Bindung und Eingewöhnung von Kleinkindern

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Transkript:

Hrsg.: Susanne Viernickel Petra Völkel Christian Bethke Katja Braukhane Janina Knobeloch Bindung und Eingewöhnung von Kleinkindern

Haben Sie Anregungen oder Kritikpunkte zu diesem Produkt? Dann senden Sie eine E-Mail an service@schubi.com Autoren und Verlag freuen sich auf Ihre Rückmeldung. Die Autoren Katja Braukhane (*1976) ist Dipl.-Pädagogin. Während des Studiums der Kleinkindpädagogik an der FU Berlin arbeitete sie in verschiedenen Projekten zur Qualitätssicherung in der Tagespflege und in Kindertagesstätten des Landes Brandenburg. Seit 2001 arbeitet sie im Berliner Institut für Frühpädagogik e. V. als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Erstellung einer CD mit Materialien zu Sprachförderung im Kitaalltag und als Projektleitung der Kompensatorischen Sprachförderung im Jahr vor der Einschulung. Weiterhin ist sie tätig als Dozentin zu den Themen Medienpädagogik, Konzeptionsentwicklung sowie interne Evaluation und externe Evaluation nach dem Berliner Bildungsprogramm. Christian Bethke (*1974) ist Erziehungswissenschaftler. Nach dem Studium arbeitete er in verschiedenen Projekten an der FU Berlin zur Qualitätssicherung in der Tagespflege und in Kindertagesstätten des Landes Brandenburg. Seit 2001 ist ergeschäftsführer des Berliner Instituts für Frühpädagogik e. V. und arbeitet in den Projekten Erstellung einer CD mit Materialien zu Sprachförderung im Kitaalltag, Berufspraktische Qualifizierung von arbeitslosen Männern zum Erzieher und Bildung in früher Kindheit Leitungsqualifizierung in Brandenburg. Darüber hinaus ist er als Dozent zu den Schwerpunkten Teamentwicklung, Entwicklungspsychologische Grundlagen und Konzeptionsentwicklung tätig. Janina Knobeloch (*1975) ist Dipl.-Pädagogin. Während und nach ihrem Studium der Kleinkindpädagogik an der FU Berlin arbeitete sie in verschiedenen Projekten zur Qualitätssicherung in der Tagespflege und in Kindertagesstätten des Landes Brandenburg. Seit 2006 arbeitet sie im Berliner Institut für Frühpädagogik e.v.als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Kompensatorische Sprachförderung im Jahr vor der Einschulung. Außerdem arbeitet sie als Dozentin mit den Schwerpunkten Sprachentwicklung, Entwicklungsbedürfnisse der frühen Kindheit und rechtliche Grundlagen im Kitabereich. Bildquellenverzeichnis SCHUBI Lernmedien AG, Schaffhausen/Christian Schlüter, Essen: S. 45, 89, 124; SCHUBI Lernmedien AG, Schaffhausen/Nadine Dilly: S. 35, 66, 117, 119; epd-bild/jens Schulze: S. 25, 49, 78; Fotolia.com: S. 7(Brebca), 26 (iofoto), 32 (unten) (AVAVA), 133 (Steven Belanger); Hintzmann, Charlotte/Berlin: S. 11, 33, 126, 127, Icon zum Praxistipp; mauritius images/age: Umschlagfoto; mauritius images/andré Pöhlmann: S. 29; mauritius images/imagebroker/stefan Kiefer: S. 58; mauritius images/marina Raith: S. 76; mauritius images/nikky: S. 32 (oben); mauritius images/peter Widmann: S. 61; picturealliance/chromorange: S. 37; picture-alliance/dpa: S. 75, 80; picture-alliance/frank May: S. 53; picture-alliance/jörg Lange: S. 86; picture-alliance/zb: S. 27, 56, 97 Sie finden uns im Internet unter: www.schubi.com www.bildung-von-anfang-an.de Alle Rechte vorbehalten. 2012 SCHUBI Lernmedien AG CH-8207 Schaffhausen service@schubi.com www.schubi.com 2. Auflage 2013 ISBN 978-3-86723-513-6 No BV 504 58

