PS Lexikologie Sitzung 2: Das Wort als sprachliches Zeichen Lexikalische Semantik Kontext Sitzung 2 1
Sprachliche Zeichen Wiederholung: orthografisches vs. phonologisches vs. morphologisches Wort Kriterien: freistehend, Bedeutung Sprachliche Zeichen umfassen aber weit mehr als nur die Wörter unserer Sprache: rote Ampel, Schulterzucken, Kopfschütteln (Semiotik). Selbst solche Zeichen können von Sprache zu Sprache variieren. Unter Wörtern verstehen wir auch ihre syntaktischen Varianten (Wortformen) (Flexionsmorphologie): sein bin, bist, ist,... Haus Häuser, des Hauses, dem Haus, etc. Sitzung 2 2
Sprachliche Zeichen Lexem: Grund-, Systemwort mit Ausdrucks- und Inhaltskomponente; jedes Lexem soll nur eine Bedeutung besitzen. Dies ist oft aber nicht der Fall, da sich Lexeme historisch in ihrer Semantik verändern können. Gang: Art zu gehen, Derivation Gang: Ort, wo man geht (z.b. Im Flugzeug), Polysemie Außerdem kann es Gründe für ausdrucksgleiche Lexeme geben, die nichts mit Bedeutungsveränderung zu tun haben: Gang1: Art zu gehen, Derivation Gang2: Bande, Gruppe (engl. gang), Entlehnung, Homonymie bzw. Homografie Sitzung 2 3
Ausdrucksseite sprachlicher Zeichen Die Ausdrucksseite (Signifikant) eines sprachlichen Zeichens beinhaltet die Schriftzeichen selbst und die dazugehörigen Lautfolgen (de Saussure 1916). Im Deutschen korrespondieren Schrift- und lautliche Zeichen oft. Im Französischen z.b. gibt es hierbei gerade für Nicht- Muttersprachler oft Probleme. Dt. konnte [kɔntə] vs. Frz. compte, conte, comte [kõt] ( Abrechnung, Erzählung, Graf ) Dt. Haut [haʊt] vs Frz. haut [o:] ('hoch') Die Ausdrucksseite wird von der Phonologie (bzw. Orthografie) untersucht. Sitzung 2 4
Inhaltsseite sprachlicher Zeichen Jeder Ausdruck eines Zeichens hat einen Wert, seine Bedeutung/ seinen Inhalt (Signifikat) (de Saussure 1916). Dieser umfasst: grammatische, pragmatische, lexikalisch-semantische Eigenschaften des Ausdrucks. Die Bedeutung ist sprachspezifisch und an ein Zeichen gebunden. Bedeutungswissen wird oft durch Stereo- bzw. Prototypen organisiert. Ein Prototyp ist der beste Vertreter seiner Klasse; ein Stereotyp die Gesamtheit der charakteristischen Objektmerkmale. Sitzung 2 5
Inhaltsseite sprachlicher Zeichen Die lexikalische Semantik geht der Frage nach, was Zeichen bedeuten und wie ihre Bedeutung zusammengesetzt ist. Hier beschäftigen wir uns also eher mit dem Inhalt. Bedeutungen in der lexikalischen Semantik sind zusammengesetzte Konzepte. Die kleinsten, allgemeinen Bedeutungen sind sogenannte Seme oder semantische Features, die zur Bedeutungsunterscheidung dienen können und mit "plus" oder "minus" notiert werden. Sitzung 2 6
Inhaltsseite sprachlicher Zeichen Diese Kleinstbedeutungen sind oft sehr allgemein und können helfen, ganze Wortfelder zu organisieren. Stuhl: [+Möbel], [+zum Sitzen], [+Beine], [+Fläche], [+Lehne] Tisch: [+Möbel], [+zum Ablegen], [+Beine], [+Fläche], [-Lehne] Sofa: [+Möbel], [+zum Sitzen], [-Beine], [+Fläche], [+Lehne] Innerhalb von Wortfeldern bestehen unterschiedliche Arten von Bedeutungsbeziehungen: vertikale und horizontale. Bei vertikalen Beziehungen handelt es sich um Über- bzw. Unterordnung von Einzelbedeutungen gegenüber bestimmten Bedeutungsklassen. Hierzu gehören... Sitzung 2 7
