Auswirkungen des Anbaus von Energiepflanzen auf die Biodiversität: Bewertungsmethodik und Einfluss des Anbauverfahrens

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Transkript:

Auswirkungen des Anbaus von Energiepflanzen auf die Biodiversität Auswirkungen des Anbaus von Energiepflanzen auf die Biodiversität: Bewertungsmethodik und Einfluss des Anbauverfahrens MICHAEL GLEMNITZ, RALPH PLATEN, CHRISTOPH SAURE 1 Einleitung Der Artenverlust ist eins der größten aktuellen globalen Probleme der Menschheit. Die Übereinkunft über biologische Vielfalt (CBD 1992) und deren Fortschreibung in nationales Recht (Nationale Biodiversitätsstrategie, BMU 2007) haben den Stop des Artenrückganges als gesellschaftliches Ziel deklariert. Die Landwirtschaft, neben dem Flächenverbrauch als Hauptursache für den Artenrückgang geltend (RÖSER 1990), ist im Rahmen der nationalen Biodiversitätsstrategie aufgefordert, nicht für den Artenschutz direkt, sondern für eine nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt Sorge zu tragen. Gemeint ist damit neben dem Erhalt naturschutzfachlich wertvoller Agrarbiotope vor allem die Wahrung der Rolle der Nutzflächen als Lebensraum für wildlebende Tier- und Pflanzenarten. In Zusammenhang mit der Förderung des Energiepflanzenanbaus und dem Anstieg der Weltmarktpreise für Lebensmittel hat sich in den letzten Jahren eine Veränderung in der Landnutzung eingestellt, in deren Ergebnis die Flächenkonkurrenz zwischen verschiedenen Produktionslinien - Energie, Lebensmittel -, aber auch zwischen dem Naturschutz und der Landwirtschaft - Flächenstilllegungen - zugenommen hat. Viele der derzeitigen problematischen Entwicklungen in der Landwirtschaft werden dem Energiepflanzenanbau angelastet: Grünlandumbruch (SCHÖNE 2007), zu kurze Anbaupausen, enge Fruchtfolgen, Konzentration auf wenige Fruchtarten und eine allgemein zunehmende Bewirtschaftungsintensität. Solche Phänomene sind nicht spezifisch für den Energiepflanzenanbau sondern immer dann zu beobachten, wenn es sich für den Landwirt lohnt, zu produzieren. Um die Gestaltungsmöglichkeiten und eventuell Regulierungsbedarf für den Energiepflanzenanbau identifizieren zu können ist es notwendig, in den Untersuchungsansätzen auf die systemimmanenten Unterschiede zwischen traditioneller Landwirtschaft und dem Energiepflanzenanbau zu fokussieren. Auf der Grundlage des heutigen Wissens gibt es keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob und wie sich eine Ausdehnung des Energiepflanzenanbaus auf Umwelt und Natur auswirken wird. Diese Frage ist nicht nur deshalb schwer zu beantworten, weil die Biodiversität eine komplexe Größe aus Elementen mit unterschiedlichen Reaktionsmustern darstellt, sondern auch weil der Energiepflanzenanbau eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten zulässt, die mit verschiedenen Wirkungen verbunden sind. Beim Energiepflanzenanbau bieten sich zahlreiche neue 1

