Die Situation der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland. Gutachten im Auftrag des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration



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Transkript:

Die Situation der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland Gutachten im Auftrag des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration Berlin, März 2004

Inhaltsverzeichnis 1 Vorwort Cem Özdemir 2 Aspekte der sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Integration der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland Veysel Özcan 7 Akkulturationsstress und soziale Verunsicherung türkischer Migranten in Deutschland Haci Halil Uslucan 52 Kulturelle Werte und Identität Haci Halil Uslucan 68 Das Verhältnis von Identität / Staatsbürgerschaft und Integration Şükrü Uslucan 86 Türkeistämmige Frauen in Deutschland Esra Erdem 100 1 Verantwortlich für die Inhalte und Positionen der Beiträge ist der jeweilige Autor bzw. die Autorin. Sie geben ausschließlich den jeweiligen Standpunkt wider, so dass gegenteilige Einschätzungen oder Widersprüche nicht auszuschließen sind. 1

Vorwort Cem Özdemir Die vorliegenden Gutachten, erstellt im Auftrag des Sachverständigenrates für Zuwanderung und Integration, behandeln die Integration türkischstämmiger Einwanderer und ihrer Nachkommen. Veysel Özcan untersucht Aspekte der sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Situation der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland. Dabei wird deutlich, dass die Integration türkischer Migranten voranschreitet, wie etwa bei der wohnräumlichen Situation und der sozio-kulturellen Integration. Allerdings zeigen gerade die Befunde zur Arbeitsmarktintegration, dass nach wie vor erhebliche und mitunter besorgniserregende Defizite bestehen. Die zweite zeigt zwar eine bessere Bildungs- und Qualifikationsstruktur, aber gleichzeitig existiert ein deutlicher Abstand zu Deutschen, aber auch zu Migranten der zweiten aus Italien, Griechenland und den Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Angesichts der Bedeutung des Arbeitsmarktes und des Erwerbslebens für die Integration türkischer Migranten sind gerade in diesem Bereich unbedingt Maßnahmen notwendig, die die Bildungschancen von Kindern mit Migrationshintergrund zu verbessern helfen. Die Süßmuth-Kommission und die Integrationsbeauftragte haben hierzu entsprechende Vorschläge unterbreitet. Haci Halil Uslucan thematisiert das psychische Wohlbefinden von Migranten. Ohne das Gefühl, sich relativ unbelastet und sicher im Alltag bewegen zu können, ist sozialer Austausch zwischen Mehrheiten und Minderheiten nur schwer denkbar. Permanentes Stresserleben und Verunsicherungen dagegen führen zu einer innerlichen Ablehnung der gelebten sozialen und natürlichen Umwelt, erhöhen den Wunsch nach Heimkehr und vergrößern den Abstand zur Mehrheitsgesellschaft. In der vorliegenden Studie wird der Akkulturationsstress türkischer Migranten am Beispiel von Heimwehgefühlen, Fremdheitserfahrungen und sozialer Verunsicherung vorgestellt. Besonders das Leiden an und Klagen über Heimweh stellt sowohl in der ersten und manchmal auch noch in der zweiten eine auffällig häufige Symptomatik dar. Hierzu hat Haci Halil Uslucan mit einer eigenen empirischen Erhebung Personen im Alter von 13 bis 66 Jahren befragt. Die Ergebnisse zeigen hohe Belastungswerte sowohl bei der ersten der Arbeitsmigranten, die bereits eine lange Zeit hier leben, als auch bei Türkinnen mit einer kurzen Aufenthaltsdauer, die im Rahmen von transnationalen Ehen nach Deutschland gekommen sind. Persönliche Ressourcen dagegen, wie etwa ein hohes Selbstwertgefühl und sozial unterstützende Netzwerke, konnten das Leiden an Heimweh und Verunsicherungserfahrungen mildern. Seine Ergebnisse stellen zwei gefährdete Risikogruppen innerhalb der türkischen Migranten heraus: ältere Migranten und transnationale Heiratsmigrantinnen. In einem weiteren Text wirft Haci Halil Uslucan einen Blick auf den Zusammenhang von kulturellen Wertvorstellungen und Identität. Wenn es um unterschiedliche Verhaltensanforderungen und Werteorientierungen zwischen Deutschen und Türken geht, wird all zu schnell der Begriff des Kulturkonfliktes als Erklärung herangezogen. Jedoch werden dabei nicht selten lediglich zwischenmenschliche Unterschiede zu Unrecht kulturalisiert. Ein Kulturwechsel sollte nicht vorschnell und einseitig als eine Entwicklungseinschränkung des Individuums betrachtet wird. Um die Chancen, Risiken und Realisierbarkeit einer erfolgreichen Akkulturation auszuloten, demonstriert Haci Halil Uslucan anhand einer eigenen empirischen Studie die Werteübereinstimmungen und -divergenzen zwischen Deutschen, türkischen Migranten und Menschen aus der Türkei. Seine Befunde zeigen, dass es keine gravierenden Unterschiede zwischen Deutschen und türkischstämmigen Menschen gibt, was die Beurteilung von Frei- 2

heit, Freundschaft und familiärer Sicherheit betrifft. Deutliche Wertedivergenzen zwischen den Gruppen konnte er jedoch hinsichtlich der Bedeutsamkeit von Spiritualität, Reichtum, Hedonismus, Höflichkeit, Achtung vor der Tradition, Autorität und nationaler Sicherheit feststellen. Überraschend ist sein Befund im envergleich, dass jüngere Migranten in Deutschland nicht nur konservativere Wertauffassungen als ihre deutsche Altersgruppe haben, sondern auch deutlich stärker konservativ sind als ihre türkische Vergleichsgruppe in der Türkei. Die Expertise von Şükrü Uslucan untersucht das Verhältnis von Identität/Staatsbürgerschaft und Integration. Dort wird vor allem der Frage nachgegangen, ob und inwieweit die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit die Integrationschancen bei der türkischstämmigen Bevölkerung erhöht und wie sie die Selbstwahrnehmung als türkische Migrantengruppe in Deutschland beeinflusst (hat). Angesichts der Staatsbürgerschaftsreform und den Bestrebungen im Zuwanderungsbereich, zeichneten sich allmählich die Umrisse einer multinationalen und multiethnischen Migrationsgesellschaft ab. Für die Vervollständigung dieses Bildes bedarf es Şükrü Uslucan zufolge aber noch weiterer Maßnahmen, um der tatsächlichen Situation dieser Gruppe eher gerecht zu werden. Das infolge dieser Reformen sich ändernde Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland, die erstmals die faktische Einwanderungssituation auch regierungsamtlich anerkannt habe, sollte - so die berechtigte Forderung von Şükrü Uslucan durch flankierende Maßnahmen unterstützt werden, um die Identifikations- und Integrationschancen der Jugendlichen noch stärker als bislang erhöhen zu können. Es empfiehlt sich, mehr Gelassenheit hinsichtlich des generellen Verbots der Mehrstaatigkeit zu üben. Denn insoweit sind die gängigen Vorstellungen, dass heimatkulturelle Verbundenheit die hiesigen Integrationsbemühungen behindere, in der Regel unzutreffend. Vielmehr verstehen es die Personen - aufgrund ihrer Migrationsgeschichte - sich prinzipiell beiden Kulturen zugleich zugehörig zu fühlen, sich somit auch klar zu dieser Gesellschaft zu bekennen. Gerade bei den Jugendlichen ist eine deutliche Abnahme der herkunftskulturellen Orientierung zu erkennen. Mit Blick auf die Gruppe der Eingebürgerten bzw. derer, die lediglich wegen der Pflicht, die alte Staatsbürgerschaft abgegeben zu müssen, noch zögerten, zeigt sich ein deutlich höherer Integrations- und Identifikationsstand als bei den nicht Eingebürgerten. Einbürgerung und Integration stehen somit eindeutig in einem wechselseitigen Verhältnis. Neben Ethnizität und Staatsangehörigkeit ist auch das Geschlecht eine Determinante der sozialen Stellung bzw. der sozialen Ungleichheit. Esra Erdems Arbeit zeigt, dass türkischstämmige Migrantinnen wiederum anders positioniert sind als männliche Migranten oder Personen der Mehrheitsgesellschaft. Folglich darf die Diskussion um die Integration von Migranten die spezifischen Probleme, mit denen türkische Migrantinnen konfrontiert sind, nicht vernachlässigen. Esra Erdem dokumentiert diese Schwierigkeiten anhand der Bereiche Zuwanderungspolitik, Aufenthaltsstatus, Erwerbstätigkeit, Armut und Gewalt. Die vorliegenden Arbeiten verdeutlichen durchweg die überragende Bedeutung von Bildung für die gesellschaftliche Integration von Migranten in Deutschland. Die gefühlte und tatsächliche Durchlässigkeit der Gesellschaft für Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch für Deutsche aus Arbeiterfamilien, geht gerade im Bildungsbereich extrem auseinander. Die Ergebnisse der PISA-Studie zeigten, dass in Deutschland, mehr als in anderen Industrieländern, die Bildungschancen und Bildungserfolge einzelner Schüler vom sozialen und kulturellen Hintergrund ihrer Eltern und Familien abhängig ist. Die sozialen Benachteiligungen treffen die Kinder sowohl deutscher als auch ausländischer Arbeiter bzw. Arbeitsloser gleichermaßen: Den Eltern dieser Kinder fehlt oftmals die Kompetenz in Bildungsfragen, gelegentlich mangelt es auch an der Wertschätzung hierfür. Denn es gibt kaum Bücher im Haus, daneben fehlen oft Rollenmodelle und Vorbilder für Erfolge im Schulbesuch und in der 3

