Die handelsrechtliche Vertretung Die Voraussetzungen einer wirksamen Stellvertretung sind auch bei Sachverhalten mit handelsrechtlichem Einschlag 164 I 1 BGB zu entnehmen. Jemand muß folglich - eine eigene (Abgrenzung zum Boten, der bloß eine fremde Willenserklärung überbringt) Willenserklärung - im Namen eines anderen (Offenkundigkeitsprinzip) - innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht abgegeben haben. Die handelsrechtlichen Besonderheiten sind lediglich im Bereich des dritten Punktes, also bei der Vertretungsmacht angesiedelt. Die Reichweite einer gewillkürten Vertretungsmacht kann im bürgerlichen Recht grundsätzlich nach Belieben des Vollmachtgebers eingegrenzt werden. Hierzu muß er lediglich seine rechtsgeschäftliche Erklärung ( 167 BGB) entsprechend formulieren. Dies entspricht jedoch nicht der Interessenlage im Handelsverkehr. Angesichts dessen, daß dem Schutz des Verkehrsinteresses hier ein höherer Stellenwert eingeräumt wird, ist eine gewisse Typisierung, d. h. eine gesetzliche Umschreibung der Vertretungsmacht im Handelsrecht erforderlich. Der Rechtsverkehr soll sich hier auf einen bestimmten Umfang der Vertretungsmacht verlassen können, ohne umfangreiche und zeitraubende Nachforschungen anstellen zu müssen. Diese Funktion übernehmen Prokura ( 48 ff. HGB), Handlungsvollmacht ( 54 HGB) sowie die besondere Vorschrift des 56 HGB (sog. Ladenvollmacht). 1
Die Prokura Die Prokura ist in den 48 ff. HGB geregelt. Es handelt sich um eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (Vollmacht) mit gesetzlich festgelegtem Umfang. Der Umfang der Prokura ist in 49 I HGB festgelegt. Beachte hier insbesondere die Formulierung eines Handelsgewerbes! Die Prokura ist also im Gegensatz zur Handlungsvollmacht (vgl. 54 I HGB: derartigen ) nicht auf branchenübliche Geschäfte beschränkt. Eine Beschränkung dieses Umfangs entfaltet im Außenverhältnis keine Wirksamkeit ( 50 I HGB). Lediglich eine sogenannte Filialprokura ist unter den Voraussetzungen des 50 III HGB zulässig. Die Prokura ist genau wie jede andere Vollmacht strikt von einem daneben bestehenden Grundverhältnis (z. B. Arbeitsvertrag) zu trennen (vgl. 52 I HGB). Sie kann nur von dem Inhaber des Handelsgeschäfts und nur mittels ausdrücklicher Erklärung erteilt werden ( 48 I HGB). Eine Gesamtprokura ist gemäß 48 II HGB zulässig. Eine derartige Erteilung der Prokura an mehrere Personen gemeinschaftlich bedeutet, daß diese Personen nur gemeinsam Vertretungsmacht für den Inhaber des Handelsgeschäfts innehaben. Einer allein besitzt keine Prokura. Die Erteilung und das Erlöschen der Prokura sind im Handelsregister einzutragen ( 53 I, III HGB). Es handelt sich hierbei also jeweils (!) um eine einzutragende Tatsache i. S. d. 15 HGB. Die Prokura ist jederzeit widerruflich ( 52 I HGB). 2
Übungsfall 1 zur Prokura Kaufmann K beobachtet über längere Zeit, daß sich sein Angestellter A, der laut Arbeitsvertrag eigentlich nur im Lager tätig sein und dementsprechend überhaupt keinen Kundenkontakt haben soll, häufig im Verkaufsraum aufhält und sich gegenüber Kunden sogar als Prokurist aufspielt, indem er insbesondere mit dem Zusatz ppa. (=per procura) zeichnet. K hatte dies bisher geduldet, weil sich A als äußerst geschäftstüchtig erwiesen hatte. Als A eines Tages einen Fernseher weit unter Einkaufspreis an D verkauft, verweigert K die Lieferung mit dem Hinweis, daß A keine Vertretungsmacht eingeräumt worden sei und daher gar kein wirksamer Vertrag bestehe. Kann D Lieferung und Übereignung des Fernsehers von K verlangen? 3