M. Glemnitz, R. Platen, C. Saure Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung, die mit den bisherigen Produktionszielen (z. B. Marktfruchtanbau) bisher nicht vereinbar waren (KARPENSTEIN-MACHAN 2001). Die Bewertung der Biodiversität wird u. a. auch dadurch erschwert, daß die Ziel- und Indikationssysteme nicht eindeutig geklärt oder gesellschaftlich akzeptiert sind. Vor allem fehlt es an regionalisierten, quantifizierbaren Richtwerten für die Bewertung verschiedener Landnutzungs verfahren aus Sicht des Biodiversitätsund Artenschutzes u. a. im Rahmen verschiedener Sanktions- und Anreizsysteme (Cross Compliance, Gute fachliche Praxis). Als Projektteil eines von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) geförderten deutschlandweiten Verbundprojekts mit dem Titel Entwicklung und Vergleich von optimierten Anbausystemen für die landwirtschaftliche Produktion von Energiepflanzen unter den verschiedenen Standortbedingungen Deutschlands (EVA) führt das ZALF Müncheberg Untersuchungen zu ökologischen Folgewirkungen unterschiedlicher Anbausysteme für den Energiepflanzenanbau durch. In diesem Projekt werden die Auswirkungen verschiedener, regional angepasster Anbausysteme für Energiepflanzen mit denen aktueller Anbausysteme des Marktfruchtanbaus als Referenz verglichen. Vorliegender Beitrag stellt methodische Arbeiten für die Weiterentwicklung des Beurteilungssystems für die Biodiversität ackerbaulicher Anbaumaßnahmen und erste Ergebnisse aus deren Anwendung vor. 2 Zielkonzepte der Biodiversität Die Bewertung von Ist- und Soll-Zuständen der Biodiversität variiert je nach Zielvorstellung und Sichtweise der Akteure stark, wobei nicht immer ausreichend transparent ist, welche Ziele der Bewertung zugrunde gelegt werden. Wir unterscheiden drei grundsätzliche Zielkonzepte (Tab. 1), die verschiedene Untersetzungen nach sich ziehen. Eine Klarstellung der gewählten Konzepte ist für die Begründung der verwendeten Kriterien und Bewertungen unverzichtbar. Während die moralisch-ethisch begründeten Ansätze und die Versicherungshypothese in der Regel allein auf das Kriterium Artenanzahl ausgerichtet sind, verlangen die funktionsbezogenen Konzepte, die häufig auch mit dem Begriff biotische Integrität in Zusammenhang gebracht werden, die Analyse von Artenanzahlen, Arthäufigkeiten (Abundanzen) und der Strukturierung in den Lebensgemeinschaften entweder parallel oder in einer problembezogenen Auswahl. Darüber, welche der Kriterien für die Aufrechterhaltung und den Output einzelner Funktionen ausschlaggebend sind, wird gegenwärtig intensiv geforscht und diskutiert. So ist zum Beispiel bislang nicht zweifelsfrei geklärt, ob die stoffliche Produktivität von Zönosen generell von komplementären Effekten der Arten (d. h. hohen Artenanzahlen, LOREAU et al. 2001) angetrieben wird, oder von der Häufigkeit und Dominanz einzelner Schlüsselarten und deren Gleichgewichtszuständen (THOMPSON et al. 2005). Ähnlich fundamentale Meinungsve rschiedenheiten herrschen u. a. auch 2

Auswirkungen des Anbaus von Energiepflanzen auf die Biodiversität bei der Bewertung von Nahrungsnetzen vor, wobei dabei zusätzlich zur Artenanzahl und den Artmächtigkeiten einzelner Gruppen auch noch der Grad der Anpassung/Spezialisierung und die Ausbreitungsfähigkeit der Arten als Schlüsselparameter gehandelt werden (W INEMILLER und LAYMAN 2005). Die meisten der ökologischen Prozesse sind hochgradig komplex, deshalb ist die Verfügbarkeit von eindeutigen Indikatoren und harten Bewertungsansätzen auch in der nahen Zukunft nicht zu erwarten. Tab. 1: Grundsätzliche Zielkonzepte der Biodiversität Konzept Autor Beschreibung Kriterium Versicherungs - hypothese Ethik 1. Ressourcenethik 2. Naturethik Funktionalität 3. Qualität 4. Quantität BAUMGÄRTNER 2005, LOREAU 2001 OKSANEN 1997 KARG 1996 ANGERMEIER und KARR 1994 Revitalisierung nach Störung und Anpassung schneller, wenn genetische Vielfalt hoch, Vorhandensein von Arten mit ähnlichen Aufgaben im Ökosytem vorausgesetzt Erhalt der genetischen Information für nachfolgende Generationen, Achtung des Selbs t- werts der Lebewesen Von der Lebewesen getragenen Ökos y- stemfunktionen (und deren Outputs) sollen nachhaltig erhalten bleiben Artenanzahl Artenanzahl (Minimale lebensfähige Population) Artenanzahl, Abundanzen; Struktur der Zönosen (preferenzielle Arten, keystone species, Interaktionen, Vernetzungen) Die geschilderten Probleme legen die Schlussfolgerung nahe, dass die Bewertung der Biodiversität momentan nicht an einem einzigen Indikator festgemacht werden kann, sondern vielmehr differenziert nach einem multi-kriteriellen, transparenten Bewertungskatalog verlangt, welcher die Verschiedenartigkeit der theoretischen Grundsätze integriert. Hierfür können vorhandene Indikatoren kombiniert, bzw. müssen neue ergänzt werden. Für den Vergleich der Effekte von Energiepflanzen- und traditionellen Marktfruchtanbausystemen schlagen wir die Berücksichtigung der folgenden drei Hauptkriterien vor: allgemeine Bewertung der Biodiversität 3