Berufsausbildung. Diese Defizite erleben Kinder mit Migrationshintergrund, ob mit deutschem Pass oder ohne, jedoch häufig in potenzierter Form, vor allem wenn zu Hause und im nachbarschaftlichen Umfeld selten Deutsch gesprochen, somit wenig Anteil am Leben im gesellschaftlichen Mainstream genommen wird. Die Gründe für die mangelnde Integration von Zuwandererkindern in das deutsche Schulsystem sind vielfältig. So zeigt die Iglu -Studie, dass Kinder aus nichtdeutschen Elternhäusern und deutschen Arbeiterfamilien, selbst bei gleicher Begabung, im Zweifelsfall auf die Hauptschule geschickt werden. Folge dessen ist eine Gesellschaft, in der für begabte Migrantenkinder kaum Zugang zu den Spitzen von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik besteht. Teilweise sträuben sich sowohl öffentliche Institutionen als auch die Mehrheitsgesellschaft dagegen, Deutschland als Einwanderungsland zu begreifen. Hierdurch werden vorhandene Bemühungen zur Integration von Minderheiten zunichte gemacht bzw. bleiben halbherzig. Teilweise sind eingewanderte Familien und ethnische Medien so engagiert dabei, Quasi-Parallelgesellschaften zu schaffen, dass diese Rückzugsräume es vielen Kindern und Jugendlichen weder erstrebenswert noch erforderlich erscheinen lassen, sich der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu nähern um sich zu integrieren und sie mit zu gestalten. Spätestens seit dem 11. September 2001 gibt es in der öffentlichen Debatte zunehmend eine Verknüpfung von Einwanderung, Integration und Religion. Angesichts von mehreren Millionen von Muslimen, darunter auch deutsche Staatsangehörige, wissen wir in Deutschland noch relativ wenig über die Einstellungen von Muslimen. Jörn Schulz weist in der Zeitschrift Kommune zu recht darauf hin, dass sich die einschlägigen Untersuchungsergebnisse teilweise widersprechen: Die viel diskutierte Studie Verlockender Fundamentalismus von Wilhelm Heitmeyer, Joachim Müller und Helmut Schröder stellt eine weite Verbreitung islamisch-fundamentalistischer Haltungen und eine auf islamische Überlegenheitsansprüche begründete Gewaltbereitschaft fest. Im Gegensatz hierzu kommt eine von der ehemaligen Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John in Auftrag gegebene Umfrage zu dem Ergebnis, dass sich Haltung und Lebensweise türkischer Jugendlicher kaum von denen gleichaltriger Deutscher unterscheiden lässt, vielmehr die Tendenz in Richtung Säkularisierung geht. Dies belegen mittlerweile auch andere - aktuellere - Studien, wie beispielsweise eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Auftrag gegebene (vgl. hierzu Expertise Sükrü Uslucan). Von der absolut großen Mehrzahl der mehr oder weniger gläubigen Muslime geht keine Gefahr für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Glaubenszugehörigkeit aus. Unter ihnen gibt es, neben großen religiösen Minderheiten wie denen der Aleviten, eine deutliche Mehrheit von gewissermaßen Teilzeit-Muslimen, die quasi mit Taufscheinchristen oder Festtagsjuden vergleichbar sind. Sie interpretieren ihre Religion gleich einem Setzkasten, aus dem sie das entnehmen, was ihrer individuellen Interpretation von Gläubigkeit bzw. der landestypischen Färbung des Islams, in der jeweiligen Zeit und Umgebung, am besten entspricht. So unterscheidet sich der Islam in Jakarta vom Islam in Kairo und der wiederum vom Islam in Islamabad. Die etwa siebzehn Millionen Diaspora- Muslime haben ihre eigene heimatliche Färbung durch unterschiedliche Traditionen nach Europa mitgebracht. Für einige ist es das Kopftuch außerhalb der Wohnung, für andere wiederum das Fasten im Fastenmonat Ramadan, für manche eben nur der Bayram-Besuch bei den Eltern (religiöse Feiertage). Islamistische Haltungen dürfen allerdings keinesfalls verharmlost, sondern müssen offen kritisiert und debattiert werden. Wer für religiöse Toleranz und kulturelle Offenheit streitet, darf Demokratiefeindlichkeit und Antisemitismus keinen Raum geben. 4