Inhalt Vorwort der Herausgeberinnen... 5 Vorwort... 6 1 Die Bindungstheorie... 7 1.1 Der Begriff Bindung... 8 1.2 Bindungsverhalten und Pflegeverhalten... 11 1.3 Die Entwicklung von Bindung... 14 1.4 Das innere Arbeitsmodell... 16 1.5 Die Bindungsqualitäten... 17 1.6 Die elterliche Feinfühligkeit... 23 1.7 Fazit... 24 2 Der Beziehungsaufbau in der Kita... 25 2.1 Die Erzieherin-Kind-Beziehung... 29 2.2 Kriterien für eine gute Erzieherin-Kind-Beziehung... 39 2.2.1 Die Gütekriterien nach Grossmann... 41 2.3 Wie werde ich eine gute Beziehungspartnerin?... 47 2.3.1 Emotionale Anforderungen an die Erzieherin... 48 2.3.2 Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Erzieherin-Kind-Beziehung... 50 2.4 Fazit... 51 3 Die Eingewöhnung... 53 3.1 Der Start in eine neue Welt... 54 3.1.1 Die Eingewöhnung von Pauline... 54 3.1.2 Die Eingewöhnung von Tom... 60 3.2 Das Berliner Eingewöhnungsmodell... 63 3.3 Die Eingewöhnung in der Praxis... 65 3.3.1 Die Elterninformation... 65 3.3.2 Die Grundphase... 78 3.3.3 Die Trennungsphase... 82 3.3.4 Die Stabilisierungsphase... 85 3.3.5 Die Schlussphase... 90 3.3.6 Woran erkenne ich, dass das Kind gut eingewöhnt ist?... 92 3.3.7 Abschließende Betrachtungen zur Eingewöhnung... 93 3.4 Fazit... 94

4 Inhalt 4 Organisation in der Kita... 97 4.1 Das erste Kennenlernen der Kita... 98 4.1.1 Ein Tagder offenen Tür... 98 4.1.2 Die Kita als Ort der Begegnung... 99 4.2 Den Eltern ein gutes Ankommen ermöglichen... 100 4.2.1 Die Anmeldung in der Kita... 100 4.2.2 Schriftliche Informationen zur Eingewöhnung... 101 4.2.3 Gesprächstermine... 101 4.2.4 Der erste Elternabend... 102 4.2.5 Zeitpunkte der Aufnahme... 103 4.2.6 Notfälle gut durchdacht... 105 4.3 Der Tagesablauf... 106 4.3.1 Ausflüge und Feste... 108 4.4 Raumgestaltung und Materialangebot... 109 4.4.1 Der Innenraum... 109 4.4.2 Das Außengelände... 111 4.4.3 Das Materialangebot... 111 4.5 Ausblick: der jährliche Gruppenwechsel... 112 4.6 Fazit... 114 5 Konzeption und pädagogische Qualität... 117 5.1 Die Konzeption... 118 5.1.1 Warum braucht die Kita eine Konzeption?... 118 5.1.2 Die Bedeutung der Konzeption für Eltern und Erzieherinnen... 119 5.1.3 Warum muss der Punkt der Eingewöhnung in der Konzeption stehen?... 121 5.1.4 Die Eingewöhnung und das Bild vom Kind... 123 5.1.5 Die Rechte von Kindern... 124 5.1.6 Die Mitbestimmung von Kindern und Eltern... 125 5.1.7 Die Aufgaben der Erzieherin... 126 5.2 Die pädagogische Qualität in der Kita... 127 5.2.1 Was ist pädagogische Qualität?... 127 5.2.2 Was pädagogische Qualität und Konzeption(sentwicklung) miteinander zu tun haben... 129 5.2.3 Eingewöhnung als Qualitätsmerkmal... 129 5.3 Fazit... 130 6 Literatur... 133

