Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens 27



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Transkript:

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens 27 6. Eigene Arbeiten Im Rahmen meines Habilitationsvorhabens Lerntheoretische Erklärungsansätze zur Entstehung und Aufrechterhaltung von abhängigem Verhalten: Empirische Erhebungen des Verlangens sollte die Rolle des Verlangens (als konditionierte Reaktion) bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von abhängigem Verhalten untersucht werden. Dabei lag der Focus auf den Fragen, ob und wann Drogenverlangen bewusst wahrgenommen wird, bzw. ob und wie es erfasst werden kann (zum aktuellen Forschungsstand s. Kapitel 3 und 5). Ein weiterer Schwerpunkt lag auf dem Nachweis des Suchtgedächtnisses (im Sinne spezifischer Konditionierungsvorgänge) sowie der Bedeutung der dopaminergen Neurotransmission (z.b. bei der Anreizhervorhebung drogenassoziierter Reize). Dabei wurde davon ausgegangen, dass es ein Suchtgedächtnis gibt, das sich als spezifische drogenassoziierte Konditionierbarkeit eines subkortikalen und kortikalen Aktivierungsmusters auf zuvor neutrale Reize darstellen lässt und sich subjektiv als konditioniertes Verlangen nach der Suchtsubstanz manifestiert (zum aktuellen Forschungsstand s. Kapitel. 4 und 5). Des Weiteren wurden bei exzessiven, belohnenden Verhaltensweisen das Auftreten von Verlangen und das Zutreffen weiterer international gültiger diagnostischer Kriterien für Abhängigkeit geprüft (zum aktuellen Stand der Forschung bzw. der Diskussion s. Kapitel 2). 6.1. Diagnostisches Instrument Zur Messung des Verlangens, einschließlich seiner verschiedenen Aspekte, wurde für den deutschen Sprachraum an einer umfangreichen Stichprobe (N= 575) der Fragebogen zur Differenzierten Drogenanamnese (FDDA) entwickelt und validiert (Grüsser, Wölfling, Düffert, Mörsen, & Flor, 2004). Der FDDA ist ein multimodales Selbstbeurteilungsverfahren, das die Diagnose eines Missbrauchs oder einer Abhängigkeit von einer psychotropen Substanz sowie die Erhebung von für die Behandlung relevanten anamnestischen Informationen ermöglicht. Die der Abhängigkeit zugrunde liegenden sechs Kriterien (Verlangen, Toleranzentwicklung, Entzugserscheinungen, Kontrollverlust, eingeengtes Verhaltensmuster und Folgeschäden) weisen eine hohe interne Konsistenz auf und lassen sich faktorenanalytisch auf einen Faktor (Abhängigkeit) reduzieren. Des Weiteren konnte die hypothetische Struktur aller Subskalen (z.b. Konsummuster, Soziodemographie, subjektives Befinden, körperliche und psychische Beschwerden, soziales

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens 28 Umfeld, Stimmung) faktorenanalytisch weitgehend bestätigt werden. Mit diesem aus verschiedenen Subskalen (Modulen) bestehenden Fragebogen wird der aktuelle Forschungsund Diskussionsstand zum Konzept des Drogenverlangens berücksichtigt und somit können mit ihm Variablen, die das Verlangen beeinflussen, erfasst werden. Zusätzlich liegt mit dem Fragebogen ein standardisiertes Instrument vor, um die verschiedenen (positiv und negativ verstärkenden) Aspekte des Drogenverlangens nach den unterschiedlichen Arten von psychotropen Subtanzen zu erheben. Vom FDDA wird derzeit vom Hogrefe Verlag (Zürich) eine Computerversion für die Anwendung in Klinik und Praxis erstellt (Grüsser, Wölfling, Düffert, Mörsen, Albrecht, & Flor, 2005). Grüsser, S.M., Wölfling, K., Düffert, S., Mörsen, C.P., & Flor, H. (2004a). Psychometrische Kennwerte und erste Ergebnisse zur Validität des Fragebogens zur Differenzierten Drogenanamnese (FDDA) [Psychometric properties and initial validation of the Questionnaire on Differentiated Assessment of Addiction]. Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie, 54, 405-412.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens Seite 29-36 Grüsser, S.M., Wölfling, K., Düffert, S., Mörsen, C.P., & Flor, H. (2004a). Psychometrische Kennwerte und erste Ergebnisse zur Validität des Fragebogens zur Differenzierten Drogenanamnese (FDDA) [Psychometric properties and initial validation of the Questionnaire on Differentiated Assessment of Addiction]. Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie, 54, 405-412.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens 37 6.2. Standardisiertes Reizmaterial bei Abhängigkeit von psychotropen Substanzen und pathologischem Glücksspiel im Reizreaktionsparadigma Aufgrund von bislang fehlendem standardisierten Reizmaterial für die Erhebungen der konditionierten Drogenreaktion (bzw. des reizinduzierten Verlangens) im Psychophysiologielabor, wurden visuelle Suchtmittelreize entwickelt und validiert. Dabei wurden zwanzig visuelle Cannabis-, Alkohol-, Nikotin- und Heroinreize sowie ein olfaktorischer Cannabis- und Nikotinreiz und drei verschiedene olfaktorische Alkoholreize an Stichproben von Abhängigen und gesunden Kontrollprobanden getestet (Grüsser, Heinz, et al. 2000). Die im Rahmen dieser Studie eingesetzten visuellen suchtmittelassoziierten Reize wurden selber entwickelt und die neutralen Vergleichsreize dem International Affektiv Picture System (IAPS, Lang, Öhmann, & Vaitl, 1988) entnommen. In Anlehnung an psychophysiologische Studien zur emotionalen Verarbeitung von Reizen (Lang, Bradley, & Cuthberg, 1990) wurden die visuellen Reize randomisiert für jeweils 6 sec. dargeboten. Das olfaktorische Reizmaterial wurde in Paraffinöl und Polyethylen Glycol gelöst und jede der Substanzen wurde in sechs verschiedenen Konzentrationen dargeboten. Die subjektive emotionale Verarbeitung (Valenz, Arousal und Dominanz) wurde mittels den Self Assessment Manikin Skales (SAM, Lang, 1980) erhoben. Das subjektive Verlangen wurde in Anlehnung an die Arbeiten von Tiffany (z.b. Tiffany & Drobes, 1991; vgl. auch zum Alkoholverlangen Raabe, Grüsser, Wessa, Podschus, & Flor, 2005) gemessen. Des Weiteren wurde erfasst, wie typisch der jeweilige Reiz für den Alkohol- oder Drogenkonsum ist. Zusätzlich wurde bei dem reizinduzierten Verlangen eine Reliabilitätstestung durchgeführt. Bei der Datenanalyse wurden die Reize ausgewählt, bei denen die zuvor festgelegten Cutoff -Werte (typisch > 85% und Verlangen > 50%) überschritten wurden. Zusammenfassend zeigten die Ergebnisse, dass standardisiertes substanzspezifisches Reizmaterial geeignet ist, bei der entsprechenden Gruppe von aktiv konsumierenden Abhängigen im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden ein signifikant stärkeres reizinduziertes Verlangen auf der subjektiv verbalen Ebene auszulösen. Des Weiteren zeigte sich, dass das Ausmaß des reizinduzierten Verlangens über die verschiedenen Modalitäten hinweg (visuell und olfaktorisch) signifikant positiv zusammenhing. Im Rahmen einer späteren Studie wurde anlog zu der oben beschriebenen Studie visuelles Reizmaterial für das pathologische Glücksspiel entwickelt und evaluiert. Mittels des Reizreaktionsparadigmas wurde das reizinduzierte Verlangen nach dem Glücksspiel und die emotionale Verarbeitung (SAM, Lang, 1990) bei abstinenten pathologischen Spielern im

