Lebensgrundlagen: funktionierendes Rechtssystem und verfassungsmässige Ordnung, gegenseitiges Vertrauen, territoriale Integrität und kulturelle Vielfalt. 10/62

KI-Betreiber SKI Fokus: Schutz der Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen (Ergänzend zu den herkömmlichen Management-Systemen) Prozesse mit wichtiger Bedeutung für das Unternehmen Prozesse mit wichtiger Bedeutung für die Gemeinschaft Herkömmliche Management-Systeme Fokus: Schutz des Unternehmens Abbildung 1: SKI als Ergänzung zu den bestehenden Managementsystemen im Unternehmen. Die Werkzeuge bleiben die gleichen, aber die Systemgrenze wird erweitert. 2.3 Rollen und Zusammenarbeit Der Leitfaden richtet sich in erster Linie an die KI-Betreiber und die jeweiligen Fachbehörden (auf den Ebenen Bund, Kanton und ggf. Gemeinde). Es sind minimal folgende Rollen zu unterscheiden: Rolle KI-Betreiber Funktion Verantwortlich für die Anwendung des Leitfadens und Umsetzung der Massnahmen im KI-Betrieb Branchenverbände Unterstützung der Betreiber durch das Erarbeiten von Musterlösungen und zur Koordination von gegenseitigem Erfahrungsaustausch innerhalb der Branche und zwischen artverwandten Branchen Behörden Aufforderung / Verpflichtung der KI-Betreiber zur Anwendung des SKI-Leitfadens Verantwortlich für Festlegung der Schutzziele auf politisch-gesellschaftlicher Ebene Tabelle 2: Rollen und Funktionen Eine Zusammenarbeit mit den Behörden und ein gegenseitiger Austausch innerhalb der Branche und mit artverwandten Branchen sind aus folgenden Gründen angezeigt: Für die Kritischen Infrastrukturen müssen im Zusammenhang mit deren Schutz auch Schutzziele definiert werden. Nach Möglichkeit erfolgt dies abgestimmt im Rahmen von Branchenverbänden. Damit wird sichergestellt, dass es zu keiner Ungleichbehandlung von einzelnen KI-Betreibern kommt. Die Fachbehörden sind gefordert zu überprüfen, ob die Schutzziele angemessen sind und gegebenenfalls auf politisch-gesellschaftlicher Ebene für eine rechtliche Verankerung der Schutzziele sorgen. Durch das gemeinsame Erarbeiten von Musterlösungen kann der Aufwand zur Umsetzung von SKI für die einzelnen Objekte klein gehalten werden. Geeignete Schutzmassnahmen für Kritische Infrastrukturen können rasch den betrieblichen bzw. den betriebswirtschaftlichen Rahmen eines KI-Betreibers sprengen. Mit einem Einbezug von Branchenverbänden und den zuständigen Fachbehörden wird sichergestellt, dass die Finanzierung im Rahmen des jeweiligen Politikbereiches sichergestellt werden kann. 11/62

3 Integraler Schutz von Kritischen Infrastrukturen Die Vorgehensweise beim integralen Schutz von Kritischen Infrastrukturen basiert auf einem systematischen und kontinuierlichen Prozess (siehe Abbildung 2): Abbildung 2: Prozess zum integralen Schutz von Kritischen Infrastrukturen Nach einer Phase der Vorbereitung, in welcher Zuständigkeiten geklärt, Kompetenzen verteilt und Aufträge eingeholt werden, beginnt man einen fünfphasigen Prozess zur iterativen Verbesserung des Schutzes kritischer Infrastrukturen. In der Phase 1, der Analyse, werden zuerst Gefährdungen analysiert, dann die daraus entstehenden Risiken ermittelt, miteinander verglichen und deren Relevanz für die Kritische Infrastruktur beurteilt. In Phase 2 werden die Schutzziele identifiziert und festgelegt. Während Phase 3 werden Massnahmen evaluiert, um die Risiken zu reduzieren. Mit dem umfassenden Massnahmenspektrum werden die Massnahmen evaluiert, die grundsätzlich in Frage kommen, um die festgestellten Risiken zu reduzieren. Phase 4 beinhaltet die Umsetzung der Massnahmen. Dabei wird aufgezeigt, wie die Massnahmen geplant, durchgeführt, begleitet und überwacht werden können. Phase 5 behandelt das Monitoring, die Überprüfung und Verbesserung der Massnahmen. Damit sollen der Umsetzungsfortschritt und die Wirksamkeit der Massnahmen kontinuierlich beobachtet werden. 12/62

