Aphasie: Aphasien sind zentrale Sprachstörungen, die linguistisch als Beeinträchtigungen in den verschiedenen Komponenten des Sprachsystems ( Phonologie, Lexikon, Syntax und Semantik ) zu beschreiben sind. Die aphasischen Störungen erstrecken sich auf alle expressiven und rezeptiven sprachlichen Modalitäten, auf Sprechen, Verstehen, Lesen und Schreiben ( wobei im Prinzip die selben sprachsystematischen Merkmale der Störungen nachweisbar sind ). Aphasische Störungen können also stets multi und/oder supramodal auftreten. ( Poeck ) Ursachen für Aphasien: 1. Zerebrovaskuläre Ätiologie ( 80% aller Aphasien ) a) Thrombose b) Embolie c) Gefäßruptur 2. Schädel Hirn Trauma a) geschlossenes SHT b) offenes SHT 3. Tumore a) maligne Tumore b) beligne Tumore 4. Chirurgische Eingriffe 5. Abszesse 6. Diffuse Läsionen
Klassifikation der aphasischen Standardsyndrome: amnestische Aphasie Wernicke Aphasie Broca Aphasie Globale Aphasie Die aphasischen Standardsyndrome lassen sich mittels des AAT ( Aachener Aphasie Test ) verifizieren und klassifizieren. Dies geschieht frühestens vier bis sechs Wochen nach dem zugrundeliegenden Ereignis, da sich in dieser Zeit, durch die Spontanremission, das cerebrale Ödem zurückbildet. Behandlungsphasen in der Aphasietherapie: 1.) Aktivierungsphase / Akutphase ( bis zur 6. Woche nach Ereignis) innerhalb der ersten 4( 6) Wochen Restitution gestörter Sprachfunktionen ( Hirnödem um die primär betroffenen Hirnareale bildet sich zurück ) dadurch Verbesserung oder Aufhebung der vorübergehenden Funktionsstörungen und der Blockierungen anderer Hirngebiete in einem Drittel der Fälle kommt es zur vollständigen Rückbildung, in zwei Drittel der Fälle spontane Besserung, aber keine vollständige Rückbildung auch Begleitstörungen der Sprechmotorik ( Aphonie, Dysarthrie ) können sich anfangs in wenigen tagen bis Wochen zurückbilden Frühbehandlung besonders erfolgversprechend Unterscheidung zwischen flüssiger und nicht flüssiger Spontansprache steht im Vordergrund Behandlungsziel: Aktivierung des Patienten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, um kommunikativ möglichst angemessenes Sprachverhalten zu erreichen.
Therapieprinzipien: multimodale Stimulation ( auditiv, visuell, graphematisch, gestisch ) prosodische Merkmale und begleitende mimische und gestische Ausdrucksmittel besonders hervorheben ( auditiv und visuell ) Ausnutzung automatisieter sprachlicher Leistungen kommunikativ sinnvolle sprachliche Einheiten ( z.b. Interjektionen ) emotional ansprechendes Übungsmaterial Erarbeitung von Wortbedeutungen in einem engen Handlungs und Situationszusammenhang Ausnutzung intakter Fähigkeiten für die Deblockierung gestörter Funktionen Aktivierung von rezeptiven Fähigkeiten vor repetetiven und produktiven Fähigkeiten Ggf. Hemmung von recurring utterances und Jargon Therapiemöglichkeiten zur Behandlung aphasischer Patienten in der Akutphase Verbesserung des auditiven Sprachverständnisses und des Lesesinnverständnisses, durch: einfache Nomina hochfrequente Verben hochfrequente Adjektive einfache Aussagesätze
Patienten mit nicht flüssiger Spontansprache Sprachliche Stimulierung über: rhythmisch melodische Muster und Vor, Mit und Nachsprechen von Interjektionen Redefloskeln automatisierte Wortreihen Lückensätze Stimulierung von Spontansprachäußerungen durch: Herstellen von sprechmotivierenden Situationsbezügen affektiv ansprechendes Bildmaterial Einsatz von gestischen und mimischen Ausdrucksmitteln Patienten mit flüssiger Spontansprache Hemmung von Sprachautomatismen, recurring utterances und Jargon, durch: Aktivierung rezeptiver Modalitäten kontrolliertes Mit und Nachsprechen oder Lesen Kompensatorischer Einsatz von Gesten oder Symbolen als expressives Verständigungsmittel Annäherung an verständliche Sprachäußerungen durch: mehrmalige auditive Stimulierung Rückkopplung der verständlichen Wortteile über das Schriftbild Behandlungsmethoden: Auditive Stimulierung nach Schuell Deblockierungsmethode nach Waigl Melodische Intonationstherapie nach Albert, Sparks & Helm Darüber hinaus, ist es wichtig, die Angehörigen zu beraten und diese über die Erarbeitung wirksamer Gesprächshilfen in Kenntnis zu setzen. 