M. Glemnitz, R. Platen, C. Saure spezielle Biodiversität, bewertet anhand von ökologischen Gruppen und Funktionen und relevante Biodiversitätskomponenten aus Sicht einer landwirtschaftlichen Nachhaltigkeit Als Indikatoren für die allgemeine Biodiversität werden folgende Parameter angewendet: die Artenanzahl, die Artmächtigkeit (Individuenanzahlen, Deckungsgrade, Biomasseanteile), der Seltenheits- bzw. Gefährdungsgrad (Rote-Liste-Status) und die Spezialisierung der Arten (Ackerart ja/nein). In der modernen ökologischen Forschung wird zunehmend versucht, die Interpretationsfähigkeit des Parameters Artendiversität durch die Zuordnung der Arten zu verschiedenen abiotischen und biotischen Funktionen aufzuwerten. Für die Abschätzung der Folgewirkungen auf die spezielle Biodiversität wurden im Rahmen des EVA-Projektes Funktionen nach folgenden Kriterien ausgewählt: Relevanz für andere Organismengruppen (Nahrungsnetz), Sensitivität für die Kennzeichnung der Habitatqualität unterschiedlicher Kulturarten (Spezialisierung), Vermehrungs- und Ausbreitungsstrategien (Mobilität) und wissenschaftliche Akzeptanz der Art- und Funktionsbezüge. Biodiversität auf agrarisch genutzten Flächen besitzt nicht nur eine Bedeutung für externe Nutzer sondern auch aus der Sicht der Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Nutzungssysteme für den Landnutzer selbst. Als nachhaltig gelten landwirtschaftliche Nutzungssysteme aus der Sicht des Landnutzers unter anderem dann, wenn die Anbausysteme die Produktivität des Standortes nicht beeinträchtigen, möglichst wenig negative laterale Umweltwirkungen von ihnen ausgehen und die Kosten für Managementmaßnahmen niedrig gehalten werden können. Zu den Indikatoren dieser Zielgruppe gehören: das Vorkommen von Nützlingen bzw. Regulatoren, das Vorkommen besonders schwer kontrollierbarer Schädlinge, sowie das Vorkommen und die Häufigkeit von Arten mit besonders hohem Kontrollaufwand. 3 Methodenkritik Artenanzahl Die Artenanzahl gehört zu den am häufigsten verwendeten Indikatoren für die Biodiversität. Ein Grund für die häufige Verbreitung ist die einfache, keine weitere Hilfsmittel erfordernde Handhabbarkeit und die Bereitstellung konkreter Zahlenwerte. Dennoch birgt dieses konkrete Kriterium viele methodische Fehlerquellen, sowohl bei der Ermittlung des Wertes als auch bei der Interpretation desselben in sich. Eine der größten Fehlerquellen bei der Bestimmung von Artenanzahlen liegt in der unterschiedlich ausgeprägten Artkenntnis der Kartierer (subjektiver Fehler). Aus diesem Grunde sollten Erhebungsprogramme und vergleichende Untersuchungen stets von einem identischen Personal durchgeführt werden. Erhebungs- 4

Auswirkungen des Anbaus von Energiepflanzen auf die Biodiversität ergebnisse verschiedener Kartierer sind selbst bei sonst deckungsgleicher Methodik nur mit Einschränkungen vergleichbar (BAUER und HEINE 1992). Die Absolutwerte der ermittelten Artenanzahlen sind stark abhängig von der gewählten Aufnahmemethodik, hier vor allem von der Größe der gewählten Bezugsflächen (Flächeneffekte), den realisierten Wiederholungsanzahlen und den Erhebungszeiträumen. In Abbildung 1 sind exemplarisch die Ergebnisse eines Monitoringprogrammes zur Artendiversität aus Nordost-Deutschland gegenübergestellt, in welchem zwei parallele methodische Ansätze auf identischen Untersuchungsflächen durchgeführt wurden. Während das Kartieren eher auf eine möglichst vollständige Erfassung der vorkommenden Arten abzielt und meist nur Presence/Absence der Arten ermittelt, werden feste Boniturflächen immer dann angewendet, wenn das Vorkommen auch noch quantitativ abgeschätzt werden soll (Frequenzen, Deckungsgrade). Die unterschiedlich ausgerichteten Methoden liefern hinsichtlich der Artenanzahl völlig unterschiedliche, nicht vergleichbare, hier um den Faktor 2 auseinander liegende Werte. Die Differenz ist durch die unterschiedliche Größe der Boniturfläche und ihrer inneren Heterogenität begründet. 300 294 Artenanzahl 250 200 150 138 100 50 0 Bonitieren (3 x 25 m²) Kartieren (1-2ha) Abb. 1: Vergleich der ermittelten Artenanzahlen für Beikräuter auf Ackerflächen mit zwei unterschiedlichen Methoden und Bezugsflächengrößen (kumulative Daten von n=43 Einzelflächen aus M=6 Jahren (2000-2005), Quillow Es gehört zu den Merkmalen biotischer Lebensgemeinschaften, dass ein nicht unerheblicher Teil der Artenvielfalt selten und nur in geringen Individuenanzahlen vorkommt ( rare fraction ). Im Fall der untersuchten Ackerflächen kamen bei beiden Untersuchungsmethoden etwa 50 % der Arten in weniger als 10 % der Datensätze vor. Die typische linksschiefe Verteilung der Artvorkommen, die auf Ackerflä- 5