3.1 Vorbereitung Eine gründliche Vorbereitung schafft die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anwendung des Leitfadens SKI. Im Vorfeld der Erarbeitung sollten grundsätzliche Fragen geklärt werden. Hierzu zählen insbesondere die Auftragserteilung, die Zusammenstellung und Organisation einer Arbeitsgruppe (AG), die Festlegung von Zuständigkeiten und die Bereitstellung von Ressourcen für diese Arbeiten. 3.1.1 Unterstützung der Leitungsebene und Auftragserteilung Leitfaden Schutz Kritischer Infrastrukturen Aufgrund der Bedeutung und der weitreichenden Konsequenzen der zu treffenden Entscheidungen ist die Umsetzung des Leitfadens vom zuständigen leitenden Organ des Betriebs (Geschäftsleitung oder Verwaltungsrat etc.) zu unterstützen. Das zuständige leitende Organ ist verantwortlich dafür, dass alle Geschäftsbereiche zielgerichtet und ordnungsgemäss funktionieren und dass Risiken erkannt, reduziert und die Auswirkungen auf den Betrieb bei Eintreten eines Schadensereignisses minimiert werden. 8 Ein Mitglied des zuständigen leitenden Organs ist als Prozesseigner in Bezug auf den integralen Schutz zu benennen, der die Projektverantwortung trägt. Diese Person sollte ein grosses Sachverständnis über die betrachtete Kritische Infrastruktur und das Thema Schutz Kritischer Infrastrukturen besitzen. Zudem sollte sie auch Entscheidungskompetenzen im Betrieb aufweisen. Diese Person stellt sicher, dass der Leitfaden und die ausgearbeiteten Massnahmen umgesetzt werden. Dabei sind je nach Organisationsform zusätzlich verschiedene gesetzliche Regelungen zu beachten. Selbst wenn einzelne Aufgaben im Rahmen der Umsetzung des Leitfadens an Personen oder Organisationseinheiten delegiert werden, die dann für die Umsetzung zuständig sind, muss die nicht delegierbare Gesamtverantwortung beim zuständigen leitenden Organ verbleiben. Das zuständige leitende Organ muss dafür sorgen, dass ausreichende Ressourcen (Personal, Zeit, finanzielle Ressourcen) für die Umsetzung des Leitfadens bereitgestellt werden. Abbildung 3: Mögliche Organisationsstruktur Das unternehmensintern zuständige, leitende Organ hat für einen klaren Auftrag zur Umsetzung des Leitfadens zu sorgen. In diesem Auftrag sollten folgende Punkte geklärt werden: den Stellenwert des Vorhabens für den KI-Betreiber, die Zielsetzung des Vorhabens der Geltungsbereich des Vorhabens die Struktur der Arbeitsgruppe zur Durchführung des Vorhabens mit den wichtigsten Rollen und deren Zuständigkeiten, die zur Verfügung stehenden Ressourcen (Zeit, Personal, finanzielle Mittel, etc.). 8 Siehe dazu auch Artikel 55 des Schweizerischen Obligationenrechts. 13/62

3.1.2 Zusammenstellung und Rolle der Arbeitsgruppe Leitfaden Schutz Kritischer Infrastrukturen Gemäss der Entscheidung (Auftrag) des zuständigen leitenden Organs ist nun die Arbeitsgruppe (AG) für die Umsetzung des Leitfadens zusammenzusetzen. Der Einbezug folgender Stellen ist empfehlenswert (beispielhafte Aufzählung): Vertreter der Kernprozesse der Kritischen Infrastruktur Prozessverantwortliche Person der Betriebsleitung Chef Safety & Security Zuständiger betriebsinterner Sicherheitsbeauftragter (SIBE) IT Sicherheitsverantwortlicher Vertreter Personal Vertreter Recht & Finanzen Bei Bedarf und nach Möglichkeit Vertreter der Fachbehörden Vertreter des BABS (Fachstelle SKI), um die Arbeiten methodisch und konzeptionell zu begleiten. Interne Vertreter in Branchenverbänden zur Sicherstellung des Wissenstransfers in beide Richtungen Evtl. einen Vertreter aus dem Kanton, z.b. kantonaler Verantwortlicher SKI-Inventar (üblicherweise im für Bevölkerungsschutz zuständigen Amt