Die im Vergleich zu Christen höhere Bindung zur Religion und die größere Zahl von Moscheebesuchern ist ebenfalls für sich genommen kein Alarmzeichen, denn die meisten Moschee-Besucher achten die säkularen Prinzipien der Staaten, in denen sie leben und sich wohl und verbunden fühlen. Die vergleichsweise konservativen Einstellungen von vielen Moscheebesuchern mit Blick auf Feminismus, Homosexualität, Kindererziehung und Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Religionen ist ein Zeichen von Modernisierungsdefiziten und Emanzipationskämpfen, die zwischen den Geschlechtern und en ausgetragen werden sollten. Aber daraus erwächst noch keine Gefahr für die innere Sicherheit der europäischen Staaten. Gefährlich und gewaltbereit im eigentlichen Sinne, ist nach allen Erkenntnissen nur eine kleine Gruppe unter den Muslimen. Ihre Isolation und Bekämpfung (ihrer Einflussnahme auf die friedliebenden Muslime) wird leichter, je mehr sich die Muslime in Europa als Teil der jeweiligen Staaten empfinden, in denen sie leben. Die Verantwortung dafür liegt bei den Muslimen, ihren Organisationen und den Herkunftsstaaten, aber eben auch bei den Aufnahmegesellschaften. Wer Jahre lang hier geborene Kinder zu Ausländern umdefiniert hat, darf nicht überrascht sein, wenn sie diese Fremdzuschreibung verinnerlichen. Zum Ausländer wird man gerade in solchen Gesellschaften gemacht, die Partizipation verweigern und unter dem Deckmantel der Integration völlige kulturelle Assimilation fordern. Viele eingebürgerte neue Inländer machen die Erfahrung, dass sie für echte Deutsche eben nicht mehr als Passdeutsche sind, die nicht wirklich dazu gehören. Wenn führende meinungsbildende Nachrichtenmagazine prominente Deutsche orientalischer Herkunft als Türke mit deutschem Pass (so der Focus) bezeichnen, zeigen sie unverblümt eine Einstellung getreu dem Motto: Wer seine Herkunft nicht auf den Cherusker-Fürst Armin, der gegen die Römer siegreich kämpfte, zurückführen kann, ist kein echter Deutscher. Im Gegensatz zu den USA, wo sich die Parteien engagiert um die Stimmen von ethnischen Minderheiten bemühen, scheint die wachsende Zahl von Neubürgern bislang nur für die Parteien links von der Mitte interessant zu sein. Dabei verstehen es die Latinos in den USA offensichtlich besser als türkische Migranten in Deutschland, sich zu organisieren. Demokratische Interessenvertretung setzt voraus, dass man sich ganz und ohne jede Einschränkung als Inländer betrachtet. Für die vorhandenen Verbände gilt mitunter, dass mangelnde Sprachkenntnisse und unzureichendes Wissen über die deutsche Gesellschaft verhindern, dass in diesen Verbänden auch die Besten mitmachen. Diese Migranten bevorzugen oftmals lieber den direkten Weg in deutsche Parteien oder Berufsorganisationen. Wenn Deutsch-Türken, aber auch andere Migrantengruppen in Deutschland von den Latinos in den USA lernen wollen, dann sollte ihnen zunächst bewusst werden, dass über sieben Millionen Migranten in Deutschland aus der gesamten Zukunftsdebatte ausgeschlossen sind. Auch sie sind von der Diskussion über eine europäische Verfassung, über Bildungsreformen, die Agenda 2010 oder die Gesundheits- und Rentenreform betroffen, ebenso von den rasanten demografischen Veränderungen. Deutsch-Türken bzw. türkische Migranten richten ihre Antennen aber auch noch zu oft ausschließlich nach Ankara. Einwanderung und die Integration von Migranten werden künftig eine der wichtigsten Themen in der innenpolitischen und gesellschaftlichen Debatte bleiben, auch auf europäischer Ebene. Dabei scheinen sich alle Beteiligten darüber im Klaren zu sein, dass mehr Integration notwendig ist doch welche Integration und in welchen Bereichen? Häufig entsteht der Eindruck, dass es vor allem um optische Integration bzw. in diesem Fall um Angleichung geht. Welche Rolle spielen jedoch Werte, die eine Gesellschaft zusammenhalten? Deutschland und (bald) die Europäische Union haben eine Verfassung mit gemeinsamen Werten und Überzeugungen geschaffen, zu denen die Gleichberechtigung von Mann und Frau ebenso gehört, wie der Grundsatz der Chancengleichheit für alle Menschen, und zwar unabhängig von Herkunft und Orientierung. Inwiefern eine europäische 5

Öffentlichkeit entstehen kann, ohne dass die Europäer eine gemeinsame Sprache sprechen, ist eine offene Frage. Dass Sprache im nationalen Kontext unabdingbar für die aktive Teilnahme im Gesellschaftsleben und die Artikulation von Interessen und Inanspruchnahme von Rechten ist, sollte als unbestritten gelten. Dabei ist es kein Gegensatz, wenn Migranten neben der deutschen auch weiterhin ihre Muttersprache beherrschen schon gar nicht im Europa von morgen. 6

Aspekte der sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Integration der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland Veysel Özcan 1 1. Einleitung (8) 2. Beschäftigung und Arbeitsmarkt (9) 2.1 Erwerbsbeteiligung (10) 2.2 Berufliche Stellung (12) 2.3 Berufliches Spektrum (14) 2.4 Einkommen (18) 2.5 Arbeitslosigkeit (19) 2.6 Berufliche Selbständigkeit (20) 3. Determinanten der ökonomischen Integration (26) 3.1 Bildung (26) 3.1.1 Schulische Bildung (26) 3.1.2 Berufliche Bildung (28) 3.1.3 Zusammenhang zwischen Bildung und beruflicher Stellung (30) 3.2 Sozio-kulturelle Faktoren (31) 3.3 Zusammenhang zwischen Aufenthaltsdauer und beruflicher Stellung (34) 4. Wohnräumliche Situation (35) 4.1 Eigentümerquote (36) 4.2 Wohnausstattung (37) 4.3 Wohnfläche (37) 4.4 Miethöhe und Mietbelastungsquote (38) 5. Indikatoren der sozio-kulturellen Integration (40) 5.1 Dauerhafter Aufenthalt in Deutschland oder Re-Migration? (40) 5.2 Einbürgerungsabsicht (40) 5.3 Nationale Selbstidentifikation als Deutscher (43) 5.4 Sprachkenntnisse (43) 5.5 Soziale Kontakte zu Deutschen (44) 5.6 Indikatoren der Entfremdung vom Herkunftsland (45) 6. Schlussfolgerungen (47) Literatur (49) 1 Der Autor studierte Sozialwissenschaften in Heidelberg, Mannheim, Amsterdam (UvA) und an der Humboldt- Universität Berlin. Er ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wissenschaftszentrum Berlin (Arbeitsstelle Interkulturelle Konflikte und gesellschaftliche Integration). 7

1. Einleitung 7.3 Millionen Ausländer leben in Deutschland. Mit ca. 1,9 Mio. oder einem Anteil von 26% sind türkische Staatsangehörige dabei die größte nationale Gruppe. Außerdem wurden seit den 1970er Jahren etwa 600.000 Personen türkischer Herkunft eingebürgert. Auch wenn Türken in Deutschland zumindest über ihre Familien einen Migrationshintergrund aufweisen, ist nicht jeder auch tatsächlich selbst eingewandert: Etwa 680.000 der in Deutschland lebenden Türken wurden in der Bundesrepublik geboren. Mit dem neuen Staatsangehörigkeitsgesetz erhalten Kinder von ausländischen Eltern unter gewissen Voraussetzungen bei der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Dabei dürfen diese Kinder zunächst auch die nicht-deutsche Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behalten, im Alter zwischen 18 und 23 müssen sie sich dann entweder für oder gegen den deutschen Pass entscheiden. In den Jahren 2000 und 2001 erhielten knapp 80.000 Geborene ausländischer Eltern aufgrund des neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes einen deutschen Pass. Türken bilden allerdings nicht nur die größte Gruppe von Ausländern bzw. Migranten 2 in Deutschland ihre Integration in die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche gilt zugleich als am geringsten ausgeprägt bzw. fortgeschritten. Das betrifft insbesondere ihre strukturelle Integration bzw. Stellung auf dem Arbeitsmarkt: Sie sind vergleichsweise oft als un- und angelernte Arbeiter beschäftigt, sie haben seltener höhere schulische oder berufliche Qualifikationen und schließlich sind sie wesentlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Deutsche oder andere ausländische Herkunftsgruppen. Die vorliegende Arbeit hat die Integration der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland zum Thema. Dabei konzentrieren sich die Analysen zunächst auf die Arbeitsmarktintegration. Ferner werden Indikatoren zur sozio-kulturellen und wohnräumlichen Situation der Migranten präsentiert. Diese Vorgehensweise sollte es erlauben, zu einer ausgewogenen Bewertung des Integrationsstandes der türkischstämmigen Bevölkerung zu kommen (ein anderer wichtiger, allerdings hier nicht behandelter Aspekt, wäre etwa die politische Partizipation). Dabei werden Deutsche und Ausländer aus anderen wichtigen Anwerbestaaten (Griechenland, Italien, ehemaliges Jugoslawien) als Vergleichsgruppen herangezogen. Eingebürgerte lassen sich im Mikrozensus nur dann (und zudem leider nur mit Einschränkungen) identifizieren, wenn sie auch weiterhin ihre alte Staatsbürgerschaft besitzen - es sich also um Doppelstaatsbürger handelt. Es besteht allerdings folgendes Problem: Unter Doppelstaatsbürgern (Mehrstaatler) können sich prinzipiell auch Personen deutscher Herkunft befinden, die den türkischen Pass angenommen haben, die Zahl dieser Personen dürfte allerdings zu vernachlässigen sein. Schwerwiegender ist jedoch, dass Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit bereits seit Geburt eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen können (z.b. Kinder bi-nationaler Eltern), es sich also nicht um Eingebürgerte im eigentlichen Sinne handelt. Trotz dieser bestehenden Schwierigkeiten, dass Doppelstaatsangehörige nicht per se als Eingebürgerte betrachtet werden können, wird die Gruppe der Deutsch-Türken gesondert 2 Zur hier verwendeten Terminologie: Ausländer wird im rechtlichen Sinne verwendet - es handelt sich um Personen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (die Betroffenen können sich dabei selbst durchaus als Deutsche identifizieren). Bei Deutsch-Türken handelt es sich um Personen, die sowohl einen deutschen als auch türkischen Pass haben (Doppelstaatsbürger, Mehrstaatler). Migranten reicht weiter und bezeichnet Personen, die entweder selbst oder über ihre Familie einen Migrationshintergrund aufweisen, darunter fallen dann auch Angehörige der in Deutschland geborenen zweiten, aber auch Eingebürgerte nicht-deutscher Herkunft. Die Bezeichnung Immigrant sollte für Personen reserviert sein, die auch tatsächlich selbst eingewandert sind. 8

