Pädagogik Tessa Rothe Streitschlichten in der Grundschule - Das Programm nach Karin Jefferys-Duden Examensarbeit
Streitschlichten in der Grundschule. Das Programm nach Karin Jefferys-Duden. Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Primarstufe, dem Staatlichen Prüfungsamt für Erste Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen in Köln vorgelegt von: Tessa Rothe Köln, den 26. Februar 2003 Institut für Psychologie
Es gibt keinen Weg zum Frieden, wenn nicht der Weg schon Frieden ist. (Martin Luther King)
Inhaltsverzeichnis 0. Einleitung 1. Zur Frage: Was ist Streit? 1.1. Zur Frage: Was ist ein Konflikt? 1.1.1. Intrasubjektiver und intersubjektiver Konflikt 1.1.2. Merkmale eines Konflikts 1.2. Entstehung und Typologie von Konflikten nach Lewin 1.2.1. Das Person-Umwelt-Modell 1.2.2. Bedürfnis, Spannung und Verhalten 1.2.3. Ziel, Valenz und Konflikt 1.3. Konfliktlösungen 1.3.1. Konflikte lösen warum eigentlich? 1.3.2. Konflikte lösen wie eigentlich? 2. Mediation als Verfahren der Konfliktlösung 2.1. Was ist Mediation? 2.2. Leitgedanken 2.3. Methode und Ziele 2.4. Die Rolle der Mediatoren 2.4.1. Wann kommen Mediatoren zum Einsatz? 2.4.2. Anforderungen an den Mediator 2.4.3. Möglichkeiten und Aufgaben 2.5. Anwendungsfelder 3. Mediation an Schulen 3.1. Konflikte unter Kindern 3.2. Ziele der Schulmediation 3.2.1. Mediation als Intervention 3.2.2. Mediation als Prävention 3.2.3. Nebenwirkungen
3.3. Die Bausteine der Konfliktfähigkeit 3.3.1. Selbstwahrnehmung und Selbstregulation 3.3.2. Perspektivenübernahme und Empathie 3.3.3. Kommunikation 3.3.3.1. Ausreden lassen und Zuhören 3.3.3.2. Gefühle ausdrücken 3.3.3.3. Kritik annehmen und konstruktiv Kritik üben 3.4. Rahmenbedingungen für erfolgreiche Mediation 3.4.1. Motivation der Lehrer- und Elternschaft 3.4.2. Streitschlichtung im Schulprogramm 3.5. Vorbereitung und Organisation 4. Das Streitschlichterprogramm nach Karin Jefferys-Duden 4.1. Einführung in das Schlichtungskonzept 4.1.1. Konflikte erkennen 4.1.2. Grundbegriffe der Mediation 4.1.3. Schlichtung: Was ist das? Wie funktioniert sie? 4.1.4 Kommunikation und Interaktion 4.2. Konflikte und Lösungsmöglichkeiten 4.2.1. Kategorisierung der Konflikte 4.2.2. Erarbeitung der Lösungsmöglichkeiten 4.2.2.1. Im Unterrichtsgespräch 4.2.2.2. In Gruppenarbeit 4.3. Regeln und Schlichterfähigkeiten 4.3.1. Regeln und Regelverstöße 4.3.2. Paraphrasieren und Zuhören 4.4. Gefühle 4.4.1. Gefühle erkennen: Körpersprache und Intonation 4.4.2. Eigene Gefühle wahrnehmen und vergleichen 4.5. Der Ablauf eines Schlichtungsgesprächs 4.5.1. Das Bild der Friedensbrücke 4.5.2. Einleitung des Schlichtungsgespräches 4.5.3. Positionen klären 4.5.4. Lösungen suchen
4.5.5. Abkommen treffen 4.6. Übungsphase 4.7. Abschlusstest 4.8. Organisation von Streitschlichtung 4.9. Quantitative und qualitative Erfolgskontrolle 5. Grenzen der Schulmediation 6. Der Erfolg des Programms: eine theoretische Fundierung 7. Ausblick 8. Literaturverzeichnis
0. Einleitung In den letzten Jahren wurde dem Thema "Aggression und Gewalt an Schulen" eine immer größere Aufmerksamkeit zuteil. Zeitungsberichte und Fernsehreportagen über Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeiten unter Kindern und Jugendlichen lösen Betroffenheit und Erschütterung aus. Durch die Medien, durch Beobachtung alltäglicher Streitsituationen und im persönlichen Umgang mit Mitmenschen bekommen Kinder als Betroffene und Zeugen häufig den Eindruck, Gewalt sei ein akzeptables und vor allem effektives Mittel der Konfliktaustragung. 1 Wichtig ist, dass es hierbei nicht nur um physische Gewalt geht. Auch psychische Gewalt durch Ausgrenzung, Lästern, Drohungen, Auslachen, Gruppenzwang oder Hänseln überschattet den (Schul-)Alltag vieler Kinder und Jugendlicher. Als Beispiele seien hier nur gewaltverherrlichende Liedtexte, Mobbing am Arbeitsplatz eines Elternteils und das aggressive Verhalten vieler Straßenverkehrsteilnehmer (z. B. durch Missachtung der Geschwindigkeitsbegrenzung in Spielstraßen oder drängelndes Hupen) genannt. Tagtäglich werden Heranwachsende mit solchen Negativ-Beispielen konfrontiert. Es verwundert daher nicht, dass die Tendenz, Aggressionen und Gewalt als Bewältigungsstrategien in Konfliktsituationen zu sehen, bei Kindern und Jugendlichen zunimmt. Versteht man Gewalt also als Symptom oder Ventil für unbewältigte Konflikte und damit einhergehende negative Gefühle, so wird deutlich, dass man den Kindern und Jugendlichen Handlungsalternativen für Konfliktsituationen aufzeigen muss, wenn man der Tendenz zur Gewalt entgegenwirken will. Es geht darum, sie in dem Sinne konfliktfähig zu machen, dass sie in der Lage sind, Konflikte verbal und sachlich zu lösen. 1 Walker, J., S.9