angesiedelt). Anschliessend sind in einer ersten Sitzung der AG, die Rollen, Funktionen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in der Umsetzung des Leitfadens vorzustellen. Zudem ist darauf zu achten, dass die Zielsetzungen und Rahmenbedingungen (u.a. Vertraulichkeit der Arbeiten etc.), sowie der Zeitplan allen beteiligten Stellen der AG erklärt werden, sowie das weitere Vorgehen von allen beteiligten Einheiten gutgeheissen wird. 3.1.3 Erfassung von bestehenden Arbeiten Alle Arbeiten im Rahmen von SKI sollen in die bestehenden Managementsysteme integrierbar sein. Das Erfassen bereits bestehender interner und externen Arbeiten ist erforderlich, um eine Wiederholung bereits bestehender Arbeiten zu vermeiden sowie die Effizienz im Vorgehen gewährleisten zu können. Beispiele für möglicherweise bestehende Arbeiten sind: Intern bestehende Arbeiten Arbeiten in den Bereichen Risiko-, Notfall-, Krisen- und Kontinuitätsmanagement (RNKK) Implementierte Managementsysteme inkl. Prozesslandschaft Interne Vorschriften, Weisungen, Standards Extern bestehende Arbeiten Gesetzliche Grundlagen und Vorschriften Branchenstandards und Branchenlösungen Normen, Richtlinien und Leitfäden zu deren Umsetzung Nationale SKI-Strategie, SKI-Inventar und in diesem Kontext erarbeitete Funktionswertanalysen (enthält u.a. Angaben über kritische Prozesse und Elemente) 14/62

3.2 Analyse Leitfaden Schutz Kritischer Infrastrukturen Die Analyse hat zum Ziel, die kritischen Prozesse und Elemente zu identifizieren, eine Gefährdungsanalyse für diese Prozesse durchzuführen und am Schluss eine priorisierte Liste der Prozesse als Grundlage für die Definition der Schutzziele (siehe Kapitel 3.3) vorliegend zu haben. Folgendes Schema soll die einzelnen Schritte innerhalb dieses Kapitels verdeutlichen: Identifikation der kritischen Prozesse (3.2.1) Identifikation der massgebenden Ressourcen und Verwundbarkeiten (3.2.2) Bewertung der Risiken (3.2.3) Erstellung eines Berichts (3.2.4) Abbildung 4: Ablaufschema Analyseschritte 3.2.1 Identifikation der kritischen Prozesse Voraussetzung für den umfassenden Schutz einer Kritischen Infrastruktur sind ausführliche Kenntnisse über dessen Aufgaben und Funktionen. Darum muss verstanden werden, welche Prozesse unbedingt erforderlich sind, um ein Mindestmass an Funktionsfähigkeit der Kritischen Infrastruktur zu gewährleisten. Die Identifikation der kritischen Prozesse basiert massgeblich auf der umfassenden Analyse der betriebsrelevanten Prozesse im Rahmen des betrieblichen Kontinuitätsmanagements (Business Impact Analyse). Falls dies noch nicht erfolgt ist, geben die entsprechenden Normen und Richtlinien (vgl. Tabelle 1) Auskunft über das Vorgehen. Im Rahmen des Schutzes Kritischer Infrastrukturen, wird unter einem kritischem Prozess ein Prozess verstanden, welcher für die Funktionsfähigkeit der Kritischen Infrastruktur existentiell wichtig ist und bei dessen Ausfall die Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen unmittelbar in einem schweren Masse betroffen sein könnten. Dabei sollte auf eine handhabbare Anzahl identifizierter kritischer Prozesse geachtet werden. Nachfolgende Tabelle 3 gibt einen Überblick über ein fiktives Beispiel einer entsprechenden Analyse. 15/62