ausgewiesen. 3 Gerade bei Personen mit deutscher und türkischer Staatsangehörigkeit dürfte es sicht in der überwiegenden Mehrheit der Fälle um Eingebürgerte handeln (und eher selten um Kinder mit bi-nationalem Hintergrund der Eltern). Bis zum Inkrafttreten des neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes 2000 dürfte sich ein großer Teil dieser Personen nach der Einbürgerung wieder um den türkischen Pass bemüht und diesen auf relativ unkompliziertem Wege auch wieder zurück erhalten haben. Diese Praxis wird durch das neue Staatsangehörigkeitsrecht insofern erschwert bzw. verhindert, dass die Annahme der türkischen Staatsbürgerschaft nach einer Einbürgerung nun zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit führt. 4 Neben der Unterscheidung in Ausländer und Doppelstaatsangehörige wird eine weitere Differenzierung nach en vorgenommen. Die erste bilden jene, die spätestens 1973 eingewandert sind und zu diesem Zeitpunkt mindestens 20 Jahre alt waren. 5 Die zweite umfasst alle Nicht-Deutschen, die entweder in Deutschland geboren wurden oder spätestens mit 4 Jahren eingewandert sind (und daher vor der Einschulung noch Zeit hatten, die deutsche Sprache zu erlernen, etwa im Rahmen eines Kindergarten-Besuchs) und zum Befragungszeitpunkt zwischen 18 und 30 Jahren alt waren. Um die zweite mit Deutschen zu vergleichen, wird eine entsprechende Vergleichsgruppe, die zum Befragungszeitpunkt ebenfalls zwischen 18 und 30 Jahren alt waren. Die Ergebnisse im Kapitel zur Beschäftigungs- und Arbeitsmarktsituation beschränken sich auf Personen im Alter zwischen 15 bzw. 18 und 65. Die Datengrundlage der Analysen bilden zum einen die scientific-use-files der Mikrozensen 1996 und 2000 6. Der Mikrozensus ist eine repräsentative Ein-Prozent-Stichprobe der Bevölkerung Deutschlands. Seit der Wiedervereinigung werden etwa jährlich 820.000 in mehr als 370.000 Haushalten befragt, wobei für die Befragten eine gesetzlich festgelegte Auskunftspflicht besteht. Das scientific-use-file enthält 70% der Fälle des ursprünglichen Mikrozensus. Dabei erlaubt die nach wie vor hohe Fallzahl detaillierte Untersuchungen zu verschiedenen Fragestellungen beispielsweise in den Bereichen Arbeitsmarkt und Bildung (Lüttinger, Riede 1997). Neben dem Mikrozensus werden ferner auch Daten des Sozio-Ökonomischen Panels (SOEP) herangezogen. Dieser Datensatz enthält Variablen zur wohnräumlichen Situation und Indikatoren zur sozialen Situation von Migranten. Das SOEP ist eine repräsentative Längsschnittstudie, die seit 1984 durchgeführt wird. Im Gegensatz zum Mikrozensus beziehen sich die Analysen des SOEP in der Regel auf die Jahre 1997 und 2002. Wenn die interessierenden 3 Es wäre sehr zu begrüßen, wenn im Rahmen der amtlichen Statistik Informationen sowohl über das Geburtsland als auch die Staatsangehörigkeit bei Geburt (bzw. die frühere Staatsangehörigkeit) ermittelt würden. Dann könnte man nicht nur die Eingebürgerten identifizieren, sondern auch den Anteil der foreign-born ermitteln (und diesen Anteil beispielsweise mit anderen Einwanderungsländern vergleichen). Forschungsergebnisse deuten eindeutig daraufhin, dass die Integrationsbilanz unterschätzt wird, wenn die Gruppe der Eingebürgerten nicht gesondert betrachtet wird (vgl. Haug 2002a, 2000b; Diehl 2002; von Below 2003; Salentin, Wilkening 2003). 4 Bei den Analysen für Deutsch-Türken ist zu berücksichtigen, dass die Fallzahlen für 1996 relativ gering sind, 2000 liegen sie etwas höher. Sie sind jedoch gerade im Jahr 2000 durchaus hinlänglich, um eine Tendenz aufzuzeigen. 5 Auf eine deutsche Vergleichsgruppe für die erste wird aufgrund der unterschiedlichen Altersstruktur älterer Ausländer und Deutscher verzichtet (die im Rahmen dieser Arbeit gebildete Gruppe der ersten war im Jahr 2000 mindestens 47 Jahre alt. Für die Analysen zur Arbeitsmarktlage wurde eine Obergrenze von 65 Jahren getroffen. Innerhalb der türkischen ersten waren 26% dieser 47 bis 65jährigen im Alter zwischen 60 und 65. Bei einer denkbaren deutschen Vergleichsgruppe sind allerdings 35% zwischen 60 und 65). 6 Damit ist die betrachtete Zeitspanne gering, aber durchaus ausreichend, um Zeichen einer positiven Entwicklung gerade bei der zweiten erkennen zu können. 9