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens 38 Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden nach Darbietung von glücksspielassoziierten, neutralen, negativen und positiven (IAPS; Lang et al., 1988) visuellen Reizen getestet (Grüsser, Plöntzke, et al, 2005). Des Weiteren wurden Variablen zur Psychopathologie erhoben, um zu prüfen, ob diese einen Einfluss auf das Verlangen haben. Die Ergebnisse zeigen bei den pathologischen Spielern im Vergleich zu den gesunden Kontrollprobanden eine störungsspezifische veränderte emotionale Verarbeitung der Glücksspielreize: Die Glücksspielreize lösen ein signifikant stärkeres Verlangen aus und werden als signifikant erregender, angenehmer und dominanter empfunden. Auch im Vergleich zu den glücksspielirrelevanten Reizen lösten die Glücksspielreize bei den pathologischen Spielern ein signifikant stärkeres Verlangen aus. Weiterhin zeigte sich innerhalb der Gruppe der pathologischen Glücksspieler, dass die Stärke des Verlangens nach dem Glücksspiel in Abhängigkeit von der psychischen Beeinträchtigung (Ängstlichkeit, Depressivität, negative Stressverarbeitungsstrategien) stand. Die Ergebnisse der Studie zeigten Analogien zu entsprechenden Befunden in Studien zur stoffgebundenen Abhängigkeit und weisen darauf hin, entsprechende geeignete therapeutische Maßnahmen aus dem Suchtbereich auch bei pathologischen Spielern anzuwenden. Grüsser, S.M., Heinz, A., & Flor, H. (2000). Standardized stimuli to assess drug craving and drug memory in addicts. Journal of Neural Transmission, 107, 715-720. Grüsser, S.M., Plöntzke, B., & Albrecht, U. (2005) Pathologisches Glücksspiel eine empirische Untersuchung des Verlangens nach einem stoffungebundenen Suchtmittel [Pathological gambling. An empirical study of the desire for addictive substances]. Nervenarzt, 76, 592-596.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens Seite 39-44 Grüsser, S.M., Heinz, A., & Flor, H. (2000). Standardized stimuli to assess drug craving and drug memory in addicts. Journal of Neural Transmission, 107, 715-720.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens Seite 45-49 Grüsser, S.M., Plöntzke, B., & Albrecht, U. (2005) Pathologisches Glücksspiel eine empirische Untersuchung des Verlangens nach einem stoffungebundenen Suchtmittel [Pathological gambling. An empirical study of the desire for addictive substances]. Nervenarzt, 76, 592-596.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens 50 6.3. Variablen, die das Verlangen beeinflussen Wie bereits in der oben beschriebenen Studie zur Erhebung der Variablen, die das reizinduzierte Verlangen nach dem Glücksspiel beeinflussen (s. Kapitel 6.2.), wurde in einer weiteren Studie geprüft, ob die psychische Beeinträchtigung und zusätzlich auch soziokulturelle Variablen, wie z.b. verschiedene Aspekte von Migration, einen Einfluss auf Verlangen und Abhängigkeit von psychotropen Substanzen haben (Grüsser, Wölfling, Mörsen, Albrecht, & Heinz, 2005). Bei einer Stichprobe von 40 abhängigen und 40 nicht abhängigen aus Russland nach Deutschland ausgesiedelten Migranten konnte gezeigt werden, dass Abhängigkeit und stressassoziierte Variablen (psychische Belastung und negative Stressverarbeitungsstrategien) eng zusammenhingen. Während bei den abhängigen Migranten keine der soziodemographischen Variablen (z.b. Alter zum Zeitpunkt der Migration, Aufenthaltszeitraum in Deutschland, Arbeitslosigkeit, Bildung) signifikant mit dem Verlangen nach Drogen zusammenhing, zeigte sich ein signifikanter positiver Zusammenhang zwischen Verlangen und den Stress- und Stimmungsvariablen. Das Maß der Zufriedenheit mit dem Aufenthalt in Deutschland zeigte einen signifikanten Zusammenhang mit