2.) Störungsspezifische Übungsphase ( 6 Wochen 1 ½ Jahre ) Krankheitszustand des Patienten hat sich stabilisiert Vorübergehende neuronale Funktionsstörungen haben sich zurückgebildet
Je nach Lokalisation und Ausmaß des nun bestehenden aphasischen Störungsbildes können gestörte Funktionen restituiert, teilweise substituiert oder kompensiert werden: 1. nicht betroffene Randgebiete oder tiefergelegene Hirnstrukturen können den Funktionsausfall ggf. ausgleichen 2. selten Einsprießen neuer Nervenfortsätze in geschädigte Gebiete 3. keine Kompensation der hochspezialisierten sprachlich analytischen und sequentiellen Leistungen der sprachdominanten Hemisphäre durch die andere Hemisphäre oder durch subkortikale Hirnregionen möglich die störungsspezifische Übungsphase dauert so lange, bis Lernplateaus erreicht sind ( oft erst nach 12 Monaten ) Syndromorientierte Behandlung aphasischer Patienten in der störungsspezifischen Übungsphase 1. Amnestische Aphasie Leitsymptome: v.a. Wortfindungsstörungen semantische Paraphasien mit geringer Abweichung vom Zielwort Sprachverständnis und Satzbau nur wenig gestört Prosodie und Artikulation meist gut erhalten gute Kommunikationsfähigkeit Behandlungsschwerpunkte: v.a. semantisch lexikalischer Bereich Wort und Satzsemantische Übungen sowie Deblockierungstechniken zur semantischen Differenzierung von bedeutungsähnlichen Wörtern bei schweren lexikalischen Zugriffsstörungen Wortfindungsübungen mit häufigen, hochvertrauten, abbildbaren, manipulierbaren und konkreten Wörtern Ermutigung der Patienten zur Entwicklung von Umwegstrategien ( self cueing Strategien )
Abbau kommunikativ hemmender Strategien, wie z.b. Beharren auf einer bestimmten sprachlichen Zielform oder Abbrechen der intendierten Mitteilung Anlauthilfen und automatisierte Lückensatzvervollständigung sind keine geeigneten Hilfen! 2. Broca Aphasie Leitsymptome: nicht flüssige Sprachproduktion Dysprosodie starke Sprachanstrengung Agrammatismus ( fehlende Funktionswörter und Flektionsformen bis hin zum Telegrammstil ) eingeschränktes Lexikon Sprachverständnis mäßig beeinträchtigt meist viele phonematische Paraphasien fakultativ Sprechapraxie und Dysarthrie eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit meist starkes Störungsbewusstsein sprachbegleitende Gestik wird häufig nicht kompensatorisch genutzt Behandlungsschwerpunkte: Erarbeitung flüssiger und verständlicher Äußerungen Differenzierung des Wortschatzes Entwicklung von self cueing Strategien bei Wortfindungsstörungen Aufbau eines einfachen, pragmatisch variablen Satzbaus (damit sich der Patient in Kommunikationssituationen semantisch pragmatisch adäquat äußern kann ) Förderung sprachbegleitender und sprachersetzender gestischer Ausdrucksmittel Erarbeitung ganzheitlicher Sprachäußerungen ( z.b. lexikalisierter Redeformeln ) zur Einleitung, Aufrechterhaltung und Beendigung von Gesprächen 3. Wernicke Aphasie Leitsymptome:
flüssige, häufig überschießende Sprachproduktion viele semantische und/oder phonematische Paraphasien, die grob vom Zielwort abweichen können Neologismen Paragrammatismus ( Störung der sequentiellen Abfolge von komplex angelegten Sätzen ) Sprachverständnis und Kommunikationsverhalten stark beeinträchtigt Behandlungsschwerpunkte: je nach Ausprägung der Störung Schwerpunkt im semantischen und/oder phonematischen Bereich Verbesserung der Sprachkontrolle bei schweren semantischen Störungen: Beginn mit Differenzierungsübungen zwischen Wörtern, die sich von der Wortbedeutung her leicht unterscheiden lassen ( z.b. aus unterschiedlichen semantischen Feldern ) Verstärkung von Schlüsselwortstrategien ( z.b. durch Heraushören des lexikalisch pragmatischen Subjekts aus Sätzen ) Erarbeitung erster verständlicher Äußerungen über einen engen Handlungs und Situationszusammenhang, gedehntes Vorsprechen und gemeinsames lautes Lesen Verbesserung von Selbstwahrnehmung und Korrektur von Paraphasien über schriftliche Rückmeldung Minimalpaarübungen über multimodale Erarbeitung ( auditive Stimulierung, Schriftbild, Bildmaterial ) Übungen mit komplexen Sätzen zur Behandlung des Paragrammatismus Übungen zum Satz und Textverständnis zur Verringerung paragrammatischer und überschießender Äußerungen bei Berichten und Nacherzählungen 4. Globale Aphasie Leitsymptome: schwere Beeinträchtigungen in allen laut und schriftsprachlichen Modalitäten
schwere Sprachverständnisstörungen nahezu keine oder kaum verständliche Sprachproduktion minimaler Wortschatz häufig Sprachautomatismen nur stockender Sprachfluß ( außer bei recurring utterances ) mit erheblicher Sprechanstrengung und gestörter Prosodie meist starke Dysarthrie sprachliche Kommunikationsfähigkeit sehr stark beeinträchtigt gestische und mimische Ausdrucksmöglichkeiten meist reduziert, stereotyp und bedeutungsarm Behandlungsschwerpunkte: Verbesserung des Sprachverständnisses Förderung des kompensatorischen Einsatzes aller noch verfügbarer sprachlichen und nicht sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten Verbesserung der sprachlich expressiven Kommunikationsfähigkeit unter Ausnutzung von automatisierten Sprachleistungen und sprachlichen Stereotypien ( situationsadäquate Interjektionen, Phrasen, Redewendungen ) Melodische Intonationstherapie ( MIT ) und Visual Action Therapy ( VAT ) total communication : Einsatz aller kompensatorischen Kommunikationsmittel, die auch von Nicht Aphasikern eingesetzt werden, wenn sie sprachliche Schwierigkeiten haben ( sprachersetzender/ begleitender Einsatz von Mimik, Gestik, Zeichnungen, Schrift,... ) Einsatz visueller oder gestischer Hilfssprachen ( Bliss Symbole, Kommunikations bzw. Bildertafeln, Ansätze der Gebärdensprache ) Arbeit an syntaktischen und semantischen Störungen ( s.o.) Reaktivierung von Wortbedeutungen im engen Handlungsund Situationszusammenhang ( erst emotional bedeutsame und hochvertraute Wörter, dann zunehmend ähnlich werdend ) meist ist durch die linguistisch orientierte Therapie nur ein Übungseffekt und kein Generalisierungseffekt zu erreichen
Behandlungsmethoden: indirekte, stimulierende Methoden ( z.b. Kettendeblockierung nach Weigl ) direkte linguistisch orientierte Methoden ( z.b. Neurolinguistische Aphasietherapie, Logotherapia ) kompensatorische Methoden ( Visual Action Therapie ) Eine Kombination verschiedener Methoden ist besonders effektiv ( Reduzierte Syntax Therapie ) 3.) Konsolidierungsphase ( ab 1 ½ Jahre...) der Patient hat ein chronisches Stadium erreicht, in dem keine dynamische Rückbildung mehr zu erwarten ist durch intensive, störungsspezifische Therapie keine oder nur geringfügige Verbesserungen zu erzielen Förderung der sozialen Integration des Aphasikers und seiner Angehörigen noch bestehende sprachliche Defizite sollen vom Patient und den Angehörigen akzeptiert werden die noch zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel sollen möglichst effektiv in Alltagssituationen eingesetzt werden Behandlungsmethoden: Arbeit mit der Familie und in Gruppen Integration in Gesprächskreise oder Selbsthilfegruppen Gruppenbehandlung: PACE Therapie nach Davis & Wilcox Rollenspieltherapie Kommunikative Gruppentherapie nach Springer
