www.charite.de/psychiatrie Dr. med. Meryam Schouler-Ocak meryam.schouler-ocak@charite.de (Klinikdirektor: Prof. Dr. med. Andreas Heinz) Geschlossene Unterbringung - Zwangsbehandlung Vortrag BMAS-Tagung 10. November 2010, Berlin
Jegliche zwangsweise Unterbringung eines Menschen bedeutet ein Außerkraftsetzen eines seiner wesentlichen Grundrechte und darf nur durch einen Richter oder kraft Gesetz erfolgen. (Freiheit der Person i. S. v. Art. 2 II 2 und Art. 104 GG) Im psychiatrischen Bereich angewendeten Unterbringungsmaßnahmen können grundsätzlich dienen: der Abwendung von Schaden vom Patienten dem Schutz der Öffentlichkeit und / oder dem Zweck der Untersuchung zur Ergründung der Notwendigkeit rechtlicher Maßnahmen wegen Eigen- oder Fremdgefährdung
Gesetzliche Grundlagen für eine Unterbringung: Im Strafrecht: Maßnahmen zum Schutz der Öffentlichkeit: 63,64 StGB und 81, 126a StPO Im Zivilrecht Maßnahmen zum Wohl/Schutz des Betroffenen: 1906 BGB Im öffentlichen Recht Maßnahmen sowohl zum Schutz der Öffentlichkeit als auch zum Wohl/Schutz des Patienten: Landeshoheitliche Unterbringungsgesetze / PsychKGs
Öffentlich-rechtliche Unterbringung Landesrechtliches Unterbringungsgesetz bzw. Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychisch Kranken (PsychKG): In Notsituationen eine sofortige und vorübergehende aber auch längerfristige Unterbringung (bis zu 2 Jahren) Bei längerandauernden gefäh fährlichen Zustä nden eine zivilrechtliche Unterbringung (BGB)
Definiti ition psychische Krankh kheiten Unter psychischer Krankheit versteht man u. a.: Schizophrene Psychosen Affektpsychosen Körperlich begründbare Psychosen Abhängigkeitserkrankungen Persönlichkeitsstörungen
Die zur Anordnung sofortiger Unterbringung berechtigte Institutionen Sind unterschiedlich: z. B. In Bayern: die Polizei In NRW: das Ordnungsamt In Hamburg: die Gesundheitsbehörde In Baden-Württemberg: die aufnehmende, dazu befugte Einrichtung o Die erfolgte Unterbringung muss umgehend dem zuständigen Gericht gemeldet werden, das dann o auf Grundlage einer persönlichen richterlichen Anhörung bis auf Grundlage einer persönlichen richterlichen Anhörung bis spätestens zum Abend des Folgetages einen richterlichen Beschluss über die Unterbringungsnotwendigkeit erlässt
Zwangsbehandlung medizinische Behandlung ohne Einwilligung oder gegen den Willen des Betroffenen meist geht es um die Verabreichung eines Medikaments, Nahrungsmittel Die meisten Patienten in der Psychiatrie nicht wenige Bewohner von Pflegeeinrichtungen bekommen Psychopharmaka nicht selten zwangsweise
Unterbringungsrecht und Zwangsbehandlung o Viele Unterbringungsgesetze erlauben eine Zwangsbehandlung, falls sie "notwendig" ist osehr oft finden sich auch Formulierungen wie: "Der Untergebrachte... hat diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln..." (so im baden württembergischen Unterbringungsgesetz) oin einigen Bundesländern, z. B. Berlin und Bayern, ist die Zwangsbehandlung nur erlaubt, wenn sie unaufschiebbar ist damit ist eine Behandlungsmaßnahme gemeint, deren Aufschub eine Gefahr für die Gesundheit oder das Leben des Betroffenen oder anderer bedeuten würde onotwendig, erforderlich und unaufschiebbar sind dehnbare Begriffe
Zivilrechtliche Unterbringung 1992 auf der Grundlage der Psychiatrie-Enquete von 1975 eingeführtes Betreuungsrecht (grundlegende Bestimmungen im BGB, verfahrensrechtliche Bestimmungen im FGG (Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) Umgang mit volljährigen Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ng ihre Angelegenheiten nicht ganz oder teilweise zu besorgen wird geregelt ( 1896) Individuelle Betreuungsbedürftigkeit nach dem Grundsatz so wenig wie möglich, soviel wie nötig Beschränkung ausschließlich auf Aufgabenkreise, in denen der Betroffene nicht mehr selbst entscheiden kann.
