Primärer Kopfschmerz bei sexueller Aktivität



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Transkript:

Primärer Kopfschmerz bei sexueller Aktivität A. Frese, S. Evers Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Münster Korrespondenzaddresse: Dr. A. Frese Klinik und Poliklinik für Neurologie Universitätsklinikum Münster Albert-Schweitzer-Straße 33 48129 Münster email: fresea@uni-muenster.de Zusammenfassung Primärer Kopfschmerz bei sexueller Aktivität betrifft überwiegend Männer. Es werden ein Präorgasmuskopfschmerz mit langsamer Schmerzzunahme während der sexuellen Aktivität und ein häufigerer Orgasmuskopfschmerz mit einem starken explosionsartigen Auftreten während des Orgasmus unterschieden. Bei Erstmanifestation ist der Ausschluß symptomatischer Kopfschmerzen z.b. durch eine Subarachnoidalblutung obligat. Die Prognose ist günstig, Spontanremissionen sind die Regel. Bei längeranhaltenden Kopfschmerzphasen sind eine Kurzzeitprophylaxe mit Indometacin oder eine Prophylaxe mit Propranolol erfolgversprechend.

Schlüsselwörter: Kopfschmerz bei sexueller Aktivität, Migräne, Prophylaxe Einleitung Erstmals Erwähnung fanden Kopfschmerzen ausgelöst durch sexuelle Aktivität bereits bei Hippokrates. Dieser schrieb, man solle jene unterscheiden, die Kopfschmerzen bekommen durch gymnastische Übungen oder durch Rennen, Laufen, Jagen oder durch sonst irgendwelche unvernünftigen Verrichtungen oder durch maßlosen Geschlechtsverkehr (zitiert nach Adams 1848). Die ersten systematischen klinischen Beschreibungen des primären Kopfschmerzes bei sexueller Aktivität (KSA) erschienen 1974 (Lance 1974, Paulson und Klawans 1974). In der Folge wurden immer wieder Fallserien mit KSA publiziert. Bis 1986 waren insgesamt 110 Fälle von KSA veröffentlicht (Johns 1986). Erst in den letzten Jahren konnten an einem großen Patientenkollektiv das klinische Bild präzise analysiert und experimentelle Studien zur Pathophysiologie durchgeführt werden (Frese et al. 2003A). Klassifikation Die 2. Auflage der Kopfschmerzklassifikation der International Headache Society (IHS) führt den primären KSA mit der Diagnose 4.4 (Headache Classification Committee 2004). Es wird ein Präorgasmuskopfschmerz (Diagnose 4.4.1) von einem Orgasmuskopfschmerz (Diagnose 4.4.2) unterschieden. Der Präorgasmuskopfschmerz beginnt als dumpfer Schmerz in Kopf und Nacken, der mit dem Gefühl einer Muskelkontraktion im Nacken und der Kaumuskulatur einhergeht und sich mit zunehmender Erregung verstärkt. Bei dem Orgasmuskopfschmerz tritt mit dem Orgasmus plötzlich ein starker, explosionsartiger Kopfschmerz auf. Die erste Auflage der IHS-Klassifikation führte als dritten Typ des KSA einen haltungsabhängigen Typ, der erst nach dem Geschlechtsverkehr und ausschließlich in aufrechter Position auftrat (Headache Classification Committee 1988). Da diese Variante höchst selten auftritt und als Folge eines Duraeinrisses mit Liquorunterdruck angesehen wird, ist sie in der 2. Auflage nicht mehr als primärer KSA aufgeführt. Sie muß als symptomatischer Kopfschmerz angesehen werden und ist unter der

