Prof. Dr. Helmut Perlet Sicher durch die nächste Finanzkrise mit Solvency II? 15. Versicherungswissenschaftliches Fachgespräch, Berlin
Die Finanzkrise Der Konsumüberhang in den USA œ wird durch exzessive Hypothekenvergabe finanziert œ an der Wall Street verbrieft œ und (überwiegend) an das Ausland verkauft Die Immobilienblase platzt und führt œ zu Verwerfungen auf den Kredit- und Geldmärkten œ zur Insolvenz einer Reihe von Finanzinstituten œ zur schwersten Rezession der Nachkriegszeit œ und zu explodierender Staatsverschuldung Die Krise folgt damit einem gängigen Drehbuch 1) : irrationaler Überschwang verstärkt durch Finanzinnovationen und massive Verschuldung Vertrauensverlust durch Leistungsstörungen Run auf das System Überschwappen auf Realwirtschaft und internationale Ansteckung 1) Ausführliche Analyse: J. Galbraith: Eine kurze Geschichte der Spekulation 2
ihre Ursachen Fehlanreize erhöhen die Risikobereitschaft der Marktteilnehmer Deregulierung und Regulierungsarbitrage führen zu einem ausgedehnten Schattenbankensystem ohne Eigenkapitalanforderungen und Offenlegungspflichten Finanzinnovationen begünstigen die Änderung des Geschäftsmodells der Banken Ratingmodelle begünstigen eine wundersame Qualitätsvermehrung Die Geldmengenpolitik verliert an Einfluss Nicht die Schrotthypotheken waren an der Krise schuld, sondern das Schrottsystem (N. Roubini, Das Ende der Weltwirtschaft und Ihre Zukunft ) 3
und die Lehren daraus Die Theorie der effizienten Märkte ist nicht haltbar Die Kosten der Deregulierung überwiegen offensichtlich deren Nutzen Reregulierung muss ganzheitlich sein und international einheitlich zur Vermeidung von Regulierungsarbitrage und Regulierungswettbewerb Beseitigung von Fehlanreizen Die Versicherer haben die Krise nicht ausgelöst 1), aber sie sind Teil des Systems Krisen lassen sich nicht abschaffen, aber sie können gemanagt und gemildert werden. Was trägt Solvency II dazu bei? 1) v. Fürstenwerth, GDV, Börsenzeitung v. 22.06.2010 4
werden durch Solvency II nur zum Teil berücksichtigt Solvency II ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung: œ Risikobasierte Eigenkapitalanforderungen œ Unabhängige Risikofunktion œ Stärkung der Gruppenaufsicht.. aber.. Solvency II ist ein reines Markteffizienzmodell.... mit einer ausgeprägten Tendenz zur Prozyklität.... eingeschränkter Vergleichbarkeit (Aussagekraft der Eigenkapitalquote) und.. mit Anreizen zum Regulierungswettbewerb. Liquiditätsmanagement und funding bleiben weitgehend unberücksichtigt Es besteht erheblicher Nachbesserungsbedarf 5
mit Konsequenzen für die Unternehmenssteuerung Marktkonsolidierung, durch erhöhte Eigenkapitalanforderungen vs. Anrechnung von Diversifikation Kapitalallokation œ Volatilität der Solvabilitätsquoten œ Kapitalanlagepolitik œ Verschiebung zwischen den Versicherungszweigen Produkt- und Preisgestaltung Überprüfung der Rückversicherungspolitik Standort- und Rechtsformwahl der use-test vor dem Hintergrund der Solvency II-Defizite Kapitalmarktkommunikation Solvency II ist für die Unternehmenssteuerung nur bedingt geeignet 6
Fazit Die Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte sind renovierungsbedürftig Ein neues Aufsichtssystem ist dazu notwendig, aber nicht hinreichend Solvency II ist dazu ein wichtiger Baustein, aber auch nicht mehr (auch wenn die Versicherungswirtschaft gut durch die Krise gekommen ist) Allerdings besteht angesichts der Lehren aus der jüngsten Finanzmarktkrise noch erheblicher Nachbesserungsbedarf 7