Vorwort der Herausgeberinnen Bildung und Bindung stehen in einem engen Zusammenhang zueinander; dies gilt für alle Menschen, insbesondere jedoch für Kinder unter drei Jahren. Auch ältere Kinder, Jugendliche oder Erwachsene lernen besser in Situationen, in denen sie sich wohl und sicher fühlen, in denen sie Anerkennung und Wertschätzung erfahren und in denen sie sich notfalls von anderen Unterstützung und Hilfe holen können. Bei Kindern zwischen null und drei Jahren sind Entwicklung und Lernen ohne eine zuverlässige Beziehung zu einer erwachsenen Bezugsperson kaum denkbar. Ergebnisse der Bindungsforschung belegen eindrücklich, dass junge Kinder aufhören, die Welt zu erkunden, wenn sie etwas ängstigt oder sie sich unsicher fühlen. In solchen Momenten benötigen sie eine verlässliche Bezugsperson, die zuverlässig und feinfühlig auf ihre Bedürfnisse reagiert und ihnen dadurch jene Sicherheit vermittelt, die sie brauchen, um sich erneut aktiv ihrer sozialen und gegenständlichen Umwelt zuzuwenden. In der Familie vermitteln Mutter und Vater dem Kind in der Regel die Sicherheit, die es braucht, um zu lernen und sich positiv zu entwickeln. Während der Zeit, die das Kind in der Kindertageseinrichtung verbringt, muss diese Rolle von der Erzieherin übernommen werden. Damit die Erzieherin für das junge Kind zu einer verlässlichen Bezugsperson werden kann, braucht es eine Phase der Eingewöhnung, die im Beisein eines Elternteils stattfindet. Eine gut gestaltete Eingewöhnungszeit gilt im Allgemeinen als Qualitätsmerkmal einer Einrichtung, in der Kinder im Alter zwischen null und drei Jahren betreut werden. Ein solches Qualitätsmerkmal sollte im Rahmen der Erstellung der pädagogischen Konzeption vom gesamten Team erarbeitet und fortgeschrieben werden. Anliegen dieses Buches ist es, pädagogische Fachkräfte bei der Konzeption der Eingewöhnungsphase für Kinder zwischen null und drei Jahren, die auf den Erkenntnissen der Bindungstheorie basiert, zu unterstützen. Dabei führen die Autor/-innen zunächst in die Bindungstheorie ein und erläutern anschließend, welchen Anforderungen sich Erzieherinnen und Erzieher stellen müssen, um zu einer sicheren Bindungsperson für junge Kinder zu werden. Mit anschaulichen Beispielen, die sowohl die Situation der pädagogischen Fachkräfte als auch die Situation der Eltern sowie die Perspektive der einzugewöhnenden Kinder in den Blick nehmen, stellen die Autor/-innen das mittlerweile bundesweit anerkannte Berliner Eingewöhnungsmodell ausführlich vor. Darüber hinaus enthält das Buch vielfältige Hinweise darauf, wie das individuelle Ankommen einer Familie in einer Kindertageseinrichtung gestaltet werden kann und wie dem Kind mit einer durchdachten Alltagsgestaltung die Anfangsphase erleichtert werden kann. Damit die Phase der Eingewöhnung junger Kinder in Zusammenarbeit mit den Eltern gelingt, bedarf es vonseiten der Erzieherinnen und Erzieher hohes Engagement, Organisationstalent und die Bereitschaft, sich immer wieder auf neue intensive Beziehungen einzulassen. Dieses Buch soll dazu beitragen, dass die Eingewöhnung junger Kinder von pädagogischen Fachkräften als besonders verantwortungsvolle Aufgabe wahrgenommen wird, die, wenn sie gelingt, die Basis für jeden kindlichen Bildungsprozess darstellt. Petra Völkel und Susanne Viernickel

Vorwort Sehr geehrte Erzieherin, sehr geehrter Erzieher, wir haben dieses Buch mit sehr viel Freude und Lust geschrieben und hoffen, dass es Ihnen in der Vorbereitung der Eingewöhnungsphase Unterstützung bietet. Wir wissen, dass Sie als Erzieherin wenig Zeit in Ihrem Alltag haben; daher ist das Buch so aufgebaut, dass Sie in jedes Kapitel schnell und einfach einsteigen können. Wenn Sie das Buch hintereinanderweg lesen, werden Sie an manchen Stellen feststellen, dass sich bestimmte Inhalte wiederholen. Dann haben Sie gerade eine besonders wichtige Stelle gelesen, die ihre Berechtigung in zwei Kapiteln hat. Dies soll den Lesern helfen, die zwischen den Kapiteln springen; so fehlt Ihnen nichts Wichtiges und Sie haben alle Grundlagen, die Sie für das jeweilige Kapitel brauchen. Um die Praxistipps in diesem Buch schnell finden zu können, hilft Ihnen das Gesicht der kleinen Lotte. Wir haben in diesem Buch durchgängig die weibliche Form gewählt. Bitte fühlen Sie sich als Erzieher ebenso angesprochen. Wir wünschen Ihnen viel Spaß und Freude beim Lesen dieses Buches. Christian Bethke, Katja Braukhane und Janina Knobeloch