Variablen in diesen Wellen nicht vorhanden sind, wird auf zeitlich angrenzende Jahre ausgewichen. 7 2. Beschäftigung und Arbeitsmarkt 2.1 Erwerbsbeteiligung Die Erwerbsquote bringt zum Ausdruck, wie hoch der Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) an der jeweiligen Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 65 Jahren ist. Sie kann damit auch als Maß der Erwerbsneigung einer Bevölkerungsgruppe interpretiert werden. Allerdings ist gerade in Bezug auf Ausländer zu beachten, dass nicht alle einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben bzw. diesen erst nach einer gewissen Aufenthaltsdauer erhalten. Im Jahr 2000 lag die Erwerbsquote der Türken bei 60% (Tabelle 1) und damit deutlich niedriger als bei Deutschen (71%) und Ausländern aus den anderen Anwerbestaaten (ebenfalls 71%). Allerdings bestehen zwischen den betrachteten Gruppen nur geringe Unterschiede, was die Erwerbsneigung der männlichen Personen angeht. Ganz anders das Bild bei weiblichen Personen. Türkische Frauen haben mit 41% eine besonders niedrige Erwerbsquote. Die Erwerbsquote deutscher Frauen liegt mit 64% wesentlich darüber. Tabelle 1: Erwerbsquoten, 2000, in % Türken Andere Deutsche Anwerbestaaten 2000 Insgesamt 60 71 71 Männlich 77 80 79 Weiblich 41 59 64 Quelle: Mikrozensus 2000, scientific-use-file, eigene Berechnungen Wie steht es um die Erwerbsneigung der zweiten? Tabelle 2 bezieht sich auf Personen im Alter zwischen 15 und 30, die entweder in Deutschland geboren wurden oder spätestens im Alter von vier nach Deutschland kamen. Zudem wurden nur Personen einbezogen, die keine Schule oder Universität besuchten, um dadurch bedingte Verzerrungen (etwa durch einen höheren Anteil von Studierenden bei Deutschen) zu vermeiden. Tabelle 2: Erwerbsquoten der zweiten, 2000, in % Türken Andere Anwerbestaaten Deutsche im Alter von 15 bis 30 2000 Insgesamt 79 87 91 Männlich 93 94 97 Weiblich 61 79 85 Quelle: Mikrozensus 2000, scientific-use-file, eigene Berechnungen Die Männer der drei betrachteten Gruppen zeigen nur geringfügige Differenzen in ihrer Erwerbsquote. Deutliche Unterschiede zeigen sich allerdings bei weiblichen Personen. Tür- 7 Beide Datensätze, sowohl die scientific-use-files des Mikrozensus als auch das SOEP, wurden im Rahmen verschiedener Studien zur Integration von Migranten in Deutschland verwendet (siehe etwa Alba et al. 1994; Granato 2003; Kalter, Granato 2001; Seifert 1995, 2000) und sind mittlerweile ein unverzichtbares Instrument der empirischen Integrationsforschung. Eine neuere, allerdings nicht zugängliche Datenquelle ist der BiB- Integrationssurvey, der auch die Betrachtung deutscher Staatsangehöriger türkischer und italienischer Herkunft erlaubt (Haug 2002a, 2000b; Diehl 2002; von Below 2003). 10

kische Frauen haben mit 61% die niedrigste Erwerbsquote, bei der weiblichen Vergleichsgruppe der Deutschen lag die Erwerbsneigung bei 85%, bei Ausländerinnen aus den anderen Anwerbestaaten bei immerhin 79%. Eine Ursache für die geringe Erwerbsquote jüngerer türkischer Frauen könnte in relativ geringen schulischen und beruflichen Qualifikationen (und damit zusammenhängenden Schwierigkeiten bei der Beschäftigungssuche) liegen. Gerade im Vergleich zu türkischen Männern und deutschen Frauen kommt allerdings auch das generative Verhalten zum Tragen. Erziehende Mütter haben in Deutschland im Allgemeinen unabhängig von der Nationalität größere Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Türkische Frauen heiraten allerdings in einem jüngeren Alter als deutsche Frauen (auch ist der Anteil der Verheirateten unter jüngeren Türkinnen höher als bei jüngeren deutschen Frauen), zudem sind ihre Familien bzw. die Kinderzahl durchschnittlich größer. Ferner muss berücksichtigt werden, dass Teilzeitarbeit bei türkischen Frauen nicht im selben Maße verbreitet ist wie bei deutschen Frauen (Familienbericht 2000: 146; Roloff, Schwarz: 54ff; Haug 2002). Auch bei der ersten bestehen Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung von Türken und Nicht-Deutschen aus anderen Anwerbestaaten (Tabelle 3). Im Jahr 2000 lag die Erwerbsquote der Türken der ersten (die vor 1973 nach Deutschland kamen, zu diesem Zeitpunkt mindestens 20 Jahre alt und folglich im Jahr 2000 mindestens 47 Jahre alt waren) bei 51%, die der Ausländer aus anderen Anwerbestaaten war mit 68% beträchtlich höher. Tabelle 3:Erwerbsquoten der ersten, 2000, in % Türken Andere Anwerbestaaten 2000 Insgesamt 51 68 Männlich 59 74 Weiblich 38 59 Quelle: Mikrozensus 2000, scientific-use-file, eigene Berechnungen Allerdings zeigen sich hier, im Gegensatz zu den Erwerbsquoten der Gesamtgruppen (siehe Tabelle 1), merkliche Unterschiede bei beiden Geschlechtern. Vergleicht man die Männer der ersten, so waren 59% der Türken Erwerbspersonen, bei männlichen Ausländern aus den anderen Anwerbestaaten waren es hingegen 74%. Tabelle 4: Bezieher öffentlicher Rente/Pension bei der ersten, 2000, in % Türken Andere Anwerbestaaten 2000 Insgesamt 30 25 Männlich 37 24 Weiblich 20 26 Quelle: Mikrozensus 2000, scientific-use-file, eigene Berechnungen Diese Differenz korrespondiert gleichzeitig mit dem Anteil der Männer innerhalb der ersten, die öffentliche Renten oder Pensionen beziehen (Tabelle 4): Bei Türken erhielten 37% eine (Früh-)Rente, bei Nicht-Deutschen aus anderen Anwerbestaaten waren es 24%. Während für die Männer der ersten demnach gilt, dass der Anteil der Rentenbezieher und der Anteil der Erwerbspersonen addiert fast 100% ergeben, gibt es insbesondere bei Frauen einen erheblichen Teil, die weder Erwerbspersonen sind, noch eine Rente 11

beziehen. Dies trifft auf 42% der türkischen Frauen der ersten zu, bei Frauen aus anderen Anwerbestaaten lag der Anteil mit 15% wesentlich geringer. 2.2 Berufliche Stellung Welche berufliche Position nehmen türkische Erwerbstätige auf dem Arbeitsmarkt ein? Angeworbene Arbeitskräfte aus der Türkei waren noch fast ausschließlich als un- oder angelernte Arbeiter im produzierenden Sektor und Bergbau tätig. In der Zwischenzeit - nach einer längeren Aufenthaltsdauer in Deutschland und nachfolgenden en, die in Deutschland sozialisiert wurden und die Schule besucht haben -, stellt sich die Frage, inwiefern es türkischen Migranten gelungen ist, andere berufliche Positionen einzunehmen. Angesichts des andauernden Arbeitsplatzabbaus im industriellen Sektor aufgrund von Automatisierung, Rationalisierung und Standortverlagerung sind gering qualifizierte Arbeiter besonders von Arbeitslosigkeit bedroht. In diesem Zusammenhang ist auch bedeutsam, inwiefern es Türken gelingt, eine Beschäftigung als Angestellte zu finden. Die Resultate zeigen, dass Türken nach wie vor überwiegend als un- und angelernte Arbeiter beschäftigt sind (Tabelle 5). Im Jahr 2000 übten 61% eine entsprechende Tätigkeit aus. Bei weiteren 20% handelte es sich um Facharbeiter. Auch Ausländer aus anderen Anwerbestaaten nehmen mehrheitlich die berufliche Stellung eines Arbeiters ein. Der Facharbeiter-Anteil ist mit 19% vergleichbar mit dem der türkischen Beschäftigten, gleichzeitig ist der Anteil der unund angelernten Arbeiter (46%) geringer. Tabelle 5: Berufliche Stellung, 1996 und 2000, in % Türken Deutsch- Türken 1996 Un-/angelernte Arbeiter Andere Anwerbestaaten Andere Anwerbestaaten: Doppelstaatsbürger Deutsche 63 52 49 35 13 Facharbeiter 20 18 20 16 20 Einfache 6 13 11 14 18 Angestellte Mittlere/höhere 5 8 8 17 31 Angestellte Beamter 0 0 0 1 7 Selbständige 7 9 11 16 11 N 3394 61 4323 189 195725 2000 Un-/angelernte Arbeiter 61 51 46 26 13 Facharbeiter 20 17 19 12 18 Einfache 8 10 13 22 17 Angestellte Mittlere/höhere 6 14 11 25 34 Angestellte Beamter 0 0 0 1 6 Selbständige 6 9 11 13 12 N 3307 105 4119 213 187896 Datengrundlage: Mikrozensus 1996/2000, scientific-use-files, eigene Berechnungen Im Vergleich zu Ausländern spielt die berufliche Stellung als Arbeiter bei deutschen Erwerbstätigen eine bedeutend geringere Rolle, wobei gerade der Anteil der un- und angelernten 12