Diagnose 7.2.3 (Kopfschmerz zurückzuführen auf ein spontanes Liquorunterdrucksyndrom) zu klassifizieren. Die diagnostischen Kriterien des KSA sind in Tabelle 1 aufgeführt. Epidemiologie Die exakte Lebenszeitprävalenz des KSA ist unbekannt. In der bislang einzigen bevölkerungsbezogenen epidemiologischen Studie betrug sie ca. 1% und war damit vergleichbar mit der des primären Kopfschmerzes bei körperlicher Anstrengung und des primären Hustenkopfschmerzes (Rasmussen und Olesen 1992). Die Pävalenz wird wahrscheinlich unterschätzt, da wegen der schambesetzten Auslösesituation von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Männer sind 3-4 mal häufiger betroffen als Frauen (Lance 1976, Silbert et al. 1991, Pascual et al. 1996, Frese et al. 2003A). Das Erstmanifestationsalter ist zweigipflig mit Maxima zwischen dem 20. und 24. Lebensjahr und dem 35. und 44. Lebensjahr (Frese et al. 2003A). Der Präorgasmuskopfschmerz ist 3-4 mal seltener als der Orgasmuskopfschmerz (Johns 1986, Frese et al. 2003A). Es besteht in 19%-47% eine Komorbidität mit Migräne, in 29%-40% mit primärem Kopfschmerz bei körperlicher Anstrengung und in 45% mit Spannungskopfschmerz (Lance 1976, Silbert et al. 1991, Pascual et al. 1996, Frese et al. 2003A). Pathogenese Die genauen Mechanismen, die dem primären Kopfschmerz bei sexueller Aktivität zugrunde liegen, sind ungeklärt. Frühe Arbeiten postulierten pathophysiologische Zusammenhänge zwischen Präorgasmuskopfschmerz und Spannungskopfschmerz sowie zwischen Orgasmuskopfschmerz und Migräne (Lance 1976). Kürzlich konnte eine Störung der zerebralen metabolischen Autoregulation für den Orgasmuskopfschmerz nachgewiesen werden. So zeigten Patienten mit Orgasmuskopfschmerz nach einer Absenkung des ph-wertes eine verringerte Vasodilatation der intrakraniellen Arterien im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen und Migränepatienten (Evers et al. 2003). Eine manifeste arterielle

Hypertonie ist bei nur 8% der Patienten vorhanden und spielt somit keine gesicherte pathophysiologische Rolle (Frese et al. 2003A). Während körperlicher Anstrengung kommt es bei Patienten mit KSA jedoch zu einem stärkeren Blutdruckanstieg als bei gesunden Kontrollpersonen und Migränepatienten (Evers et al. 2003). Patienten mit KSA haben im Intervall eine fehlende kognitive Habituation bei Messung ereigniskorrelierter Potentiale, wie sie für Migränepatienten seit längerem bekannt ist (Frese et al. 2003B). Dies weist ebenso wie die hohe Komorbidität beider Erkrankungen auf pathophysiologische Gemeinsamkeiten zwischen Orgasmuskopfschmerz und Migräne hin (Frese et al. 2003B). Klinisches Bild Der KSA tritt ausschließlich bei sexueller Aktivität auf. Die Schmerzen sind überwiegend bilateral und diffus oder okzipital lokalisiert. Die mediane Dauer beträgt 30 Minuten, die maximale Dauer 24 Stunden. Häufig verbleibt ein leichterer Nachschmerz, der nach spätestens 72 Stunden abklingt (Frese et al. 2003A). Der Kopfschmerzen ist unabhängig von spezifischen sexuellen Praktiken, er kann auch bei der Masturbation auftreten (Frese et al. 2003A). Spontane Remissionen sind die Regel, symptomatische Phasen können wenige Tage bis mehrere Jahre lang anhalten und im weiteren Verlauf rezidivieren (Silbert et al. 1991, Frese et al. 2004). Nur eine Minderheit der Patienten hat eine chronische Verlaufsform ohne längere Remissionsphasen. Die meisten dieser Patienten bekommen Kopfschmerzattacken bei weniger als 50% der sexuellen Aktivität (Frese et al. 2004). Ein Vergleich des Präorgasmuskopfschmerzes mit dem Orgasmuskopfschmerz zeigte keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf das Erstmanifestationsalter, die Geschlechtsverteilung, die Schmerzdauer, die Schmerzlokalisation und die Prognose der Erkrankung (Frese et al. 2003A).