1 Die Bindungstheorie 1.1 Der Begriff Bindung 1.2 Bindungsverhalten und Pflegeverhalten 1.3 Die Entwicklung von Bindung 1.4 Das innere Arbeitsmodell 1.5 Die Bindungsqualitäten 1.6 Die elterliche Feinfühligkeit 1.7 Fazit

8 1 Die Bindungstheorie 1 Die Bindungstheorie 1.1 Der Begriff Bindung Die Grundlagen der Bindungstheorie wurden in der Mitte des letzten Jahrhunderts durch die Arbeiten des britischen Kinderpsychiaters und Psychoanalytikers John Bowlby und der kanadischen Psychologin Mary Ainsworth gelegt. Die grundlegenden Erkenntnisse von Bowlby und Ainsworth Bowlby stellte erstmalig in den 1930er-Jahren im Rahmen seiner Tätigkeit mit straffällig gewordenen Kindern fest, dass viele dieser Kinder über längere Zeit von ihren Müttern getrennt waren oder als Waisen lebten. Während der Zeit des zweiten Weltkrieges beobachtete Bowlby gemeinsam mit dem Ehepaar Robertson das Verhalten von Kleinkindern inkrankenhäusern und Heimen. Erbeschrieb damals das erste Mal Formen der Trauer und der Apathie als die sichtbaren Reaktionen der Kinder auf die Trennung von ihren Eltern. Später behandelte Bowlby traumatisierte Kinder in einer eigenen Abteilung für Kinderpsychiatrie in der Tavistock Clinic (England). Frühe Trennungserlebnisse haben einen Einfluss auf Entwicklung und Verhalten. Bei all seinen ersten Beobachtungen und Untersuchungen kam Bowlby immer wieder zu der Erkenntnis, dass die frühen (Trennungs-)Erlebnisse einen erheblichen Einfluss auf die kindliche Entwicklung haben und das Verhalten der Kinder in einem direkten Zusammenhang mit diesen frühen Erfahrungen steht. Diese für uns heute so selbstverständliche Aussage war zu dieser Zeit eine gewagte These und stand im Widerspruch zur damals vorherrschenden Lehrmeinung. Gemeinsam mit der Psychologin Mary Ainsworth konnte Bowlby in den 1960er- Jahren seine bis dahin aus Beobachtungen gewonnen theoretischen Überlegungen zum Einfluss der Trennung auf das Verhalten von Kindern auch empirisch belegen. Auf der Basis der Erkenntnisse aus mehreren umfangreichen Studien entwickelte Ainsworth eine Laboruntersuchung die Fremde Situation mit der erstmals die unterschiedlichen Reaktionen von Kindern auf Trennungen von vertrauten Personen unter kontrollierten Bedingungen sichtbar gemacht werden konnten. Die Untersuchungsergebnisse stützten die theoretischen Ausführungen Bowlbys. Bindungstheorie und Bildungsdiskussion Derzeit beschäftigen sich auf der ganzen Welt Forscher und Forscherinnen aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Fachbereichen wie der Psychologie, der Pädagogik, der Biologie und den Neurowissenschaften mit dem Phänomen Bindung und entwickeln die Theorie permanent weiter. Die Bindungstheorie ist wesentliche Grundlage der Bildungsdiskussion. Bindungstheoretische Erkenntnisse und Überlegungen gehören inzwischen zu den Grundpfeilern der Frühpädagogik. Die fachlichen Diskussionen und Erkenntnisse zur Ermöglichung nachhaltiger Bildungsprozesse in der Kita sind heute ohne die grundlegenden Überlegungen und Erkenntnisse von Bowlby und Ainsworth nicht mehr denkbar.

