Atypische Neuroleptika versus typische bei Demenz

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Transkript:

Kurztitel: Atypische Neuroleptika versus typische bei Demenz Fragestellung: Sind die neueren atypischen Neuroleptika im Einsatz bei Verhaltensstörungen von Demenzerkrankten vorteilhafter als die älteren klassischen Neuroleptika? Antwort: Ja. Wenn bei Verhaltensstörungen von Demenzerkrankten die nicht-pharmakologischen Interventionen nicht ausreichend sind und die Indikation für eine pharmakologische Intervention mit psychotropen Medikamenten besteht, wird eine Behandlung mit dem neueren atypischen Neuroleptikum Risperidon (Risperdal ) empfohlen, welches für diese Indikation in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien zugelassen ist. Alternativ kann Aripiprazol (Abilify ), allerdings als off-label-use, empfohlen werden. Die neueren atypischen Neuroleptika haben im Vergleich zu den typischen Neuroleptika weniger anticholinerge Wirkung und damit weniger negative Effekte auf die Kognition, weniger Sedation und weniger extrapyramidale Nebenwirkungen. Die allgemeine Mortalität und das Risiko zerebrovaskulärer Ereignisse ist zwar auch bei der Therapie Demenzerkrankter mit atypischen Neuroleptika leicht erhöht, bei der Therapie mit typischen Neuroleptika ist sie aber noch höher. Von den älteren Neuroleptika kann allenfalls eine Therapie mit Haloperidol (Haldol ) erwogen werden, welches in allen Ländern für diese Indikation zugelassen ist, aber ein höheres Risiko extrapyramidaler Nebenwirkungen und leicht erhöhter Mortalität birgt. Hintergrund: Neben dem Nachlassen der kognitiven Leistungsfähigkeit sind die Demenzerkrankungen durch Veränderungen des Erlebens und Verhaltens, durch Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen charakterisiert. Der Großteil der Demenzkranken entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung psychopathologische Begleitsymptome, für die verschiedene Begriffe verwendet werden: nichtkognitive Symptome, psychiatrische Symptome, psychopathologische Symptome, herausforderndes Verhalten oder psychische und Verhaltenssymptome bei Demenz, letzteres in Analogie zum angloamerikanischen Begriff "Behavioral and Psychological Symptoms of Dementia" (BPSD). Zu diesen Symptomen gehören Veränderungen des psychischen Erlebens, wie z.b. Depression, Angst, wahnhafte Überzeugungen oder Halluzinationen, sowie Verhaltensauffälligkeiten, wie z.b. Schlafstörungen, Umkehr des Tag-Nacht-Rhythmus, Unruhe, Agitation, repetitives Durchführen gleicher Bewegungsabläufe, Aggressivität, sexuelle Disinhibition oder psychotisches Verhalten. Das Auftreten solcher Symptome variiert in Häufigkeit, Dauer und Intensität über die verschiedenen Krankheitsstadien und tritt nicht bei allen Patienten auf. Psychische und Verhaltenssymptome führen in unterschiedlichem Ausmaß zu Leidensdruck und Beeinträchtigung des Erkrankten. Sie stellen auch häufig für Angehörige und Pflegende eine große Belastung dar und können auch deren psychische und körperliche Gesundheit negativ beeinflussen. Entsprechend der wesentlichen Rolle, die Umwelteinflüsse und subjektives Erleben des Betroffenen bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischen und Verhaltenssymptomen spielen, ist die Identifizierung von Auslösern der erste Schritt der Behandlung. Können körperliche Symptome (z.b. Schmerzen) und Umweltbedingungen (z.b. Kommunikationsverhalten, Umgebung) als ursächlich identifiziert und geändert werden, können psychische und Verhaltenssymptome abklingen [1, 2]. Angesichts der möglichen, auch schwerwiegenden Risiken einer medikamentösen Behandlung sollen - vor Beginn einer solchen - alle verfügbaren und einsetzbaren nicht-pharmakologischen