Differentialdiagnosen Für die Diagnossestellung ist insbesondere bei erstmaligem Auftreten der Ausschluß sekundärer Formen obligat. Gemäß den diagnostischen Kriterien der IHS ist für den Orgasmuskopfschmerz der Ausschluß einer Subarachnoidalblutung, die aus rupturierten Aneurysmen oder arteriovenösen Malformationen entstehen kann, und einer Gefäßdissektion erforderlich. Subarachnoidalblutungen entstehen in bis zu 12% bei sexueller Aktivität und müssen durch entsprechende Zusatzdiagnostik (CCT, Liquoruntersuchung, in besonderen Verdachtsfällen Angiographie) ausgeschlossen werden (Lundberg und Ostermann 1974). Begleitsymptome wie Erbrechen, Vigilanzabnahme, Meningismus, fokale neurologische Ausfälle und ein Anhalten starker Schmerzen über 24 Stunden hinaus sind hochverdächtig auf das Vorliegen symptomatischer Kopfschmerzen und sollten immer Anlaß für rasche und umfassende Ausschlußdiagnostik sein. Therapie Als nichtpharmakologische Maßnahme ist die Einnahme einer passiveren Rolle beim Geschlechtsverkehr ratsam, da dies bei ca. 50% der Patienten die Kopfschmerzen reduziert (Frese et al. 2003A). Ein Abbruch der sexuellen Aktivität bei Auftreten erster Symptome kann bei ca. 40% eine weitere Zunahme der Kopfschmerzen verhindern und ist insbesondere für den Präorgasmuskopfschmerz als erfolgreiche Präventionsmaßnahme anzuraten (Frese et al. 2003A). Solange ein leichterer Nachschmerz besteht, erscheint das Risiko einer erneuten Kopfschmerzattacke bei erneuter sexueller Aktivität besonders hoch, so daß für diesen Zeitraum sexuelle Inaktivität zu empfehlen ist (Lance 1976, Frese et al. 2003A). Für Patienten mit länger anhaltenden Kopfschmerzphasen mit wiederholten Attacken besteht die Indikation für eine medikamentöse Therapie. Das Therapieziel ist die Vermeidung von Kopfschmerzattacken, da sich unterschiedliche Schmerzmittel (Paracetamol, Ibuprofen, Acetylsalicylsäure, Diclofenac) in der Akutbehandlung bereits aufgetretener Attacken in > 90% als unbefriedigend erwiesen haben (Frese et al. 2004). Im Falle unregelmäßiger, planbarer sexueller Aktivität ist eine medikamentöse Kurzzeitprophylaxe erfolgversprechend. Als Kurzzeitprophylaktikum der Wahl hat

sich Indometacin als erfolgreich erwiesen. Die empfohlene Dosis beträgt 50 mg - 75 mg ca. eine Stunde vor der sexuellen Aktivität. Die Ansprechrate liegt bei > 80% (Frese et al. 2004). Für Patienten mit höherfrequenter oder nicht vorausplanbarer sexueller Aktivität ist eine Prophylaxe mit regelmäßiger Medikamenteneinnahme vorteilhaft. Prophylaktikum der ersten Wahl ist Propranolol, für das mehrere größere Fallserien eine Wirksamkeit anzeigen (Johns 1986, Silbert et al. 1991, Pascual et al. 1996, Frese et al. 2004). Die empfohlene Dosis beträgt 3 x 20 mg 3 x 80 mg täglich, die Ansprechrate liegt bei > 80%. Ebenfalls wirksam scheinen die Betablocker Metoprolol und Atenolol zu sein, jedoch sind die Erfahrungen mit diesen Substanzen geringer als mit Propranolol (Silbert et al. 1991, Frese et al. 2004). Jede kurzzeitprophylaktische oder prophylaktische Therapie sollte nach spätestens 3 Monaten probatorisch unterbrochen werden, da spontane Remissionen der Erkrankung die Regel sind. Pragmatische Therapieempfehlungen sind in Tabelle 2 noch einmal zusammengefaßt. Literatur 1. Adams F. The genuine works of Hippocrates. London: Sydenham Society 1848 (page 94). 2. Evers S, Schmidt O, Frese A, et al. The cerebral hemodynamics of headache associated with sexual activity. Pain 2003; 102: 73-78. 3. Frese A, Eikermann A, Frese K, et al. Headache associated with sexual activity. Demography, clinical features, and comorbidity. Neurology 2003A; 61: 796-800. 4. Frese A, Frese K, Ringelstein EB, et al. Cognitive processing in headache associated with sexual activity. Cephalalgia 2003B; 23: 543-551. 5. Frese A, Frese K, Schwaag S, et al. Prophylactic treatment and course of the disease in headache associated with sexual activity. In: Olesen J, Silberstein S, Tfelt-Hansen P, eds. Preventive pharmacotherapy of headache disorders. Oxford: Oxford University Press, 2004: 50-54.