1.1 Der Begriff Bindung 9 Die Idee der Bindung Die von Bowlby formulierte Bindungstheorie basiert auf der zentralen Annahme, dass zwischen einem Kind und der ihm vertrauten Person eine enge gefühlsgetragene Verbindung existiert, die existenziell wichtig für das kindliche Überleben ist. Dieses rein emotionale, unsichtbare Band verbindet beide Personen über Raum und Zeit hinweg (vgl. Ainsworth, 1978) und wird von Bowlby Bindung genannt. Die Bindung ist ein enges emotionales Band. Die Bindungspersonen Die Personen, mit denen das Kind solch eine Bindung eingeht, werden in diesem Zusammenhang als Bindungspersonen bezeichnet. Bindungspersonen können die Eltern, Großeltern oder auch andere Erwachsene sein, soweit sie für das Kind häufig und stabil verfügbar sind. Da in den ersten Lebensjahren meistens die Mütter und glücklicherweise auch immer öfter die Väter anwesend sind, sprechen wir im folgenden Text von Eltern, Mutter oder Vater wenn wir Bindungspersonen meinen und schließen damit alle anderen möglichen Personen mit ein. Das Eingehen von Bindungen als Überlebensnotwendigkeit Bei einer Bindung begibt sich das schwächere und hilfsbedürftige Kind in die Obhut einer stärkeren erwachsenen Person. Dieses Sich-in-die-Hände-eines-anderen- Begeben geschieht mit der unausgesprochenen kindlichen Erwartung, von diesem Menschen Schutz und Fürsorge zu bekommen (vgl. Grossmann/Grossmann, 2004). Die Bindungstheorie geht davon aus, dass das Eingehen früher Bindungen für das Kind überlebensnotwendig ist und deswegen von der Natur als grundlegendes evolutionsbiologisches Verhaltenssystem jedem Menschen mitgegeben wird. Das Kind kommt mit einem angeborenen, genetisch programmierten Drang zur Anbindung an Erwachsene auf die Welt, denn ohne deren Schutz und Fürsorge wäre es mit seinen noch geringen Fähigkeiten hoffnungslos in seiner Umgebung verloren. Das Phänomen Bindung hat damit allgemein betrachtet einen ähnlich wichtigen Stellenwert für die Entwicklung des Menschen wie die Nahrungsaufnahme, die Fortpflanzung oder die Erkundung (Exploration). Bindungen sind überlebenswichtig. Bindung ist nicht gleich Bindung Jedes Neugeborene kommt mit einem ähnlichen Bindungsprogramm zur Welt. Jedoch entwickeln sich die emotionalen Verbindungen zwischen Kindern und Bindungspersonen nicht immer gleich. Die Art und Weise des Miteinanders, die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit von Eltern und Kind, entscheidet in einem hohen Maße darüber, wie sich die Bindung in der weiteren Zeit des kindlichen Aufwachsens entwickeln wird. Darüber hinaus haben die frühkindlichen Erfahrungen langfristige Konsequenzen auf das Verhalten des Kindes und auf seine Weltsicht. Kindliche Bindungserfahrungen beeinflussen die persönliche Entwicklung eines Menschen über seine komplette Lebensspanne hinweg. Bindungen und deren Auswirkungen sind unterschiedlich.

10 1 Die Bindungstheorie Die Rangordnung von Bindungen Kinder entwickeln eine Rangordnung ihrer Bindungspersonen. Jedes Kind kann einige, aber nicht viele Bindungen aufbauen. Die Bindungen zu unterschiedlichen erwachsenen Personen müssen in ihrer Art nicht alle gleich sein. Das Verhältnis zur Mutter, zum Vater oder zur Oma kann sich durchaus von den jeweils anderen unterscheiden (vgl. Ahnert, 2004). Ausschlaggebend für die Art der Bindung ist immer die individuelle Erfahrung des Kindes mit der jeweiligen Bindungsperson. Die meisten Kinder stellen eine eindeutige Hierarchie, eine klare Rangordnung ihrer Bindungspersonen auf. Je nach der erlebten Dauer der Verfügbarkeit der Eltern und der Art und Weise des Verhaltens der Bindungspersonen, entwickeln Kinder unbewusste Erwartungen und Vorstellungen, wer für welche Situationen und Bedürfnisse der oder die Richtige ist. Aus diesem Grunde greifen Kinder je nach persönlichem Befinden auf alle oder nur ganz bestimmte Personen zurück. Hat ein Kind Schmerzen, ist tieftraurig oder stark frustriert, geht es ihm physisch oder psychisch schlecht, so akzeptiert es mit großer Wahrscheinlichkeit nur noch die Erste der inneren Rangreihe, häufig ist das die Mutter. Alle anderen Personen werden dann vom Kind als Bindungsperson ignoriert. Die Liebe und das Leid in Bindungen Bindungen sind mit positiven und negativen Gefühlen verbunden. Bindungen sind mit den unterschiedlichsten Gefühlen verbunden. Ähnlich wie in einer Paarbeziehung findet sich in der Bindung zwischen Eltern und Kind die gesamte Palette menschlicher Empfindungen wieder. Begriffe wie Zuneigung, Wärme und Vertrauen beschreiben die eine, die positiv erlebte Seite. Die unangefochtene Beständigkeit einer Bindung nennt man Liebe. (Grossmann/Grossmann, 2004, S. 69). Uns allen sind diese Gefühle der Zuneigung und der inneren Nähe vertraut. Wir verbinden sie mit gelungenen und befriedigenden Beziehungen. Doch es gibt auch eine andere, eine schmerzhafte Seite von Bindung. Es ist die Seite der tiefen kindlichen Trauer bei der Trennung oder dem Verlust von geliebten Personen. Es ist das Gefühl der Wut eines Kindes, wenn niemand den Hunger oder Schmerz abstellen kann oder das Leid, das ein Kind empfindet, wenn es bemerkt, dass eine Beziehung nicht das hält, was sie zu versprechen schien. Beide Seiten, die des Vertrauens und der Liebe sowie die des Schmerzes und der Trauer sind grundlegender Bestandteil jeder Bindungsbeziehung. Jedes Kind erlebt mit seinen Eltern allerdings in unterschiedlicher Intensität und Dauer diese Gefühle und muss lernen, im Laufe seiner Entwicklung damit umzugehen. Bindungserfahrungen und Gehirnentwicklung Bindungserfahrungen haben Einfluss auf die Gehirnentwicklung. Die Gehirnforschung kann inzwischen zeigen, dass Bindungserfahrungen auch Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns haben (vgl. Braun u. a., 2002). In den ersten Lebensjahren wächst das kindliche Gehirn sehr stark und erfährt eine immense Verdichtung der neuronalen Strukturen. Vernetzung und Wachstum gelingen allerdings nur dann optimal, wenn das Kind in feinfühlige Interaktionen mit den Bindungs-