M. Glemnitz, R. Platen, C. Saure chen wahrscheinlich besonders stark ausgeprägt ist, lässt die Interpretation von Absolutwerten der Artenanzahlen besonders fragwürdig erscheinen. In Abbildung 2 sind aus dem oben erwähnten Untersuchungsprogramm vier Einzelflächen mit typischen Verteilungsmustern der Beikrautarten gegenübergestellt. Typ A ist eine Fläche mit 50 Arten und einer ausgeprägten starken Dominanz von weniger als 5 Einzelarten. Auf Typ B kommen im Gegensatz zu Typ A 10 Arten mit äußerst geringer Artmächtigkeit weniger vor. Typ C weist nahezu die gleiche Artenanzahl wie Typ A auf, allerdings sind die häufigsten Arten weniger dominant. Typ D ist sowohl in der Artmächtigkeit (Abundanz) als auch in der Artenanzahl limitiert. Bei alleiniger Betrachtung der Artenanzahlen würden Typ A und C gleich positiv bewertet werden, Typ B würde im Vergleich zu A und C deutlich abgewertet und relativ in die Nähe von Typ D gerückt werden. Abundanz in DG% 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Artnummer, gerankt Typ.A Abundanz in DG% 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Artnummer, gerankt Typ.B Abundanz in DG% 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Artnummer, gerankt Typ.C Abundanz in DG% 180 Typ.D 160 140 120 100 80 60 40 20 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Artnummer, gerankt 6

Auswirkungen des Anbaus von Energiepflanzen auf die Biodiversität Abb. 2: Verteilungsmuster der Beikräuter auf vier repräsentativen Einzelflächen aus dem Untersuchungsgebiet Quillow (kumulierte Abundanzen aus den Untersuchungsjahren 2000-2005, über 3 Wiederholungen und jährlich 3 Terminen gemittelt, Ergebnisse von Boniturflächen, DG % - Deckungsgrad) Bei höheren Organismen (v. a. Vögel, Säugetiere) wurde als Grenzkriterium für die Bewertung von Artvorkommen der Zusatzparameter Minimale Lebensfähige Population (MVP) eingeführt. Erst oberhalb dieser Grenzwerte wird das Vorkommen einer Art positiv bewertet (HERRMANN 1989). Solche Grenzwerte sind bislang nur für wenige Arten, zumeist Wirbeltiere, verfügbar. 4 Lebensraumqualität von Energiepflanzen Für die energetische Nutzung von Biomassen als Biogasausgangssubstrat können herkömmliche Ackerkulturen verwendet werden. Die wesentlichen Unterschiede zum herkömmlichen Anbau bestehen darin, dass für die Biogasgewinnung Biomassen ohne spezielle Produktqualitäten (Eiweißgehalte, Backqualitäten oder Fremdbesatzanteile) benötigt werden. Damit öffnen sich Optionen für den Anbau bisher nicht vermarktbarer Fruchtarten, Mischkulturen und die Realisierung neuer Fruchtfolgen und aufwandreduzierter Anbausysteme (insbesondere im Pflanzenschutz). Dies sind gleichzeitig die zentralen Prüfvarianten im Verbundprojekt EVA der FNR, in welchem regional angepasste Fruchtfolgen und Anbauverfahren vor dem zentralen Zielkriterium Methanertrag vergleichend untersucht werden. Nachfolgend sollen hierzu erste Ergebnisse für die Bewertung der Lebensraumqualität von energiepflanzenspezifischen Kulturarten und Fruchtfolgen vorgestellt werden. 4.1 Kulturarteneffekte Der Lebensraum Acker zeichnet sich gegenüber anderen Habitaten durch die Besonderheit aus, dass nahezu alle Lebensraumeigenschaften für wildlebende Pflanzen oder Tiere durch die Kulturfrucht vorstrukturiert werden. Man spricht in diesem Fall in der Ökologie von der Kulturart als Foundation species oder Structural species (ELLISON et al. 2005). Die Kulturart bestimmt die Länge und Terminierung der Populationszyklen der Arten, das Mikroklima, die Ressourcenverfügbarkeit und andere wesentliche Kriterien für die Eignung als Habitat für wildlebende Tiere oder Pflanzen. Basierend auf dieser Ausgangshypothese wurde das Design für die Felduntersuchungen zur Habitatnutzung verschiedener Energie- und Referenzkulturpflanzen an einer vorherigen Klassifizierung der einzelnen Kulturpflanzen hinsichtlich ihres Anbauzeitraumes, ihrer Vegetationsarchitektur und -dynamik ausgerichtet. In den Untersuchungen wurden deshalb nicht verschiedene Kulturpflanzen, sondern die Effekte verschiedener Kulturpflanzengruppen analysiert. 7