Kritische Prozesse Produktion Systemführung und Steuerung Transport- und Verteilung Rohstoffgewinnung Aufbereitung Abwicklungsplanung Prozesssteuerung Distribution Tabelle 3: Beispiel für kritische Prozesse 3.2.2 Identifikation der massgebenden Ressourcen und Verwundbarkeiten In einem nächsten Schritt ist zu beurteilen, welche Ressourcen zur Durchführung der kritischen Prozesse zwingend erforderlich sind. Dabei sind insbesondere die Ressourcen Rohstoffe, Energie, IKT, Personal, Logistik sowie Bauten und Anlagen zu berücksichtigen. Nachfolgende Abbildung 5 dient zur Illustration des Vorgehens: Abbildung 5: Prozess- und Ressourcenmodell In der Folge ist zu beschreiben, welche Auswirkungen ein Ausfall der jeweiligen Ressource auf den kritischen Prozess nach sich ziehen würde, respektive inwieweit ein Ausfall der Ressource die Durchführung des Prozesses beeinträchtigen würde. 3.2.3 Bewertung der Risiken In einem nächsten Schritt gilt es zu bewerten, welche Risiken für die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlage durch die in Schritt 3.2.3 aufgezeigten Verwundbarkeiten resultieren. Das Risiko wird dabei als Produkt von Schadensausmass und Eintrittswahrscheinlichkeit respektive Plausibilität verstanden. 16/62

Das Risiko ist ein Mass für die Grösse einer Gefährdung und beinhaltet die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Schadensausmass eines unerwünschten Ereignisses. Der Begriff Risiko dient beim Schutz Kritischer Infrastrukturen sowohl als Modell zur Beurteilung von Sicherheitsfragen als auch um verschiedene Gefährdungen anhand gleicher Kriterien miteinander vergleichen zu können. Das Risikomodell beruht grundsätzlich auf zwei Faktoren: - Eintrittswahrscheinlichkeit respektive Plausibilität eines Ereignisses; - Schadensausmass an Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen. Risiken lassen sich demzufolge als Produkt darstellen, das durch die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Ereignisses und dessen Schadensausmass bestimmt ist. Zur Durchführung der Risikoanalyse werden in einem ersten Schritt entsprechende Szenarien erarbeitet, die in einem zweiten Schritt bezüglich Schadensausmass und Eintrittswahrscheinlichkeit respektive Plausibilität bewertet werden. Als Schadensausmass werden die geschätzten Auswirkungen auf die Bevölkerung und deren Lebensgrundlagen bezeichnet, die durch den Ausfall des(r) kritischen Prozesse(s) bei Eintritt der Gefährdung entstehen. Es besteht aus der Summe des Schadens zum Zeitpunkt des Eintritts eines Ereignisses und des Schadens, der während der ganzen Wiederherstellungszeit entstehen kann. Als Eintrittswahrscheinlichkeit wird das geschätzte bzw. auf Statistikwerten beruhende Eintreten eines Ereignisses innerhalb einer bestimmten Zeitspanne bezeichnet. Schritt 1: Auswahl der relevanten Gefährdungen Die in Kapitel 3.2.1 und 3.2.2 als massgebend bestimmten Prozesse und Ressourcen sind in einer Tabelle aufzulisten und mit einer eindeutigen Nummer zu versehen. Für diejenigen unter diesen Ressourcen, die sich im eigenen Verantwortungsbereich befinden, sind anschliessend relevante Gefährdungen auszuwählen, die zu einem Ausfall der Ressource führen können. 9 Dabei ist ein umfassendes Gefahrenspektrum zu berücksichtigen, d.h. es sind grundsätzlich alle potentiell möglichen Gefährdungen zu berücksichtigen, die zu einem signifikanten Ausfall der Ressource führen können. Als Hilfsmittel zur Identifikation steht unter anderem ein Gefährdungskatalog des BABS zur Verfügung. 10 Gefährdungskatalog: Der Gefährdungskatalog stellt eine umfassende und bei Bedarf anpassbare Zusammenstellung von Ereignissen und Entwicklungen dar, welche die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen heute und künftig gefährden können. Der Gefährdungskatalog gibt eine möglichst vollständige Übersicht über denkbare Ereignisse und Entwicklungen, ohne diese zu priorisieren. Der Katalog ist ressourcenspezifisch mit weiteren Gefährdungen, die zu Ausfällen führen können, zu ergänzen. Für die Ressourcen im externen Verantwortungsbereich ist jeweils der Ausfall der entsprechenden Ressource anzugeben, unabhängig von der jeweiligen Ursache. 9 Dabei handelt es sich um Ressourcen, bei denen mittels präventiven Massnahmen verhindert werden kann, dass es zu einem Ausfall der Ressource kommt. Es besteht also ein Unterschied zu den vorsorglichen Massnahmen, die verhindern, dass der Ausfall der Ressource zu einem Ausfall des Prozesses führt. 10 www.risk-ch.ch -> Gefährdungskatalog 17/62