Lösung Übungsfall 1 zur Prokura Anspruch des D gegen K aus 433 I 1 BGB? Voraussetzung: Kaufvertrag zwischen D und K. 1. Willenserklärung des D gerichtet auf Kaufvertrag mit K liegt vor. 2. Willenserklärung (WE) des K? a) K hat selbst keine WE abgegeben. b) Möglicherweise Wirkung der WE des A für und gegen K gemäß 164 I 1 BGB? aa) Eigene WE des A liegt vor. bb) A hat diese auch im Namen des K abgegeben. cc) Problem: Innerhalb einer ihm zustehenden Vertretungsmacht? aaa) Prokura? Nein, da Prokura nur ausdrücklich erteilt werden kann ( 48 I HGB, eine Duldungsprokura o. ä. gibt es nicht!) bbb) Stillschweigend erteilte Handlungsvollmacht ( 54 HGB)? Ja, sofern man einen entsprechenden Willen des K annimmt. ccc) Lehnt man einen derartigen Willen bzw. eine derartige konkludente WE des K ab, so muß sich K aber jedenfalls nach Rechtsscheingrundsätzen so behandeln lassen, als habe er A Vertretungsmacht erteilt (sog. Duldungsvollmacht), da - A (mehrfach) als Vertreter aufgetreten ist (Rechtsscheintatbestand), - K dies wußte und nichts dagegen unternahm (Zurechenbarkeit des Rechtsscheins), - D auf die Vertretungsmacht des A schutzwürdig vertraut hat und - das Vertrauen auf die Vertretungsmacht des A ursächlich für das Handeln des D war. Ergebnis: Vertrag ist zustande gekommen, der Anspruch besteht. 4
Übungsfall 2 zur Prokura P ist Prokurist des Kaufmanns K, der einen Autohandel betreibt. K hatte bei Erteilung der Prokura dem P ausdrücklich verboten, Autos, die einen höheren Wert als 30.000 Euro haben, ohne seine persönliche Zustimmung zu verkaufen. Nachdem K ihm eine Erhöhung seiner dienstvertraglichen Bezüge verweigert, sinnt P auf Rache. Namens des K, verkauft er seinem Freund F einen neuen BMW (Wert 40.000 Euro) zum Preise von 5.000 Euro. F weiß zwar von der Einschränkung der Prokura nichts, hatte aber die Racheaktion mit P abgesprochen. Noch bevor der Wagen ausgeliefert wird, erfährt K den Sachverhalt. Er weigert sich, den BMW auszuliefern. F fragt, welche Ansprüche ihm gegen K oder P zustehen. 5
Lösung Übungsfall 2 zur Prokura 1. Anspruch des F gegen K aus 433 I 1 BGB? Problematisch ist wiederum allein, ob P hier Vertretungsmacht besaß. Hätte er diese, lägen die erforderlichen WE des F und des K (über P als Stellvertreter) vor und ein Vertrag wäre zustande gekommen, der Anspruch bestünde. P hatte Prokura. Irgendwelche Beschränkungen derselben braucht F grundsätzlich nicht gegen sich gelten zu lassen ( 50 I HGB). Die Einschränkung seitens des K ( Keine Autos über 30.000 Euro Wert! ) ist demzufolge gegenüber Dritten nicht wirksam. Jedoch liegt im Hinblick auf den Verkauf deutlich unter Wert ein Fall des sog. Mißbrauchs der Vertretungsmacht vor, wenn - P zwar innerhalb seines rechtlichen Könnens gehandelt hat, - diese Befugnis jedoch bewußt zum Nachteil seines Geschäftsherrn ausgenutzt hat und - F dies erkannt hat bzw. sogar bewußt an der Nachteilszufügung mitgewirkt hat. Dies ist vorliegend gegeben, so daß F sich gemäß 242 BGB gegenüber K nicht auf die (vorhandene) Vertretungsmacht berufen kann. P hatte also hier gegenüber F keine Vertretungsmacht. K hat zwar die Möglichkeit den Vertrag nach 177 I BGB zu genehmigen, er wird dies aber nicht tun. F hat keinen Anspruch gegen K. 2. Anspruch des F gegen P aus 179 I BGB? Die Voraussetzungen des 179 I BGB liegen zwar vor, jedoch kannte F den Mangel der Vertretungsmacht des P (dieser ergab sich ja gerade aus dem kollusiven Zusammenwirken von F und P), so daß P gemäß 179 III 1 BGB nicht haftet. 6
Die Handlungsvollmacht Die Handlungsvollmacht ist in 54 HGB geregelt. Es handelt sich um eine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht (Vollmacht) mit einer gesetzlichen Vermutung hinsichtlich ihres Umfangs ( 54 I, II HGB). Beschränkungen des durch 54 I, II HGB festgelegtem Umfangs braucht ein Dritter nach 54 III nur dann gegen sich gelten zu lassen, wenn er sie kannte oder kennen mußte (vgl. zum Kennenmüssen die Legaldefinition in 122 II BGB). Es handelt sich also bei dem von 54 HGB gebildeten Verkehrsschutz um einen echten Gutglaubensschutz. Die Handlungsvollmacht ist im Gegensatz zur Prokura - auf branchenübliche Geschäfte beschränkt ( 54 I HGB: [...] eines derartigen Handelsgewerbes [...] ). Sie ist strikt von einem daneben bestehenden Grundverhältnis (z. B. Arbeitsvertrag) zu trennen. Sie ist anders als die Prokura ( 52 II HGB) unter den Voraussetzungen des 58 HGB übertragbar. Die Handlungsvollmacht kann im Gegensatz zur Prokura ( 53 HGB) nicht im Handelsregister eingetragen werden. 7