M. Glemnitz, R. Platen, C. Saure Die in Abbildungen 3 und 4 zusammengefassten Ergebnisse der dreijährigen Untersuchungsperiode in drei unterschiedlichen Anbauregionen Deutschlands (Bayern, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern) zeigen ein stark differenziertes Bild für die Auswertungen über die kumulierten Artenanzahlen und kumulierten Artmächtigkeiten (Abundanzen). In den Artenanzahlen lassen sich nur zwei allgemeine Trends ablesen: die für alle Organismengruppen niedrigere Artenanzahl im Mais und die tendenziell höchsten Artenanzahlen bei allen Organismengruppen im Winterweizen und im mehrjährigen Ackerfutter. Beim Parameter Artmächtigkeit schneidet der Maisanbau nicht mehr generell schlechter ab als andere Kulturpflanzen und die Vorteilswirkung von Wintergetreide und Ackerfutter reduziert sich auf die Blütenbesucher und Spinnen (Ackerfutter) oder Laufkäfer (Wintergetreide). Bei der Bewertung dieser beiden Parameter würden also für die einzelnen Kulturen und insbesondere den Mais deutlich abweichende Aussagen entstehen. Beikraut Winterweizen Sommergetreide Körnerleguminosen Mais mehrj.ackerfutter Laufkäfer Spinnen Blütenbesucher 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Artenanzahl Abb. 3: Mittlere Artenanzahl von vier Organismengruppen in Kulturartengruppen mit unterschiedlichem Anbauzeitraum, unterschiedlicher Bestandesarchitektur und Bestandesdynamik (Ergebnisse aus Feldversuchen EVA-Projekt, 2005-2007, Untersuchungsgebiete Bayern, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern) Beim Vergleich beider Parameter (Anzahl und Häufigkeit) der einzelnen Arten bleibt völlig unberücksichtigt, dass in den verschiedenen Kulturartengruppen zum Teil völlig unterschiedliche Arten Lebensraum finden. So finden im mehrjährigen Ackerfutter Arten mit mehrjährigem Populationszyklus oder dem Bedarf nach mehrjähriger Bodenruhe Lebensraum, im Mais treten trockenheitsliebende, spätentwickelnde Arten verstärkt auf, im Wintergetreide kommen überwinternde, sich im Frühjahr entwickelnde Arten verstärkt vor. Dies sind Eigenschaften die nicht ohne wei- 8

Auswirkungen des Anbaus von Energiepflanzen auf die Biodiversität teres gegeneinander aufgewogen und nicht miteinander verglichen werden können. Beikraut Winterweizen Sommergetreide Körnerleguminosen Mais mehrj.ackerfutter Laufkäfer Spinnen Blütenbesucher 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 Abundanz Abb. 4: Mittlere Artmächtigkeit (Deckungsgrad, Individuendichten) von vier Organismengruppen in Kulturartengruppen mit unterschiedlichem Anbauzeitraum, unterschiedlicher Bestandesarchitektur und Bestandesdynamik (Ergebnisse aus Feldversuchen EVA-Projekt, 2005-2007, Untersuchungsgebiete Bayern, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern) 4.2 Effekte des Anbauzeitraumes Der Anbau einer Kulturfrucht beginnt und endet in der Regel mit einer relativ intensiven Bodenbearbeitung und der Zerstörung der vorher vorhandenen Lebensräume und determiniert dadurch den Beginn, die Dauer und den Endtermin der Populationsentwicklung der Arten, die diesen Lebensraum erfolgreich nutzen wollen. Abbildung 5 stellt die jahreszeitliche Dynamik unterschiedlicher Artengruppen der Blütenbesucher aus Felduntersuchungen zusammen und dem Anbauzeitraum von Winterweizen und Mais gegenüber. Es wird ersichtlich, dass die Artengruppen zu verschiedenen Jahresperioden ihre Vorkommensschwerpunkte auf Ackerflächen haben. Winterweizen und Mais bedienen dabei unterschiedliche Artengruppen der Blütenbesucher. Die beiden Kulturarten haben komplementäre, miteinander nicht direkt vergleichbare Lebensraumfunktionen bezogen auf die dargestellten Gruppen der Blütenbesucher. Die Quantität der unterschiedlichen Artengruppen ist relativ ausgeglichen. Der alleinige Unterschied besteht darin, dass die Solitärbienen in der Regel artenreicher auftreten als Hummeln und Schwebfliegen, d. h. 9