Nr. Kritischer Prozesse und Elemente gemäss Kap. 3.2.1 Massgebende Ressource gemäss Kap. 3.2.2 Relevanter Ressourcen-Ausfall bzw. Gefährdung für Ressourcen im eigenen Verantwortungsbereich 1 Rohstoffgewinnung Rohstoffe Ausfall Rohstoff A 2 Rohstoffgewinnung Energie Ausfall Stromversorgung 3 Aufbereitung Bauten / Anlagen Gefährdung X 4 Aufbereitung Bauten / Anlagen Gefährdung Y 5 Prozesssteuerung IKT (extern) Ausfall Telekommunikation 6 Prozesssteuerung IKT intern Gefährdung Z 7 Distribution Energie Ausfall Treibstoffversorgung Tabelle 4: Beispiel für eine Gegenüberstellung von Prozessen, Ressourcen und Gefährdungen Schritt 2: Erarbeitung der Szenarien In einem nächsten Schritt sind Szenarien zu bilden, welche beispielhaft beschreiben, in welcher Form und in welcher Ausprägung die jeweils massgebende Ressource ausfällt und wie sich die dadurch versachte Beeinträchtigung der kritischen Prozesse auf die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen auswirkt. Beispiele für Szenarien und Informationen zu verschiedenen Gefährdungen bieten u.a. die Arbeiten zur nationalen Gefährdungsanalyse «Katastrophen und Notlagen Schweiz». 11 Da beim Schutz Kritischer Infrastrukturen davon ausgegangen wird, dass Alltagsereignisse und deren Auswirkungen von den Betreibern beherrscht werden und für die Gemeinschaft keine Probleme darstellen, stehen jeweils Ereignisse mit einer grossen bis extremen Intensität im Vordergrund. Die Arbeiten sollen sich zudem am Prinzip des credible worst case orientieren. Das heisst, dass jeweils davon auszugehen ist, dass die Gefährdung in einer denkbar ungünstigen Ausprägung auf die jeweilige Ressource einwirkt. 12 Für die maximale Ausfallzeit von Anlagen sind realistische Annahmen zu treffen bzgl. Reparaturdauer bzw. bis zur Einsatzbereitschaft alternativer Versorgungsmöglichkeiten. Dabei sind die Rahmenbedingungen der untersuchten Gefährdung zu berücksichtigen (z.b. wenn ein entsprechendes Ereignis zu grossflächigen Schäden führt und dadurch die Verfügbarkeit von Ersatzteilen oder Reparatur-Personal reduziert ist). Schritt 3: Bewertung der Szenarien In einer ersten Phase ist zu bewerten, welche Schadensauswirkungen in Bezug auf die entsprechenden Szenarien resultieren könnten. Im Gegensatz zu herkömmlichen Risiko- und Kontinuitätsmanagement-Ansätzen stehen dabei nicht die Auswirkungen für das Unternehme im Vordergrund, sondern die Auswirkungen auf die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlagen. Damit dieses Schadensausmass beurteilt werden kann, müssen geeignete Indikatoren festgelegt werden. Nachfolgend wird ein Vorschlag für Indikatoren zur Beurteilung des Schadensausmasses in Bezug auf Auswirkungen von kritischen Infrastrukturen auf die Bevölkerung und ihre Lebensgrundlage präsentiert. Dabei ist es durchaus möglich, dass je nach kritischer Infrastruktur einzelne Indikatoren nicht berücksichtigt werden oder zusätzliche Indikatoren festgelegt werden. Die Auswahl der Indikatoren ist im Rahmen der Berichterstattung zu dokumentieren und zu begründen. 11 www.risk-ch.ch 12 Beispielsweise ist in Bezug auf die Ressource Bauten und Anlagen und die Gefährdung Erdbeben im Falle von zwei redundanten Standorten (z.b. Rechenzentren) ein Erdbeben zu betrachten, das mit grösstmöglicher Intensität auf beide Standorte gleichzeitig einwirkt. 18/62

