Populäre Irrtümer über Trauer

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Transkript:

Dass es mir oder allen so scheint, daraus folgt noch nicht, dass es so ist. Ludwig Wittgenstein Populäre Irrtümer über Trauer

Gliederung Einleitung Annahmen über Trauer im Licht des aktuellen Forschungsstandes Intensive und anhaltende psychische Belastung? Verdrängte Trauer? Trauerarbeit? Fortbestehende Bindung? Dauer und Ende von Trauer? Trauerphasen? Statt einfacher Antworten: Diversität, Ringen mit Gegensätzen und flexible Bewältigung Empfehlenswerte Informationsquellen 2

Annahmen über Trauer sind wichtige Orientierungshilfen ( was ist normal und was ist pathologisch? ). im Alltagwissen verankert durch Erfahrungen, Erzählungen, Medien, Ratgeber. hochwirksam, denn sie beeinflussen, was von Trauernden erwartet wird und was Trauernde von sich selbst erwarten. häufig vereinfacht, schematisch, stereotyp. 3

Irrtümliche Annahme 1: Nach einem Verlust werden Hinterbliebene eine Phase intensiver psychischer Belastung durchleben. Dabei wird ausdrücklich davon ausgegangen, dass während dieser Zeit keine positiven Gefühle auftreten können. (Wortman & Silver, 2001, S. 406) 4

Intensive und anhaltende psychische Belastung? Psychischer Schmerz kommt und geht in Wellen. Ca. 50% zeigen Resilienz (psychische Widerstandskraft). Resilienz heißt nicht fehlende Trauer. Kürzere Phasen von Kummer und Schmerz kommen vor, beeinträchtigen jedoch die Funktionsfähigkeit und Gesamtverfassung nicht über längere Zeit. Wichtig ist die Unterscheidung von Trauer und psychischen Erkrankungen (z.b. Depression, Angst, PTSD, komplizierte Trauer). 5

Positive Emotionen? Momente positiver Emotionen werden von vielen Hinterbliebenen bereits kurz nach dem Verlust erlebt. Hinterbliebene erleben Humor und Glücksgefühle als wichtig. Humor, Lachen und Glücksgefühle sind wichtig als vorübergehende Entlastung von schmerzhaften Emotionen. Positive Gefühle stärken die soziale Einbindung. 6

Irrtümliche Annahme 2: Tritt ein solches Erleben psychischer Belastung nicht ein, ist dies ein Anzeichen für eine problematische Entwicklung. (Wortman & Silver, 2001, S. 406) 7

Verdrängte Trauer? Wird von Fachkräften stark überbewertet: 65% glauben, dass fehlende Trauer Zeichen von Verdrängung ist. Studien weisen Seltenheit verdrängter Trauer nach (0-5%). 8

Irrtümliche Annahme 3: Für eine erfolgreiche Verarbeitung des Verlustes ist unabdingbar erforderlich, dass Hinterbliebene sich ihren Gefühlen stellen und sie durcharbeiten. (Wortman & Silver, 2001, S. 406) 9

Trauerarbeit? Wissenschaftlicher Nachweis, dass Trauerarbeit zu besserer Bewältigung führt, fehlt. Von Vorteil ist, verschiedene Bewältigungsstrategien flexibel und situationsangepasst einsetzen zu können. 10

Irrtümliche Annahme 4: Eine fortbestehende Bindung zum Verstorbenen wurde allgemein als pathologisch angesehen. Die Notwendigkeit, diese Bindung zu lösen wird häufig als zentrales Element des Trauerprozesses angesehen. (Wortman & Silver, 2001, S. 406) 11

Fortbestehende Bindung? Ganz normal und häufig tröstend. Kein entweder-oder sondern Anpassungsprozess. Entscheidend für positive Wirkung ist Wesen und Funktion der fortbestehende Bindung. 12

Irrtümliche Annahme 5: Es wird angenommen, dass Hinterbliebene sich innerhalb von ein oder zwei Jahren von dem Verlust erholen und zu ihrer früheren Lebenstüchtigkeit zurückfinden. (Wortman & Silver, 2001, S. 406) 13

Dauer und Ende von Trauer? Keine endgültige Erholung wie von einer akuten Erkrankung. Statt dessen: wie ein verblassendes Licht. Es wird schwächer, aber geht nie aus. Große Unterschiede in Bezug auf Dauer und Intensität der psychischen Beeinträchtigung. 14

Irrtümliche Annahme 6: Trauerarbeit wird nun gemeinhin als etwas betrachtet, das eine Reihe von Phasen oder Stadien durchlaufen müsse. (Bonanno, 2012, S. 31) 15

Trauerphasen? Empirisch nicht nachgewiesen statt dessen ganz unterschiedliche Verläufe, z.b. Quelle: Bonanno, G. A. & Mancini, A. D. (2008). The Human Capacity to Thrive in the Face of Potential Trauma. Pediatrics, 121, 369-375 16

Statt einfacher Antworten: Große interindividuelle Unterschiede. Ringen um Balance zwischen Gegensätzen, z.b. Emotionen zulassen und unterdrücken. An den Verstorbenen denken und Ablenkung suchen. Aspekte der Bindung pflegen, andere lösen. Rückzug und Kontakt. Flexibler, situationsangepasster Einsatz unterschiedlicher Bewältigungsstrategien. 17

Empfehlenswerte Informationsquellen Bonanno, G. A. (2012). Die andere Seite der Trauer. Verlustschmerz und Trauma aus eigener Kraft überwinden. Bielefeld: Edition Sirius. Weiterführende Texte und Informationen rund um das Thema Trauer: www.gute-trauer.de Ausgewählte Forschungsergebnisse zum Thema Trauer in einem kostenlosen Newsletter: www.trauerforschung.de 18

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!? Zeit für Fragen 19