Lösungsvorschlag Fall 1 I. 1. Bierzeltrauferei und die Folgen I. Strafbarkeit des A wegen des Kinnhakens 1) Schwere Körperverletzung, 83 Abs 1, 84 Abs 1 OTB: KV/An sich schwere KV: Der Verlust aller 4 Schneidezähne ist schon für sich genommen eine an sich schwere Körperverletzung is des 84 Abs 1. Außerdem begründet die mit Bewusstlosigkeit einhergehende Schädelfraktur (Bruch eines zentralen Knochens) eine an sich schwere KV. Die körperliche Beeinträchtigung des B ist insgesamt derart gravierend, dass von einer an sich schweren Verletzung ausgegangen werden muss. Kausalität und objektive Zurechnung in Bezug auf die schwere KV: ist hier genau zu prüfen, weil es sich bei 84 Abs 1 um ein erfolgsqualifiziertes Delikt is des 7 Abs 2 handelt. Kausalität: Der Kinnhaken des A war kausal is der conditio sine qua non-formel; denn denkt man sich diesen weg, wäre der Zahnverlust sowie die Schädelfraktur samt Bewusstlosigkeit des B nicht eingetreten. Objektive Sorgfaltswidrigkeit: Aus der Sicht eines objektiven Dritten in der Situation des A war es objektiv voraussehbar, dass der Kinnhaken des A zu Zahnverlust sowie zu einer Schädelfraktur des B führen kann. Zudem ist ein Kinnhaken unproblematisch sozial inadäquat. Adäquanzzusammenhang: Es liegt zudem nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein Kinnhaken mit einem Verlust des Gleichgewichts verbunden ist, infolgedessen das Opfer schwer zu Sturz kommt und dadurch 4 Schneidezähne verliert sowie sich eine Schädelfraktur 1
samt Bewusstlosigkeit zuzieht (kein atypischer Kausalverlauf; Adäquanzzusammenhang zu bejahen). Risikozusammenhang: Im Zahnverlust sowie in der Schädelfraktur des B hat sich das von A durch seinen Kinnhaken geschaffene Risiko verwirklicht. Risikoerhöhung gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten: dieses hätte darin bestanden, keinen Kinnhaken anzusetzen; folglich liegt eine Risikoerhöhung unproblematisch vor. STB: Verletzungsvorsatz (bedingter Vorsatz hinsichtlich des 83 Abs 1): A hielt es ernstlich für möglich und er fand sich damit ab, dass ein Kinnhaken zu einer Verletzung des B führt. Indiz dafür ist der Umstand, dass es sich um einen heftigen Kinnhaken gehandelt hat. Subjektive Sorgfaltswidrigkeit/Vorhersehbarkeit der an sich schweren Körperverletzung (gem 7 Abs 2 genügt für 84 Abs 1 Fahrlässigkeit): Dass A den B keineswegs schwer verletzen wollte, ändert nichts daran, dass er es nach seinen geistigen bzw körperlichen Verhältnissen vorhersehen hätte können, dass ein heftiger Kinnhaken zu einer schweren Körperverletzung führen kann. Ergebnis: A verwirklicht 83 Abs 1, 84 Abs 1. 2) Kein 85 mangels für immer oder für lange Zeit andauernder Dauerfolgen. 3) Kein 84 Abs 2 Z 2, weil zwar Raufhandel vorliegt, aber kein Hinweis im SV dafür gegeben ist, dass hier 3 Personen in verabredeter Verbindung die KV des B verursacht hätten. 2
II. Strafbarkeit des A, C und D wegen des Raufens 1) Ein Beitrag zur Körperverletzung des A kommt für B und C nicht in Betracht; Dafür gibt es im SV keine Anhaltspunkte. 2) Raufhandel ( 91 Abs 1) I. TB: 1. OTB: Schlägerei: Schlägerei = in Tätlichkeiten ausartende Auseinandersetzung zwischen mindestens 3 Personen; dies ist lt SV der Fall, weil A, B, C und D in einer Bierzeltrauferei verwickelt waren. Tätliche Teilnahme: da A, C und D selbst Tätlichkeiten begangen haben (es handelt sich ja um eine Rauferei zwischen allen vieren), ist auch dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt. 2. STB: Vorsatz auf die tätliche Teilnahme an einer Schlägerei: es ist davon auszugehen, dass sich A, C und D zumindest bedingt vorsätzlich tätlich an der Schlägerei beteiligten. 3. Unechte objektive Bedingung der Strafbarkeit Die Schlägerei verursacht die schwere Körperverletzung eines anderen, nämlich eine Schädelfraktur bei B. Auch wenn klar ist, dass nur A die schwere KV des B im strengen Sinn verursacht hat, ist die unechte objektive Bedingung gleichwohl erfüllt; denn auch die Schlägerei insgesamt hat die schwere KV des B zumindest mit verursacht. Einer Bestrafung der übrigen Teilnehmer eines Raufhandels steht also nicht entgegen, dass einer von ihnen nachweislich gem 83 Abs 1, 84 Abs 1 für die schwere Folge strafrechtlich haftet. 3