M. Glemnitz, R. Platen, C. Saure dass die Individuenanzahl sich bei den Bienen aus mehr Einzelarten zusammensetzt als bei Hummeln oder Schwebfliegen. 26 Thüringen Individuenanzahl je Falle 24 22 20 18 16 14 12 Winterweizen Mais 5 6 7 8 9 Monat Solitärbienen Hummeln Schwebfliegen Abb. 5: Dynamik der Fangergebnisse für Blütenbesucher aus Gelbschalen im Jahresverlauf, während des Anbaus zweier ausgewählter Kulturarten (Winterweizen, Mais) (Ergebnisse aus Feldversuchen EVA-Projekt, 2005-2007, Untersuchungsgebiet Thüringen; alle untersuchten Fruchtarten zusammengefasst) 4.3 Effekte der Fruchtfolgegestaltung Die in den vorangegangen zwei Kapiteln dargestellten, kulturartenbezogenen Zusammenhänge werden nachfolgend in den Rahmen von vierjährigen Fruchtfolgen gestellt. Für diese Auswertung wurden die Effekte der einzelnen Kulturarten für die im EVA-Projekt untersuchten Fruchtfolgen zusammengefaßt. Für die regionalen Fruchtfolgen wurden die Arteninventare aus den jeweiligen Untersuchungsgebieten zu Grunde gelegt. In der Abbildung 6 sind die Effekte der verschiedenen Fruchtfolgen auf die Artenanzahlen am Versuchsstandort Mecklenburg-Vorpommern zusammengestellt. Die Trends fallen bei allen vier untersuchten Organismengruppen relativ einheitlich aus. Die höchsten Artenanzahlen wurden in den Fruchtfolgen 1, 4 und 6 festgestellt. Dies sind Fruchtfolgen, in denen jeweils drei verschiedene Kulturartengruppen in unterschiedlichster Weise kombiniert wurden (FF1: Sommergerste, Wintergetreide und Mais/Sudangras; FF4: Sommergerste, mehrjähriges Ackerfutter, Wintergetreide und FF6: Gerstgras, Wintergetreide/Winterraps und Mais). In den anderen Fruchtfolgen waren jeweils nur zwei Kulturartengruppen vertreten. Dieses Ergebnis unterstreicht die Bedeutung von Fruchtfolgen mit Kulturarten, die sich in 10

Auswirkungen des Anbaus von Energiepflanzen auf die Biodiversität ihren Anbauzeiträumen und der Vegetationsarchitektur deutlich voneinander unterscheiden. Der Effekt der Fruchtfolgegestaltung auf die Individuendichte der Organismen war im Vergleich dazu eher gering. Die für den Versuchsstandort Mecklenburg-Vorpommern festgestellten Grundtendenzen treffen auch für die Untersuchungsstandorte in Bayern und Thüringen zu. Abb. 6: Mittlere jährlichen Artenanzahl der vier untersuchten Organismengruppen auf Ackerflächen kalkuliert für die Fruchtfolgen 1-8 am Versuchsort Gülzow, Mecklenburg- Vorpommern. (Fruchtfolgeeffekte wurden kalkuliert anhand der Felddaten aus Praxisvers u- chen, Daten 2005-2007, Artenanzahlen sind Absolutwerte) 5 Diskussion und Schlussfolgerungen 5.1 Methoden der Biodiversitätsbewertung Vor dem Hintergrund eines rasant fortschreitenden Artenrückgangs (IUCN 2007), auch in den Agrarlandschaften (TRAXLER et al. 2005), darf das Fehlen einheitlicher Zielkonzepte für den Schutz der Biodiversität nicht als Hinderungsgrund für die Definition und Integration von Biodiversitätszielen für genutzte Flächen in politiknahe Lenkungs- und Bewertungsinstrumente akzeptiert werden. Die Anfälligkeit des Kriteriums Artenanzahlen gegenüber methodischen Fehlern (Methoden, Flächengrößen) ist in der Literatur vielfach belegt (z. B. BAUER und HEINE 1992), ebenso seine eingeschränkte überregionale Vergleichbarkeit (S CHMIEDINGER und BEIER- KUHNLEIN 2004). Diese Einschränkungen stellen jedoch nicht den Stellenwert dieses Indikators grundsätzlich in Frage, sondern vor allem seine alleinige Anwendung. Die Existenz unterschiedlicher Zielsysteme und nicht vollständig geklärter funktionaler Wirkzusammenhänge erfordert die Entwicklung und Anwendung multikriterieller Bewertungskataloge. Wir schlagen für die Bewertung von Landnut- 11