6. Headache Classification Subcommittee of the International Headache Society. Classification and diagnostic criteria for headache disorders, cranial neuralgias and facial pain. Cephalalgia 1988; 8 (Supl. 7): 1-96. 7. Headache Classification Subcommittee of the International Headache Society. The international classification of headache disorders, 2 nd edition. Cephalalgia 2004; 24 (Supl. 1): 1-151. 8. Johns DR. Benign sexual headache within one family. Arch Neurol 1986; 43: 1158-1160. 9. Lance JW. Headaches occurring during sexual intercourse. Proc Austral Assoc Neurol 1974; 11: 57-60. 10. Lance JW. Headaches related to sexual activity. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1976; 39: 1226-1230. 11. Lundberg PO, Osterman PO. The benign and malignant forms of orgasmic cephalgia. Headache 1974; 14: 164-165. 12. Pascual J, Iglesias F, Oterino A, et al. Cough, exertional, and sexual headaches. An analysis of 72 benign and symptomatic cases. Neurology 1996; 46: 1520-1524. 13. Paulson GW, Klawans HL. Benign orgasmic cephalgia. Headache 1974; 13: 181-187. 14. Rasmussen BK, Olesen J. Symptomatic and nonsymptomatic headaches in a general population. Neurology 1992; 42: 1225-1231. 15. Silbert PL, Edis RH, Stewart-Wynne EG, et al. Benign vascular sexual headache and exertional headache: interrelationships and long term prognosis. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1991; 54: 417-421.

Tabelle 1: Diagnostische Kriterien des primären Kopfschmerzes bei sexueller Aktivität 4.4.1 Präorgasmuskopfschmerz A. Dumpfer Schmerz in Kopf und Nacken, der mit dem Gefühl einer Muskelkontraktion im Nacken und der Kaumuskulatur einhergeht und Kriterium B erfüllt B. Tritt während sexueller Aktivität auf und verstärkt sich mit zunehmender Erregung C. Nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen 4.4.2 Orgasmuskopfschmerz A. Plötzlich auftretender starker ( explosiver ) Kopfscherz, der das Kriterium B erfüllt B. Kopfschmerz tritt während des Orgasmus auf C. Nicht auf eine andere Erkrankung zurückzuführen 1 Anmerkung 1 Beim erstmaligen Auftreten des Orgasmuskopfschmerzes ist der Ausschluß einer Subarachnoidalblutung und einer Arteriendissektion obligatorisch Tabelle 2: Pragmatische Behandlung des primären Kopfschmerzes bei sexueller Aktivität. Schritt 1: Aufklärung und Beratung: - Information über den gutartigen Charakter und die günstige Prognose - sexuelle Inaktivität während des Schmerzes und am Folgetag - passiveres Verhalten während der sexuellen Aktivität Schritt 2: Kurzzeitprophylaxe: Indometacin 25 mg bis 100 mg ca. 30 bis 60 min vor sexueller Aktivität 2 Schritt 3:

Prophylaxe: Propranolol 3 x 20 mg bis 3 x 80 mg pro Tag 2 Anmerkung 2 Wegen häufiger Spontanremissionen sollte nach spätestens 3 Monaten ein Auslaßversuch unternommen werden