dem Vorliegen einer Abhängigkeit sowie mit einer bestehenden Arbeitslosigkeit. Zusammenfassend zeigten die Ergebnisse, dass Abhängigkeit und mit der Migration assoziierte Variablen unabhängig voneinander mit den Variablen der psychischen Belastung zusammenhängen. Es wird geschlussfolgert, dass abhängiges Verhalten die Funktion einer inadäquaten (für den Betroffenen aber kurzfristig effektiven) Strategie, mit Stress und psychischen Belastungen umzugehen, bekommen hat. Langfristig kann anhaltender Drogenkonsum Stress und psychische Belastungen aber auch verstärken und somit den Prozess der Eingliederung (Akkulturation) bei Migranten negativ beeinflussen. Grüsser, S.M., Wölfling, K., Mörsen, C.P., Albrecht, U., & Heinz, A. (2005). Immigration-Associated Variables and Substance Dependence. Journal of Studies on Alcohol, 66, 98-104.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens Seite 51-57 Grüsser, S.M., Wölfling, K., Mörsen, C.P., Albrecht, U., & Heinz, A. (2005). Immigration-Associated Variables and Substance Dependence. Journal of Studies on Alcohol, 66, 98-104.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens 58 6.4. Persistenz der gelernten Drogenreaktion: subkortikale Komponente Um die Frage nach der erhöhten Anreizmotivation von Drogen und den damit assoziierten Reizen auch noch lange nach dem Entzug näher zu betrachten, wurde bei abstinenten Alkoholikern, sozialen Trinkern und wenig Alkohol trinkenden Personen die psychophysiologische emotionale Verarbeitung von visuellen alkoholassoziierten Reizen und das reizinduzierte Alkoholverlangen im Vergleich zu nicht mit dem Alkohol assoziierten Reizen getestet (Grüsser, Heinz, Raabe, Wessa, Podschus, & Flor, 2002). Als physiologischer Parameter wurde der Schreckreflex erhoben. Der Schreckreflex, ein polysynaptischer Reflex (z.b. gemessen als Lidschlussreflex am M. orbicularis oculi), ist ein zuverlässiges Maß, um die affektive Modulation und somit die emotionale Valenz von verschiedenen Reizen nach Darbietung eines lauten Geräusches sowie die Involvierung subkortikaler Prozesse des emotional-motivationalen Systems zu erheben. Die Schreckreflexamplitude ist bei emotional negativ getönten Bildern erhöht und bei emotional positiv gefärbten Bildern gehemmt (Lang et al., 1990; Cook, Davis, Hawk, Spence, & Glutier, 1992). Die Erhebung der Schreckreflexreaktion wurde bislang bei zahlreichen klinischen Stichproben durchgeführt und zeigte jeweils eine entsprechende störungsspezifische Modulation des Lidschlussreflexes nach der Darbietung von störungsspezifischen Reizen (z.b. Angstreize bei phobischen Patienten; Grillon & Baas, 1993). Bei der vorliegenden Studie zeigte sich, dass, obwohl die abstinenten Alkoholiker die Alkoholreize als eher unangenehm (und erregend) einstuften und kein Verlangen angaben, die Alkoholreize dennoch im Vergleich zu negativen und neutralen Reizen einen appetitiven Charakter für sie hatten, da hier das Ausmaß des Schreckreflexes vergleichbar zur Darbietung des positiven Reizmaterials - verringert war. Auch im Vergleich zu den Kontrollprobanden war die alkoholreizinduzierte Schreckreflexamplitude bei den abstinenten Alkoholikern signifikant verringert. Bei abstinenten Abhängigen scheint somit die subjektiv verbale Ebene und die physiologische Ebene in Bezug auf die Bbedeutung und emotionale Verarbeitung ihrer suchtmittelspezifischen Reize dissoziiert zu sein. Die Befunde sind für therapeutische Implikationen einer effektiven Rückfallprophylaxe von Bedeutung. Denn nur einem bewusst wahrgenommenen Verlangen kann auch bewusst entgegen gesteuert werden. Grüsser, S.M., Heinz, A., Raabe, A., Wessa, M., Podschus, J., & Flor, H. (2002). Stimulus-induced craving and startle potentiation in abstinent alcoholics and controls. European Psychiatry, 17, 188-193.