II (RW), III (Schuld) und IV (Strafaufhebung und Strafausschließung): unproblematisch Ergebnis: A, C und D verwirklichen 91 Abs 1. III. Strafbarkeit des B wegen Raufhandels ( 91 Abs 1)? Eine Bestrafung des B wegen Raufhandels kommt nicht in Betracht. Denn für ihn ist die objektive Bedingung nicht erfüllt: nur eine schwere Körperverletzung eines anderen führt zur Strafbarkeit des Teilnehmers des Raufhandels. Ergebnis: Keine Strafbarkeit des B wegen 91 Abs 1 IV. Strafbarkeit des A wegen des Liegenlassens des B 1) Imstichlassen eines Verletzten, 94 Abs 1 OTB: Durch den Täter verursachte Körperverletzung: A hat die schwere KV des B verursacht (siehe oben). Unterlassen der erforderlichen Hilfe: Da B eine Schädelfraktur und eine Bewusstlosigkeit erlitt, war Hilfe erforderlich. Diese hätte darin bestehen können, dass A selbst Erste-Hilfe leistet oder aber Hilfe von dritter Seite (insb Rettung) herbeiruft. Da A hingegen eilig den Tatort verlässt, hat er die erforderliche Hilfe unterlassen. Tatsächliche Möglichkeit der Hilfeleistung: A wäre nach seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten sicherlich in der Lage gewesen, Hilfe zu leisten. STB: Vorsatz A hielt es aufgrund der erkennbaren Bewusstlosigkeit des B sogar für gewiss, dass er ihn durch seinen Kinnhaken verletzt hat. Zudem wusste er, dass er die 4
erforderliche Hilfe unterlässt, wenn er einfach davon läuft, ohne den bewusstlosen B erst zu versorgen bzw Hilfe von dritter Seite herbeizuholen. Zudem war dem A klar, dass er in der Lage gewesen wäre, Hilfe zu leisten. Insgesamt verwirklicht A 94 subjektiv also in Form der Wissentlichkeit. Schuld: Keine Unzumutbarkeit gem 94 Abs 3; das Erschrocken-Sein des A ist kein Fall der Zurechnungsunfähigkeit is des 11. Ergebnis: A verwirklicht 94 Abs 1 2) Kein 94 Abs 2, weil die Schädelfraktur Folge des Kinnhakens, aber nicht Folge des Liegenlassens des B ist. 3) Kein 82 Abs 1 mangels klar erkennbaren Lebensgefährdungsvorsatz bei A. V. Strafbarkeit von C und D wegen des Liegenlassens des B 1) Kein Imstichlassen eines Verletzten nach 94 Abs 1 für C und D, weil diese nicht kausal waren für die schwere Körperverletzung des B. Zwar war die Schlägerei insgesamt kausal für die schwere Körperverletzung des B, doch ad personam ist keine Kausalität gegeben. Dies wäre aber Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach 94 Abs 1. 2) Unterlassung der Hilfeleistung ( 95) OTB: Unglücksfall: Die Schädelfraktur des B samt Bewusstlosigkeit stellt einen Unglücksfall dar, weil damit eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben des B einhergeht. 5
Gefahr einer beträchtlichen Körperverletzung: Allein die Tatsache, dass B eine Schädelfraktur erlitten hat und bewusstlos ist, indiziert das Fortbestehen der Gefahr einer beträchtlichen Körperverletzung. Unterlassen der offensichtlich erforderlichen Hilfe: dadurch dass C und D einfach davon liefen, ohne Hilfsmaßnahmen für den B zu setzen oder einzuleiten, haben sie die offensichtlich erforderliche Hilfe unterlassen. Tatsächliche Möglichkeit der Hilfeleistung: C und D wären nach ihren geistigen und körperlichen Fähigkeiten in der Lage gewesen, dem B Hilfe zu leisten. STB: Vorsatz Aufgrund der erkennbaren Bewusstlosigkeit des B hielten es C und D wohl sogar für gewiss, dass