Betreuungsrecht und Zwangsbehandlung Nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Betreuers bzw. Bevollmächtigten darf zwangsbehandelt werden. Ferner ist Voraussetzung für eine Zwangsbehandlung: Betroffener ist nicht einwilligungsfähig. Besteht jedoch Einwilligungsfähigkeit, darf gegen seinen Willen nicht behandelt werden gleichgültig, ob er einen Betreuer bzw. Bevollmächtigten hat oder nicht. Bei einer gefährlichen medizinischen Maßnahme muss Bei einer gefährlichen medizinischen Maßnahme muss zusätzlich die Genehmigung des Gerichtes eingeholt werden dies gilt sowohl für den Betreuer als auch für den Bevollmächtigten ( 1904 BGB)
Einwilligungsfähigkeit Für ärztliche Behandlung liegt vor, wenn der Patient über die Fähigkeit verfügt, das Wesen und die Tragweite des ärztlichen Eingriffs für Körper, Beruf, und Lebensglück zu ermessen und danach selbstverantwortlich Entschlüsse zu fassen.
Zwangsbehandlung Eine Behandlung gegen den Willen des Betroffenen bzw. ohne dessen Einverständnis ist normalerweise nicht zulässig Sie stellt einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit dar, das zu den Grundrechten gehört Ein solcher unzulässiger Eingriff stellt strafrechtlich gesehen eine Körperverletzung dar Dies gilt nicht nur für eine Verletzung im wörtlichen Sinne bzw. einen direkten Eingriff in den Körper, sondern auch für die Verabreichung von Medikamenten
Zahl der Betreuungen bundesweit (BMJ) seit Inkrafttreten des Betreuungsrechtes verdoppelt (Müller und Josipovic, 2003)
(Müller und Josipovic, 2003)
(von Haebler et al., 2007)
Zunehmend finanziell knappe Ressourcen und massiver Bettenabbau führen nicht zwangsläufig zu einer Zunahme von Zwangseinweisungen Niedriger Grad an Zwangseinweisungen g ist nicht automatisch ein Zeichen für eine hohe Toleranz und Integration psychisch Kranker Kann auch Ausdruck der Vernachlässigung dieser Patienten und ihres Leidens sein Unterbringung psychisch Kranker gegen ihren Willen nicht nur ordnungsstaatliche Maßnahme zum Schutze der Allgemeinheit, sondern ist auch fürsorglicher Aspekt wegen krankheitsbedingter Eigengefährdung Die Psychiatrie i übernimmt Aufgaben, die die Gesellschaft nicht mehr adäquat bewältigen kann; z. B. bei zunehmend dementen Patienten
o Ausgangsbeschränkungen jeder Art sind freiheitsbeschränkende Maßnahmen, wenn sie ohne Einverständnis des/der Betroffenen erzwungen werden o Eine Medikation, auch Zwangsmedikation, sollte primär nie der Bewegungseinschränkung dienen o Zwangsmaßnahmen dürfen nicht als Strafe angewendet werden (CEBP 2000, CPT 2004, APA 2004a, Curie)
Es wäre unethisch und unmenschlich, diejenigen Kranken ihrem Schicksal zu überlassen, die nicht nach Hilfe suchen können, weil sie die Fähigkeit dazu durch ihre Krankheit verloren haben. Das Dilemma ist unausweichlich. Die Anwendung von Zwangsmaßnahmen kann brutal sein, der Verzicht auf sie dennoch nicht menschlich h. (Finzen A. Zwischen Hilfe und Gewalt. Das unausweichliche Dilemma in der Psychiatrie. Z Fundamenta Psychiatrica 1988; 2:8-12)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Charité Universitätsmedizin Berlin