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens Seite 59-64 Grüsser, S.M., Heinz, A., Raabe, A., Wessa, M., Podschus, J., & Flor, H. (2002). Stimulus-induced craving and startle potentiation in abstinent alcoholics and controls. European Psychiatry, 17, 188-193.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens 65 6.5. Persistenz der gelernten Drogenreaktion: kortikale und peripherphysiologische Komponente In der Literatur wird mehrfach postuliert, dass die konditionierte Aufmerksamkeitszuwendung (gelernte Drogenreaktion) das neurobiologische Korrelat des Suchtgedächtnisses von Substanzabhängigkeit sei und dazu führe, dass auch nach jahrelanger Abstinenz eine einmalige Suchtmittelexposition bzw. Konfrontation mit suchtmittelassoziierten Stimuli zum überwältigenden Verlangen führt und zur Suchtmitteleinnahme motiviert (Everitt et al., 2001; O Brien et al., 1992) (vgl. Kapitel 4.2.). Bei einer Studie zur Reizreaktivität bei abstinenten Alkoholikern im funktionellen Kernspintomographen (fmri) wurden abstinenten Alkoholikern und gesunden Kontrollprobanden alkoholassoziierte Reize (Bilder der Lieblingsgetränke) im Vergleich zu neutralen Reizen (abstrakte und emotional neutrale Objekte) präsentiert. In einem zweiten Schritt wurde die subjektive emotionale Verarbeitung der Reize (Erregung und Valenz) sowie der reizinduzierte Hautleitwert, als peripherphysiologischer Parameter für Erregung, erhoben. Des Weiteren wurden die Schwere der Alkoholabhängigkeit, das subjektive Alkoholverlangen und die Rückfallquote (bis zu drei Monaten nach der Untersuchung) erhoben und in Zusammenhang mit der alkoholreiz-induzierten kortikalen und peripheren Aktivierung gebracht (Grüsser, Wrase, Klein, Hermann, Smolka, Ruf, et al., 2004). Auf der subjektiv verbalen Ebene gaben die abstinenten Alkoholiker kein Alkoholverlangen an. Auch bei der subjektiven emotionalen sowie peripherphysiologischen Verarbeitung der alkoholassoziierten Reize zeigten sich keine signifikanten Gruppenunterschiede zwischen den abstinenten Alkoholikern und den gesunden Kontrollprobanden. Auf der supraspinalen physiologischen Ebene jedoch konnte eine verstärkte alkoholreizinduzierte kortikale Aktivierung im Putamen, dem anterioren Cingulum und dem angrenzenden medialen präfrontalen Kortex bei den abstinenten Alkoholikern nachgewiesen werden. Des Weiteren konnte ein Zusammenhang zwischen dieser Aktivierung und einer erhöhten Rückfallgefährdung gezeigt werden. Diese verstärkte alkoholreizinduzierte Aktivierung bei den rückfallgefährdeten Alkoholikern wird u.a. im Sinne einer Aktivierung des Aufmerksamkeitsnetzwerkes interpretiert. Es wird geschlussfolgert, dass eine Veränderung der dopaminergen Neurotransmission im Striatum alkoholabhängiger Patienten zum Alkoholverlangen und zur verstärkten Prozessierung alkoholassoziierter Reize im Aufmerksamkeitsnetzwerk beitragen kann und mit der