Interventionen ausgeschöpft werden: optimale Versorgung und qualitativ hochwertige Pflege, gute Organisation und Strukturierung des Tagesablaufs, soziale Interaktionen mit den Patienten, Stimulierung und Aktivierung der Patienten, Trainieren von simplen alltäglichen Fertigkeiten (Empfehlungsgrad B) [1-3]. Der Langzeitnutzen dieser Maßnahmen ist allerdings nicht nachgewiesen [3, 4]. Auch sollten die oft vielfältigen Medikamentennebenwirkungen oder -interaktionen bei der Polypharmazie vieler dementer Patienten bedacht werden, da solche auch bei therapeutischer Dosierung zu bedeutenden unerwünschten psychischen und Verhaltenssymptomen bei Demenzerkrankten führen können, bis hin zum psychotischen Syndrom [1, 5]. Das Pflegepersonal von Pflegeeinrichtungen soll auf die Erkennung von psychischen und Verhaltenssymptomen bei Demenzkranken sowie auf die Anwendung einsetzbarer nichtpharmakologischer Interventionen geschult werden, und den Pflegenden und Angehörigen von zuhause gepflegten Demenzkranken sollen solche Schulungen zugänglich gemacht werden [3, 4]. Suchbegriffe / Suchfrage (PICO = Population, Intervention, Comparison, Outcome) Ist bei Demenzerkrankten, die einer medikamentösen Therapie von Verhaltesstörungen bedürfen (P), der Einsatz von neueren atypischen Neuroleptika (I) im Vergleich zu den älteren typischen Neuroleptika (C) mit einem besseren Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil verbunden (O)? Suchstrategie: Es wurden die internationalen Leitliniensammlungen durchsucht. Relevante Aussagen zur Fragestellung fanden wir in deutschen (DEGAM; AWMF), italienischen (SNLG), englischen (NICE), us-amerikanischen (NCG) und kanadischen (CMA) Leitliniensammlungen. Sekundär und Primärliteratur haben wir nicht durchsucht. Ergebnisse: Eine geringe Besserung der nichtkognitiven Demenzsymptome ist bei Einsatz von Cholinesterasehemmern (den Antidementiva Donepezil, Galantamin, Rivastigmin Memantin) möglich [1, 5]. Der Einsatz von Cholinesterasehemmern nur zur Verbesserung der nichtkognitiven Symptome kann nach dem heutigen Wissensstand aber nicht empfohlen werden [5]. Wenn die nicht-pharmakologischen Interventionen nicht effektiv, nicht ausreichend oder nicht verfügbar sind, besteht die Indikation für eine pharmakologische Intervention mit psychotropen Medikamenten (Antipsychotika, Antidepressiva, Antikonvulsiva, Tranquilizer) [1, 2, 4, 5]. Die Indikation ist streng zu stellen und Voraussetzung sollte sein, dass der Leidensdruck des Erkrankten oder die Belastung der Pflegenden die Risiken rechtfertigen. Eine alleinige erhöhte motorische Aktivität des Patienten und/oder eine Störung der (nächtlichen) Arbeitsabläufe einer Pflegeeinrichtung ohne Leidensdruck der Pflegenden rechtfertigen nicht die Risiken und Nebenwirkungen einer medikamentösen Intervention [2, 3, 4]. Bei drohender Eigen- oder Fremdgefährdung kann hingegen auch eine unmittelbare pharmakologische Intervention gerechtfertigt sein [1, 5]. Es gibt Hinweise auf eine Wirksamkeit wenn auch mit geringer Effektstärke - von Haloperidol auf aggressives Verhalten. Unter Beachtung der Nebenwirkungen (extrapyramidale Nebenwirkungen) und Risiken (zerebrovaskuläre Ereignisse, erhöhte Mortalität) kann der Einsatz bei diesem Zielsymptom erwogen werden [1]. In Deutschland ist Haloperidol, neben den anderen Indikationen, für die Behandlung von Zuständen, die durch Verwirrtheit, Verkennung der Umgebung und Unruhe gekennzeichnet sind (delirante und andere exogenpsychotische Syndrome) zugelassen; in Österreich ist Haloperidol für akute psychomotorische Erregungszustände und organisch bedingte Psychosen, in der Schweiz für

psychomotorische Erregungszustände und zerebralsklerotisch bedingte Unruhe, und in Italien für die Behandlung von aggressivem Verhalten oder Psychose bei Demenz zugelassen. Für Risperidon (Risperdal ) konnte die Wirksamkeit in der Therapie von aggressiven und psychotischen Symptomen (Halluzination, Wahn) bei Demenzpatienten in randomisierten Studien nachgewiesen werden (Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ia, Ib) [1, 5]. Es ist für diese Indikation in Deutschland, Österreich und der Schweiz schon seit einigen Jahren, in Italien erst seit kurzem zugelassen. Aripiprazol (Abilify ) kann aufgrund seiner Wirksamkeit gegen Agitation und Aggression als alternative Substanz empfohlen werden [1], ist für diese Indikation aber in keinem Land bisher zugelassen (off-label-use). Olanzapin (Zyprexa ) soll aufgrund des anticholinergen