es sich um einen Unglücksfall handelt. Ferner wussten sie, dass in dieser Situation die Gefahr einer beträchtlichen Körperverletzung besteht und sie die offensichtlich erforderliche Hilfe unterlassen, wenn sie einfach davon laufen. Sie wussten zudem, dass sie in der Lage gewesen wären, Hilfe zu leisten (Begleitwissen). Insgesamt verwirklichen C und D 95 also subjektiv in Form der Wissentlichkeit. Schuld: Keine Unzumutbarkeit is des 95 Abs 2. Ergebnis: C und D verwirklichen 95. VI. Konkurrenzen A: 83 Abs 1, 84 Abs 1 verdrängt 91 Abs 1 aufgrund materieller Subsidiarität; 94 Abs 1 tritt gem 94 Abs 4 hinter die 83 Abs 1, 84 Abs 1 zurück, weil A schon wegen der Verletzung mit einer strengeren Strafe bedroht ist (ausdrückliche Subsidiarität). Für A bleibt also eine Strafbarkeit nach den 83 Abs 1, 84 Abs 1 über. B: straflos 6
C und D: 91 Abs 1 und 95 in echter Realkonkurrenz (keine Subsidiaritätsklausel in 95; unterschiedliche Anknüpfungspunkte mit je unterschiedlichem Unrechtsgehalt). II. 1. a) Zuständigkeit für 201 Abs 1 StGB: Schöffengericht gem 31 Abs 3 Z 1 StPO-neu. Daraus folgt: Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor gem 61 Abs 1 Z 4 StPO-neu. Wenn Z noch keinen Verteidiger benannt hat, muss das Gericht ihn auffordern, einen Verteidiger zu bevollmächtigen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zu beantragen. Bevollmächtigt der Beschuldigte keinen Verteidiger, so hat ihm das Gericht von Amts wegen einen Verteidiger beizugeben, dessen Kosten er zu tragen hat (Amtsverteidiger), soweit nicht die Voraussetzungen einer Verfahrenshilfeverteidigung gem 61 Abs 2 erster Satz StPO-neu vorliegen ( 61 Abs 3 StPO-neu). 2) Z wirft dem Gericht einen Subsumtionsfehler vor; denn nach Ansicht des Z hätte er nicht wegen 201, sondern nur wegen 202 StGB bestraft werden dürfen. Er wird daher den Nichtigkeitsgrund des 281 Abs 1 Z 10 StPO geltend machen. Kein Fall des 281 Abs 1 Z 1 9 lit a oder b, weil Z ja nicht die Strafbarkeit an sich bestreitet. 2. Ad a) Sachlich: Einzelrichter am Landesgericht gem 31 Abs 4 Z 2 ivm 30 Abs 1 Z 1 StPO. Örtlich: Landesgericht Linz als Tatortgericht gem 36 Abs 3 StPO. Ad b) 7
Sachlich: Es handelt sich dann um eine Jugendstrafsache gem 1 Z 4 JGG. Die Herabsetzung der Strafdrohung für jugendliche Täter ( 5 Z 4 JGG) ist bei der Ermittlung der Zuständigkeit zwischen BG, ER und Schöffengericht nicht relevant ( 27 Abs 2 JGG). Demzufolge ändert sich sachlich an der Zuständigkeit des Einzelrichters am Landesgericht nichts ( 27 Abs 2 ivm 31 JGG). Örtlich: Allerdings gibt es eine Abweichung bei der örtlichen Zuständigkeit. Denn gem 29 JGG ist in Jugendstrafsachen jenes Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel der Beschuldigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Demzufolge ist der Einzelrichter am LG Salzburg zuständig. Ad c) Bei A handelt es sich hier um einen jungen Erwachsenen is des 46a JGG. Demzufolge ist gem 46a Abs 1 JGG das Jugendstrafgericht sachlich zuständig, womit 27 JGG anwendbar wird. Die Herabsetzung der Strafdrohung für junge Erwachsene ( 36 StGB) ist bei der Ermittlung der Zuständigkeit zwischen BG, ER und Schöffengericht nicht relevant ( 27 Abs 2 ivm 31 JGG). Demzufolge ist der Einzelrichter am Landesgericht zuständig. Die Besonderheiten der örtlichen Zuständigkeit für Jugendstrafverfahren gelten bei jungen Erwachsenen nicht (siehe Verweis in 46a JGG Abs 2: dort ist 29 JGG nicht genannt. Örtlich zuständig ist daher das Landesgericht Linz als Tatortgericht gem 36 Abs 3 StPO (und nicht etwa Graz). Der Einzelrichter wird als Jugendgericht tätig, sodass etwa die besonderen Verfahrensbestimmungen des 32 JGG anwendbar sind (siehe 46a Abs 2 JGG). Ad d) Eine Nötigung gem 105 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht. Wird diese im Vollrausch begangen, ist 287 Abs 1 StGB einschlägig. Zwar ordnet 287 Abs 1 Satz 1 StGB an sich eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren an, doch darf gem 287 Abs 1 letzter Satz StGB das Ausmaß der verhängten Strafe nicht strenger sein als für die im Rausch begangene Tat angedroht. Zudem legt 29 Abs 2 StPO ausdrücklich fest, dass 287 Abs 1 8