Schadensbereich Teilbereich Indikator Abstützung in Bundesverfassung Masseinheit Personen Leben und Gesundheit Todesopfer Art 10, 57, 58, Anzahl 61,118 Verletzte/Kranke Anzahl Hilfe in Notlagen Unterstützungsbedürftige Art 12, 115 Personentage Umwelt Ökosystem Geschädigte Ökosysteme Art. 74, 76, 77, 78, 104 Fläche x Jahre Wirtschaft Vermögen Vermögensschäden und Bewältigungskosten (Sachvermögen, fin. Vermögen) Gesellschaft Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und Dienstleistungen Reduktion der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Versorgungsengpässe und unterbrüche Art. 61 Art. 100 Art. 102 CHF CHF Personen x Tage Verfassungsmässige Ordnung, innere Sicherheit Einschränkungen von Ordnung und innerer Sicherheit Art. 52, 185 Personentage Ansehen und Vertrauen in den Staat Geschädigtes Ansehen Art. 54 Intensität x Dauer Vertrauensverlust in Staat/Institutionen Präambel, Art. 2, 5 Intensität x Dauer Territoriale Integrität Einschränkung der territorialen Integrität Art. 58 Intensität x Dauer Kulturgüter Schädigung und Verlust von Kulturgütern Art. 2, 69, (78) Anzahl x Bedeutung Tabelle 5: Vorschlag für mögliche Schadensindikatoren Detaillierte Angaben zu den einzelnen Schadensindikatoren und Vorschläge für entsprechende Klassen sind im Anhang 2 Schadensindikatoren zu finden. W I C H T I G! Bei der Bewertung des Schadensausmasses stehen die Schäden an der Bevölkerung und ihren Lebensgrundlagen, die sich durch die Beeinträchtigung der kritischen Prozesse ergeben, im Vordergrund. Dabei sind insbesondere die (vielfach schwierig zu quantifizierenden) Folgeschäden zu berücksichtigen, die sich durch den Ausfall der kritischen Prozesse bzw. Elemente bis zu deren Instandstellung ergeben. Unter anderem ist von Bedeutung, ob Redundanzen vorhanden sind bzw. ob alternative Möglichkeiten bestehen, die Leistung zu überbrücken (z. B. Strassenverkehr statt Schienenverkehr). In einer nächsten Phase ist die Eintrittswahrscheinlichkeit oder die Plausibilität der Szenarien zu beurteilen. Dazu sind zunächst geeignete Indikatoren bzw. Klassen zu definieren. Anhang 3 enthält einen Vorschlag für entsprechende Indikatoren und Klassen. 13 Die Festlegung der Indikatoren zur Beurteilung der Eintrittswahrscheinlichkeit ist im Rahmen der Berichterstattung ebenfalls zu dokumentieren und zu begründen. 13 Für weiterführende Angaben zur KNS-Methode vgl. Methode zur Risikoanalyse von Katastrophen und Notlagen für die Schweiz, Version 1.03 19/62

Mit Hilfe dieser Indikatoren wird anschliessend beurteilt, mit welcher Wahrscheinlichkeit oder Plausibilität das jeweilige Szenario zu bewerten ist. 14 Die Werte bezüglich Schadensausmass und Eintrittswahrscheinlichkeit werden anschliessend in die Zusammenstellung der kritischen Prozesse und der Gefährdungen eingetragen. Nr. Kritische Prozesse gemäss Kap. 3.2.1 Massgebende Ressource gemäss Kap. 3.2.2 Relevanter Ressourcen- Ausfall bzw. Gefährdung für Ressourcen im eigenen Verantwortungsbereich Risiko 1 Rohstoffgewinnung Rohstoffe Ausfall Rohstoff A A3 / W3 2 Rohstoffgewinnung Energie Ausfall Stromversorgung A5 / W5 3 Aufbereitung Bauten / Anlagen Gefährdung X A2 / W6 4 5 Tabelle 6: Ergänzung der beispielhaften Gegenüberstellung kritische Prozesse, Ressourcen und Gefährdungen (Tabelle 4) mit Wahrscheinlichkeit und Schadensausmass Die entsprechenden Werte können schliesslich in einer Risikomatrix grafisch dargestellt werden. Dadurch lassen sich die verschiedenen Risiken auf einen Blick erfassen. Die Abbildung 6 zeigt ein Wahrscheinlichkeits-Risiko-Diagramm für die Prozesse 1-3 (alternativ oder ergänzend dazu kann auf der Vertikalachse die Plausibilität aufgetragen werden). Abbildung 6: Beispiel einer Risikomatrix 14 Das BABS stellt Grundlagen zur Bewertung der Plausibilität bzw. Eintrittswahrscheinlichkeit sowie zur Ausprägung der Szenarien zur Verfügung. 20/62

