Gesundheitsversorgung von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland MIGHEALTHNET 1. Nationales Meeting Forschung Bielefeld Dr. Birgit Babitsch, MPH & Prof. Dr. Theda Borde GiM, Charité & ASFH Berlin
Überblick 1. Ausgangssituation 2. Empirische Befunde 3. Herausforderungen & Ausblick
Migration Facetten einer spezifischen Lebenslage Migranten/-innen sind eine sehr heterogene Gruppen Migranten/-innen sind überproportional von sozialer Benachteiligung betroffen Migranten/-innen sind überproportional mit gesundheitlicher Ungleichheit konfrontiert Migranten/-innen erleben Barrieren in der gesundheitlichen Versorgung
MigrantInnen in der Gesundheitsversorgung von irgendwie mitversorgt 50er-70er Jahre über Forschung/ vereinzelte Angebote für Zielgruppen 80er und 90erJahre zur transkulturellen Öffnung und diversity management
Migrationsspezifische Barrieren Wirtschaftliche, rechtliche und politische Barrieren (Einbürgerungspolitik) Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Bildung & sozialer Status Sprache als kulturelle Barriere Unterschiedliche Gesundheits- und Krankheitskonzepte Geringe Kenntnisse über das Gesundheitssystem Maggi & Cattacin (2003), Bosshard et al. (2006)
Studienergebnisse
Inanspruchnahme Geringere Inanspruchnahme vieler gesundheitlicher Leistungen durch Migranten/-innen Impfungen (jedoch nicht konsistent) Früherkennungsuntersuchungen Andere Inanspruchnahmemuster Differentes Nutzungsverhalten ( z. B. NFA) Häufigere Arztwechsel Robert Koch Institut (2008): Migration und Gesundheit; Zeeb et al. (2004)
Früherkennungsuntersuchungen Robert Koch Institut (2008): KiGGS 2003-2006
Früherkennungsuntersuchungen Robert Koch Institut (2008): KiGGS 2003-2006
Notfallambulanzen: Inanspruchnahme Transport zur Rettungsstelle Privater Transport deutlich häufiger bei Frauen und Männer türkischer im Vergleich zu deutscher Ethnizität: 74,1 % vs. 51,6 % bzw. 81,0 % vs. 49,9 % Zeitpunkt der Inanspruchnahme Türkische Migranten/innen nahmen die Rettungsstelle häufiger nachts und am Wochenende in Anspruch (Kruskal-Wallis-Test; p 0,001 nur internistische Ambulanz) 60 50 40 30 20 10 0 Internistisch Gynäkologisch (N=856) (N=698) (N=273) (N=282) (N=195) (N=125) 20-8 Uhr Wochenende FD FT MD MT FD FT FD= Frauen deutscher Ethnizität, MD= Männer deutscher Ethnizität, FT= Frauen türkischer Ethnizität, MT= Männer türkischer Ethnizität; Angaben in % Braun et al. 2002
Adipositas-Sprechstunde der Charité (2006) 1% (n=9) 7% (n=41) 26% (n=160) 1% (n=8) 2% (n=15) 0% (n=3) 3% (n=20) 54% (n=333) unbekannt Deutsch West-, Mittel- und Nordeuropa Osteuropa Balkan Südeuropa Türkei Naher Osten Asien Afrika übrige Länder Rücker et al. (2008)
Verzögerungen in der Inanspruchnahme (treatment delay) Rücker et al. (2008)
Kommunikationsprobleme Typische Aussagen nicht-deutschsprachiger Patientinnen Sprachprobleme Unterschiede in Konzepte Mangel an spez. Wissen Sie hat gut erklärt, aber ich habe nichts verstanden. Ich konnte nicht alle Fragen stellen, die ich hatte. Die Ärzte haben nur mit den deutschen Frauen gesprochen. Sie erklären nichts, wenn wir kein Deutsch verstehen. Die Ärzte werfen uns vor, dass wir kein Deutsch können, deshalb sagen wir lieber nichts und bleiben sprachlos. Mein Mann hat mir alles erklärt, aber ich bezweifle, dass er alles, was der Arzt gesagt hat, versteht. Borde (2002)