letzter Satz StGB für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit zu berücksichtigen ist. Es ist daher für eine im Vollrausch begangene Nötigung von einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr auszugehen. Folglich ist in diesem Fall das Bezirksgericht zuständig. Die Ausnahme von der Zuständigkeit des Bezirksgerichts im Falle einer Nötigung gem 30 Abs 1 StPO kommt hier nich+t zum Tragen, weil 287 StGB ein selbstständiges Delikt ist (abweichende Lösung ebenso vertretbar, wonach es bei der Eigenzuständigkeit des Einzelrichters bleiben muss, auch wenn dieses Delikt im Vollrausch begangen wurde).ad a) Sachlich: Einzelrichter am Landesgericht gem 31 Abs 4 Z 2 ivm 30 Abs 1 Z 1 StPO. Örtlich: Landesgericht Linz als Tatortgericht gem 36 Abs 3 StPO. Ad b) Sachlich: Es handelt sich dann um eine Jugendstrafsache gem 1 Z 4 JGG. Die Herabsetzung der Strafdrohung für jugendliche Täter ( 5 Z 4 JGG) ist bei der Ermittlung der Zuständigkeit zwischen BG, ER und Schöffengericht nicht relevant ( 27 Abs 2 JGG). Demzufolge ändert sich sachlich an der Zuständigkeit des Einzelrichters am Landesgericht nichts. Örtlich: Allerdings gibt es eine Abweichung bei der örtlichen Zuständigkeit. Denn gem 29 JGG ist in Jugendstrafsachen jenes Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel der Beschuldigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Demzufolge ist der Einzelrichter am LG Salzburg zuständig. Ad c) Bei A handelt es sich hier um einen jungen Erwachsenen is des 46a JGG. Demzufolge ist das Jugendstrafgericht sachlich zuständig, womit 27 JGG anwendbar wird. Die Herabsetzung der Strafdrohung für junge Erwachsene ( 36 StGB) ist bei der Ermittlung der Zuständigkeit zwischen BG, ER und Schöffengericht nicht relevant ( 27 Abs 2 JGG). Demzufolge ist der Einzelrichter am Landesgericht zuständig. Die Besonderheiten der örtlichen Zuständigkeit für Jugendstrafverfahren gelten bei jungen Erwachsenen nicht (siehe Verweis in 9
46a JGG Abs 2: dort ist 29 JGG nicht genannt. Örtlich zuständig ist daher das Landesgericht Linz als Tatortgericht gem 36 Abs 3 StPO (und nicht etwa Graz). Andere Lösung vertretbar, wenn man 46a Abs 1 JGG dahin gehend interpretiert, dass er auch die örtliche Zuständigkeit mit einbezieht. Der Einzelrichter wird als Jugendgericht tätig, sodass etwa die besonderen Verfahrensbestimmungen des 32 JGG anwendbar sind (siehe 46a Abs 2 JGG). Ad d) Eine Nötigung gem 105 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht. Wird diese im Vollrausch begangen, ist 287 Abs 1 StGB einschlägig. Zwar ordnet 287 Abs 1 Satz 1 StGB an sich eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren an, doch darf gem 287 Abs 1 letzter Satz StGB das Ausmaß der verhängten Strafe nicht strenger sein als für die im Rausch begangene Tat angedroht. Zudem legt 29 Abs 2 StPO ausdrücklich fest, dass 287 Abs 1 letzter Satz StGB für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit zu berücksichtigen ist. Es ist daher für eine im Vollrausch begangene Nötigung von einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr auszugehen. Folglich ist in diesem Fall das Bezirksgericht zuständig. Die Ausnahme von der Zuständigkeit des Bezirksgerichts im Falle einer Nötigung gem 30 Abs 1 StPO kommt hier nicht zum Tragen, weil 287 StGB ein selbstständiges Delikt ist (am gut vertretbar). 10