Inhaltsseite sprachlicher Zeichen...Hyponymie/Hyperonymie: Rose/Blume, Blume/Pflanze, Kaffee/Getränk, Jacke/Kleidung, Auto/Fahrzeug, gelb/farbe, Tiger/Raubkatze...Holonymie/Meronymie: Fahrrad/Lenker, Gesicht/Nase, Uhr/Zeiger, Haus/Tür, Buch/Seite Sitzung 2 8
Inhaltsseite sprachlicher Zeichen...Hyponymie/Hyperonymie: Rose/Blume, Blume/Pflanze, Kaffee/Getränk, Jacke/Kleidung, Auto/Fahrzeug, gelb/farbe, Tiger/Raubkatze IST-Relation (x ist eine Art y)...holonymie/meronymie: Fahrrad/Lenker, Gesicht/Nase, Uhr/Zeiger, Haus/Tür, Buch/Seite HAT-Relation (x hat ein y) Bei horizontalen Relationen geht es darum, wie die Konzepte, die Begriffe auf einer Ebene ausdrücken, zu einander stehen. Relationen dieser Art sind... Sitzung 2 9
Inhaltsseite sprachlicher Zeichen Synonymie: Geschenk Präsent; Gehweg Bürgersteig Quasi-Synonymie: Polizist Bulle Auge des Gesetzes Polyp Brötchen Semmel Junge Knabe Bub Antonymie: dick dünn; groß klein Komplementäre Ausdrücke: an aus; tot lebendig Heteronymie: blau, rot, gelb, grün; Rose, Tulpe, Narzisse Sitzung 2 10
Inhaltsseite sprachlicher Zeichen Durch die lexikalische Semantik und ihre Unterteilung in Kleinsteigenschaften können auch semantische Unverträglichkeiten im Kontext erklärt werden. a.?ein verheirateter Junggeselle Junggeselle [-verheiratet] b.?peter trinkt den Kuchen Objekt von trinken [+trinkbar] Problem: Es ist jedoch schwierig, alle Ausdrücke einer Sprache ganz in Kleinsteigenschaften zu analysieren, v.a. wenn ein begrenztes Inventar an Semen verwendet werden soll. Sitzung 2 11
Inhaltsseite sprachlicher Zeichen Es gibt Merkmale innerhalb der Bedeutung eines Zeichens, die von einander abhängig sind. Merkmalsbündel wie [+verheiratet] [-lebendig] können nicht vorkommen. Das gilt jedoch nur für die Minimalstbedeutungen, die sich auf ein Zeichen außerhalb von Kontext beziehen. Innerhalb eines Satzes wiederum, können solche eigentlich widersprüchlichen Konstellationen explizit hergestellt werden: Ihr Ehemann ist vor mehreren Jahren verstorben. Auch relationale Merkmale sind schwierig: [± GROSS], [± WEISUNGSBEFUGT]?? Meibauer et al. 2002, Bsp. (49), S.185. Sitzung 2 12
Prototypen Es gibt Elemente, die eindeutig zur Menge der mit einem bestimmten Ausdruck bezeichneten Elemente gehören. Vögel: Amsel, Adler, Spatz, Fink,... Andere Elemente sind ihrer Klasse nicht so eindeutig zuzuordnen. Vögel: Ente, Huhn, Vogelstrauß, Pinguin,... Wir können die Zugehörigkeit eines Elements zu einer bestimmten Gruppe graduell erfassen. Manche Objekte sind "bessere", andere "schlechtere" Vertreter ihrer Art. Pinguin [-fliegen] kein Vogel? Frage: was sind die notwendigen semantischen Merkmale, die die Bedeutung eines Ausdrucks festlegen? Sitzung 2 13
Prototypen Bei typischen Vertretern einer Klasse ist die Zuordnung zu derselben sehr einfach. Es scheint einen Kernbereich von Eigenschaften zu geben mit zentralen Instanzen und unscharfe Ränder. (Rosch 1973/1975) Die zentralen Instanzen nennt man Prototyp. Das sind die Standardbedeutungen eines sprachlichen Ausdrucks (Default). An den Rändern sind die Übergänge zu anderen Ausdrücken. Dort findet man die weniger typischen Vertreter. Prototypen erleichtern die Speicherung des konzeptuellen Wissens. Wir müssen nicht jedes Ding einzeln abspeichern, sondern können neue Elemente mit Prototypen abgleichen. Sitzung 2 14