Angehörigenberatung bei Aphasie Grundlagen: Angehörige: die psychosoziale Situation des Aphasikers und seiner Angehörigen ist für den Rehabilitationserfolg von entscheidender Bedeutung Ergebnisse verschiedener Studien zur Beurteilung der psychosozialen Situation von Aphasikern und ihrer Angehörigen zeigen unterschiedliche Erlebensweisen der Erkrankung bei Angehörigen und Patient: fühlen sich in ihren sozialen Kontakten und Freizeitaktionen eingeschränkt schätzen häufig den Krankheitsverlauf bezüglich der Prognose falsch ein ( subjektives und/oder Wunschempfinden ) erscheinen oft speziell über die Sprachstörung schlecht informiert schreiben ihren aphasischen Partnern häufig negativere Eigenschaften zu als Angehörige nicht aphasischer hirnorganisch geschädigter Patienten berichten über Partnerschaftsprobleme ( Unzufriedenheit bzgl. der emotionalen Unterstützung seitens des Partners ) klagen über verringerten Kontakt mit Freunden und Bekannten fühlen sich belastet durch den Rollentausch bzgl. Der Erwerbstätigkeit und des Treffens von Entscheidungen (rehabilitative Maßnahme, finanzielle Fragen, Haushaltsorganisation...) suchen vermehrt den Arzt wegen physischer und psychischer Beschwerden auf haben oft, neben dem aphasischen Partner keine oder nur wenige Bezugspersonen, mit denen sie sich austauschen können empfinden oft die Hemiplegie ( Halbseitenlähmung ) als belastender als die Aphasie nehmen die häufig bestehende Sprachverständnisstörung nicht an ( reines Sprachverständnis wird mit situativem Verstehen verwechselt )
Patienten: nehmen die beruflichen Veränderungen und die außerfamiliären sozialen Konsequenzen auf Grund der fehlenden Selbständigkeit und Unabhängigkeit als am stärksten belastend wahr sehen die Partnerbeziehung als unverändert und erleichternd an empfinden oft die Hemiplegie als belastender als die Aphasie nur (max.) 25% kehren an ihren Arbeitsplatz zurück Die Angehörigenberatung im Prozess der Krankheitsbewältigung Vier Phasen*: Verleugnung, Aktivismus Frustration, Ärger, Wut ( Schuld und Sinnfrage ) Trauer, Depression Akzeptanz, Umorientierung )* die einzelnen Phasen werden von den Betroffenen mit unterschiedlicher Dauer und Intensität erlebt; einzelne Phasen können auch wiederholt auftreten. Angehörigenberatung im Einzelgespräch: 1. Akute Phase ( die ersten Wochen und Monate nach dem Insult ) Information über die Art und das Ausmass der sprachlichen Beeinträchtigungen durch ein persönliches Gespräch mit der/dem Logopädin/Logopäden Vermittlung von Hilfsmöglichkeiten bezogen auf die Sprachstörung und ihre Begleitsymptome ( z.b. Apraxien ) im persönlichen Dialog mit den einzelnen Therapiegruppen ( Physio und Ergotherapie, Logopädie ) auf Wunsch findet gerne eine Demonstrationsbehandlung mit Patient, Angehörigen und LogopäIn statt 2. Chronische Phase ( ab sechs Monate nach dem Insult )
der Kenntnisstand der Angehörigen ist oft sehr unterschiedlich, kann jedoch jederzeit gerne optimiert werden Themen der beruflichen und vor allem der psychosozialen Wiedereingliederung bzw. Anpassung treten zunehmend in den Vordergrund und können jederzeit im Team erörtert werden Ziel der AngehörigenBeratung: die Angehörigen sollen vorhandene Kommunikationsstrategien bewusster wahrnehmen lernen und neue Ideen für den Umgang mit Aphasikern bekommen gemeinsam sollen Ideen entwickelt werden, wie man den Aphasiker besser verstehen kann und wie man ihm helfen kann, seine Angehörigen besser zu verstehen Ehrlichkeit im Umgang mit dem Aphasiker Den Aphasiker als gleichwertigen Partner anerkennen Informationen über Selbsthilfegruppen Bereitstellen/Verweisen auf Fachliteratur, Informationsbroschüren, Büchern und Romanen zum Thema Aphasie