Arbeiter mit 13% wesentlich niedriger war. Bei deutschen Erwerbstätigen handelt es sich mehrheitlich um Angestellte. Türken waren 2000 geringfügig häufiger als Angestellte beschäftigt als 1996. Dabei waren 8% in einfachen und 6% in mittleren bis höheren Angestelltenpositionen tätig. Ausländern aus den anderen Anwerbestaaten gelingt es im Vergleich zu Türken offensichtlich häufiger, Beschäftigung als Angestellte zu finden. Im Jahr 2000 hatten 13% einen Arbeitsplatz als einfacher und 11% als mittlerer bis höherer Angestellter, wobei diese Anteile seit 1996 leicht gestiegen sind. In Bezug auf Ausländer aus den anderen Anwerbestaaten wird ferner deutlich, dass sie eine höhere Selbständigenquote als Türken aufweisen. Lassen Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit eine bessere berufliche Positionierung erkennen als Nicht-Deutsche? Durchaus. So war bei Deutsch-Türken der Anteil der un- und angelernten Arbeiter (51%) geringer als bei Türken (61%), gleichzeitig weisen sie einen deutlich höheren Anteil an mittleren bis höheren Angestellten auf (14%). Ähnliches zeigt sich bei Ausländern aus den Anwerbestaaten im Vergleich zu entsprechenden Doppelstaatsangehörigen. Letztere waren ebenfalls häufiger als mittlere und höhere Angestellte beschäftigt (22%), zudem war der Anteil an un- und angelernten Arbeitern weitaus geringer (26%) als bei Nicht- Deutschen aus anderen Anwerbestaaten (46%). Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit weisen somit eine günstigere berufliche Position auf als vergleichbare Nicht-Deutsche. Nichtsdestotrotz bestehen auch bei ihnen Abstände zu Deutschen (mir einfacher Staatsangehörigkeit). Diese sind jedoch bei Deutsch-Türken stärker ausgeprägt als bei Doppelstaatsbürgern aus anderen Anwerbestaaten 8. Letztere lassen zudem im Jahresvergleich eine positivere Entwicklung erkennen, etwa was den Anteil der un- und angelernten Arbeiter betrifft. Bereits hier, bei der beruflichen Stellung, zeigt sich, dass eine ausgewogene Integrationsbilanz zwischen Nicht-Deutschen und Eingebürgerten bzw. Doppelstaatsangehörigen unterscheiden muss (vgl. Salentin, Wilkening 2003). Die erste weicht in ihrer beruflichen Stellung deutlich von der zweiten (Tabelle 6). Im Jahr 2000 waren 71% der Türken der ersten als un- und angelernte Arbeiter tätig, bei der zweiten waren es nur 44%. Zudem ist bei der zweiten der Anteil der Facharbeiter höher. Ferner sind Angehörige der zweiten wesentlich häufiger als Angestellte (27%) beschäftigt als Angehörige der ersten (6%). Auch die erste und zweite der Ausländer aus anderen Anwerbestaaten unterscheiden sich deutlich. Bei der zweiten ist der Anteil der un- und angelernten Arbeiter deutlich geringer (27% im Vergleich zu 54%), gleichzeitig sind Angehörige der zweiten wesentlich häufiger als Angestellte tätig (47% zu 13%). Ein Vergleich der zweiten en (Türken und Ausländer aus den anderen Anwerbestaaten) verdeutlicht zudem, dass Türken eine ungünstigere berufliche Stellung aufweisen, wie man beispielsweise am deutlich größeren Anteil an un- und angelernten Arbeiter erkennen kann. 8 Mir ist bewusst, dass die Bezeichnung Doppelstaatsbürger aus anderen Anwerbestaaten nicht in jedem Fall der Realität entsprechen dürfte (sie können auch in Deutschland geboren sein). Diese Formulierung wird allerdings wegen der besseren Lesbarkeit beibehalten. 13

Tabelle 6: Berufliche Stellung nach en, 1996 und 2000, in % 1996 Un-/angelernte Arbeiter Türken Andere Anwerbestaaten Deutsche Erste Zweite Erste Zweite Alter 18 bis 30 73 45 53 28 13 Facharbeiter 17 27 24 21 25 Einfache 3 15 8 28 21 Angestellte Mittlere/höhere 2 8 5 16 32 Angestellte Beamter 0 0 0 0 5 Selbständige 5 5 10 6 5 N 668 518 1335 451 45188 2000 Un-/angelernte Arbeiter 71 44 54 27 14 Facharbeiter 17 26 22 22 22 Einfache 3 16 7 27 21 Angestellte Mittlere/höhere 3 11 6 20 34 Angestellte Beamter 0 0 0 0 4 Selbständige 5 3 11 5 5 N 359 558 927 498 36788 Datengrundlage: Mikrozensus 1996/2000, scientific-use-files, eigene Berechnungen Die zweite ist zwar jeweils (wesentlich) besser positioniert als die erste, allerdings bestehen zwischen jüngeren Ausländern und Deutschen nach wie vor Differenzen. Deutsche im Alter von 18 bis 30 sind seltener als un- und angelernte Arbeiter (14%) beschäftigt. Besonders markant ist der Unterschied zu den beiden anderen Gruppen bei den mittleren bis höheren Angestellten. Während 34% der jüngeren Deutschen in einer entsprechenden Position beschäftigt sind, beträgt der entsprechende Anteil bei Türken der zweiten 11%. Positiv ist allerdings, dass Türken sich im Jahresvergleich, wenn auch nur leicht, verbessern konnten, wie etwa der Anteil der Angestellten erkennen lässt (ähnliches trifft auch auf die zweite aus anderen Anwerbestaaten zu). 2.3 Berufliches Spektrum Ausländer und Deutsche unterscheiden sich deutlich in ihrer Berufsstruktur (Tabelle 7). Mehr als die Hälfte der Türken (53%) übten im Jahr 2000 Fertigungsberufe aus (was gleichzeitig mit ihrem hohen Beschäftigungsanteil im produzierenden Gewerbe korrespondiert), bei Ausländern aus anderen Anwerbestaaten waren es 47%. In beiden Gruppen ging der Anteil mit Fertigungsberufen zwischen 1996 und 2000 leicht zurück. Deutsche hingegen hatten weitaus seltener Fertigungsberufe, der entsprechende Anteil lag im Jahr 2000 bei 24%. Sie weisen vielmehr einen relativ hohen Anteil mit Verwaltungs- und Büroberufen (22%) auf. Vergleichbare Berufe übten im Jahr 2000 nur 5% der Türken und 8% der Ausländer aus anderen Anwerbestaaten aus, wobei diese Anteile im Vergleich zu 1996 leicht gestiegen sind. 14