M. Glemnitz, R. Platen, C. Saure zungssystemen eine Unterscheidung der Bewertungskriterien in nachfolgende drei Hauptgruppen vor: 1. allgemeine (naturschutzfachliche) Bewertung der Biodiversität, 2. spezielle Biodiversität, bewertet anhand von ökologischen Gruppen und Funktionen und 3. Biodiversität, bewertet aus der Sicht der landwirtschaftlichen Nachhaltigkeit. Als Grundlage der Bewertungen können Kriterien ausgewählt und zugeordnet werden, für welche anhand des vorhandenen Wissens eindeutige Effekte nachgewiesen werden können, deren Interpretation kommunizierbar ist und/oder Kriterien, die sich in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskussion befinden und über welche ein gesellschaftlicher Konsens besteht. 5.2 Lebensraumqualität von Energiepflanzenbeständen Die vorgestellten Ergebnisse beziehen sich schwerpunktmäßig auf die Effekte neuartiger Kulturpflanzen bzw. Fruchtfolgen für den Anbau von Energiepflanzen zur Biogaserzeugung und den von der Kulturart bzw. der Kulturartenwahl ausgehenden, sogenannten potenziellen Habitatwert. Dafür wurden die vom unterschiedlichen Anbauzeitraum, sowie von Unterschieden in der Bestandesstruktur und im Blühaspekt ausgehenden Effekte für die Habitatqualität bzw. die Habitatnutzung ermittelt und interpretiert. Das auf einer systematischen Klassifikation der zahlreichen denkbaren Anbaukonstellationen für den Anbau von Energiepflanzen auf Ackerflächen basierende Versuchsdesign macht nicht nur die Vielfalt der notwendigen Anbauvarianten handhabbar, es produziert auch quantifizierbare Vergleichsdaten für die Effekte der betrachteten Kulturartengruppen. Die Verfügbarkeit dieser Vergleichsdaten gestattet bei allen methodisch bedingten Einschränkungen hinsichtlich räumlich-zeitlicher Repräsentanz eine detaillierte, vielseitige und belastbare Interpretation der Zusammenhänge. Aufgrund des Fehlens solcher Vergleichsdaten mussten bisherige Ansätze zur Bewertung von Kulturarten stets auf Expertenabschätzungen oder Literatursynopsen (z. B. CORNELIUS 2000, SCHINDLER und SCHUHMACHER 2007) zurückgreifen und waren im Detail und in der Aussageschärfe limitiert. Oftmals konnten bisher nur besser/schlechter oder A/B/C- Bewertungen (EEA 2006, SRU 2007) vorgenommen werden. Die abnehmende Strukturvi elfalt auf Ackerflächen und in den Agrarlandschaften wird als eine der wichtigsten Ursachen für den Rückgang der Artenvielfalt angesehen (ALBRECHT et al. 2002, WERNER et al. 2006). Obwohl der Anbau von Energiepflanzen zahlreiche Optionen zur Erhöhung der Strukturvielfalt durch die Einführung neuer Kulturpflanzen bietet, wird aus der bisherigen praktischen Umsetzung eher mit der Forcierung der Vereinfachung der Fruchtfolgen, konkret mit einer einseitigen Zunahme des Maisanbaus für energetische Nutzungen, gerechnet (WINDE 2003, SCHÖNE 2007). Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU 2007) hat deshalb in seinem Sondergutachten die Einführung einer entweder freiwilligen oder 12

Auswirkungen des Anbaus von Energiepflanzen auf die Biodiversität obligatorischen Verpflichtung zur Einhaltung einer mindestens dreigliedrigen Fruchtfolge in verschiedene rechtliche Steuerungsinstrumente oder Förderinstrumente gefordert. Die im Rahmen des EVA-Projekts getesteten Fruchtfolgen umfassen die Dauer von vier Jahren und setzen sich aus Kulturarten zusammen, die zwei oder drei unterschiedlichen Anbaukonstellationen (Kulturartengruppen: Wintergetreide, Sommergetreide, Leguminosen, Mais, mehrjähriges Ackerfutter) zugehören. Die Anzahl der Kulturartengruppen je Fruchtfolge drückt die Unterschiedlichkeit der Habitatbedingungen innerhalb der Fruchtfolge, unabhängig von den konkret enthaltenen Fruchtarten, aus. Die Artenanzahl aller untersuchten Organismengruppen steigt in allen Fruchtfolgen mit der Anzahl der unterschiedlichen Kulturartengruppen. Vor allem die Fruchtfolgen mit lediglich zwei Kulturart engruppen wirken sich diversitätsmindernd aus. Dabei wirkt sich die Kombination aus Mais und Wintergetreide stärker negativ aus als die Kombination aus Sommer- und Wintergetreide. Die Plausibilität der in unseren Untersuchungen ermittelten Werte lässt sich aus der vorliegenden Literatur bestätigen (SCHREITER 2001, VOLKMAR et al. 2000). Der diversitätsfördernde Effekt von Fruchtfolgen, die aus mindestens drei unterschiedlichen Fruchtartengruppen zusammengesetzt waren, konnte auch für das Vorkommen von Rote-Liste-Arten unter den Laufkäfern und Spinnen nachgewiesen werden. Jede der Kulturartengruppen bereichert die Fruchtfolge mit einigen Arten, die spezifisch nur in einzelnen Kulturarten vorkommen, teilweise auch mit nur fakultativ auf den Ackerflächen vorkommenden Arten. Besonders deutlich ist dieser Effekt beim mehrjährigen Ackerfutter. Die Kulturartendiversität bietet sich als Indikator für die potenzielle Biodiversität auf agrarischen Nutzflächen im Sinne von SCHINDLER und SCHUMACHER (2007) an, wenn die Unt erschiedlichkeit der Habitatbedingungen durch eine vorherige Gruppierung der Kulturpflanzen hinsichtlich Ihres Anbauzeitraumes und ihrer Bestandesarchitektur berücksichtigt wird. Bezogen auf das Kriterium Artenanzahl empfehlen wir die Betrachtung von Fruchtfolgen anstelle von einzelnen Fruchtarten, weil dadurch die Spezifiken der einzelnen Fruchtarten als kompensatorische Effekte wahrgenommen werden, d. h. die Auswirkungen des Wechsels einzelner Fruchtarten im Rahmen des gesamten Anbausystems zum Tragen kommen. Für das Vorkommen von spezifischen ökologischen Gruppen innerhalb der Flora und Fauna konnten ähnliche, allgemeingültige Bezüge zwischen Diversität der Kulturarten und den Organismengruppen nicht nachgewiesen werden. Spezielle ökologische Funktionen oder Leistungen wurden meist durch einzelne spezielle Kulturarten bzw. Kulturartengruppen gefördert. Eins der anschaulichsten Beispiele ist der Maisanbau mit seinen Effekten auf die regionalen Blütenbesuchergemeinschaften. Mit zunehmendem Maisanteil in der Fruchtfolge nimmt die Artenanzahl der Solitärbienen kontinuierlich ab. Im Gegensatz dazu nimmt die Anzahl der Schwebfliegenarten zu. Mais und teilweise auch Sommergetreide sind bevorzugte 13