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens 66 Aktivierung automatisierter, habitueller Verhaltensweisen verbunden sein könnte, ohne dass dabei notwendigerweise ein bewusstes verbalisierbares Verlangen auftreten muss. Die Befunde stehen im Einklang mit den Befunden der oben erwähnten Studie zu der subkortikalen Komponente (Schreckreflex) der gelernten Drogenreaktion und weisen darauf hin, dass suchtmittelassoziierte Reize auch noch nach jahrelanger Abstinenz ein suchtmittelspezifisches Aktivierungsmuster hervorrufen können und dass die subjektiv verbale Ebene und die (supraspinale) physiologische Ebene bei den abstinenten Abhängigen dissoziiert sein können, was im Rahmen einer effektiven Rückfallprophylaxe berücksichtigt werden muss. Grüsser, S.M., Wrase, J., Klein, S., Hermann, D., Smolka, M.N., Ruf, M., et al. (2004). Cue-induced activation of the striatum and medial prefrontal cortex is associated with subsequent relapse in abstinent alcoholics. Psychopharmacology, 175, 296-302.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens Seite 67-73 Grüsser, S.M., Wrase, J., Klein, S., Hermann, D., Smolka, M.N., Ruf, M., et al. (2004). Cue-induced activation of the striatum and medial prefrontal cortex is associated with subsequent relapse in abstinent alcoholics. Psychopharmacology, 175, 296-302.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens 74 6.6. Verlangen und Funktion von exzessivem belohnenden Verhalten bei Kindern und Jugendlichen Im Rahmen der Untersuchungen zur Genese, Diagnostik und zugrundeliegenden Mechanismen der Verhaltenssucht wurde die Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen erhoben. Hier wurde v.a. der Frage nachgegangen, inwieweit exzessives Computer- und Videospielen die Kriterien und Funktion einer Abhängigkeit erfüllen (Grüsser, Thalemann, Albrecht, & Thalemann, 2005). Bei einer Stichprobe von 323 Grundschülern wurde das Computerspielverhalten erhoben. Die diagnostischen Kriterien für exzessives Verhalten wurden in Anlehnung an die international gültigen Kriterien für Abhängigkeit und pathologisches Spielen erstellt. Es zeigte sich, dass über 9% der befragten Kinder die festgelegten Kriterien für exzessives Computerspielverhalten vollständig erfüllten. Die Gruppe der exzessiv computerspielenden Kinder unterschied sich signifikant von ihren nicht-exzessiv computerspielenden Mitschülern im Ausmaß des Fernsehkonsums, des Kommunikationsverhaltens, der Konzentrationsfähigkeit im Unterricht sowie der Bewältigungsstrategien bei negativen Gefühlen. Die Gruppe der exzessiv computerspielenden Kinder zeigte höhere Werte bezüglich des Fernsehkonsums und der negativen Stressverarbeitungsstrategien und geringere Werte bezüglich des Kommunikationsverhaltens und der Konzentrationsfähigkeit. Zusammenfassend zeigte sich, dass die exzessive Nutzung des Computers auf Kosten der Kommunikation von Gefühlen geht. Die Ergebnisse deuten in Analogie zu Erkenntnissen aus der Abhängigkeitsforschung - darauf hin, das Kinder (schon früh) lernen, sich durch exzessives Verhalten inadäquat zu belohnen und somit, im Sinne einer inadäquaten aber effektiven Stressverarbeitungsstrategie, Gefühle (z.b. in Zusammenhang mit Frustrationen) zu unterdrücken bzw. zu regulieren. Im Rahmen von präventiven Maßnahmen sollte bei der Medienerziehung von Kindern und Jugendlichen auch dem Aspekt des emotionalen Erlebens im Zuge der Mediennutzung stärkere Beachtung geschenkt werden. Grüsser, S.M., Thalemann, R., Albrecht, U., & Thalemann, C. (2005). Exzessive Computernutzung im Kindesalter Ergebnisse einer psychometrischen Erhebung [Excessive computer usage in adolescents - a psychometric evaluation]. Wiener Klinische Wochenschrift, 117, 188-195.

Dr. S.M. Grüßer-Sinopoli, Empirische Erhebungen des Verlangens Seite 75-82 Grüsser, S.M., Thalemann, R., Albrecht, U., & Thalemann, C. (2005). Exzessive Computernutzung im Kindesalter Ergebnisse einer psychometrischen Erhebung [Excessive computer usage in adolescents - a psychometric evaluation]. Wiener Klinische Wochenschrift, 117, 188-195.