Tabelle 7: Berufliches Spektrum, 1996 und 2000, in % Türken Deutsch- Türken Andere Anwerbestaaten Andere Anwerbestaaten: Doppelstaatsbürger Deutsche 1996 Landwirtschaftsberufe 1 1 1 0 3 Bergbauberufe 2 4 1 1 0 Fertigungsberufe 57 53 50 41 25 Technische Berufe 1 1 2 4 7 Warenkaufleute 6 5 5 6 9 Dienstleistungsberufe 1 1 1 4 4 Verkehrsberufe 9 1 7 5 6 Verwaltungs- und 3 9 6 11 21 Büroberufe Gesundheitsberufe 3 8 4 5 6 Soziale und 1 1 2 4 8 erzieherische Berufe Sonstige 12 11 20 16 10 Dienstleistungsberufe Sonstige Berufe 3 4 2 4 2 N 3657 70 4570 201 205840 2000 Landwirtschaftsberufe 2 1 1 0 3 Bergbauberufe 1 2 0 0 0 Fertigungsberufe 53 34 47 25 24 Technische Berufe 2 1 2 4 7 Warenkaufleute 6 9 7 10 8 Dienstleistungsberufe 1 4 1 3 4 Verkehrsberufe 10 15 8 10 6 Verwaltungs- und 5 10 8 14 22 Büroberufe Gesundheitsberufe 2 4 3 7 6 Soziale und 1 5 2 5 8 erzieherische Berufe Sonstige 16 14 20 19 11 Dienstleistungsberufe Sonstige Berufe 2 2 1 3 2 N 3572 110 4412 232 201104 Datengrundlage: Mikrozensus 1996/2000, scientific-use-files, eigene Berechnungen Im Jahr 2000 gingen Deutsch-Türken wesentlich seltener Fertigungsberufen nach als Türken. Der entsprechende Anteil lag bei 34%. Deutsch-Türken übten im Vergleich zu Türken häufiger Dienstleistungs-, Verkehrs-, Verwaltungs- und Büroberufe aus, insgesamt zeigt sich eine breitere Streuung und weniger eine Konzentration auf den Fertigungsberuf. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei Mehrstaatlern aus den anderen Anwerbestaaten. Sie waren im Jahr 2000 ebenfalls weitaus seltener in Fertigungsberufen tätig als Nicht-Deutsche aus anderen Anwerbestaaten. Genauso wie Deutsch-Türken ist auch bei ihnen der Anteil mit Fertigungsberufen zwischen 1996 und 2000 deutlich zurückgegangen. Welche Berufsstruktur zeigt sich, wenn man nach en unterscheidet? Die erste der Türken übte 2000 vor allem Fertigungsberufe aus (Tabelle 8), mit 69% war es 15

mehr als zwei Drittel. Angehörige der zweiten waren seltener in Fertigungsberufe tätig (2000: 49%) und hatten dafür häufiger einen Verwaltungs- und Büroberuf (11%), wobei sie letzteren Anteil im Vergleich zu 1996 um 5% steigern konnten. Ansonsten zeigen sich bei der zweiten der Türken nur geringfügige Veränderungen zwischen 1996 und 2000. Tabelle 8: Berufliches Spektrum nach en, 1996 und 2000, in % Türken Andere Anwerbestaaten Deutsche Erste Zweite Erste Zweite Im Alter 18 bis 30 1996 Landwirtschaftsberufe 2 1 1 0 2 Bergbauberufe 3 1 1 0 0 Fertigungsberufe 68 51 59 37 28 Technische Berufe 1 1 2 4 5 Warenkaufleute 2 8 3 11 9 Dienstleistungsberufe 0 1 1 5 5 Verkehrsberufe 8 8 7 4 5 Verwaltungs- und 2 6 3 16 18 Büroberufe Gesundheitsberufe 1 7 2 5 8 Soziale und 1 2 1 2 6 erzieherische Berufe Sonstige 10 10 19 13 12 Dienstleistungsberufe Sonstige Berufe 2 4 2 4 3 N 673 688 1348 588 53361 2000 Landwirtschaftsberufe 1 1 1 0 2 Bergbauberufe 0 1 0 0 0 Fertigungsberufe 69 49 56 39 27 Technische Berufe 1 2 3 2 5 Warenkaufleute 3 9 4 11 9 Dienstleistungsberufe 0 3 0 4 5 Verkehrsberufe 8 9 10 6 4 Verwaltungs- und 1 11 4 17 19 Büroberufe Gesundheitsberufe 1 4 2 6 8 Soziale und 1 1 1 2 6 erzieherische Berufe Sonstige 13 8 17 13 12 Dienstleistungsberufe Sonstige Berufe 1 2 2 1 3 N 368 687 944 640 45175 Datengrundlage: Mikrozensus 1996/2000, scientific-use-files, eigene Berechnungen Zwar war auch die Berufsstruktur der zweiten aus anderen Anwerbestaaten relativ konstant, sie hatten 2000 jedoch deutlich geringere Anteile mit Fertigungsberufen (39%) als die zweite der Türken. Gleichzeitig übten sie häufiger Gesundheitsberufe (6%) und vor allem Verwaltungs- und Büroberufe (17%) aus. Insgesamt erkennt man bei Angehörigen der zweiten aus anderen Anwerbestaaten, dass sie sich anders bzw. stärker als Türken der zweiten Deutschen im vergleichbaren Alter annähern. 16

2.4 Einkommen Im Vergleich der Gruppen erzielen Deutsche mit Abstand die höchsten Nettoeinkommen. 9 Die Nettoeinkommen von Türken und Ausländern aus anderen Anwerbestaaten lassen keine großen Unterschiede erkennen (Tabelle 9). Zudem ist das Nettoeinkommen der deutschen Erwerbstätigen innerhalb des betrachteten Zeitraums stärker gestiegen (+431 DM) als etwa das der Türken (+212 DM). Tabelle 9: Nettoeinkommen 10, 1996 und 2000, in DM Türken Deutsch- Türken Andere Anwerbestaaten Andere Anwerbestaaten: Doppelstaatsbürger Deutsche 1996 2494 2650 2457 2607 2961 N 2784 48 3407 139 146715 2000 2706 2758 2691 2984 3392 N 2615 81 3270 156 138935 Datengrundlage: Mikrozensus 1996/2000, scientific-use-files, eigene Berechnungen Die Einkommen der Doppelstaatsbürger lag jeweils über dem ihrer Vergleichsgruppe, wobei die Differenz bei Migranten aus den anderen Anwerbestaaten besonders hoch ist. Im Jahr 2000 erzielten Doppelstaatsbürger ein Einkommen von 2984 DM, das der Ausländer aus anderen Anwerbestaaten lag im Vergleich dazu nur bei 2691 DM. Bei Türken und Deutsch- Türken 11 ist der Unterschied nicht so deutlich ausgeprägt, wobei die Differenz zwischen 1996 und 2000 abgenommen hat. Tabelle 10: Nettoeinkommen 12 nach en, 1996 und 2000, in DM Türken Andere Anwerbestaaten Deutsche Erste Zweite Erste Zweite Alter 18 bis 30 1996 2565 2036 2598 2085 2227 N 583 415 1122 352 35488 2000 2679 2340 2868 2355 2417 N 314 429 788 415 27792 Datengrundlage: Mikrozensus 1996/2000, scientific-use-files, eigene Berechnungen Die Einkommensunterschiede zwischen der ersten und zweiten sind angesichts des Altersunterschiedes nicht überraschend (Tabelle 10). Vergleicht man die ersten en der Türken und Ausländern aus anderen Anwerbestaaten, erkennt man für 1996 9 Im Mikrozensus gibt es keine gesonderten Angaben zum Erwerbseinkommen. Das hier dargestellte Nettoeinkommen beinhaltet auch Einnahmen aus anderen Quellen wie beispielsweise Vermietung und Verpachtung. Zudem wird das Nettoeinkommen im Mikrozensus in Einkommensklassen angegeben. Das durchschnittliche Einkommen wurde auf Basis der Mittelwerte dieser Einkommenskategorien berechnet. 10 Die Analyse des Nettoeinkommens beinhaltet ausschließlich Arbeiter, Angestellte, Beamte und Selbständige (siehe berufliche Stellung Kap. 2.2), die einer Vollzeit-Beschäftigung nachgingen. Die Tabellen 10 und 11 verzichten auf diese Selektion und beinhalten Einkommenswerte für die Gesamtpopulation der 18 bis 65jährigen. 11 Bei Deutsch-Türken ist zu berücksichtigen, dass sie eine jüngere Altersstruktur als Türken aufweisen. In der Regel nimmt das Erwerbseinkommen mit dem Alter zu. Ferner gilt für 1996, dass die Fallzahl für Deutsch-Türken mit 48 Personen relativ gering ist. 12 siehe FN 11 17