Nebenwirkungsprofils und der heterogenen Datenlage bezüglich Wirksamkeit nicht zur Behandlung von agitiertem und aggressivem Verhalten bei Patienten mit Demenz eingesetzt werden [1]. Für andere neuere atypische Antipsychotika gibt es keine Evidenz für Wirksamkeit bei psychotischen Symptomen bei Demenz, daher wird der Einsatz nicht empfohlen [1]. Es gibt Hinweise auf eine günstige Wirkung von Stimmungsstabilisatoren wie Lithiumsalze, Carbamazepin und andere Antiepileptika auf Agitiertheit, Aggression oder Psychose bei Demenzkranken. Die Evidenz ist schwach und beruht großteils auf Beobachtungsstudien. Zu den Lithiumsalzen laufen derzeit Studien (CCTR/CENTRAL 2010) und zu Carbamazepin hat Cochrane kürzlich eine systematische Revision in Auftrag gegeben. Carbamazepin kann - nach fehlendem Ansprechen anderer Therapien - als off-label-use eingesetzt werden; dabei ist auf Medikamenteninteraktionen zu achten [1, 2, 5]. Aufgrund des ursächlichen Mangels an Acetylcholin bei Demenzerkrankten, der delirogenen Potenz und der potenziell negativen Effekte auf die Kognition ist die Anwendung psychotroper Medikamente mit deutlicher anticholinerger Wirkung möglichst zu meiden: dazu gehören trizyklische Antidepressiva, viele der älteren typischen Neuroleptika (außer Haloperidol), und von den neueren atypischen Neuroleptika vor allem Olanzapin (Zyprexa ) [1, 5]. Für Patienten mit Parkinson-Demenz, Lewy-Körperchen-Demenz und verwandten Erkrankungen sind alle älteren typischen, aber auch viele neuere atypische Neuroleptika kontraindiziert, da sie Parkinson-Symptome verstärken und Somnolenzattacken auslösen können. Einsetzbare Neuroleptika bei diesen Erkrankungen sind lediglich Clozapin (Leponex ) und mit geringerer Evidenz Quetiapin (Seroquel ) (Good clinical practice, Expertenkonsens) [1]. Clozapin ist für diese Indikation, nämlich für Psychosen im Verlauf einer Parkinson- Erkrankung nach Versagen der Standardtherapie in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien zugelassen. Auf die Besonderheiten der Therapie mit Clozapin (engmaschige Blutbildüberwachung wegen Agranulozytosegefahr) ist zu achten. Die Therapie mit Quietapin stellt hingegen in allen Ländern einen off-label-use dar. Für die Therapie einer agitierten, aggressiven Symptomatik (nicht aber einer manifesten Psychose) kommen auch Antidepressiva mit antriebsmindernder Komponente (z.b. Citalopram) in Betracht [5]. Es gibt eine schwache Evidenz für die Wirksamkeit von Citalopram bei agitiertem Verhalten von Demenzkranken. Ein Behandlungsversuch kann gerechtfertigt sein (Empfehlungsgrad C, Evidenzebene Ib) [1]. Bei psychomotorischer Unruhe (gesteigertem Bewegungsdrang, ohne erkennbares Leid für den Betroffenen) ergibt sich keine unmittelbare Interventionsnotwendigkeit. Bei schwerer psychomotorischer Unruhe, die zu deutlicher Beeinträchtigung des Betroffenen und/oder der Pflegenden führt, kann ein zeitlich begrenzter Therapieversuch mit Risperidon (off-label-use) empfohlen werden (Empfehlungsgrad C, Evidenzebene II) [1]. Phänomene der Disinhibition können bei Demenzkranken als gestörtes Sozialverhalten inklusive sexueller Disinhibition, aber auch in anderen Bereichen, z.b. in der

Nahrungsaufnahme, auftreten. Bei enthemmtem Verhalten im Rahmen einer Demenzerkrankung gibt es keine belastbare Evidenz für eine bestimmte Behandlung [1]. Der Einsatz von Neuroleptika (= Antipsychotika) bei Demenzerkrankten ist generell mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko assoziiert, sowohl bei typischen wie auch bei atypischen Antipsychotika [1, 5]. Bei den atypischen Antipsychotika (Aripiprazol, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon) ist die Mortalität gegenüber Plazebo sowohl bei Insassen von Altenpflegeeinrichtungen als auch bei Erkrankten, die zu Hause leben, leicht erhöht (adjustierte Hazard-Ratio ca. 1,30-1,50; number needed to harm = 87 bei Risperidon), und bei den älteren typischen Neuroleptika (Chlorpromazin, Flupenthixol, Fluphenazin, Haloperidol, Loxapin, Pericyazin, Perphenazin, Pimozid, Thioridazin, Trifluoperazin) ist die Mortalität im Vergleich zu den neueren