3.2.4 Erstellung eines Analyse-Berichts Leitfaden Schutz Kritischer Infrastrukturen Der Analyse-Bericht sollte alle wesentlichen Informationen, die im Verlauf der Durchführung der Analyse erhoben wurden, enthalten. Die Aufnahme des Ist-Zustandes ist auf die kritischen Prozesse zu beschränken. Sollten sich aus der Analyse grosse Sicherheitslücken bei den kritischen Prozessen ergeben (z.b. Single Point of Failure, Nichteinhaltung von gesetzlichen Auflagen etc.), so sind in diesem Bericht auch gleich Massnahmen vorzuschlagen, die für die Schliessung dieser gravierenden Sicherheitslücken zeitnah umzusetzen sind. Der Analyse-Bericht soll folgende Kapitel enthalten: Kurze Systembeschreibung Angaben zum Versorgungsgebiet Angaben zu massgebenden, bestehenden Vorarbeiten (RM- und BCM-Grundlagen) Angaben zu kritischen Prozesse Angaben zu massgebenden Ressourcen und Verwundbarkeiten Relevante Gefährdungen o Relevante Indikatoren für Ausmass je Gefährdung inkl. kurze Begründung für nicht relevante Indikatoren o o Ausmass und Wahrscheinlichkeit der Szenarien Bereits realisierte Sicherheitsmassnahmen bzw. in der Analyse berücksichtigte, bereits geplante Massnahmen Risikomatrix Erkannte Lücken / erforderliche Sofortmassnahmen (wo bereits bekannt) Der Analyse-Bericht wird im Verlauf der weiteren Arbeiten mit Aussagen zu Schutzzielen und Vorschlägen für Massnahmen zu einem Gesamtbericht ergänzt. Anhang 6 Integrales Schutzkonzept. Vorschlag Struktur eines Gesamtberichts enthält einen Vorschlag für eine mögliche Gliederung. 21/62

3.3 Schutzziele Leitfaden Schutz Kritischer Infrastrukturen Im Anschluss an die Gefährdungs- und Verwundbarkeitsanalyse ist zu überprüfen, ob die entsprechenden Risiken von der Gesellschaft getragen werden können oder ob sie reduziert werden müssen. Zu diesem Zweck müssen Schutzziele festgelegt oder gegebenenfalls bestehende Schutzziele angepasst werden. Ein Schutzziel bezeichnet das Niveau an Sicherheit, das bestimmte Verantwortungsträger in ihrem Verantwortungsbereich grundsätzlich anstreben. Bezüglich der Schutzziele stellen sich folgende Leitfragen: - Wie sicher ist sicher genug? - Was nehmen wir in Kauf, sollte ein Ereignis eintreten? - Wie viel sind wir bereit zu investieren, um die Sicherheit zu erhöhen? Im SKI-Bereich stehen die kollektiven Risiken für die Gesellschaft im Vordergrund, die sich durch Funktionsausfälle der Kritischen Infrastrukturen ergeben. In Bezug auf die Schutzziele soll deshalb das Prinzip der Grenzkosten zur Anwendung kommen. Das Schutzziel stellt dabei die Grenze der Zahlungsbereitschaft der Gesellschaft zur Verhinderung einer Schadenseinheit dar. Der Grenzkosten-Ansatz hat zum Ziel, ein optimales Verhältnis zwischen Schäden, die aus Funktionsausfällen entstehen und den Kosten, die für die umzusetzenden Massnahmen aufzuwenden sind, zu erreichen. Zentrale Aspekte des Ansatzes sind damit die Verhältnismässigkeit von Massnahmen und die Optimierung des Mitteleinsatzes im Gesamtsystem. Da erst im Rahmen der Massnahmenplanung aufgezeigt werden kann, ob und mit welchen Massnahmen die Risiken mit einem verhältnismässigen Aufwand reduziert werden können, besteht ein enger inhaltlicher und logischer Zusammenhang mit der nächsten Phase des Vorgehensprozesses, den (Schutz-)Massnahmen (vgl. Kapitel 3.4). Der Grenzkosten-Ansatz ist in allen Bereichen der Kritischen Infrastrukturen anwendbar (d.h. sowohl auf allen Ebenen (Sektoren, Teilsektoren, Einzel-Objekte) als auch in allen 28 Kritischen Teilsektoren (Stromversorgung, Kulturgüter, Wasserversorgung usw.). Damit gewährleistet er ein vergleichbares und abgestimmtes Vorgehen und ein im Gesamtsystem ausgewogenes Sicherheitsniveau. Der risikoorientierte Ansatz stellt zudem sicher, dass es zwischen den Betreibern innerhalb der einzelnen Teilsektoren nicht zu Ungleichbehandlungen