Arten der Handlungsvollmacht Generalhandlungsvollmacht: Arthandlungsvollmacht: Spezialhandlungsvollmacht: Sie erstreckt sich auf alle Rechtsgeschäfte, die der gesamte Verkehr eines derartigen Handelsgewerbes gewöhnlich mit sich bringt und wird daher mitunter auch als kleine Schwester der Prokura bezeichnet (Beispiel: Geschäftsführer eines Kleingewerbetreibenden). Sie berechtigt zur Vornahme einer bestimmten Art von Geschäften innerhalb eines derartigen Handelsgewerbes (Beispiel: Schalterangestellter einer Bank, Kellner). Sie umfaßt lediglich die Vornahme einzelner oder sogar eines einzigen zu einem Handelsgewerbe gehörenden Geschäfts (Beispiel: Einzelvollmacht zum Warenankauf auf einer bestimmten Messe). 8
Die Vorschrift des 56 HGB Die sog. Ladenvollmacht nach 56 HGB enthält anders als 54 HGB keine gesetzlich geregelte Vollmacht. Die Vorschrift spricht eine Vermutung für das Bestehen einer Vertretungsmacht aus (vgl. dazu die Formulierung gilt!) Vor dem Hintergrund, daß bereits 54 III HGB bei tatsächlich bestehender Vertretungsmacht Beschränkungen, die ein Dritter kannte oder kennen mußte, Wirksamkeit zuspricht, muß auch die Vermutung des 56 HGB als widerlegbar angesehen werden. Es handelt sich daher bei 56 HGB um eine besonders geregelte Rechtsscheinvollmacht. 56 HGB enthält gegenüber einer allgemeinen Rechtsscheinvollmacht niedrigere tatbestandliche Voraussetzungen insofern, als die Zurechenbarkeit des Rechtsscheins bereits mit der Anstellung der jeweiligen Person gegeben ist. Voraussetzungen des 56 HGB ist zum einen ein Verkaufsraum (Laden oder offenes Warenlager) und zum anderen eine Anstellung in diesem Verkaufsraum. 9
Probleme im Bereich des 56 HGB Besondere Problemkonstellationen im Bereich des 56 HGB: 1. Muß die von 56 HGB geforderte Anstellung zumindest einen gewissen Bezug zum Verkauf haben (z. B. Anstellung an der Kunden- Informationstheke ohne Vertretungsmacht) oder reicht jegliche Anstellung aus (z. B. Anstellung in der Buchhaltung)? Nach ganz überwiegender Meinung reicht jegliche Anstellung nicht aus, sondern die für den Geschäftsherrn ungünstige Regelung des 56 HGB ist nur dann gerechtfertigt, wenn er das betroffene Personal zu Verkaufszwecken eingesetzt hat. 2. Ist 56 HGB auch anwendbar, wenn der Geschäftsherr kein Kaufmann ist? Der Wortlaut steht einer solch weiten Auslegung zwar nicht entgegen, jedoch befindet sich die Norm systematisch in einem Abschnitt des HGB, welcher die besonderen handelsrechtlichen Vollmachten regelt. Außerdem: Handelsrecht = Sonderprivatrecht für Kaufleute! Die Kaufmannseigenschaft ist daher erforderlich (str.). 10
Übungsfall zu 56 HGB A ist bei der B-GmbH, die einen Autohandel betreibt, als Verkäufer beschäftigt. Er besitzt demzufolge auch Vollmacht zum Verkauf von Neu- und Gebrauchtwagen. Eines Tages erscheint D und bietet seinen gebrauchten Ford Fiesta zum Preise von 5000 Euro an. Namens der B-GmbH nimmt A das Angebot des D an. Ist ein Vertrag zwischen D und der B-GmbH zustande gekommen? 11
Lösung Übungsfall zu 56 HGB Voraussetzung für einen solchen Vertrag ist das Vorliegen zweier korrespondierender Willenserklärungen. 1. Willenserklärung des D liegt vor. 2. Willenserklärung der GmbH? a) Als juristische Person kann die GmbH als solche keine Handlungen vornehmen. Damit die GmbH aber dennoch am Wirtschaftsleben teilnehmen kann, hat sie sog. Organe. Organe der GmbH: Geschäftsführer (vgl. 35 ff. GmbHG), Gesellschafterversammlung (vgl. 45 ff. GmbHG), unter Umständen auch Aufsichtsrat (vgl. 52 GmbHG). Willenserklärungen der GmbH werden grundsätzlich von ihren Geschäftsführern abgegeben. Ihre Vertretungsmacht ergibt sich aus 35 I GmbHG (sog. organschaftliche Vertretungsmacht). Hier hat jedoch kein Geschäftsführer gehandelt. b) Selbstverständlich kann eine GmbH aber wie jede natürliche Person auch rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht erteilen, so daß es nun darauf ankommt, ob A die B-GmbH wirksam vertreten hat. aa) Eigene Willenserklärung des A im Namen der B-GmbH liegt vor. bb) Vertretungsmacht? A hat nur eine sog. Arthandlungsvollmacht ( 54 HGB) zum Verkauf, aber nicht zum Ankauf. 56 HGB greift hier auch nicht ein, da dieser ausdrücklich nur von Verkäufen spricht. A hatte keine Vertretungsmacht. Ein Vertrag zwischen der B-GmbH und D ist nicht zustande gekommen. 12