Experiment Orientiert am psycholing. Experiment von Elanor Rosch zur Klasse "Vogel": Folgende Instanzen sind Vertreter der Klasse "Fortbewegungsmittel": Auto, Rad, Rikscha, Füße, Flugzeug, U-Bahn, LKW, Ruderboot, Skateboard a) Ordnen Sie diese Begriffe intuitiv vom (Ihrer Meinung nach) besten Vertreter der Klasse "Fortbewegungsmittel" hin zum schlechtesten. b) Welche Eigenschaften scheinen relevant zu sein für einen "guten" Vertreter? c) Welche Probleme sehen Sie bei der Definition des Prototypen bzw. beim Wortfeld "Fortbewegungsmittel"? Sitzung 2 15
Das semiotische Dreieck Es gibt hiervon unterschiedliche Varianten und Begriffe in Plato, Aristoteles, Peirce 1907, Ogden/Richards 1923, Carnap 1947, etc. Inhalt Seme [+Haustier] [+Schnurrhaare], [+miau], [+ 4Beine] Erweckt Ausdruck/Symbol /katsə/ bezieht sich auf Steht für Ding/Referent Sitzung 2 16
Verschiedene Arten von Bedeutung Man unterscheidet zudem auch Bedeutungsqualitäten: die denotative und die konnotative Bedeutung. Denotativ: kontextneutrale Erfassung der Seme, die sich auf das Objekt beziehen. Konnotativ: die Seme sind stilistisch, regional, sozial, etc. markiert. a. Weißbier (= Weizen) bayerisch b. Körnerfresser (=Vegetarier, Öko) abwertend c. Knabe veraltet Sitzung 2 17
Zusammenhang von Ausdruck und Inhalt Welcher Inhalt welchem Zeichen zugeordnet wird, ist arbiträr. Dt. Haus Fr. Maison Sp. Casa Fin. Talo Es gibt aber auch Dinge, die nicht symbolisch, sondern ikonisch repräsentiert werden bzw. die durchsichtig und damit motiviert sind: a. Onomatopoetika: Kuckuck, Wauwau, zischen b. nach transparenten morphologischen oder syntaktischen Regeln abgeleitete Ausdrücke: Haus-tür, Auto-tür, Balkon-tür, etc. Ist die Beziehung zwischen Zeichen und Inhalt nicht mehr durchsichtig, sondern konventionalisiert worden, spricht man von Lexikalisierung (ins Gras beißen). Sitzung 2 18
Funktion von sprachlichen Zeichen Mit Zeichen kann man referieren, auf etwas verweisen, Gefühle, Urteile ausdrücken, appellieren. Nicht jedes Zeichen hat aber alle Funktionen. (Römer/Matzke 2003) Eigennamen: verweisen und identifizieren, verallgemeinern aber nicht, wie andere Nomen. Es gibt Zeichen, die nur verweisen, bei denen aber der Kontext benötigt wird, um zu identifizieren: Pronomen. Manche Zeichen sind Ausdruck von Emotionen (Interjektion, Partikel) oder rein appellativ (Anreden, Grußformeln). Sitzung 2 19
Sprachliche Zeichen Wenn wir ein Zeichen speichern, speichern wir aber nicht nur die dazugehörige Bedeutung und seine Funktionsweise, sondern auch die kommunikativen Rahmenbedingungen, die dazu gehören. Kneipe eher nicht so nobles Etablissement, evtl. abschätziger Ausdruck.?Heute habe ich in einer Kneipe gespeist. Die Zuordnung von Zeichen und Bedeutung ist nicht fest, sondern diachron und synchron veränderbar. In unterschiedlichen Situationen können unterschiedliche Bedeutungsaspekte eines Zeichens betont werden. Sitzung 2 20
Sprachliche Zeichen Zeichen: Pferd. Man kann damit auf ein vor sich befindliches Tier verweisen: Konturenwissen (Schippan 1992) Man kann auf die Klasse "Pferd" verweisen: Konturenwissen wird präsiziert, der Begriff "Pferd" wird gebildet (Klassenbildung). das Zeichen "Pferd" kann in bestimmten semantischen Netzen verankert sein: a. Pferd- Turnier Reiter reiten Rennen - Rennbahn b. Pferd arbeiten ziehen Wagen Pflug Feld c. Pferd Zirkus Kunst reiten Artist d. Pferd Fleisch Delikatesse - essen Sitzung 2 21