noch etwa ein ähnliches Einkommensniveau. 2000 zeigt sich dann aber eine Differenz von knapp 200 DM. Die zweiten en der Türken und anderen Anwerbestaaten hingegen zeigen sowohl 1996 als auch 2000 ein ähnliches Einkommensniveau, zudem konnten sie den Abstand zu Deutschen im vergleichbaren Alter verringern. 13 Die vorangegangen Einkommenswerte bezogen sich ausschließlich auf vollzeit-erwerbstätige Arbeiter, Angestellte, Beamte und Selbständige. Verzichtet man auf diese Selektion und betrachtet die Gesamtbevölkerung der 18 bis 65jährigen, zeigt sich bei der ersten der Türken ein überraschender Befund (Tabelle 12). Tabelle 11: Nettoeinkommen, 1996 und 2000, in DM Türken Deutsch- Türken Andere Anwerbestaa ten Andere Anwerbestaaten: Doppelstaatsbürger Deutsche 1996 1869 1851 1890 2149 2376 N 4595 85 5333 210 231325 2000 2025 2163 2125 2327 2686 N 4511 150 5049 242 227292 Datengrundlage: Mikrozensus 1996/2000, scientific-use-files, eigene Berechnungen Während alle betrachteten (Sub-)Gruppen ihr Einkommen steigern konnten, ging das der ersten türkischer Nationalität zwischen 1996 und 2000 leicht zurück. Mögliche Ursachen für diese Entwicklung dürften neben einer gestiegenen Arbeitslosigkeit unter älteren Türken auch eine zunehmende Zahl von (Früh-)Rentnern sein. Tabelle 12: Nettoeinkommen nach en, 1996 und 2000, in DM Türken Andere Anwerbestaaten Deutsche Erste Zweite Erste Zweite Alter 18 bis 30 1996 1996 1412 2192 1512 1703 N 996 778 1576 600 56683 2000 1945 1695 2297 1794 1801 N 725 747 1272 654 46299 Datengrundlage: Mikrozensus 1996/2000, scientific-use-files, eigene Berechnungen 13 Unterschiedliche Einkommen von Türken, anderen Ausländern und Deutschen werfen natürlich die Frage auf, ob und inwiefern Einkommensdiskriminierung vorliegt. Münz et al. stellen fest, dass ausländische und deutsche Beschäftigte mit gleicher Qualifikation und in vergleichbarer Beschäftigungsposition in der Regel auch ähnlich hohe Einkommen beziehen. Eine systematische Lohndiskriminierung findet offensichtlich nicht statt (1999: 112). Auch Diekmann et al. (1993) und Velling (1995) konnten in ihren Untersuchungen keine nennenswerte Einkommensdiskriminierung feststellen. 18

2.5 Arbeitslosigkeit Die Höhe der Arbeitslosigkeit ist ein zentraler Indikator der Integration von Migranten. Erwerbslosigkeit hat Auswirkungen, die über die Einkommenssituation hinaus reichen und beispielsweise zu sozialer Stigmatisierung und fehlender Akzeptanz führen können. Schließlich behindert Arbeitslosigkeit auch die sozialen Aufstiegschancen der Kinder und kann damit negative Auswirkungen auf die intergenerationale Mobilität haben. Tabelle 13: Arbeitslosenquoten nach Herkunftsländern, 1980-2002 insgesamt Ausländer Griechenland Italien (Ehem.) Türkei insgesamt Jugoslawien 1980 3,5 4,8 4,1 5,5 2,8 6,3 1990 6,6 10,1 9,7 10,5 6,0 10,0 1991 6,0 10,6 10,1 11,2 6,5 11,0 1992 6,5 12,3 12,7 13,6 9,2 13,5 1993 8,3 15,3 17,4 18,3 11,0 17,4 1994 8,8 15,5 16,2 17,0 9,8 18,9 1995 9,0 16,2 15,8 16,2 8,8 19,2 1996 10,0 18,6 17,8 18,0 9,9 22,5 1997 10,7 19,7 19,0 18,9 9,8 24,0 1998 9,8 18,3 17,7 17,6 11,0 22,7 1999 11,2 19,7 17,5 16,8 11,6 22,5 2000 10,0 18,0 15,4 14,7 10,4 20,2 2001 10,1 19,6 15,2 14,9 12,9 21,3 2002 10,5 20,2 16,3 16,6 13,9 22,7 Quelle: Bundesanstalt für Arbeit (Daten abrufbar unter: www.integrationsbeauftragte.de) Tabelle 13 zeigt, dass Arbeitslosigkeit eine der größten Hürden für eine erfolgreiche Integration von Ausländern darstellt. Das betrifft in besonderem Maße türkische Erwerbspersonen. Seit Ende der 1970er Jahre liegt die Arbeitslosenquote der Türken über der entsprechenden Quote der gesamten Erwerbsbevölkerung Deutschlands. Nicht nur das, die Arbeitslosenquote der Türken lag gleichzeitig auch über der Quote aller Ausländer. Besonders in den 1990er Jahren ist die Arbeitslosigkeit (nicht zuletzt infolge des wirtschaftlichen Strukturwandels) der Türken stark gestiegen. Während die Quote 1990 bei 10% lag, verdoppelte sie sich anschließend und erreichte 1997 gar ein Niveau von 24%. Im Anschluss sank sie wieder geringfügig, 2002 waren knapp 23% der türkischen Erwerbspersonen ohne Beschäftigung. Staatsangehörige der anderen Anwerbestaaten haben ebenfalls eine vergleichsweise hohe Arbeitslosenquote, sie liegt jedoch sowohl unter der Quote aller Ausländer aus auch unter der Quote der Türken. Im Jahr 2002 waren 16,6% der italienischen Erwerbspersonen arbeitslos, bei den Bürgern des ehemaligen Jugoslawiens waren es 13,9%. In der vergleichsweise geringen Arbeitslosenquote der Migranten aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens spiegelt sich vermutlich auch der relativ hohe Anteil von Personen mit einer Berufsausbildung wider (vgl. Seifert 2001). Trifft man die Unterscheidung zwischen Deutsch-Türken und Türken, zeigt sich im Gegensatz zu anderen präsentierten Indikatoren im Jahr 2000 keine günstigere Lage bei den Doppelstaatsbürgern (Tabelle 14). In beiden Gruppen ist jede fünfte Erwerbsperson im Alter zwischen 15 und 64 Jahren ohne Beschäftigung. Bei Personen aus den anderen Anwerbestaaten liegt die Arbeitslosenquote der Eingebürgerten bei 9,0% und damit kaum höher als die der deutschen Erwerbspersonen (8,7%), hingegen unterhalb der Quote der Nicht-Deutschen aus anderen Anwerbestaaten (11,7%). 19