M. Glemnitz, R. Platen, C. Saure Habitate für die als u. a. blattlausvertilgende Nützlinge bekannten Schwebfliegen. Aus der vorliegenden Literatur ist bevorzugte Habitatnutzung von Maisanbauflächen durch Schwebfliegen nicht belegt. Man geht im Gegenteil sogar davon aus, dass sich die Schwebfliegenzönosen in landwirtschaftlichen Kulturen nicht unterscheiden (MALINOWSKA 1979, SALVETER 1998). Diese Aussage ist sicherlich im Vergleich mit blütenreichen, naturnahen Biotopen zutreffend (FRANK 1999). Maisflächen sind zur Zeit der Hauptaktivität der Schwebfliegen im Sommer vor allem wegen ihrer relativ offenen Struktur, vorhandener Nahrungsquellen und einer teilweise blühenden Beikrautzönose eines der wenigen zur Verfügung stehenden Habitate für Schwebfliegen. Um ökologische Leistungen für die Bewertung von Biodiversitätsbeiträgen effektiv nutzen zu können, bedarf es einer vorherigen Definition und Auswahl relevanter Funktionen. Solche Kriterienlisten liegen bislang nicht vor, deshalb werden stets unterschiedliche Funktionalitäten betrachtet. Dies schränkt die Vergleichbarkeit verschiedener Studien und Analysen ein. Teilweise ist die Berücksichtigung der ökologischen Leistungen auch noch durch Lücken in den zur Verfügung stehenden Daten limitiert. Es existieren jedoch zunehmend Datenbanksysteme, die funktionelle Eigenschaften von Einzelarten verschiedener Organismengruppen zusammenstellen. Beispiele hierfür sind die internetverfügbaren floristischen Datenbanken FloraWeb (BfN 2008) und LEDA (2008). 6 Literatur Albrecht, K.; Esser, T.; Weglau, J.; Klein, H. (2002): Vielfalt der Tierwelt in der Agrarlandschaft. Schriftenreihe des Instituts für Landwirtschaft und Umwelt (ILU) Bonn, Heft 4/2002 der ilu-schriftenreihe,160 p. Angermeier, P.L.; Karr, J.R. (1994): Biological integrity versus biological diversity as policy directives. BioScience 44 (10): 690-697 Baumgärtner, S. (2005): The insurance value of biodiversity in the provision of ecosystem services; available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=892105 Bauer, H.-G.; Heine, G. (1992): Die Entwicklung der Brutvogelbestände am Bodensee. Vergleich halbquantitativer Rasterkartierungen 1980/81 und 1990/91, J. für Ornithologie 133 (1): 1-22 Bundesamt für Naturschutz, BfN (2008): FloraWeb - Daten und Informationen zu Wildpflanzen und zur Vegetation Deutschlands. www.floraweb.de/index.html Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU (2007): Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. vom Bundeskabinett am 7. November 2007 beschlossen, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Referat Öffentlichkeitsarbeit, 180 p. Convention on Biological Diversity, CBD (1992): Earth Summit, Rio de Janeiro, 5, June 1992. www.cbd.int/convention/convention.shtml 14

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