AUFGABE Versuchen Sie eine möglichst exakte, neutrale Bedeutungsdefinition folgender sprachlicher Ausdrücke. Sie können mit Umschreibungen arbeiten oder lexikalisch-semantische Eigenschaften mit plus/minus notieren. Welche Probleme stellen Sie fest? a. Apfel b. du c. Hass Sitzung 2 22
AUFGABE a. Apfel [+essbar] [+rund] [+Frucht] [+Kerngehäuse] [+auf Baum] [+/- rot][+/-grün] : runde essbare Frucht mit Kerngehäuse, die auf einem Baum wächst und rot und/oder grün sein kann b. du 1. [+ansprechen] [+Person], 2. [-ansprechen] [+Person], Personalpronomen, das verwendet wird, um sich auf eine angesprochene Person zu beziehen c. Hass [+Gefühl] [+negativ] [+Abneigung] (????) [+/-objektgerichtet] [+/-personengerichtet]: starke Abneigung gegen Personen oder Dinge Sitzung 2 23
AUFGABE Probleme mit Bedeutungsbeschreibungen/-definitionen: - alles, was keine wirkliche äußere Form hat, ist schwieriger zu beschreiben. Man kann schwer identifizierende Eigenschaften finden. - Elemente, die sich durch eine Situation, einen Kontext oder ein anderes Objekt definieren, sind schwer zu beschreiben, da Kontexte wechseln können, bzw. zuerst das Element definiert werden muss, zu dem die Relation besteht. - Konkrete Eigenschaften als Seme anzugeben, ist schwieriger, als zu paraphrasieren, denn hier haben wir zudem die Möglichkeit gewisse semantischen Grundrelationen auszudrücken: HAVE, BE, BECOME... Sitzung 2 24
Sprachliche Zeichen Eine Zuordnung von einer einzigen, klar definierten, festen Bedeutung zu einem Zeichen ist, wie wir sehen, meist nicht möglich. Oft wird die Bedeutung von Zeichen erst im situationellen Kontext eindeutig interpretierbar. Beispiel: Ich gehe. Mitteilung? Versprechen? Drohung? Aufforderung? Sowohl ich, als auch der Ort, der Verlassen wird, können allein aus dieser Äußerung nicht sicher bestimmt werden. (Schippan 1992) Sitzung 2 25
Zusammenfassung Wir haben jetzt eine erste Idee, wie die Zuordnung von Bedeutungen zu Zeichen bei einfachen Wörtern funktionieren kann. Außerdem haben wir gesehen, welche Möglichkeiten bestehen, um lexikalisches Wissen zu ordnen und Bedeutungen zu definieren. Nächstes Mal behandeln wir die Speicherung, Anordnung und Extrahierung dieses Wissens im/aus dem mentalen Lexikon. Sitzung 2 26
Ausblick Übernächste Stunde: - Bitte bringen Sie ein deutsches Wörterbuch Ihrer Wahl mit. Am besten eignet sich ein allgemeines, einsprachiges. Wenn Sie so etwas nicht haben, können Sie auch etwas anderes mitbringen. Sitzung 2 27
Literatur Carnap, Rudolf. 1947. Meaning and Necessity. Chicago: U. of Chicago Press. Meibauer et al. 2002. Einführung in die germanistische Linguistik. Stuttgart/Weimar: Metzler. Ogden/Richards. 1923. The meaning of meaning. New York: Hartcourt. Römer/Matzke. 2003. Lexikologie des Deutschen. Eine Einführung. Tübingen: Narr. Rosch, Elanor. 1973. Natural categories. In: Cognitive Psychology 4: 328-50. Rosch, Elanor. 1975. Cognitive reference points. In: Cognitive Psychology 7: 532-47. Schippan, Thea. 1992. Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. Tübingen: Niemeyer. Saussure, Ferdinand de. 1916. Cours de linguistique générale. In : Charles Bally & Albert Séchehaye (eds.). Lausanne/Paris: Payot [dt.: Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft. Berlin: Walter de Gruyter 1931, 2. Aufl. 1967] Sitzung 2 28