Im Hinblick auf meine zukünftige Tätigkeit als Lehrerin für die Primarstufe habe ich mich gefragt, welchen Beitrag die Schule hierzu leisten kann. Welche konkreten Präventions- und Interventionsmöglichkeiten gibt es, um dem Problem der Gewalt speziell an Schulen entgegenzuwirken? Es wäre nicht realistisch zu glauben, Lehrer könnten die (familiären und gesellschaftlichen) Zustände ändern, die bei Kindern und Jugendlichen ursächlich zu Konflikten führen. Das würde zu weit gehen. In der Schule können aber Handlungsalternativen für Streitsituationen erarbeitet und trainiert werden mit dem hohen Ziel, dass Schülerinnen und Schüler lernen, Konflikte gewaltfrei auszutragen. Dieses Ziel wird auch in den Richtlinien und Lehrplänen für die Grundschule formuliert. Folgende Aufgabenschwerpunkte werden dort in diesem Kontext festgelegt: - Rücksicht auf andere nehmen und bei auftretenden Konflikten nach gewaltfreien Lösungen suchen 2, - den alltäglichen Umgang miteinander gestalten (Konflikte zunehmend sprachlich regeln), - Gespräche führen (sich auf faire Weise mit anderen auseinandersetzen, Gesprächsregeln finden und sich auf Gesprächsregeln einlassen), - Szenisch spielen, vortragen (Konfliktlösungsmöglichkeiten finden und im Rollenspiel erproben). 3 Doch wie kann dies in der Schule realisiert werden? Bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Mediation im Rahmen eines theologischen Seminars erweckte das von der Amerikanerin Karin Jefferys-Duden entwickelte Streitschlichterprogramm für Schülerinnen und Schüler mein Interesse. Es ist ein strukturiertes, handlungsorientiertes Konzept zur Mediatorenausbildung in Schulen, in dem Kinder nicht nur erfahren, dass Streit gewaltfrei gelöst werden kann, sondern auch lernen, Streit eigenständig und selbstverantwortlich zu schlichten. 2 Ministerium für Schule und Weiterbildung, Richtlinien Sachunterricht, S. 28 3 Ministerium für Schule und Weiterbildung, Richtlinien Sprache, S. 25
Ich möchte in dieser Arbeit Chancen und Möglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten des Streitschlichterprogramms nach Karin Jefferys- Duden darstellen. Im ersten Kapitel wird zunächst eine Begriffsklärung vorgenommen. Dabei wird der Blick - außer auf eine Definition - auch auf eine Theorie zur Entstehung von Konflikten so der wissenschaftliche Ausdruck für Streit und auf verschiedene Strategien der Konfliktbearbeitung gerichtet. Im Kapitel Mediation als Verfahren der Konfliktlösung wird die Idee des Mediationsverfahrens vorgestellt. Es soll Hintergrundinformationen zum Thema Streitschlichten liefern und dem Leser auf diese Weise helfen, das Programm zur Mediatorenausbildung an Schulen in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Im dritten Kapitel Mediation an Schulen geht es um Ziele der Schulmediation sowie um Rahmenbedingungen und organisatorische Maßnahmen, die bei der Vorbereitung und Durchführung eines Streitschlichterprogramms an Grundschulen hilfreich oder sogar notwendig sein können. Es folgt eine ausführliche inhaltliche und methodische Beschreibung des Programms nach Karin Jefferys-Duden im vierten Kapitel, Eine theoretische Fundierung im fünften Kapitel wird Antwort(en) auf die Frage geben, warum dieses Konzept so wirkungsvoll ist. Warum haben sich im Zusammenhang mit Gewaltprävention- und Intervention andere Methoden nicht so gut bewährt? Oder anders gefragt: Warum lohnt es sich, dieses Programm kritisch zu studieren und seine Anwendung konstruktiv zu erproben?