atypischen Neuroleptika nochmals um den Faktor 1,20-1,50 erhöht [1, 5, 6, 7, 8, 9]. Nachdem beim Einsatz von Risperidon und anderer atypischer Neuroleptika bei Demenzkranken ein erhöhtes Risiko von zerebrovaskulären Ereignissen bekannt wurde (number needed to harm = 53 bei Risperidon) [10, 11, 12], weisen neuere Daten darauf hin, dass die älteren typischen Neuroleptika diesbezüglich ein zumindest genauso erhöhtes Risiko birgt wie die neueren atypischen Neuroleptika [2, 5]. Nach Beenden einer Therapie mit Antipsychotika bei Demenzerkrankten nimmt das erhöhte Mortalitätsrisiko nachweislich wieder ab [13] und führt nicht automatisch zu einem erneuten Auftreten der nichtkognitiven Symptome, daher sollten Ausschleichversuche durchgeführt werden [2, 4, 5]. Kommentar: Die Evidenzbasis für eindeutige Empfehlungen einer Pharmakotherapie von nichtkognitiven Störungen bei der Demenz ist schmal. Es liegen nur wenige qualitativ hochwertige Arbeiten vor, und die meisten wissenschaftlichen Studien wurden mit kleinen Fallzahlen und einem inhomogenen Patientengut durchgeführt. Der Einsatz von Antipsychotika bei Demenzerkrankten ist generell mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko und einem erhöhten Risiko zerebrovaskulärer Ereignisse assoziiert, sowohl bei den atypischen wie bei den älteren typischen Neuroleptika. Patienten und Angehörige müssen vom behandelnden Arzt über diese Risiken aufgeklärt werden, umso mehr, wenn es sich um einen offlabel-use handelt (Empfehlungsgrad A, Evidenzebene Ia). Quellenverzeichnis: [1] Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). S3-Leitlinie "Demenzen". Stand November 2009. AWMF Register Nr. 038/013. Online abrufbar: http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-013_s3_demenzen_lang_11-2009_11-2011.pdf (aufgerufen 06.01.2012) [2] American Psychiatric Association (APA). Practice guideline for the treatment of patients with Alzheimer's disease and other dementias. Arlington (VA): American Psychiatric Association (APA); 2007 Oct. 85 p. Online available: http://psychiatryonline.org/data/books/prac/alzpg101007.pdf (aufgerufen 06.01.2012) [3] Consiglio Sanitario Regionale Regione Toscana. Sindrome Demenza: Diagnosi e Trattamento. SNLG regioni n. 15. Anno di pubblicazione 2011. Online: http://www.salute.toscana.it/sst/consiglio-sanitario-regionale.shtml (aufgerufen 06.01.2012) [4] Herrmann N, Serge Gauthier S. Diagnosis and treatment of dementia: 6. Management of severe Alzheimer disease. CMAJ 2008;179(12):1279-87 doi: 10.1503/cmaj.070804 [5] Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Demenz. DEGAM Leitlinie Nr. 12. Stand: 2008. AWMF-Register-Nr.: 053/021. Online abrufbar: http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-021_s2e_demenz_lang_10-2008_12-2011.pdf (aufgerufen 06.01.2012) [6] Baldessarini RJ et al. Atypical antipsychotic drugs and the risk of sudden cardiac death. N Engl J Med 2009; 360: 2136-2138

[7] Wang PS et al. Risk of death in elderly users of conventional vs. atypical antipsychotic medications. N Engl J Med 2005; 353: 2335-2341 [8] Gill SS et al. Antipsychotic drug use and mortality in older adults with dementia. Ann Intern Med 2007; 146: 775-786 [9] Liparoti R et al. Risk of death associated with atypical and conventional antipsychotics among nursing home residents with dementia. J Clin Psychiatry 2009; 70: 1340-1347 [10] Wooltorton E: Risperidone (Risperdal): increased rate of cerebrovascular events in dementia trials. CMAJ 2002; 167: 1269-1270 [11] Wooltorton E: Olanzapine (Zyprexa): increased incidence of cerebrovascular events in dementia trials. CMAJ 2004; 170:1395 [12] Maher AR, Maglione M, Bagley S et al. Efficacy and comparative effectiveness of atypical antipsychotic medications for off-label uses in adults: a systematic review and meta-analysis. JAMA. 2011 Sep 28;306(12):1359-69 [13] Ballard C, Hanney ML, Theodoulou M, et al.: The dementia antipsychotic withdrawal trial (DART-AD): long-term follow-up of a randomised placebo-controlled trial. Lancet Neurol 2009; 8: 151-157 Erstellt im: Februar 2012 von: Dr. Simon Kostner für das EBM-Team