Einflussfaktoren auf den Informationsprozess informierende Person Art der Information Menge der Information Zeitpunkt der Information Informationsprozess Aufbereitung der Information sozio-kulturelle Aspekte Sprache Basiswissen Informationsmedium
Aufklärung führt zu Informationsverlust Übereinstimmung des Wissens der Patientin mit der ärztlich dokumentierten Therapie geplante Therapie / Aufnahmetag durchgeführte Therapie / Entlassungstag Muttersprache deutsch / deutsche Pat. 81,1 82,6 gute Deutschkenntnisse geringe Deutschkenntnisse keine Deutschkenntnisse 59,2 58,1 65,2 75 78,6 76,5 0 20 40 60 80 100 Pette 1997; David et al. 2000
Anforderungen/Schwierigkeiten aus Sicht der Akteure Systembezogene Probleme Mangel an spez. Wissen Mangel an interkultureller Kompetenz Typische Aussagen des Klinikpersonals Überforderung Reduzierte Kommunikationsmöglichkeiten Ungelöste Sprachprobleme Medizinische Aufklärung wird kaum verstanden Mangelnde Informationsmöglichkeiten für Migrantinnen Hintergründe der Patientin bleiben oft verschlossen Psychosomatische Versorgung entfällt meistens Tendenz schwierige Patientinnen zu vermeiden Borde (2002)
Einschätzung der Dringlichkeit der Behandlung Sicht der Patienten/-innen (n=739) Sicht der Ärzte/-innen (n=437) geringe Dringlichkeit 8 5 10 36 43 42 mittlere Dringlichkeit 29 28 36 28 33 35 hohe Dringlichkeit 56 65 61 % 0 20 40 60 80 deutsch türkisch/kurdisch andere nicht-deutsche 28 25 29 % 0 20 40 60 deutsch türkisch/kurdisch andere nicht-deutsche David et al. (2006)
Ärztliche Behandlungszufriedenheit und sprachliche Verständigung (%) 120 100 80 60 40 20 0 (N=856) (N=698) (N=273) (N=282) (N=195) (N=125) FD FT MD MT FD FT Hohe Behandlungszufriedenheit Niedrige Behandlungszufriedenheit Gute sprachliche Verständigung Schlechte sprachliche Verständigung FD= Frauen deutscher Ethnizität, MD= Männer deutscher Ethnizität, FT= Frauen türkischer Ethnizität, MT= Männer türkischer Ethnizität; Angaben in %; Mediantest internistisch/gynäkologisch: p 0,01 für Zufriedenheit und sprachliche Verständigung Babitsch et al. (2008)
Multivariate Analyse von Einflussfaktoren auf die ärztliche Behandlungszufriedenheit (intern. RS) M1 1) M2 1) M3 2) OR 95%-KI OR 95%-KI OR 95%-KI Alter 1,01*** 1,01 1,02 1,00 0,99 1,01 -#- -#- -#- Geschlecht 1,40* 1,00 1,95 1,35 0,90 2,02 -#- -#- -#- Ethnizität 2,61*** 1,70 4,02 0,89 0,52 1,5 -#- -#- -#- Sprachliche Verständigung 5,28** * 4,34 6,43 4,48*** 3,34 6,01 Dringlichkeit der ärztlichen Behandlung 0,75** * 0,7 0,81 0,75*** 0,67 0,83 Geschlecht des Arztes/Ärztin 0,50** 0,3 0,85 Art der Krankenversicherung 3,05** 1,31 7,11 Nagelkerke r 2.03.41.33 Logistische Regression, 1) Modellvarianten, 2) Stepwise Babitsch et al. (2008)
Weitere Forschungsbereiche und -ergebnisse Andere Versorgungsbereiche Hausärztliche Versorgung (von Ferber et al. (2003)) Psychotherapeutische Versorgung (z. B. Kindert et al. 2008) Prävention (Walter et al. 2007) Andere Migrantengruppen Frauen und Männer aus der Demokratischen Republik Kongo (Gerlach et al. 2008) Spätaussiedler (Apraicio et al. 2005; Wittig et al. 2004) Nichtdokumentierte (Cerda-Hegerl 2008)
Ausblick: Herausforderungen 1. Erreichbarkeit, Repräsentation und Beteiligung in Forschungsvorhaben 2. Systematische Analyse der gesundheitlichen Versorgung 3. Integrative Analysen, d.h. unter Einbeziehung anderer sozialer Determinanten 4. Analyse der Wirkungen von Gesundheitsreformen 5. Entwicklung und Evaluation migrationssensibler Angebote in Prävention und Gesundheitsversorgung