1.2 Bindungsverhalten und Pflegeverhalten 11 personen involviert ist. Eine angemessene soziale Stimulation in einem sicheren Umfeld beeinflusst die geistigen und emotionalen Fähigkeiten des Kindes. Fehlen diese Anregungen wegen Vernachlässigung oder Ähnlichem, so entwickeln sich die neuronalen Netzwerke sehr viel schlechter, was dem Kind wiederum die Lösungen alterstypischer Herausforderungen erschwert (vgl. Becker-Stoll, 2007). 1.2 Bindungsverhalten und Pflegeverhalten Wenn ein Kind auf die Welt kommt, bringt es eine recht umfangreiche biologische Grundausstattung mit, die die Kommunikation mit der sozialen Umwelt und das Herstellen einer Bindung zu den Eltern ermöglicht und fördert. Der Säugling besitzt z. B. das Kindchenschema, ein allen vertrautes typisches Aussehen. Das Kind besitzt eine biologische Grundausstattung zur Kontaktaufnahme. Kindchenschema Mit großen interessierten Augen schaut das Kleinkind in die Welt. Die Gesamtkomposition des Gesichts mit seiner hohen Stirn, den runden Wangen und einem kleinen Kinn zieht die Erwachsenen magisch in ihren Bann. Lächelnd und zugewandt beugen sie sich über den Kinderwagen oder das Bettchen. Nur schwer können wir uns der Faszination dieses Aussehens entziehen. Dem Kind ist damit die Aufmerksamkeit der Erwachsenen sicher. Bindungen müssen sich erst entwickeln Zum Zeitpunkt seiner Geburt hat der Säugling noch keine enge emotionale Beziehung zu den ihn umgebenden Erwachsenen. Er kennt wohl die Stimme seiner Mutter aus seiner vorgeburtlichen Zeit und lernt äußerst schnell, den Geruch dieser wiederzuerkennen, doch ansonsten hat er noch so gut wie keine festen Verbindungen zu den ihm verfügbaren Bindungspersonen. Der Aufbau einer Bindung braucht Zeit. Die Bindung eines Kindes zu den eigenen Eltern muss sich erst entwickeln das braucht Zeit. Erst im Laufe des ersten Lebensjahres finden die Bindungspersonen und das Kind Stück für Stück emotional zueinander. Aus den vielen Mosaiksteinen des täglichen Miteinanders wird eine besondere emotionale Beziehung, die Bindung, aufgebaut. Weinen, Schreien, Nachfolgen ist Bindungsverhalten Um den Bindungsaufbau zu gewährleisten, besitzen Säuglinge und Kleinkinder neben dem oben erwähnten Kindchenschema ein angeborenes Verhaltensrepertoire, sozusagen einen Werkzeugkasten an Handlungsmustern, aus dem sie sich in bestimmten Situationen bedienen können. Das Bindungsverhalten soll die Eltern in die Nähe holen.