kommt: Die allenfalls notwendigen Massnahmen stehen immer im Verhältnis zur Grösse bzw. zur Bedeutung der Betreiber: Es gibt kein einheitliches Mindestniveau oder Mindeststandard, bei dem die Gefahr besteht, dass es für die grossen Betreiber zu tief und für die kleinen zu hoch ist. Mit dem Grenzkostenmodell ist kein Investitionsautomatismus verbunden. Die vorgeschlagene Methodik stellt vielmehr eine Entscheidungs- und Planungsgrundlage dar, mit der aufgezeigt werden kann, welche Investitionen für welche Massnahmen aus risikoökonomischer Perspektive gerechtfertigt wären. Die entsprechenden Schutzziele stehen dabei in Konkurrenz mit weiteren Interessen (z.b. Naturschutz, gesellschaftliche Wertvorstellungen etc.). Der Entscheid über die tatsächlich zu realisierenden Massnahmen (und damit über das konkret zu erreichende Sicherheitsniveau und die verbleibenden Restrisiken) ist im Rahmen einer Güterabwägung auf politisch-gesellschaftlicher Ebene zu fällen. Dieser Schritt erfolgt am Schluss der nächsten Phase des Vorgehensprozesses, der Massnahmenplanung (vgl. Kapitel 3.4.5). 22/62

Mit den Schutzzielen wird der konkrete Beitrag der Verantwortungsträger zur Erreichung des (strategischen) Sicherheitsniveaus festgelegt. In Bezug auf Kritische Infrastrukturen ist dabei gemäss nationaler SKI-Strategie folgendes Sicherheitsniveau anzustreben: Die Schweiz ist resilient im Hinblick auf Kritische Infrastrukturen, so dass grossflächige und schwerwiegende Ausfälle der Kritischen Infrastrukturen möglichst verhindert werden, respektive das Schadensausmass im Ereignisfall begrenzt bleibt. In Bezug auf Naturgefahren ist folgendes Sicherheitsniveau anzustreben: «Das Risiko... ist so gering, dass der Fortbestand der Gemeinschaft heute und über die nächsten Generationen gesichert ist. Lebenswichtige Güter und Dienstleistungen dürfen nur für kurze Zeit in grossen Teilen der Schweiz ausfallen.» 15 3.3.1 Erarbeitung von Schutzzielen bei Kritischen Infrastrukturen Die Erarbeitung der Schutzziele stellt einen iterativen Prozess dar und kann nicht losgelöst von der Risikoanalyse und der Massnahmenplanung betrachtet werden: Wie oben dargelegt, können die Schutzziele erst nach Ausarbeitung der optimalen Massnahmenkombination in Bezug auf die jeweiligen Risiken festgelegt werden. Schritt 1: Erfüllung der bestehenden Vorschriften (legal compliance) Die Erfüllung der bestehenden Vorschriften bildet den Ausgangspunkt zur Festlegung der Schutzziele. Diese Vorschriften umfassen alle Massnahmen, zu welchen ein KI-Betreiber von Gesetzes wegen verpflichtet ist (Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben, Normen, best practices etc.). Weiter gehört dazu auch die Erfüllung von anderweitig geltenden Schutzzielen. Werden in Bezug auf die ermittelten Risiken gelten Vorschriften nicht eingehalten, sind umgehend Massnahmen zu deren Erfüllung zu treffen. Schritt 2: Priorisierung der Risiken (Provisorische Grenzwerte) Die Risikoanalyse kann bei Vorhandensein mehrerer Gefährdungsszenarien und Prozessen zu einer Grosszahl von Risikobeiträgen führen. Diese haben in der Regel unterschiedliche Bedeutung. Um die Bewertung der Risiken im Rahmen der Massnahmenplanung zu entlasten, können in einer ersten Phase die Risikobeiträge nach ihrer Grössenordnung triagiert werden, bzw. provisorische Grenzwerte als Zielvorstellung formuliert werden. Dazu werden die Risiken innerhalb der Risikomatrix gemäss Kapitel 3.2.3 drei Prioritätsstufen zugeteilt: rot = prioritäre Massnahmenplanung gelb = sekundäre Massnahmenplanung grün = zurückgestellte Massnahmenplanung Abbildung 7: Vorschlag für Einteilung der Prioritätsstufen 15 Nationale Plattform Naturgefahren PLANAT (2013): Sicherheitsniveau für Naturgefahren, August 2013, S. 10. 23/62